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(Bild: Viscom)

Seit der Präsentation der Plattform Industrie 4.0 durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Hannover-Messe Industrie im Jahre 2013 werden Schlagworte wie „Big Data“ und „Internet der Dinge“ (IoT) auf unterschiedlichste Weise ausgelegt. Jeder hat eine eigene Vorstellung von „Big Data“ und manche stehen dem Neuen aus Unwissenheit und Unsicherheit mit großen Vorbehalten und Ablehnung gegenüber. In Elektronik produzierenden Unternehmen werden bereits seit vielen Jahrzehnten große Datenmengen generiert, strukturiert gespeichert und systematisch für die Prozessoptimierung ausgewertet. Eine treibende Kraft hierfür ist die mit der Produkthaftung zusammenhängende Forderung nach lückenloser Traceability – der Anspruch, fehlerhafte Baugruppen zu deren Hersteller zurückverfolgen zu können und dort die Suche nach dem Verantwortlichen möglicherweise sogar bis zum Rohstoffproduzenten fortzusetzen. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, einen Schuldigen zu identifizieren, sondern vielmehr darum, die Ursache des Produktfehlers ausfindig zu machen und korrigierende Maßnahmen zu definieren, die das erneute Auftreten des Fehlers zuverlässig verhindern. Aber was hat das jetzt mit „Time to Market“ zu tun?

„Time to Market“ beschreibt den Zeitraum von der Produkt-Idee bis zur Lieferung der ersten serienproduzierten Auftragsmenge und nicht den Zeitraum, in dem sich schon viele Serienprodukte im Umlauf befinden. Um möglichst alle Wettbewerbsvorteile ausschöpfen zu können, muss dieser Zeitraum möglichst kurz sein. Gewinner ist derjenige, der sein attraktives Produkt von vornherein robust und kostengünstig produzierbar gestaltet. Wer bis zur Serienreife mehrere Produktoptimierungszyklen durchlaufen muss, der wird gnadenlos von effizienter arbeitenden Wettbewerbern überholt. Es geht also darum, möglichst detaillierte Erkenntnisse über die zur Verfügung stehenden Prozesse und deren Risiken sowohl in die Konzeptphase als auch in die Designphase einfließen zu lassen. Im Folgenden wird beschrieben, welche Art von Daten im Fertigungsprozess wie gesammelt und ausgewertet und auf welchem Wege diese aus der Fertigung an die Entwicklung übergeben werden können.

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Ein effektives Verfahren hierfür ist die Design-FMEA, in der sich Prozessexperten und Designer gegenseitig über Prozessfähigkeiten und Risiken informieren und strategisch an der Reduzierung der Risiken zusammenarbeiten. Viscom

Der Produktentstehungsprozess

Es gibt umfangreiche Literatur, die sich mit dem Produktentstehungsprozess befasst, daher soll hier nur kurz erwähnt werden, dass es sich dabei um die systematische Vorgehensweise handelt, mit der ein Produkt von der Idee bis zur Serienreife entwickelt wird. Je nachdem, um welche Art von Produkt es sich handelt, ist der Prozess mehr oder weniger komplex. Sicherlich sind die Anforderungen an ein einfaches Spielzeug weniger umfangreich als die Anforderungen an ein Fahrzeug oder gar ein Raumfahrzeug, bei deren Versagen unmittelbar Menschenleben gefährdet sind.

TechnologieForum

Am 16. und 17. Mai 2018 veranstaltet Viscom in der Firmenzentrale Hannover das Technologie-Forum 2018, ein Netzwerk- und Wissensevent, das alljährlich die Teilnehmer begeistert. Im Fokus stehen diesmal die Themen Artificial Intelligence (AI), Big Data und Deep Learning. Experten aus Industrie, Forschung und Entwicklung zeigen auf, wo diese hoch aktuellen technologischen Trends schon heute gelebte Praxis sind und wie sie die Fertigung von morgen maßgeblich beeinflussen werden.

Ein wichtiger Teilprozess des PEP sind die Fehlermöglichkeiten und -einfluss-Analyse (FMEA). Hierbei geht es um Workshops, in denen Experten aus allen Unternehmensbereichen – bei Inanspruchnahme von EMS-Dienstleistungen auch den Experten des Dienstleistungsunternehmens – gemeinsam mögliche Fehlerrisiken identifizieren, diese bewerten und je nach Einstufung des Risikos Vermeidungsmaßnahmen oder zumindest Fehlererkennungsmaßnahmen definieren.

Prüftore und deren Ergebnisdaten

Der SMT-Baugruppenfertigungsprozess verwendet mindestens einen Lotpastendrucker, einen oder mehrere Bestücker, einen Reflow-Ofen und Handling-Systeme, die den Materialfluss zwischen den einzelnen Maschinen gewährleisten. Nach dem Lotpastendruck kann ein Lotpasten-Inspektionssystem (SPI) in die Linie integriert werden. Das SPI-System vermisst die geometrischen Eigenschaften der gedruckten Lotpaste (Fläche, Höhenverlauf, Volumen) und generiert ein maschinenlesbares Protokoll, welches an ein übergeordnetes Manufacturing Execution System (MES), an den Lotpastendrucker und/oder den nachfolgenden Bestücker gesendet werden kann. Der Drucker braucht die Informationen aus dem Protokoll, um qualitätsregelnde Maßnahmen (Schablonen-Offset-Korrektur oder Reinigen der Schablone) daraus abzuleiten.

Der Bauteil-Bestücker kann auf Grundlage der Informationen über die reale Position und Höhe der Lotpaste Absetzposition und -höhe der Bauteile anpassen. Viscom nutzt eine eigene Schnittstelle, den Viscom Quality Uplink, um die Daten des SPI-Systems an andere in der Linie befindliche Viscom Systeme und den Fehlerverifikationsplatz am Ende der Linie weiterzuleiten. Dabei werden nicht nur Daten sondern auch Bilder übergeben. In jedem Fall sollten die Ergebnisprotokolle die Identitätsnummer (ID) der Baugruppe enthalten. Diese kann wahlweise als maschinenlesbarer Barcode, DMC-Code oder RFID auf der Baugruppe angebracht sein.

Bestückung und pre-Reflow AOI

Nach dem Bestücken und vor dem Reflow Ofen (pre-Reflow) kann ein automatisches optisches Inspektionssystem (AOI) zur Bestückungskontrolle eingesetzt werden. Hierbei wird die Anwesenheit und die richtige Position der Bauteile verifiziert, deren Polarität und – sofern mit Buchstabenerkennung (OCR) oder Farbringerkennung erfassbar – auch der Bauteilwert kontrolliert. Wenn die Taktzeit es zulässt, kann das Bestückkontrollsystem auf den Freiflächen der Baugruppe nach möglicherweise im Bestückungsprozess verlorengegangenen SMD-Bauteilen suchen. Falls dies aus Taktzeitgründen nicht bei jeder Baugruppe realisierbar sein sollte, dann wäre ein Signal (Lost Component Report) vom Bestücker als Trigger für die Aktivierung dieser Funktion am AOI-System wünschenswert.

Löten und post-Reflow AOI

Nach dem Löten im Reflow-Ofen (post-Reflow) kommt ein AOI-System zur Lötstelleninspektion zum Einsatz. Üblicherweise werden die Prüfungen, die das pre-Reflow AOI-System beherrscht, auch bei der post-Reflow-Inspektion durchgeführt. Viele Elektronikproduzenten verwenden gar kein pre Reflow AOI-System, sondern machen nach jedem Auftragswechsel bei der ersten Baugruppe eine visuelle Stichproben-Bestückkontrolle. Je nach Komplexität der Baugruppe und je nach Anforderung des Endkunden werden post-Reflow optional reine AOI-Systeme, reine Inline-Röntgen-Inspektionssysteme (AXI) oder eine Kombination aus beiden (AOI/AXI) eingesetzt. Je nach Anzahl und Lage der Kameras oder Röntgen-Detektoren gibt es die Möglichkeit der 2D-, 2.5D- oder 3D-Bildwiedergabe. Das 3D-Bild ist immer eine Rekonstruktion (synthetisches Bild), das aus der Information mehrerer Bildaufnahmen berechnet wird. In der Röntgen-Analyse bietet die 3D-Rekonstruktion den Vorteil, dass beliebige virtuelle Schliffbilder erzeugt werden können ohne die Baugruppe dadurch zu zerstören. Die 3D-Rekonstruktionen der AOI-Systeme vermitteln den Eindruck, als sei die dargestellte Szene aus verschiedenen Richtungen aufgenommen worden. Wenn das hierfür verwendete Inspektionssystem allerdings nur über eine Kamera verfügt, dann muss davon ausgegangenen werden, dass Objektinformationen, die aus der Kameraperspektive gar nicht einsehbar sind, durch idealisierte Informationen (Interpolation oder Datenbankinformation) ergänzt wurden. Viscom verwendet für die Lötstelleninspektion und die 3D-Rekonstruktion immer die orthogonale Ansicht (von oben) und mindestens 4 und bis zu 8 geneigte Ansichten, alle mit mikroskopischer Auflösung, damit am Fehlerverifikationsplatz entsprechend aussagekräftiges, echtes Bildmaterial zur Fehlerklassifikation zur Verfügung steht.

Selektivlötstelleninspektion (THT-AOI)

Nachdem die Baugruppe fertig SMD bestückt und gelötet wurde, wird sie meistens aus dem Leiterplatten-Nutzen getrennt. Das bedeutet, sie ist nicht mehr zum Transport auf Bandstecken mit Transportriemen geeignet. In dieser Phase der Baugruppenproduktion können bedrahtete Bauteile (THT= Through Hole Technology) bestückt und selektiv gelötet werden. Selektiv bedeutet, entweder unter Verwendung einer Lötmaske auf der Lötwelle oder mit einer positionierbaren Selektivlötdüse oder mittels Lötroboter. Für die Inspektion der auf diese Weise produzierten Lötstellen stehen wahlweise manuell be- und entladbare AOI-Systeme oder THT-AOI-Systeme mit Kamera-Modul auf der Unterseite der Baugruppe zur Verfügung. Bei Viscom generieren auch diese Inspektionssysteme die zuvor genannten Daten und liefern sie entsprechend ab.

Endmontage und halbautomatische Röntgeninspektion

Zunehmend werden fertig bestückte und funktionsgeprüfte Baugruppen lackiert oder in Gehäuse montiert, die anschließend mit Kunststoffmaterial vergossen werden. Falls die Baugruppe danach nicht funktionieren sollte, bleibt vor der zerstörenden mechanischen Öffnung der Baugruppe die Möglichkeit der manuellen Röntgeninspektion (MXI). Der Vorteil dieser Art der Röntgeninspektion ist, dass sowohl Lacke als auch Vergussmassen und selbst Gehäusedeckel oder Abschirmbleche durchstrahlt werden können, um darunter liegende Fehler sichtbar zu machen. Selbstverständlich ist hiermit auch der Blick unter die Bauteilgehäuse möglich, unter denen sich die bereits zuvor genannten verdeckten Lötstellen befinden. Viele Anwender von manuellen Röntgeninspektionssystemen nutzen ihre Geräte auch für die Untersuchung von Spritzgussbauteilen oder Fügestellen wie Schweißnähte- oder Krimpverbindungen.

Neben der Speicherung der Protokolle mit den Ergebnisdaten und Bildern werden sämtliche quantitativ bewertbaren Qualitätsmerkmale einer Baugruppe in eine SPC-Datenbank geschrieben, aus der die SPC-Software die Informationen für Diagramme und andere Formen der Auswertung extrahiert. Das Quality-Uplink bietet die Möglichkeit, zu jedem ermittelten Fehler die Daten aller in der Linie eingesetzten Viscom-Inspektionssysteme in einem Vupa-Protokoll (Viscom Uplink Process Analyzer) zusammenzuführen. Hierbei werden sowohl die von den einzelnen Prüftoren ermittelten Qualitätsdaten als auch das gesammelte Bildmaterial in einem Bericht zusammengestellt.

Einfluss auf das Time to Market

Die von den genannten Prüftoren gesammelten Daten und Bilder können auf verschiedene Art und Weise dokumentiert werden. Die so entstandenen Unterlagen sollten von den prozessverantwortlichen Experten regelmäßig analysiert und mit den zuständigen Baugruppen-Entwicklern diskutiert werden. Das gilt vor allem auch für den Fall, dass ein EMS-Dienstleister zur Produktion herangezogen wird, der nicht am selben Standort angesiedelt ist wie die Entwicklungsabteilung. Häufig ist die Ursache für Produktionsfehler im Design der Baugruppe (Vias, Lands, Routing, Layer) oder der Werkzeuge (Schablone, Rakel, Nozzle) zu suchen. Die für die Entwicklung von Baugruppen zuständigen Mitarbeiter erhalten nützliche Hinweise zur Optimierung des Designs, sodass Fehler, die aufgrund des Designs im Fertigungsprozess entstehen, zukünftig vermieden werden können. Ein effektives Verfahren hierfür ist die Design-FMEA, in der sich Prozessexperten und Designer gegenseitig über Prozessfähigkeiten und Risiken informieren und strategisch an der Reduzierung der Risiken zusammenarbeiten. Dadurch lässt sich die Zahl der Optimierungszyklen reduzieren und das Time to Market effektiv verkürzen.

SMT/Hybrid/Packaging 2018: Halle 4A, Stand 122

 

Viscom Bild 3

SMT Produktionslinie mit verschiedenen Inspektionssystemen. Viscom

Michael Mügge

(Bild: Viscom)
ist bei Viscom in Hannover tätig.

(hw)

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Unternehmen

Viscom AG

Carl-Buderus-Straße 9-15
30455 Hannover
Germany