Ihlemann 03-Schutzlackierungen

(Bild: Ihlemann)

Auf einer losorientierten Produktion mit getrennten Arbeitsprozessen basierte die bisherige Fertigungsorganisation bei Ihlemann. Dabei waren die Verarbeitungsschritte der einzelnen Lose zeitlich und oft auch räumlich voneinander getrennt und führten zu hohen Umlaufbeständen während der Verarbeitung. „Der Lackierprozess ist ein gutes Beispiel: Die reine Prozesszeit inklusive der Zeit für das Trocknen dauerte zwei bis vier Stunden. Die Durchlaufzeit betrug allerdings nicht akzeptable sechs Tage“, erläutert Christian Berlinecke, Bereichsleiter THT-Fertigung und Lean-Manager von Ihlemann, die Herausforderung.

 

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Nicht effizent: Der Prozess vom Lackieren bis zum Verpacken dauerte desaströse sechs Tage und führte zu großen Umlaufbeständen. Ihlemann

Lange Durchlaufzeiten und hohe Umlaufbestände

Ein komplettes Los von beispielsweise 1000 Baugruppen wurde zunächst bestückt, auf einer Palette gesammelt und zum Lackieren gebracht. Die Baugruppen mussten warten, bis das vorherige Los den Lackierprozess durchlaufen hatte. Nach dem partiellen Lackieren und Trocknen wurde das gesamte Los gelötet, getestet und verpackt, jeweils mit weiteren Wartezeiten und Transporten zwischen den Arbeitsorten. Zeigte sich in der Funktionsprüfung ein Fehler, weil beispielsweise ein bestücktes Bauteil falsch deklariert war, mussten alle 1000 Boards nachbearbeitet werden. „Der Steuerungsaufwand war sehr hoch, weil jeder Arbeitsschritt einzeln angestoßen und koordiniert werden musste“, erinnert sich Christian Berlinecke und berichtet: „Bei Auftragsänderungen oder eiligen Lieferungen waren immer häufiger Hauruck-Aktionen notwendig. Das war teuer und führte zu großen internen Belastungen. Es wurde immer schwieriger, den Überblick zu behalten.“

Maßgebliche Kundenvorteile

Die erfolgreiche Umsetzung der Ziele zeigt drei wesentliche Vorteile, wodurch die verbesserte Fertigungsorganisation auch maßgebliche Kundenvorteile bringt:

  • Die veränderte Organisation verbessert den Logistikfluss und erhöht die Flexibilität bei Änderungen. Dadurch sind Stückzahlen einfacher skalierbar und erste Baugruppen können oftmals bereits nach wenigen Stunden ausgeliefert werden.
  • Die verkürzte Durchlaufzeit, schnellere Rückmeldungen bei fehlerhaften Baugruppen, schnellere Anpassungen und weniger Nacharbeiten verbessern die Liefertreue, die Fehlerquote sinkt und die Qualität der Fertigung steigt nachhaltig.
  • Durch die ständige Prozessverbesserung als Organisationsprinzip ist der EMS-Dienstleister wesentlich anpassungsfähiger und zukunftssicherer aufgestellt.

Doch im Zuge dessen, dass sich das wirtschaftliche Umfeld stetig verändert, sah man sich als Unternehmen nicht mehr flexibel genug. Zudem führten hohe Umlaufbestände zu höheren Kosten, weshalb Bernd Richter die Reißleine zog: „Wir haben uns deshalb zu einer Neuorganisation entschlossen.“ Der Vorstand von Ihlemann beschreibt die Zielsetzung so: „Die Durchlaufzeiten sollten verkürzt und Abläufe wie der Lackierprozess mit dem gleichen oder kleineren Personaleinsatz von bisher sechs Tagen auf 25 Minuten reduziert werden.“

 

Durchlaufzeiten im Lackierprozess erheblich verkürzt

Um die Durchlaufzeit auf 25 Minuten zu verkürzen, mussten parallel mehrere Prozessschritte verändert werden. „Die Krise 2008/2009 war der Ausgangspunkt für eine Restrukturierung der Fertigung mittels Lean/Wertstromdesign. Dabei haben wir die abschnittsweise, losorientierte Fertigung mit getrennten Arbeitsschritten zu einem reibungslosen 1×1-Produktionsfluss ohne Zwischenbestände umgebaut“, fasst Christian Berlinecke den neuen Ansatz zusammen. Im neuen Fertigungsablauf erfolgen alle Tätigkeiten für jede einzelne Baugruppe in einem verknüpften Prozess und ohne Wartezeiten direkt nacheinander (1×1-Fluss/One-Piece-Flow). Dafür führt ein Team die Arbeitsschritte Lackieren, Trocknen, Löten, Testen und Verpacken unmittelbar hintereinander in einer Fertigungszelle (U-Zelle) durch. „Das reichte aber nicht, um eine Durchlaufzeit von 25 Minuten zu erreichen. Allein die Trockenzeit nach dem Lackieren dauerte über zwei Stunden“, verweist der Lean-Manager auf eine ungelöste Herausforderung.

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Straffes Ziel: Die Durchlaufzeiten des Lackierprozesses sollten von sechs Tagen auf 25 Minuten – also um über 90 Prozent – verkürzt werden. Ihlemann

Als Folge daraus hat der EMS in der gesamten Fertigung tägliche Verbesserungs-Routinen (Verbesserungs-Kata) und kontinuierliche Coaching-Routinen (Coaching-Kata) eingeführt. Miteingebunden wurden die Führungskräfte, die nun völlig neue Aufgaben übernahmen. Es war nicht mehr die technische Lösungskompetenz des Ingenieurs gefordert, sondern es ging darum, die Mitarbeiter zu Verbesserungen zu befähigen. „Durch die Umstrukturierung verfolgen wir jetzt das Ziel, die Mitarbeiter in der Fertigung in die Lage zu versetzen, viele Probleme eigenständig zu lösen“, beschreibt Bernd Richter die Veränderung. Die Fertigung und schrittweise das gesamte Unternehmen wurden zu einer lernenden Organisation umgestaltet.

 

So wurden für die Verkürzung der Trockenzeit mittels der Verbesserungs- und Coaching-Routinen viele einzelne Verbesserungsschritte initiiert. Dazu gehörten Tests sowohl mit Lackiermaschinen als auch unterschiedlichen Lackierverfahren und verschiedenen Lacken sowie selbst entwickelte Trockenkammern. Der Aufwand lohnte sich, denn schließlich ließ sich die Durchlaufzeit erfolgreich auf 25 Minuten verkürzen. Auch bei anderen Prozessen sind ähnliche Optimierungen in der Umsetzung.

 

Stringent in der Umsetzung

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KATA-Coaching-Kaskade: Unternehmensziele werden Top-Down heruntergebrochen und Vorschläge der Prozessebene innerhalb von 24 Stunden besprochen und entschieden. Grafik: Aulinger, www.verbesserungskata.de

Die Coaching- und Verbesserungs-Aktivitäten wurden erfolgreich gelebt, jedoch zunächst ohne ein übergeordnetes, zusammenhängendes und sichtbares Ziel. Für Christian Berlinecke wird die Problematik ebenfalls am Beispiel des Lackierprozesses deutlich: „Die Vorgaben des Vorstands konnte nur durch mehrere parallele und gut koordinierte Verbesserungsprozesse umgesetzt werden.“ Es galt, in kürzester Zeit Prozesse zu verändern (1×1-Produktionsfluss), neue Technologien zu integrieren (Lackierverfahren) und Abteilungsgrenzen zu überwinden (Integration in einer Fertigungszelle). Das erforderte schnellere Lernprozesse und sehr kurze Entscheidungswege. Der Lean-Manager beschreibt das dafür notwendige Verfahren als „Kata-Coaching-Kaskade“. Die Kommunikation erfolgt dabei immer in zwei Richtungen: Die Unternehmensziele werden Top-Down bis zur Prozessebene in der Produktionszelle heruntergebrochen und für die einzelnen Bereiche und Prozesse Unterziele definiert. In der Gegenrichtung sorgen die täglichen Coaching-Gespräche für die Rückmeldung der Mitarbeiter, schaffen einen direkten Informationsfluss und ermöglichen schnelle Entscheidungen.

 

„Als Coach habe ich täglich mit den drei Führungskräften gesprochen, die parallel die Verbesserungen des Lackierprozesses betreut und deren Umsetzung begleitet haben. So hatte ich innerhalb von 45 Minuten drei Gespräche zu 10 Einzelthemen und damit einen schnellen Überblick zum aktuellen Status und zu den geplanten nächsten Schritten“, betont der Lean-Manager. Als Vorteile nennt er, dass die Führungskräfte die aktuellen Probleme innerhalb weniger Stunden kennenlernen, die Ergebnisse aller Aktivitäten auf einer Aktivitätentafel direkt ablesbar sind, Schnittstellenprobleme zwischen mehreren Prozessen sofort offenkundig und alle Probleme und alle Erfolge direkt sichtbar werden. „Die Mitarbeiter erhalten so eine unmittelbare Wertschätzung und der Ablauf sorgt auch für einen respektvollen Umgang“, benennt Christian Berlinecke die Gründe für die durchweg hohe Akzeptanz bei den Mitarbeitern. Er schränkt allerdings ein, dass das Verfahren eine hohe Disziplin bei den täglichen Coaching-Routinen und auch eine intensive Beschäftigung mit Prozessanalysen und der Ableitung von Zielen erfordert.

Martin Ortgies

Martin Ortgies ist Fachjournalist aus Hannover


Stand: 09/2007
Fachjournalist für technische Themen

(mrc)

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