54322.jpg

Im Entwicklungsprozess von Fahrzeugregelsystemen ist die Hardware-in-the-Loop (HiL)-Simulation, bei der das reale elektronische Steuergerät zur Funktionsabsicherung in einer simulierten Umgebung in geschlossener Regelschleife betrieben wird, eine seit Jahren etablierte Technik. Allerdings stößt sie bei den zunehmend im Fahrzeug Einzug haltenden Fahrerassistenzsystemen (ADAS) an Grenzen, da hier neben den rein funktionalen Tests der Steuergerätesoftware auch die Wirkung auf den Fahrer und die Interaktion mit ihm ein bedeutendes Bewertungskriterium darstellt.

Der für das DiL-System genutzte Fahrsimulator.

Der für das DiL-System genutzte Fahrsimulator.dSPACE

Als beispielhafte Systeme seien hier Spurhalteassistenten, adaptive Scheinwerfersteuergeräte und Car-to-x-Anwendungen genannt. Bisher werden diese Funktionalitäten zum allergrößten Teil noch im Fahrversuch auf einer Teststrecke und im realen Straßenverkehr erprobt, sodass Simulationstechniken an dieser Stelle ein bedeutendes Einsparpotenzial eröffnen. Hierzu ist es allerdings notwendig, die Interaktion des Fahrers mit den Bedien- und Anzeigeelementen sowie den kinästhetischen Eindruck unter Verwendung des realen ADAS-Steuergeräts zu berücksichtigen. Dies kann durch Kombination der klassischen HIL-Simulation mit einem Fahrsimulator in einer DIL-Simulationsumgebung (DIL: Driver-in-the-Loop) erfolgen.

Testen mit DiL-Systemen

DiL-Systeme ermöglichen es, Testfahrten in das Labor zu verlagern und damit Kosten zu sparen. Akzeptanztests und Subjektivbeurteilungen von ADAS lassen sich mit einer wesentlich umfangreicheren Testbasis durchführen als das mit realen Versuchsfahrzeugen möglich wäre.

Forschungsprojekt TRAFFIS

Das Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn hat in Zusammenarbeit mit der dSPACE GmbH, der Varroc Lighting Systems GmbH und weiteren Partnern das Forschungsprojekt TRAFFIS (Test- und Trainingsumgebung für fortgeschrittene Fahrerassistenzsysteme, www.traffis.de) ins Leben gerufen, um eine DIL-Simulationsumgebung aufzubauen und damit auch die Möglichkeiten hinsichtlich Entwicklung und Test von ADAS-Steuergeräten zu untersuchen. Den Kern dieser Simulationsumgebung bildet ein Fahrsimulator, auf dessen rekonfigurierbarer 5-Freiheitsgrad-Bewegungsplattform unterschiedliche Versuchsfahrzeuge mitgeführt werden können. Für eine realitätsnahe Darstellung der Fahrsituation ist der Fahrsimulator mit einem Akustiksystem sowie einem hochperformanten achtkanaligen 240°-Projektionssystem ausgestattet. Auf einem HIL-Simulator findet mittels Fahrdynamik- und Umgebungsmodellen die Berechnung des Fahrzeugzustands und der Bewegungen des Umgebungsverkehrs in Echtzeit statt, wodurch die Visualisierung, die Akustik, die Cockpitinstrumente sowie das Bewegungssystem simuliert werden. Ein ADAS-Steuergerät ist in einer geschlossenen Regelschleife mit dem HIL-Simulator verbunden. Durch diese Kopplung einer klassischen HIL-Simulation eines Fahrerassistenzsystems mit einer Fahrsimulation ist es möglich, den Menschen in einer DIL-Simulation in die Regelschleife mit einzubeziehen und so die Funktionen des Steuergeräts und die Wahrnehmung des Menschen realitätsnah im Labor zu testen (Bild 1).

Bild 1: Aus der Kopplung von HiL- und Fahrsimulation ergibt sich ein Driver-in-the-Loop-Szenario (DIL-Simulation).

Bild 1: Aus der Kopplung von HiL- und Fahrsimulation ergibt sich ein Driver-in-the-Loop-Szenario (DIL-Simulation).dSPACE

Als geeignetes Anwendungsszenario für die DIL-Simulationsumgebung kommt in dem Forschungsprojekt ein ADAS für adaptive Scheinwerfersteuerungen zum Einsatz, das zwei recht unterschiedliche Fahrerlichtassistenzfunktionen fusioniert. Zum einen wird versucht, dem Fahrer durch ein kameragesteuertes blendfreies Fernlichtsystem (Glare Free High Beam, GFHB) eine bestmögliche Ausleuchtung mit maximaler Lichtausbeute zu verschaffen. Zum anderen sollen durch ein eHorizon-geführtes (digitale Karte, GPS-Positionierung und Pfadvorhersage) adaptives Kurvenlichtsystem (Predictive Active Frontlighting System, PAFS) der Straßenverlauf und bevorstehende Fahrsituationen (Kreuzungen, Fußgängerüberwege, Stadtgebiet, Landstraße, Autobahn) bereits im Vorhinein ausgeleuchtet werden.

Beispiel AFL

Zur Realisierung eines blendfreien Fernlichtsystems werden spezielle Scheinwerfermodule benötigt, die unter Berücksichtigung des Fahrzeugumfelds und anderer Verkehrsteilnehmer die ausreichend schnelle und präzise Anpassung der Lichtverteilung erlauben. Die innerhalb des Projekts verwendete Variante generiert einen Schattenbereich im Fernlicht, der sich variabel und dynamisch anpassen lässt. Hier erweist sich die Kombination von flacher Lichtausleuchtung (Flat-Shape) mit vertikal verlaufenden, scharfen Kanten (L-Shape) als besonders vorteilhaft. Durch Schwenkmotoren besteht die Möglichkeit, die Lichtverteilung horizontal und vertikal asymmetrisch mitzuführen (Bild 2).

Bild 2: Projektionsstrategie und Verstellmöglichkeiten für Abschattung im linken (a), mittigen (b) und rechten (c) Frontbereich.

Bild 2: Projektionsstrategie und Verstellmöglichkeiten für Abschattung im linken (a), mittigen (b) und rechten (c) Frontbereich.dSPACE

Ein hochdynamisches Kamerasystem stellt die Eingangssignale für die GFHB-Funktionalität des Steuergeräts in einem realen Fahrzeug bereit, wobei das Kamerasystem durch Bildverarbeitungsalgorithmen das Fahrzeugumfeld analysiert und den Hüllbereich aller Verkehrsobjekte beschreibt (U-Frame).

Das prädiktive adaptive Kurvenlichtsystem setzt auf den Ausgangsdaten eines elektronischen Horizonts auf. Dieser übermittelt die Straßengeometrie und Verkehrsszenarien des Pfades, der mit höchster Wahrscheinlichkeit gemäß aktueller und vergangener Fahrzeug- und Fahrersignale gewählt wird. Somit kann das adaptive Lichtsystem vorausschauend bevorstehende Fahrsituationen optimal ausleuchten und für eine deutliche Verbesserung der Fahrunterstützung sorgen. So werden beispielsweise Kurven bereits deutlich vor dem Kurvenbeginn angezeigt und ausgeleuchtet.

Die GFHB- und die PAFS-Funktionalität liefern in vielen Fahrsituationen unterschiedliche und teils gegensätzliche Sollwerte. Die Zusammenführung, die dem Fahrer einen möglichst komfortablen und sichtverbessernden Gesamteindruck vermitteln soll, stellt eine Herausforderung dar, die sich mithilfe der DIL-Simulationsumgebung von der Straße ins Labor verlagern lässt.

Bild 3: Beispielhaftes Straßennetzwerk und Autobahnsituation mit Kennzeichnung des U-Frames.

Bild 3: Beispielhaftes Straßennetzwerk und Autobahnsituation mit Kennzeichnung des U-Frames.dSPACE

Für die HIL-Simulation kommt das Echtzeit-Fahrdynamikmodell ASM Vehicle Dynamics mit Traffic-Erweiterung für die Fremdverkehrssimulation zum Einsatz. Im Gegensatz zu reinen Fahrdynamikmodellen für den Test von Fahrdynamikregelsystemen verfügt das im Rahmen dieses Projektes weiterentwickelte Umgebungsmodell der ASM-Modellpalette über die Möglichkeit, komplexe Straßennetzwerke zu simulieren (Bild 3) – eine für die Simulation von ADAS-relevanten Szenarien unerlässliche Eigenschaft.

Die von den Modellen bereitgestellten flexiblen Möglichkeiten zur Einbettung zusätzlicher Modelle wurden genutzt, um die von dem Steuergerät benötigten Sensorgrößen zu berechnen. So implementierten die Beteiligten auf der einen Seite einen Algorithmus, der die in der Umgebung des Ego-Fahrzeugs befindlichen Verkehrsteilnehmer erkennt und den in einem realen Fahrzeug von der Bildverarbeitung des Kamerasystems berechneten U-Frame erzeugt (siehe Einschub in Bild 3).

Elektronischer Horizont mit eingebunden

Auf der anderen Seite dient das Umgebungsmodell dazu, den Verlauf der vorausliegenden Strecke mittels GPS-Koordinaten zu beschreiben, um somit der prädiktiven Kurvenlichtfunktionalität des Steuergeräts die benötigten Informationen bereitzustellen. Mit der U-Frame-Geometrie und den Navigationsdaten der vorausliegenden Strecke in Kombination mit Informationen über den Fahrzustand des Ego-Fahrzeugs ist es möglich, die Sensorseite des ADAS-Steuergeräts simulativ zu versorgen. Die Kommunikation zwischen Steuergerät und HIL-Simulator erfolgt per CAN-Protokoll; die LIN-basierte Kommunikation zwischen Steuergerät und Scheinwerfer-Projektionsmodulen wurde per Restbussimulation im Modell mit einer kombinierten Verwendung von Echtlasten realisiert.

Die HIL-Simulation kann in zwei verschiedenen Modi betrieben werden: So ist zunächst der klassische HIL-Ansatz möglich, bei dem das Verhalten des Ego-Fahrzeugs und der Verkehrsteilnehmer in Szenarien a priori definiert wird, um somit reproduzierbare Testfälle für die Funktionsabsicherung des Steuergeräts durchführen zu können. Für diesen Fall wurde die Definition der Bewegungsvorgabe stark überarbeitet, da sich diese bei Straßennetzwerken für den Test von ADA-Systemen deutlich von der Bewegungsvorgabe für den Test von Fahrdynamikregelsystemen unterscheidet. Als zusätzlicher Simulationsmodus kann der Mensch die Steuerung des Ego-Fahrzeugs auf dem Fahrsimulator selbst übernehmen, um die reproduzierbaren Testfälle um manuelle Tests zu erweitern und somit die Testtiefe wesentlich zu vergrößern.

Bild 4: Nachtfahrszene in Original- und Falschfarbdarstellung.

Bild 4: Nachtfahrszene in Original- und Falschfarbdarstellung.dSPACE

Im Simulationsmodus wird dem Fahrer die simulierte Fahrt in der DIL-Simulationsumgebung anschaulich präsentiert. Dazu verfügt der Fahrsimulator über ein 240°-Rundprojektionssystem. Insgesamt acht Projektoren erzeugen ein hochaufgelöstes Bild der Fahrsituation und bieten dem Fahrer eine optimale Sicht nach vorn sowie zu den Seiten, was insbesondere die Beurteilung der Ausleuchtung des Straßenraums durch die Lichtkegel der schwenkenden Scheinwerfer während einer Kurvendurchfahrt unterstützt.

ECU-Test in der simulierten Nachtfahrt

In dem Anwendungsszenario zur adaptiven Scheinwerfersteuerung erfolgt der Test des Steuergeräts im Rahmen einer simulierten Nachtfahrt. Der Testfahrer im Simulator lenkt das Fahrzeug über eine virtuelle Versuchsstrecke, die zuvor als digitales Abbild einer realen Strecke für den Simulator als 3D-Modell im Rechner sehr detailliert nachgebildet wurde. Die Nachbildung umfasst sowohl ein Logikmodell für die Ansteuerung des Fremdverkehrs durch die eingesetzte Echtzeithardware als auch ein 3D-Modell für die visuelle Simulation auf dem Projektionssystem in der DIL-Umgebung. Die Erstellung des 3D-Modells für die virtuelle Versuchsstrecke erfolgt anhand einer automatisierten Vorgehensweise auf der Basis von Navigationsdaten, digitalen Luftbildern sowie Gelände- und Landschaftsmodellen. Somit können für das gezielte Testen des ADAS zahlreiche virtuelle Versuchsstrecken für unterschiedliche Testszenarien effizient generiert werden.

Die Visualisierung des Scheinwerferlichtes auf der Straße vor dem Fahrzeug basiert auf einer High-Dynamic-Range-Darstellung, welche die Ausleuchtung des Straßenraums durch die Scheinwerfer und insbesondere die dabei auftretenden hohen Kontraste der Scheinwerferlichtkegel in der nächtlichen Umgebung qualitativ hochwertig und realitätsnah wiedergibt (Bild 4). Grundlage hierfür sind gemessene beziehungsweise berechnete Lichtstärkeverteilungen, welche die Leuchtcharakteristika der Scheinwerfer exakt definieren.

Die Visualisierung, wie die Fahrzeugscheinwerfer den Straßenraum ausleuchten, ist durch zahlreiche Parameter weitgehend an unterschiedliche Testsituationen anpassbar. So können zum einen die Kontrastverhältnisse an konkrete Testszenarien adaptiert werden. Zum anderen lässt sich beispielsweise eine Falschfarbdarstellung für eine nachgelagerte Auswertung einer Testfahrt zur eingehenden Analyse aktivieren (Bild 4). Für das getestete ADAS steuert die ECU pro GFHB-Scheinwerfermodul vier Lichtquellen in Echtzeit an. Zudem werden die entsprechenden Scheinwerferausrichtungen und die daraus resultierende Ausleuchtung des Straßenraums vor dem Ego-Fahrzeug in der DIL-Simulationsumgebung auf dem Rundprojektionssystem dargestellt.

Kopplung von HiL und Fahrsimulator

Die im Rahmen des TRAFFIS-Projekts mit einem beispielhaften Fahrerassistenzsystem für adaptive Scheinwerfersteuerungen aufgebaute DIL-Simulationsumgebung bietet vielseitige Möglichkeiten, um zukünftige adaptive Fahrerassistenzsysteme während Entwicklung und Test zu unterstützen. Dabei gibt es keine systembedingten Beschränkungen auf bestimmte Anwendungsgebiete oder Fahrzeugvarianten, da der Fahrsimulatoraufbau rekonfigurierbar und beispielsweise auch für Lkw-Kabinen einsetzbar ist. Durch die Kopplung der klassischen HIL-Simulation mit dem Fahrsimulator lassen sich vordefinierte reproduzierbare Testfälle durch manuelle Tests erweitern. Neben reinen Steuergerätetests ist es weiterhin möglich, die Interaktionen des Menschen mit dem System zu analysieren, um somit auf der einen Seite die Funktionsweise in entsprechenden, oftmals gefährlichen Fahrsituationen auf dem Fahrsimulator zu vermitteln. Auf der anderen Seite kann das System dazu genutzt werden, um die Akzeptanz eines in der Entwicklung befindlichen Fahrerassistenzsystems (Wirkungsweise, Rückmeldung, etc.) im Labor zu untersuchen. Solche simulationsbasierten Interaktionstests lassen sich, verglichen mit Tests anhand real aufgebauter Prototypen, mit einer wesentlich höheren Probandenzahl durchführen, um somit höherwertige Testergebnisse zu erzielen.

Bild 5: TRAFFIS ist ein Forschungsprojekt aus dem EFRE-kofinanzierten operationellen Programm für NRW im Ziel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ 2007-2013.

Bild 5: TRAFFIS ist ein Forschungsprojekt aus dem EFRE-kofinanzierten operationellen Programm für NRW im Ziel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ 2007-2013.dSPACE

Den Vorteilen, die solch eine komplexe Simulationsumgebung für die Entwicklung und den Test von Fahrerassistenzsystemen bietet, steht natürlich zunächst der initiale Aufwand gegenüber, das System aufzubauen. In der Gesamtheit lässt sich allerdings festhalten, dass dieser innerhalb des TRAFFIS-Projektes entwickelte DiL-Ansatz innerhalb der ADAS-Entwicklung unter anderem durch die Rekonfigurierbarkeit und das hochperformante Projektionssystem eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten hinsichtlich ADAS-Funktionalität und Fahrzeugvarianten bietet.

Dr.-Ing. Hendrik Amelunxen

ist Modellierungsexperte bei der dSPACE GmbH.

Dr.-Ing. Jan Berssenbrügge

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn im Bereich Virtual Prototyping und Simulation.

Dipl.-Ing. Christoph Schmid

ist technischer Spezialist für Lichtalgorithmen – simulationsbasierte Softwareentwicklung bei der Varroc Lighting Systems GmbH.

(av)

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

dSPACE GmbH

Rathenaustraße 26
33102 Paderborn
Germany