Zunehmende Derivatisierung, ein höheres Entwicklungsvolumen im Bereich Elektrik/Elektronik und veränderte Wünsche des Endkunden bedingen einen Wandel in der Zusammenarbeit von Herstellern und Entwicklungsdienstleistern.

Zunehmende Derivatisierung, ein höheres Entwicklungsvolumen im Bereich Elektrik/Elektronik und veränderte Wünsche des Endkunden bedingen einen Wandel in der Zusammenarbeit von Herstellern und Entwicklungsdienstleistern.ASAP (PantherMedia)

Beginnen wir mit einem Rückblick in die Automobilentwicklung der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland: Mit dem quattro machte Audi den Allrad-PKW salonfähig und verpasste ihm eine sportliche Note. Die Ingenieure in Zuffenhausen entwickelten nach damaliger Expertenmeinung das wohl perfekte Fahrzeug – den Porsche 959. In Sindelfingen wurde der Baby-Benz geboren: Bis 1993 baute Mercedes 1,8 Millionen Fahrzeuge vom 190er. Ursprünglich sollte dieses Fahrzeug den durchschnittlichen Verbrauch der Flotte senken. Ehrgeizige Pläne gab es auch in der Chefetage bei BMW in München. Das neue Flaggschiff, der 750iL, rollte mit einem Zwölfzylinder als Alleinstellungsmerkmal an und sollte der altbewährten S-Klasse von Mercedes den Rang ablaufen.

Allen damaligen Fahrzeugentwicklungen war eines gemeinsam: die Elektronik war eher Mittel zum Zweck. Es gab wenig „Intelligenz“ im Fahrzeug und damit verbunden eine zumeist überschaubare elektrische Funktionalität. Steuergeräte in großer Anzahl waren nicht vorhanden. Die Infotainment-Welt fand der Autofahrer der 1980er Jahre in Form eines „1 DIN Schacht großen High-End-Radios“ vor. Das Öffnen eines Schiebedaches bedurfte der Kraft und des Geschicks des Fahrers.

Beim Großteil der damaligen Fahrzeuge war die Elektronik simpel zu umschreiben: ein Bordnetz für alle Bauformen, Scheinwerfer vorne und hinten, Blinker, Radio, Motorsteuerung und vielleicht elektrische Fensterheber. Verkaufsargumente in dieser Zeit waren Fahrzeugform, Leistung, passive Sicherheit, Qualität „Made in Germany“ und damit verbundene Wertstabilität.

Veränderte Themenstellungen

Seitdem hat sich viel getan, denn in den vergangenen 10 bis 15 Jahren hat die Elektrik/Elektronik Einzug in alle Bereiche des Fahrzeuges gehalten. Ihr Wertschöpfungsanteil im Gesamtfahrzeug ist massiv gestiegen, so dass sich in den vergangenen Jahren auch die Entwicklungsschwerpunkte des Automobils verändert haben: In den 1980er Jahren dominierten Entwicklungen im Bereich Karosserie. Heute sind es unter anderem Themen aus dem Bereich Elektrik/Elektronik, die große Entwicklungskapazitäten beanspruchen und auf vormals maschinenbaugeprägten Domänen wie Fahrwerk oder Antrieb größeren Einfluss haben.

Grund für diese Entwicklung ist unter anderem, dass den Endkunden heute neben dem „womit“ vor allem das „wie“ der Fortbewegung interessiert. Die Elektrik/Elektronik macht einen weit höheren Anteil neuer Features und Funktionen im Fahrzeug überhaupt erst möglich.

So wird beispielsweise der vom Autofahrer ausgehende Wunsch zur Personalisierung des Fahrzeuges – also die individuelle Anpassung des Fahrzeuges an die jeweiligen Bedürfnisse des Fahrers – erst durch die Vernetzung von Elektronik, Fahrwerk, Antrieb etc. möglich. Neue Themenfelder wie autonomes Fahren, Multimedia/Internet/Konnektivität im Fahrzeug, Hybrid- und Elektroantrieb, Ausbau der Fahrzeug- und Verkehrsteilnehmersicherheit bedürfen neuer Technologien und Entwicklungen wie zum Beispiel Car-to-X, Energie- und Energiespeichermanagement, Ethernet, Sensorcluster, prädiktive Streckendaten und damit auch höhere Rechenleistung sowie Speicherkapazität in Steuergeräten. Durch die Möglichkeiten der Weiterentwicklung, die der Bereich Elektrik/Elektronik bietet, steigt die Anzahl komplexer Systeme und Funktionen. Gleichzeitig erhöht sich das Entwicklungsvolumen durch die weiterhin zunehmende Derivatisierung von Fahrzeugen kontinuierlich und somit auch die Anzahl der erforderlichen System­applikationen.

Veränderungen der Zusammenarbeit

Die steigende Komplexität neuer Technologien gerade im Bereich Elektrik/Elektronik verbunden mit einer kürzeren Entwicklungszeit und einer wachsenden Zahl von Modellen und Derivaten stellt vor allem Automobilhersteller vor große Herausforderungen.

Bereits heute zeichnet sich dadurch ein Wandel in der Zusammenarbeit von Automobilherstellern und Entwicklungsdienstleistern ab. Während früher Entwicklungsaufgaben oftmals sehr personenbezogen – und in Aufgabe und Verantwortung eingeschränkt – erbracht wurden, verantworten Entwicklungsdienstleister heute zunehmend komplette Entwicklungsprozesse verschiedener Teilbereiche mit abschließender Freigabeempfehlung an den OEM. In der Karosserieentwicklung ist dieses Vorgehen bereits seit den 1990er Jahren durchaus üblich.

Ein Trend, der sich auch im Elektronikbereich noch verstärken wird: bis hin zur Vergabe kompletter Derivat-Entwicklungen an Systemlieferanten und Entwicklungsdienstleister. Die Vorteile für die Automobilhersteller liegen auf der Hand: Entwicklungskapazitäten werden beim OEM frei, die er für den Technologieausbau und zur Entwicklung neuer zusätzlicher (elektronischer) Features nutzen kann. Zudem besteht die Möglichkeit der Kostenreduktion in Entwicklungsprojekten, sofern sich Schnittstellen zwischen Systemlieferant, Hersteller und Dienstleister minimieren lassen.

Anforderungen an Entwicklungsdienstleister

Ein zukunftsorientierter Entwicklungsdienstleister auf dem Weg zum Systementwicklungspartner sollte daher in der Lage sein, die Prozesse zur Entwicklung von Teilsystemen oder Modulen komplett zu steuern und eigenständig durchzuführen. Notwendig, um eine solche Entwicklung – vom Lastenheft bis zur Serienreife – zu realisieren, ist auch ein entsprechend breites Leistungsspektrum, das neben der technischen Entwicklung auch Felder wie Prozess- und Qualitätsmanagement umfasst.

Systementwicklungspartner sollten sich neben spezifischem Know-how auch Kompetenzen im Gesamtentwicklungsprozess aneignen.

Systementwicklungspartner sollten sich neben spezifischem Know-how auch Kompetenzen im Gesamtentwicklungsprozess aneignen. ASAP

Die ASAP-Gruppe hat dieser Entwicklung mit ihren drei Geschäftsbereichen Rechnung getragen:  Im Geschäftsbereich Engineering bietet ASAP technische Entwicklungsleistungen in Zusammenarbeit mit den Fachbereichen der Automobilhersteller und deren Lieferanten. Prozess- und produktbezogene Dienstleistungen in Querschnitts- und Schnittstellenfunktionen erbringt der Geschäftsbereich General Service. Der Geschäftsbereich Technical Service bietet zudem globale technische Dienstleistungen in den Gebieten Montage und Produktion. Das Leistungsportfolio bezieht sich folglich auf den gesamten automobilen Produktlebenszyklus und ermöglicht so eine ganzheitliche Betrachtung in allen Projekten.

Gleichzeitig wird es für Entwicklungsdienstleister insbesondere im Technologiefeld Elektrik/Elektronik immer wichtiger, spezifische Entwicklungsthemen wie zum Beispiel Systemintegration und Validierung zu beherrschen und diese im eigenen Haus bearbeiten zu können. Diesen wichtigen Teilbereich in der Fahrzeug- beziehungsweise Komponenten- und Systementwicklung kann ASAP bereits heute mit seinem Tochterunternehmen ASAP ­Electronics GmbH abdecken, das als internes Kompetenzzentrum fungiert. ASAP Electronics liefert Prüfsysteme, Testautomation und Freigabeabsicherung aus einer Hand.

Das langfristige Ziel eines Systementwicklungspartners muss somit darin bestehen, sich neben spezifischem Wissen und Know-how auch Kompetenzen zum Gesamtentwicklungsprozess schrittweise anzueignen. Dabei ist eines klar: Sowohl in der Tiefe als auch in der Breite der Leistungen bedarf es gut qualifizierter Mitarbeiter. Fachkenntnisse sind dabei genauso wichtig wie detaillierte Prozesskenntnisse zu den jeweiligen Automobilherstellern. Neben der grundsätzlichen Qualifikation ist zudem eine stetige Weiterbildung der Mitarbeiter im hochdynamischen Umfeld Automobilindustrie unerlässlich. Dies wird auch in Zukunft zu einer der Kernaufgaben von Entwicklungsdienstleistern gehören. In der Projektbe­arbeitung auf eigenen Entwicklungsflächen lernt der Mitarbeiter so unmittelbar Produktentstehungsprozess, Technik, OEM-Strukturen und -Arbeitsweisen kennen.

Der nächste Schritt

Der Systementwicklungspartner der Zukunft ist nicht mehr nur ein Bearbeiter von Teilaufgaben, sondern verantwortet Entwicklungsprozesse für komplexe und innovative Abläufe. Vom Systemlieferant unterscheidet ihn dabei im Wesentlichen, dass er in der Regel nicht über eigene Produktionsmöglichkeiten verfügt.

Die Chance einer solchen Entwicklung liegt für Dienstleister vor allem darin begründet, dass die internen Entwicklungskapazitäten der Hersteller nicht proportional zur Anzahl von Fahrzeugderivaten steigen werden. Dies, die veränderten Prioritäten im Kaufverhalten der Kunden und ein damit einhergehendes höheres Entwicklungsvolumen gerade im Bereich Elektrik/Elektronik lassen eine positive Zukunft für automobile Dienstleister erwarten – Entwicklungsdienstleister müssen jedoch den Schritt zum Systementwicklungspartner wagen.

Auf einen Blick

Systementwicklungspartner
Der Systementwicklungspartner der Zukunft ist nicht mehr nur ein Bearbeiter von Teilaufgaben, sondern verantwortet Entwicklungsprozesse für komplexe und innovative Abläufe. Die Herausforderung wird darin bestehen, die für den OEM geltenden Prozesse, Methoden und Richtlinien vollständig zu erfüllen und ein gemeinschaftliches Verständnis für die Leistungserfüllung und Haftung bei Auftraggeber und Auftragnehmer zu erreichen.

Im Falle einer System-, Modul- oder gar Gesamtfahrzeugentwicklung (Derivat) bedeutet dies somit für Entwicklungsdienstleister ein weit höheres Maß an Verantwortung und Risiko. Die Herausforderung wird darin bestehen, die für den OEM geltenden Prozesse, Methoden und Richtlinien vollständig zu erfüllen und ein gemeinschaftliches Verständnis für die Leistungserfüllung und Haftung bei Auftraggeber und Auftragnehmer zu erreichen. Grundlage dafür kann nur ein intensiver Dialog zwischen Automobilherstellern und Systementwicklungspartnern sein.

Christian Schweiger

ist Geschäftsführer der ASAP Electronics GmbH und der ASAP Engineering GmbH in Ingolstadt.

(av)

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