Die Möglichkeit, elektronische Baugruppen durch Schutzlackierungen zu schützen, ist nicht neu. Vor allen in Branchen, bei deren Produkten eine fehlerfreie Funktionsweise trotz starker Umwelteinflüsse sichergestellt sein muss, kommen Schutzbeschichtungen zum Einsatz. Viele dieser Produkte sind uns näher, als wir glauben, manche davon schützen sogar unser Leben. In jedem Auto fährt heute komplexe Elektronik mit – und diese Sicherheitselektronik, also jene sicherheitsrelevanten Baugruppen, sind in der Regel durch Schutzlackierungen vor Umwelteinflüssen isoliert. ABS und Airbag müssen immer funktionieren. Hohe Temperatur- oder Feuchtigkeitsunterschiede dürfen keine Rolle spielen. Ganz egal, ob am Nordkap, in einem Wüstenstaat oder im Regenwald: Die Sicherheitselektronik hat die Aufgabe, die Fahrzeuginsassen zu schützen – und nach zehn Jahren soll sie immer noch funktionieren.

Platinen vor Feuchtigkeit schützen

Durch Temperaturunterschiede oder unterschiedliche Klimabedingungen kann sich auf den Leiterplatten im Gerät Kondenswasser absetzen und im Betrieb einen Kurzschluss verursachen, der im Zweifelsfall das Gerät zerstört. Damit sind eventuell lebenswichtige Funktionen außer Betrieb gesetzt. Sind die elektronischen Bauteile aber mit einer Schutzlackierung überzogen, spielen Umwelteinflüsse keine Rolle, die Leiterplatte ist vor der Feuchtigkeit geschützt.

Viele Hersteller wenden den selektiven Conformal-Coating-Prozess nur reaktiv an. Das bedeutet, erst wenn Fehler und Fehlfunktionen auftauchen, die durch äußere Einflüsse verursacht sein könnten, wird nachgebessert. Andere Branchen wenden die Möglichkeit, die Baugruppen durch Beschichtungen zu schützen schon lang an, auch wenn der Prozess noch vor wenigen Jahren recht aufwendig war. Doch beispielsweise den Ingenieuren der Luft- und Raumfahrtindustrie ist schon in der Entwicklung ihrer Produkte klar, dass die elektronischen Baugruppen aufgrund ihrer besonderen Belastungen auch besonders geschützt werden müssen. In diesen Fällen wird schon im DFM-Stadium (Design für Manufacturing) die Schutzbeschichtung eingeplant. Sprich: das Layout der bestückten Leiterplatten wird schon im Vorfeld so entworfen, dass es ohne Probleme durch den Conformal-Coating-Prozess laufen kann. In den anderen Fällen, also wenn die Schutzlackierung erst in Reaktion auf aufgetretene Fehler aufgesetzt wird, sind manchmal sogar umfangreichere Änderungen in Aufbau und Layout nötig, damit die Leiterplatten problemlos lackiert werden können. Ein Faktor, der unnötig Zeit raubt und Kosten verursacht. Wird das Conformal Coating von Beginn an in den Produktionsprozess eingeplant, halten sich die zusätzlichen Kosten im Rahmen – nachbessern ist teurer.

Conformal Coating heißt nun nicht einfach ‚Leiterplatte lackieren‘. Der Prozess ist in Planung und Durchführung komplexer. Leiterplatten dürfen meist nicht komplett lackiert werden, sondern manche Teile wie etwa Schalter oder elektrische Anschlüsse müssen unlackiert bleiben, um ihre Funktion zu behalten. Um die Schutzlackierung aufzubringen, gibt es verschiedene Verfahren. Die Lacke können manuell oder automatisch gesprayt werden, wobei die Leiterplatte vollständig oder eben selektiv, also nur teilweise, mit dem Lack abgedeckt wird. Auch Tauchbad oder Pinsel kommen für den Lackauftrag in Frage. Die Anforderungen an die Schutzlackierung bestimmen die Auswahl des Materials: Acryl-, Silikon-, Epoxidharz- oder Polyurethan-Kunststoffe kommen beim Conformal Coating zur Anwendung. Sie helfen gegen Feuchtigkeit und bieten Schutz gegen permanente Vibration oder Schock, Korrosion, Schmutz und Temperatureinflüsse.

Die Anwendung bestimmt das Verfahren

Die Schutzeigenschaften der Lacke werden durch ihre Schichtdicke (mehr ist besser), die Wasseraufnahme (weniger ist besser) und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber anderen Umweltbedingungen beeinflusst. Generell sind flexiblere Materialien gut für thermische Belastungen geeignet, harte und unelastischere Materialien sind beständiger gegenüber Chemikalien. Welches Material letztendlich zum Einsatz kommt, ermitteln die Hersteller für ihr jeweiliges Produkt in teilweise aufwendigen Testreihen. Natürlich gibt es Empfehlungen der Hersteller, doch die letztendliche Entscheidung muss der Produzent der elektronischen Baugruppe selbst treffen.

Die Luft- und Raumfahrtindustrie hat mit starken Umweltweinflüssen und Belastungen wie extremen Temperaturen und der sich daraus ergebenden Kondensation, oder aber hohen Beschleunigung von Leiterplatten (zum Beispiel im Flügel eines Jets beziehungsweise in der Bordelektronik) zu kämpfen. Auch die Medizintechnik ist mit besonderen Anforderungen konfrontiert – selbst in vergleichsweise einfachen Anwendungen wie einem Desinfektionsspender im Krankenhaus. Das Desinfektionsmittel sondert chemische Dämpfe ab und kann die Elektronik angreifen. Mit einer Schutzbeschichtung lässt sich die Elektronik gut schützen. Und sogar die Audioelektronik trifft auf Umgebungsvariablen, die Conformal Coating sinnvoll und notwendig machen. So können mobil genutzte Verstärkeranlagen im Hallenbad, beim Apres-Ski oder Open-Air-Event, im Lager über Nacht und dann im Eventraum bei anderer Temperatur ihren Einsatz finden. Dabei ist häufig massive Kondensation bis hin zur Pfützenbildung die Folge, was die Gefahr von Kurzschlüssen groß macht.

Die Liste der Anwendungen für Conformal Coating ließe sich endlos weiterführen, von der Offshore-Windanlage über den Schiffsbau, militärische Produkte, Telekommunikation, Industriesteuerung, Verkehrstechnik, Lebensmitteltechnik bis hin zur Kaffeemaschine im Privathaushalt. Es gibt zahlreiche Bereiche, in denen Leiterplatten konstant Verunreinigungen oder anderen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind. Hier ist Conformal Coating absolut sinnvoll, um auf lange Sicht die Leiterplatten und somit deren einwandfreie Funktion zu schützen. Es wird wohl einer der Standardprozesse in der Leiterplattenfertigung werden.

Lackiersystem im Einsatz

Um den optimalen Schutz der Baugruppen sicherzustellen, steigen auch die Anforderungen an die eingesetzten Lackiermaschinen in der Fertigungslinie. Die Liste der Kriterien ist lang: Hoher Durchsatz, geringe Rüstzeiten, minimaler Wartungsaufwand sowie ein fehlerfreies und immer wieder aufs Neue reproduzierbares Ergebnis sind gängige Anforderungen. Bei der Rehm Thermal Systems haben sich die Entwickler hierbei Gedanken gemacht. Mit der Protecto-Line haben sie eine Anlage konzipiert, die sich ohne großen Aufwand in vorhandene Produktionslinien integrieren lässt. Hausinterne Erhebungen bei Rehm berechneten einen Bedarf von durchschnittlich etwa 200 Beschichtungssystemen pro Jahr. Der Bedarf in Europa und bei bestehenden Kunden ist da. Die ‚Protecto-Line‘ ist die logische Erweiterung des Rehm-Portfolios. Zumal die Produkte für das automatische Handling der Leiterplatten, wie Öfen oder Kühlstrecken, schon längst Teil der Produktpalette der Blaubeurer waren.

Zur einer kompletten Conformal-Coating-Linie gehören neben den eigentlichen Lackieranlagen auch die Handlingseinrichtungen sowie die Trocken- oder Härteöfen. Das richtige Trocknen der Lacke ist ein wichtiger Teil des Prozesses. Der Trocknungsprozess folgt direkt nach der Lackierung. Durch ein detailliert regelbares Temperaturprofil muss er zuverlässig und reproduzierbar sein. Falsche Temperaturprofile führen zu teuren Fehlern, Ausschuss und Verzögerungen. Es gibt verschiedene Methoden, mit denen der Lack auf die Bauteile aufgetragen werden kann. Spritzen, Sprühen, Tauchen, Fluten, Dispensen und Gasphasenbeschichtung stehen zur Verfügung. Dabei sind diverse Parameter zu beachten, denn nicht jeder Lack lässt sich mit jedem Verfahren applizieren. Da meist nicht alle Bauteile auf einer Leiterplatte lackiert werden dürfen, ist mittlerweile die selektive Sprühlackierung zum Standardverfahren des Conformal Coating geworden.

Fokus auf Düsentechnologie

Individualisierung und Flexibilisierung des Prozesses war eine der Vorgaben, die sich die Rehm-Ingenieure bei der Entwicklung der ‚Protecto-Line‘ selbst machten. Heraus kam ein System, das mit seiner Ausstattung und geringen Rüstzeiten auch für ausgesprochene High-Mix-/Low-Volume-Hersteller geeignet ist, so dass es sich auch bei vielen Produktwechseln mit kleineren Stückzahlen einfach einsetzen lässt. Bisher waren es vor allem die High-Volume-Hersteller, bei denen solche Systeme im Einsatz waren.

Bei der Entwicklung wurde ein starker Fokus auf die Düsentechnologie gelegt. Für die Entwicklung der Düsen, respektive des Lackiersystems, kooperierte Rehm mit KC-Produkte. Das für die Protecto-Line entwickelte selektive Auftragsverfahren Stream-Coat ermöglicht eine Beschichtung ganz nach individuellen Anforderungen. Möglich macht dies, die neuartige Düsenform. Ein Außendurchmesser von nur 2,5 mm mit einer Länge von bis zu 100 mm erlaubt es, auch zwischen eng stehenden, hohen Bauteilen und auch bis unter die Bauteile selbst zu lackieren. Eine implizierte Luftdüse dosiert den Lack recht präzise und verteilt ihn spritz- und nebelfrei. Der gleichmäßige Lackfilm kann sogar hinter benachbarten Bauteilbeinchen und in Schattenzonen ausgebracht werden. Mehrfaches Überfahren oder aufwendiges Schrägstellen der Düsen ist nicht mehr nötig.

Mit den Stream-Coat-Düsen lassen sich alle gängigen Lacke – von niedrig viskos bis hochviskos – problemlos verarbeiten. Trotz des geringen Außendurchmessers beugt eine relativ große Austrittsöffnung schnellem Verstopfen durch Schmutzpartikel oder dickflüssigen Lacken vor. Die Lackmenge wird automatisch an die Fahrgeschwindigkeit der Baugruppe in der Anlage angepasst. Langsam heißt weniger Lack, schneller bedeutet mehr, so dass immer ein gleichmäßiger Lackauftrag sichergestellt wird. Ein so genanntes Jettingventil ermöglicht es zudem, durch extrem schnelles Öffnen und Schließen der Austrittsöffnung den Lack punktgenau zu applizieren. Durch die Kombination von Stream-Coat-Düse und Jettingventil ist es möglich, extrem selektive, bis auf den Millimeter genaue, Beschichtungen aufzutragen. Außerdem kann programmgesteuert zwischen Sprühen, Jetten und Dispensen on the fly gewechselt werden, ohne die jeweilige Düse austauschen zu müssen.

Optimierung auf die Spitze getrieben

Knapp ein Vierteljahr nachdem die ‚Protecto-Line‘ auf der Productronica 2013 vorgestellt wurde, gibt es eine weitere Neuerung: Seit Februar 2014 steht eine weitere Düsentechnik zur Verfügung. Mit der neuartigen Technik ist es nun möglich, eine Fläche mit bis zu 40 mm Vorhangsbreite aufzutragen. Bisherige Düsen der Mitbewerber arbeiten meist mit maximal 15 mm Breite sowie sehr hohem Druck mit kleinem Ventil. Dadurch entstehen Spritzer oder Wellen im Lack. Besonders bei hohen Bauteilen kann das zum Problem werden.

Die ‚Protecto-Line‘ kam schon bisher in der Regel mit einem Durchgang aus. Die andere Düsentechnik macht den Unterschied: Der Durchmesser des Jettingventils ist größer und das Ventil regelt über die Hubzahl stufenlos die Vorhangsbreite. Außerdem arbeiten die Stream-Coat-Düsen mit erheblich geringerem Druck, wodurch sich Spritzer vermeiden lassen.

Präzise geschützt

Mit der Conformal-Coating-Anlage Protecto-Line hat Rehm ein äußerst flexibles, an den Bedürfnissen des Marktes orientiertes Produkt entwickelt. Vor allem die neuartige Düsentechnik ermöglicht einen zügigen, automatisierten und damit reproduzierbaren Auftrag der Schutzbeschichtung. Damit ist es möglich, eine Haltbarkeits- und Qualitätssteigerung in der elektronischen Leiterplattenfertigung zu erreichen.

SMT Hybrid Packaging 2014: Halle 7, Stand 329

Bernd Marquardt

ist im Produktvertrieb Conformal Coating von Rehm Thermal Systems

(mrc)

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