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Ricky Hudi (Bild: Alfred Vollmer)

Wie ist die aktuelle Situation in der Branche, Herr Hudi?

Ricky Hudi (rechts, links von ihm sein Assistent Andre Hainzlmaier): "Derzeit erfolgt der Wandel von der Car-Experience zur User-Experience. Dabei wird sich die gesamte Technologiekette End-to-End massiv verändern – auch die Zusammenarbeitsmodelle mit den Lieferanten und Technologiepartnern. Einen derart großen Umbruch hatten wir noch nie. All das passiert jetzt mit riesiger Geschwindigkeit."

Ricky Hudi (rechts, links von ihm sein Assistent Andre Hainzlmaier): "Derzeit erfolgt der Wandel von der Car-Experience zur User-Experience. Dabei wird sich die gesamte Technologiekette End-to-End massiv verändern – auch die Zusammenarbeitsmodelle mit den Lieferanten und Technologiepartnern. Einen derart großen Umbruch hatten wir noch nie. All das passiert jetzt mit riesiger Geschwindigkeit." Alfred Vollmer

Ricky Hudi: Zum einen haben wir in der angestammten Branche weiterhin einen sehr sportlichen Wettbewerb, auf der anderen Seite bringen neue große Technologiegiganten aus dem Silicon Valley und aus Asien Verschiebungen. Diese neuen Player kommen mit ganz revolutionären Ansätzen, nicht nur für Fahrzeuge, sondern auch für eine komplette User-Experience inklusive Smart-Mobility mit entsprechenden End-to-End-Konzepten.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Ricky Hudi: Auf den ersten zwei Seiten unseres Smartphones haben wir unsere meistgenutzten Apps; die organisieren ein Stück weit unser gesamtes Leben. In unserer Branche haben wir bisher eher eine von dieser Welt separierte Car-Experience – und die ist aus Sicht der User Experience oft nicht durchgängig und nicht immer optimal. Die große Aufgabe besteht jetzt darin, den Schritt von der Car-Experience zur User-Experience zu machen, bei der der Kunde im Mittelpunkt steht, während wir das Fahrzeug – ich provoziere einmal stark –  einmal auf die Bedeutung einer App reduzieren. Das ist provokant, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt hat das Auto gerade nicht mehr Aufgaben zu erfüllen als irgendeine von diesen Apps. Das Auto muss mit einem Mobility-Service im Hintergrund personalisierbar sein, es parkt in Zukunft selbständig ein, lädt seine Batterien selber auf und so weiter. Da muss eine ganze Welt zusammenspielen.

Ohne eine schnelle Online-Anbindung funktioniert gar nichts mehr. Das gilt für die User-Experience genauso wie für das pilotierte oder autonome Fahren. Der nächste große Innovationshub wird nur mit Cloud, Daten und dem passenden End-to-End-Geschäftsmodell möglich sein. Diese End-to-End-Architektur werde ich vom Produkt her kommend über die interne Konfiguration bis zum Kundenerlebnis im Rahmen meiner Keynote in Ludwigsburg darstellen (auf dem 20. Fachkongress „Fortschritte in der Automobil-Elektronik“ am 14. und 15.6.2016, die Redaktion): vom Cloud-Backend über das OEM-Backend, die 5G-Übertragungsstrecke bis zum Zugangspunkt – inklusive Domänenarchitektur vom Fahrzeug bis hinunter auf die Halbleiterebene oder auch umgekehrt, mit der folgenden Hauptbotschaft: Wir brauchen neben der klassischen Mikrocontroller-Architektur jetzt auch eine Computing-Plattform im Fahrzeug, ein Großhirn, um aus dieser fest vordefinierten Welt der Mikrocontroller hin zu einem Fahrzeug-Computer zu kommen. Die Zeit dafür ist absolut reif.

Die Interviewpartner

Ricky Hudi, Leiter Entwicklung Elektrik/Elektronik der Audi AG

Alfons Pfaller, Leiter Entwicklung Infotainment der Audi AG

Marcus Keith, Leiter Entwicklung Anzeige, Bedienung und Audi connect der Audi AG

Jens Kötz, Leiter Elektrik/Elektronik Vernetzung und Energiesysteme der Audi AG

Dr. Peter Steiner, Geschäftsführer der Audi Electronics Venture GmbH

Kommt dann analog zum PC ein CC, also ein Car-Computer?

Ricky Hudi: Ja, da möchte ich unsere Branche ziemlich aufrütteln, denn die neuen Player denken genauso. Die neue Struktur reicht von den ganzen I/Os auf der unteren Ebene, die wir intelligent verwenden müssen, bis zum darüber liegenden Großhirn. Im Rahmen der menschlichen Evolution hat sich über Millionen von Jahren herauskristallisiert, dass die Sensorik und Aktuatorik des Menschen, oft unbewusst im Körper einfach ablaufen. Das vegetative Nervensystem steuert das ganze; in der Analogie zum Fahrzeug wäre das die Mikrocontroller-Architektur. Das Großhirn, das sich im Laufe der Jahrmillionen zunehmend herausbildete, setzte den Menschen letztendlich an die Spitze. In der Analogie zum Fahrzeug wäre das nun die zentrale Computing Einheit.

Es kommt ein weiterer Punkt hinzu, denn die Menschen haben sich nicht nur als Einzelperson durchgesetzt, sondern ganz besonders dann, wenn sie in Gruppen aufgetreten sind, dann waren sie besonders stark: Das ist die Schwarmintelligenz, und die kommt in der Fahrzeugwelt aus der Cloud. Auch dafür ist die Zeit absolut reif. All das hat beachtliche Auswirkungen auf die Organisation und die Prozesse eines klassischen Automobilherstellers.

Dr. Peter Steiner: So wie der Mensch das Lernen gelernt hat, müssen auch die Systeme das Lernen lernen; Machine-Learning und neuronale Netze sind daher wichtig, denn so können die Systeme wie beim Gehirn durch Eindrücke und phänomenologische Verarbeitung intelligenter werden und sich an Situationen anpassen.

Marcus Keith (rechts): "Das Fahrzeug, das wir ausliefern, wird nach zwei bis vier Jahren im Betrieb eine ganz andere Intelligenz und andere Softwareanteile haben als zum Zeitpunkt der Auslieferung."

Marcus Keith (rechts): "Das Fahrzeug, das wir ausliefern, wird nach zwei bis vier Jahren im Betrieb eine ganz andere Intelligenz und andere Softwareanteile haben als zum Zeitpunkt der Auslieferung." Alfred Vollmer

Marcus Keith: Mit unserem Computing-Plattformansatz können wir das sehr gut abbilden, denn das Fahrzeug, das wir ausliefern, wird nach zwei bis vier Jahren im Betrieb eine ganz andere Intelligenz und andere Softwareanteile haben als zum Zeitpunkt der Auslieferung.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Marcus Keith: Schon zum Zeitpunkt der Auslieferung ist dabei die Funktionssoftware bedingt vorhanden. Per „Function-on-Demand“ lassen sich dann weitere Funktionspartitionierungen nachladen, von denen wir einige frei zur Verfügung stellen werden, während wir für andere etwas verlangen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Scheinwerfer, in denen die gesamte Hardware bereits bei der Auslieferung vorhanden ist. Für einen definierten Betrag kann der Kunde die Freigabe des intelligenten Fernlicht-Assistenten mit dem Matrix-Scheinwerfer nachträglich hinzukaufen. Genauso besteht beispielsweise die Möglichkeit, per Software einen 30-kW-Boost über die E-Maschine zu realisieren. Damit entleert sich natürlich die Batterie schneller, aber der Kunde kann sportlicher fahren. Mit derartigen Optionen wird das Fahrzeug über die Lebenszeit attraktiver.

Für Function-on-Demand sind OTA-Updates, also Updates über die Luftschnittstelle, erforderlich. Analog dazu haben wir mit OTA-Updates die Möglichkeit, neue Skins im HMI zu implementieren, und selbst bei eventuellen Qualitätsthemen steht uns OTA für zügige Updates zur Verfügung, ohne dass der Kunde dafür in die Werkstatt muss.

Jens Kötz (rechts): "Die Domänenrechner-Architekturen sind nur der Übergang zu funktionalen Rechenclustern...Die klassischen Domänenrechner 'Komfort', 'Fahrwerk', 'Antrieb' etc. wird es auf der Ebene der Rechencluster in Zukunft nicht mehr geben."

Jens Kötz (rechts): "Die Domänenrechner-Architekturen sind nur der Übergang zu funktionalen Rechenclustern...Die klassischen Domänenrechner 'Komfort', 'Fahrwerk', 'Antrieb' etc. wird es auf der Ebene der Rechencluster in Zukunft nicht mehr geben." Alfred Vollmer

Was heißt das in Bezug auf die Steuergeräte und die Architektur?

Ricky Hudi: Wir werden viele intelligente I/Os haben, aber die funktionale Seite verlagern wir zunehmend in das Großhirn, also in die Domänenrechner. Diese Domänenrechner verschmelzen zu einem einzigen Großhirn, der „Zentralen Computing Einheit“, das aus zwei Hälften besteht. Denn eine Hälfte alleine wird aus Redundanzgründen nicht ausreichen. Die beiden Gehirnhälften sind dann analog zu den Nervenbahnen über Hochleistungs-Datenverbindungen miteinander verbunden.

Jens Kötz: Die Domänenrechner-Architekturen sind nur der Übergang zu funktionalen Rechenclustern. Ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel der Domänen „Antrieb“ und „Fahrwerk“ sind E-Antriebe. Rekuperation verzögert das Fahrzeug, die Funktion „Bremsen“ war bisher dem Fahrwerk zugeordnet, aber jetzt ist diese Funktionalität ganz eng mit der Antriebseinheit verwoben. Derzeit ist hier im Rahmen der Entwicklung sehr viel Rechen- und Kommunikationsaufwand erforderlich. Wenn wir aber Antrieb, Längs- und Querregelung in einem funktionalen Rechencluster vereinen, dann entsteht auch viel Potenzial für neue Funktionen, die zuvor überhaupt nicht realisierbar waren. Die klassischen Domänenrechner „Komfort“, „Fahrwerk“, „Antrieb“ etc. wird es auf der Ebene der Rechencluster in Zukunft nicht mehr geben.

Alfons Pfaller (rechts neben Alfred Vollmer und Dr. Peter Steiner): "Als nächsten Schritt entwickeln wir gerade den Cockpit-Computer, der das gesamte digitale Interieur aus dem Zentralrechner heraus treibt – inklusive aller Displays."

Alfons Pfaller (rechts neben Alfred Vollmer und Dr. Peter Steiner): "Als nächsten Schritt entwickeln wir gerade den Cockpit-Computer, der das gesamte digitale Interieur aus dem Zentralrechner heraus treibt – inklusive aller Displays." Alfred Vollmer

Über welchen Zeithorizont sprechen wir hier?

Alfons Pfaller: Ich denke, das ist ein sukzessiver Prozess, zumal dieser Ansatz auch nicht ganz neu ist, denn in der Infotainmentwelt sind wir damit schon länger unterwegs. Noch vor fünf oder sechs Jahren war das Infotainment noch ein Verbund aus sechs bis zehn Steuergeräten, die mittlerweile alle in einen Zentralrechner migriert sind. Als nächsten Schritt entwickeln wir gerade den „Cockpit-Computer“, der das gesamte digitale Interieur aus dem Zentralrechner heraus treibt – inklusive aller Displays.

Ricky Hudi: Der MIB und das zFAS sind die Vorläufer dieser Großrechner, die wir für Computing-Architekturen brauchen. Dabei spielen einige Technologien eine zentrale Rolle. Das Thema Gigabit-Ethernet wird absolute Schlüsseltechnologie sein, wobei die Geschwindigkeit auf 20, 30 oder noch mehr Gigabit/s ansteigen wird. Hierfür benötigen wir die passenden Switches und Übertragungsstrecken. Twisted-Pair wird dann definitiv nicht mehr funktionieren. Außerdem brauchen wir die passende Toolkette.

Besonders wichtige Themen sind eine ordentlich funktionierende Virtualisierung sowie die Echtzeit-Funktionalität und End-to-End-Security. Neben dem Cloud-Computing werden Machine-Learning und Sensorfusion riesengroße Themen für die Automobilhersteller sein. Auch ohne Datenkompression wird es nicht gehen, denn wir werden Vorverarbeitungen auf der Clientseite im Fahrzeug durchführen müssen, um die Datenmengen zu beschränken und nicht einfach alles nur wild hoch zu streamen.

Dr. Peter Steiner: "Jetzt gilt es, offene Plattformen zu schaffen, damit andere auf unserer Hardware und Software zusätzliche Mehrwertdienste im Sinne des Kunden realisieren können, damit das Auto ein Teil der digitalen Lebenswelt wird."

Dr. Peter Steiner: "Jetzt gilt es, offene Plattformen zu schaffen, damit andere auf unserer Hardware und Software zusätzliche Mehrwertdienste im Sinne des Kunden realisieren können, damit das Auto ein Teil der digitalen Lebenswelt wird." Alfred Vollmer

Derzeit erfolgt der Wandel von der Car-Experience zur User-Experience. Dabei wird sich die gesamte Technologiekette End-to-End massiv verändern – auch die Zusammenarbeitsmodelle mit den Lieferanten und Technologiepartnern. Einen derart großen Umbruch hatten wir noch nie. All das passiert jetzt mit riesiger Geschwindigkeit.

Wann kommt es dabei zu größeren Schritten?

Jens Kötz: Bei der Architektur muss man sich ein Zieltarget setzen. Da bietet sich bei einem OEM immer der nächste Baukasten an. Wenn die neue Architektur erst einmal entsprechend in einem Fahrzeug umgesetzt ist, lassen sich darauf aufbauend auch viele Funktionalitäten noch nachträglich aufsetzen.

Vorher erfolgen Zwischenschritte. Wir sind es inzwischen gewohnt, dass solche Schritte, wie  im Infotainment, auch in anderen Domänen vorher einfließen, damit es keinen Big-Bang mit der neuen Plattform gibt und man das Risiko minimiert einsetzt. Bestimmte Technologien werden vorher einfließen und im Proof-of-Concept die Serientauglichkeit vorher nachweisen.

Was kommt auf die Zulieferer zu?

Ricky Hudi: "Besonders wichtige Themen sind eine ordentlich funktionierende Virtualisierung sowie die Echtzeit-Funktionalität und End-to-End-Security."

Ricky Hudi: "Besonders wichtige Themen sind eine ordentlich funktionierende Virtualisierung sowie die Echtzeit-Funktionalität und End-to-End-Security." Alfred Vollmer

Jens Kötz: Die Zulieferer sind es heute gewohnt, in ihrem Businessmodell eine Funktion in einer Box anzubieten – möglichst noch in Kombination mit einer Sensorik. Das wird sich ändern, und dazu müssen wir die Zulieferer intensiv mit einbinden.

Ricky Hudi: Schon beim zFAS haben wir die alte Struktur aufgebrochen, erstmals kommen die Sensoren und die Rechenlogik nicht aus einer Hand. Das Herz des Ganzen ist die Zentrale-Sensorfusion, die auf dem zFAS läuft, und diese zentrale Sensorfusion machen wir selber, denn das ist das absolute Schlüssel-Know-how. Von der zentralen Sensorfusion bekommt das Fahrzeug sein Umfeldmodell. Wenn dieses Umfeldmodell morgen durch einen anderen oder weiteren Sensor besser wird, dann verbessert sich auch die Funktion. Damit existiert eine Abstraktionsschicht. Ich muss oben im Großhirn nicht jeden kleinen Nervenstrang kennen, der Impulse nach oben liefert.

Dr. Peter Steiner: Im Infotainment haben wir solche Modelle schon lange, aber die Player kommen dabei zum Teil aus der Consumerwelt. Heutzutage ist eine Media-Engine stets eine Software, und der Verkäufer erwartet, dass ich eine passende Hardware habe. Ähnlich ist es mit der Spracherkennung und vielen anderen Funktionen: Das ist Software, die der Lieferant auch an einen Mobilfunkanbieter, an die Could-Welt oder sonstwo hin verkauft.

Welche Bedeutung hat die Ende-zu-Ende-Security in diesem Zusammenhang?

Ricky Hudi: Wir OEMs müssen "bereit sein, größer zu denken und lernen mit Partnern im Wettbewerb zu stehen und gleichzeitig zu kooperieren. Dann erst werden Möglichkeiten entstehen, die bisher als unmöglich galten."

Ricky Hudi: Wir OEMs müssen "bereit sein, größer zu denken und lernen mit Partnern im Wettbewerb zu stehen und gleichzeitig zu kooperieren. Dann erst werden Möglichkeiten entstehen, die bisher als unmöglich galten." Alfred Vollmer

Ricky Hudi: Wenn das Fahrzeug komplett Teil der Cloud ist und viele Funktionen nur noch durch einen zusätzlichen Online-Anteil verbessert werden, dann muss ich auch sicherstellen, dass End-to-End das absolut höchste Niveau an Sicherheitstechnik und die besten Technologien zum Einsatz kommen: vom Backend bis hinunter auf die Sensor- beziehungsweise Steuergerätebene im Fahrzeug. Da kann man viel aus der Cloud-Welt lernen und auch übernehmen. Einiges muss man aber auch noch neu schaffen.

Jens Koetz: Letztes Jahr hat es einen völligen Turnaround in der Automobilwelt gegeben, nachdem die Branche in Summe eineinhalb Jahre lang intensiv diskutiert hat. Wenn ein Fahrzeug eine Online-Verbindung hat, dann muss sichergestellt sein, dass die erforderlichen Sicherheitsmechanismen online während der Laufzeit des Fahrzeugs austauschbar sind. Denn jeder Schlüssel, jeder Sicherheitsmechanismus jede TLE-Verschlüsselung zwischen Backend und dem Fahrzeug hat nur eine gewisse Haltbarkeit, und die ist in der Regel geringer als die Laufzeit des Fahrzeugs.

Das bedeutet einiges: Alle Elemente in der gesamten Architektur, und zwar nicht nur bis zum Großhirn, nicht nur in den Backends, sondern teilweise auch bis hinunter in die kleinsten Steuergeräte müssen über Online-Updates austauschbar sein, und die Sicherheitsmechanismen müssen über die Laufzeit hochskaliert werden können.

Gleichzeitig müssen wir die Schnittstellen nach außen minimieren und auf wenige Einfallstore bündeln. Eine Burg oder Stadt im Mittelalter hatte auch nicht hundert Tore sondern einige wenige – und die waren schwer befestigt. Vor der gleichen Aufgabe stehen wir in der Architektur: Wir müssen die Schnittstellen nach außen reduzieren, und die vorhandenen Interfaces müssen mit Security-Mechanismen so gut befestigt sein, dass kein Zugriff möglich ist. So wie eine Burg mehrere Walle hatte, wird nicht nur ein Sicherheitsmechanismus autark das Fahrzeug schützen; es wird mehrere Security-Gates geben. Dabei wird man die Fahrzeugarchitektur auch unterscheiden in eine infotainmentgeprägte Welt und natürlich in eine fahrzeugkritischere Welt, zu der zum Beispiel Fahrwerk und Antrieb zählen. Es geht darum, den inneren Kern, den Burghof, bis zum Schluss zu verteidigen. Momentan ist der Intrusion-Detection genannte Mechanismus gerade groß in der Diskussion.

Jens Kötz (rechts): "Die Zulieferer sind es heute gewohnt, in ihrem Businessmodell eine Funktion in einer Box anzubieten – möglichst noch in Kombination mit einer Sensorik. Das wird sich ändern, und dazu müssen wir die Zulieferer intensiv mit einbinden."

Jens Kötz (rechts): "Die Zulieferer sind es heute gewohnt, in ihrem Businessmodell eine Funktion in einer Box anzubieten – möglichst noch in Kombination mit einer Sensorik. Das wird sich ändern, und dazu müssen wir die Zulieferer intensiv mit einbinden." Alfred Vollmer

Dr. Peter Steiner: Gerade das Thema Intrusion-Detection ist ganz wichtig – und zwar nicht nur an den Interfaces sondern auch in den einzelnen Komponenten. Wenn das System Muster feststellt, die nicht plausibel sind oder gar auf Schadsoftware hindeuten, dann müssen die Sicherheitsmechanismen greifen. So können die Fahrzeuge schnell auf einen Angriff reagieren. Durch ein Machine-Learning über die Flotte hinweg lässt sich das System weiter verbessern. Es wird Verbindungen geben, die man möglichst End-to-End mit einem VPN-Verfahren verschlüsselt, um die kritischen Daten hochsicher vom Backend über die Luftschnittstellen bis in das Zielsteuergerät zu übertragen.

Wie wirkt sich das aus auf die Zusammenarbeit innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette aus?

Ricky Hudi: Die klassische IT beim Fahrzeughersteller, die ja schwerpunktmäßig das Thema Backend bearbeitet, und die gesamte Fahrzeugwelt müssen aus einem Guss kommen. Wer das nicht organisatorisch und prozessmäßig umsetzt, wird zu den Verlierern gehören.

In einer Hand beim OEM?

Ricky Hudi: Ja, da gibt es eine zentrale Verantwortung, das sind die EEs, die für die Vernetzung sorgen, und die Partner in den Antrieben, den Fahrwerken und so weiter nutzen die Funktion. Um Schwarmintelligenz zu nutzen, muss man sich weitere Partner suchen. Wir haben hierzu mit BMW und Daimler gemeinsam das Unternehmen HERE erworben. Peter Steiner steuert bei mir die gesamten Aktivitäten für Audi und den Volkswagen-Konzern rund um das HERE-Konsortium, wo er auch den Vorsitz im Transition Support Team hat. Außerdem benötigen wir schnelle Beiboote – organisatorisch gesehen. Wir haben schon vor über 15 Jahren die Zeichen der Zeit erkannt und die Audi Electronic Venture GmbH gegründet, die Peter Steiner leitet. Wir haben alle unsere Joint-Ventures wie die e.solutions GmbH, die Automotive Safety Technologies GmbH (ASTech) sowie die Elektronische Fahrwerksysteme GmbH (EFS) bei der AEV gebündelt. Hinzu kommen weitere Gründungen bzw. Unternehmensbeteiligungen wie die der TKI Automotive GmbH, der NIRA Dynamics AB, sowie Quartett mobile und Cubic Telecom. Das ist auch notwendig, um das Fahrzeug heute und in Zukunft zu gestalten, denn das Fahrzeug wird zum Software-Defined-Car. Die Funktionalität wird extrem durch Software bestimmt werden. Daher muss das Verständnis für Software, auch bei den gesamten Maschinenbaukollegen, drastisch gesteigert werden. Es ist nicht nur die Software, sondern die gesamte funktionsorientierte Entwicklung.

Audis EE-Führungsteam von links nach rechts: Dr. Peter Steiner, Jens Kötz, Ulf Warschat (hinten), Mathias Halliger (vorne), Dr. Wolfgang Huhn (vorne), Hubert Hietl (vorne), Alfons Pfaller (hinten), Ricky Hudi , Reinhard Prechler, Ivo Muth, Norbert Strupf , Marcus Keith (vorne), Andre Hainzlmaier.

Audis EE-Führungsteam von links nach rechts:
Dr. Peter Steiner, Jens Kötz, Ulf Warschat (hinten), Mathias Halliger (vorne), Dr. Wolfgang Huhn (vorne), Hubert Hietl (vorne), Alfons Pfaller (hinten), Ricky Hudi , Reinhard Prechler, Ivo Muth, Norbert Strupf , Marcus Keith (vorne), Andre Hainzlmaier.
Dr. Peter Steiner, Jens Kötz, Ulf Warschat (hinten), Mathias Halliger (vorne), Dr. Wolfgang Huhn (vorne), Hubert Hietl (vorne), Alfons Pfaller (hinten), Ricky Hudi , Reinhard Prechler, Ivo Muth, Norbert Strupf , Marcus Keith (vorne), Andre Hainzlmaier. Audi AG

Dr. Peter Steiner: Bei den Mobiltelefonen stand am Anfang auch die Hardware im Zentrum, aber mittlerweile ist die Software das entscheidende Element eines Smartphones. Die Automobilbranche steht jetzt an dieser Schwelle von der Hardware- zur Software-Ära, denn jetzt kommt die nächste Dimension, das Thema Cloud. So wie bei einem Smartphone die Apps auf Daten in der Cloud zugreifen, werden auch immer mehr Elemente im Fahrzeug auf die Cloud zugreifen, und das ist die nächste Revolution.

Jetzt gilt es, offene Plattformen zu schaffen, damit andere auf unserer Hardware und Software zusätzliche Mehrwertdienste im Sinne des Kunden realisieren können, damit das Auto ein Teil der digitalen Lebenswelt wird. Das ist für mich die nächste Revolution, die gerade ansteht. Da muss man von der Hardware kommend schon einen weiten Weg gehen, um in dieser Welt anzukommen.

Ricky Hudi: Es gibt einen Wandel von der Car-Experience zur End-to-End-User-Experience. Wir haben erkannt, dass wir die Halbleiterlieferanten als Technologiepartner ins Spiel bringen mussten, denn die Halbleiter sind die Basis für Innovationen.

Mittlerweile arbeitet ein Großteil unserer Funktionsentwickler an Lösungen, die im Backend laufen. Die Spracherkennung läuft zu 80% im Backend. Wir machen keine Navigation fürs Fahrzeug mehr, sondern wir machen eine Service-Navigation, die vom Fahrzeug oder der App benutzt wird. 70% bis 80% der Entwicklung findet im Backend statt.

Von welchen Datenmengen sprechen sie hier, die ins Fahrzeug reingehen und wieder heraus?

Alfons Pfaller: Voraussichtlich 2020 werden die Fahrzeuge auch auf 5G-Kommunikation vorbereitet sein. 5G bringt einerseits zusätzliche Datenkapazität, andererseits aber auch garantierte Verfügbarkeit an Durchsatz, so dass wir ganz andere Applikationen realisieren können. Dann ist es möglich, eine Applikation vom Fahrzeug in das Backend zu verlagern, weil es eine garantierte Quality-of-Service gibt.

Marcus Keith: Es geht hier um eine ganz neue Servicequalität mit Rückfallebenen. Das Fahrzeug weiß dann, wie aktuell die Kartendaten sind; dass dort zum Beispiel vor 20 Sekunden Fahrzeuge entlang gefahren sind, und es weiß auch wie sicher das Übertragungsnetz ist. Mit der passenden Machine-Learning-Komponente erhält ein autonomes Fahrzeug so deutlich mehr an Fahrvermögen, als jemand, der sein Leben lang Millionen von Kilometern auf den Straßen dieser Welt verbracht hat, jemals in seinem Gehirn verarbeiten kann.

Ricky Hudi: Mit der passenden Quality-of-Service können wir immens große Anteile im Backend rechnen. Mit garantierten Reaktionszeiten können wir riesige Rechenleistungen im Backend nutzen, die wir niemals im Fahrzeug installieren können.

Ich werde daher in Ludwigsburg bewusst auch auf die Themen User-Experience und End-to-End-Dienste eingehen, denn wir stehen mit unseren Netzwerken, Partnerschaften und dem Ökosystem vor einem gigantischen Umbruch.

Wo können wir in der E/E-Community mehr zusammenarbeiten, um auch im internationalen Wettbewerb besser zu bestehen?

Ricky Hudi: Genau auf diese Punkte werde ich in Ludwigsburg ebenfalls eingehen. Wir haben an einem Teil des E/Es schon viel erreicht: bei Autosar, Übertragungsprotokollen, etc., aber da ist die Welt noch viel zu proprietär. Am anderen Teil des E/Es arbeiten wir schon sehr gut zusammen. Ich bin seit 25 Jahren in der Branche, ich habe so eine spitzenmäßige und gute Zusammenarbeit wie beim Thema „HERE“ bisher noch nicht erlebt – und zwar über die OEM-Grenzen hinweg. So wie sich in der PC-Welt sehr erfolgreiche Standards von Intel, IBM und Microsoft etabliert haben, gibt es auch ein sehr großes Potenzial in der Automobilindustrie für Standards, aber nur, wenn wir intensiv zusammenarbeiten. Dazu  müssen wir OEMs bereit sein größer zu denken und lernen mit Partnern im Wettbewerb zu stehen und gleichzeitig zu kooperieren. Dann erst werden Möglichkeiten entstehen, die bisher als unmöglich galten.

Alfred Vollmer

Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK

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