Autonome Fahrzeuge sind in ständiger Interaktion mit der Umwelt.

Autonome Fahrzeuge sind in ständiger Interaktion mit der Umwelt. (Bild: Datanomiq)

Eck-daten

Die zunehmenden Datenmengen im Fahrzeug sind Chance und Risiko zugleich. Für das automatisierte und autonome Fahren sind sie unabdingbar, und nur intelligente und maschinell lernende Systeme werden den immensen Anforderungen gerecht. Dass sich inzwischen vor allem auch große IT-Unternehmen dieser Thematik annehmen, verwundert nicht und zwingt OEMs zum Umdenken.

Die ersten Schritte sind jedoch schnell getan, denn schon bei aktuellen Herausforderungen hinsichtlich der Fahrzeugergonomie, -zuverlässigkeit und -sicherheit kann eine gesamtheitliche Lösung durch Big Data Analytics erreicht werden.

Vom Auto zum Smart Car

Auch wenn sich echte Enthusiasten und Lobbyisten weniger Elektronik im Auto wünschen, setzen ein Großteil der Kunden sowie auch die Politik vermehrt auf das Smart Car für die nächste Automobilgeneration. Unter dem Konzept des Smart Car fallen Meilensteine wie das Connected Car in den Ausprägungen Car-to-X und Car-to-Car sowie das autonome Fahrzeug.

Im Jahre 2001 warb BMW damit, dass in der neuen 7er-Reihe mehr Elektronik steckt als in der Saturn-V-Rakete, die in mehreren Apollo-Missionen zum Mond flog. Die Entwicklung ging rasant weiter, und so gibt es heute beispielsweise in BMW-Fahrzeugen bis zu 75 Steuergeräte, die je nach Ausstattungsvariante etwa 1.000 Sensoren und 12.000 Fehlerspeicher abfragen.

Die bisherige Fahrzeugsteuerung ist von deterministischen Systemen geprägt, die mit If-Then-Abfragen auf bestimmte Sensordaten reagieren und dann entsprechende Maßnahmen ergreifen. Für die neuen Aufgaben eines intelligenten Autos sind solche fest programmierten Regelsysteme alleine unzureichend, denn sie stellen lediglich vom Softwareentwickler vorgedachte Systeme dar, die nur auf solche Fahrsituationen reagieren, an die der Entwickler gedacht hat. Die im Automobil generierten Daten spiegeln dagegen unzählige mögliche Fahrsituationen wieder. Während die Funktionssoftware einen Quellcode von insgesamt etwa 1 GByte umfasst, liegen die täglich verarbeiteten Daten gegenwärtig beim Zehn- bis Hundertfachen. Ein umfassend vernetztes und autonomes Fahrzeug generiert durch die Automobilelektronik und bezieht aus externen Quellen täglich Daten im Terabyte-Bereich, die es zu verarbeiten gilt.

Ein kurzer Blick über den Horizont der Fahrbahn

Es ist auch ein Umbruch im Automobilbau und in der Zulieferindustrie im Gange, indem immer mehr Lösungen von Softwareunternehmen kommen, denn diese hatten die zur schnellen Auswertung großer Datenmengen fähigen Algorithmen in der Regel bereits für andere Zwecke entwickelt.

Die Google-Tochter Deepmind erregte vor Kurzem mit ihrer künstlichen Intelligenz namens Alpha Go Aufsehen. Das Unternehmen entwickelte einen Algorithmus, der den Weltmeister im 2.500 Jahre alten, aus China stammenden Go-Spiel in vier von fünf Spielen besiegt hatte. Go wird teilweise mit Schach verglichen, ist jedoch einfacher und komplexer zugleich, denn die Züge und Funktionen der Spielfiguren sind zwar nicht so vielfältig wie beim Schach, die Anzahl an Spielfiguren und Feldern auf dem Spielbrett erlaubt allerdings weit mehr mögliche Spielverläufe, nämlich etwa 10761. Da das menschliche Gehirn nicht für das exponentielle Rechnen gemacht ist, ist diese Anzahl nur schwer zu greifen: Es sind überraschenderweise mehr mögliche Spielverläufe als man Atome im gesamten Universum vermutet. Ähnliches gilt für alle möglichen Fahrsituationen eines Autos im täglichen Straßenverkehr.

Maschinelles Lernen – die künstliche Intelligenz des Autos

Machine Learning ist eine Disziplin, die der Automobilbau gerade erst als Lösung für vielfältige Probleme mit hoher Komplexität entdeckt. Wissen generiert sich beim maschinellen Lernen künstlich aus Erfahrung. So lernt das künstliche System anhand von Beispielen und kann diese nach Abschluss der Lernphase generalisieren. Anders als deterministische Systeme sind maschinelle Lernsysteme darauf ausgerichtet, Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu vergleichen, um Regeln daraus abzuleiten. Dazu stellt man Datenpunkte beispielsweise in mehrdimensionalen Vektorräumen dar, um Verwandtschaften wie ähnliche Merkmale oder ein ähnliches Verhalten über Cluster zu erkennen.

Ein Anwendungsbeispiel hierfür ist die Erkennung von Verkehrsschildern durch Kamerasysteme. Es ist nicht möglich, eine feste Regel zu definieren, wie etwa ein Stoppschild zu erkennen ist, denn es kann je nach Zustand, Betrachtungswinkel und Lichtverhältnissen unterschiedliche Merkmale aufweisen. Maschinelles Lernen ist hier genau der richtige Ansatz, denn man entwirft Algorithmen, die man mit unterschiedlichen Kamerabildern von Stoppschildern (Positives) und Nicht-Stoppschildern (Negatives) aus allen möglichen Perspektiven und Umständen füttert. Das System erlernt somit in dieser Trainingsphase das Erkennen von Stoppschildern, wobei es nach jedem Input von Bilddaten ein vom Menschen bestätigtes Ergebnis gibt:

True Positive Stoppschild erkannt Das Bild zeigt tatsächlich ein Stoppschild.
False Positive Stoppschild erkannt Das Bild zeigt aber kein Stoppschild.
True Negative Kein Stoppschild erkannt Das Bild zeigt tatsächlich kein Stoppschild.
False Negative Kein Stoppschild erkannt Das Bild zeigt aber ein Stoppschild.

Liegen die False Positives und die False Negatives deutlich unter einem Prozent, ist die Trainingsphase abgeschlossen und der Algorithmus einsatzbereit. Einige unkritische Anwendungsfälle kommen auch mit einer Fehlinterpretationsquote von deutlich über einem Prozent zurecht, gerade aber im Straßenverkehr bedürfen viele Anwendungsfälle einer äußerst hohen Zuverlässigkeit. Hier liegt der Nachteil dieser Systeme, denn wer lernt, macht auch Fehler. Die Quote der korrekten Einschätzung kann nahe an 100 % liegen, aber die 100 % niemals absolut erreichen.

Wissen generiert sich beim maschinellen Lernen künstlich aus Erfahrung.

Wissen generiert sich beim maschinellen Lernen künstlich aus Erfahrung. Datanomiq

Data Mining schafft Produkt- und Verhaltensqualität

Nahezu jeder Autofahrer kennt das Phänomen, dass bestimmte Fehler oder Geräusche nur zu bestimmten Zeitpunkten auftreten, sich aber nicht jederzeit reproduzieren lassen. Auf der Fahrt zur Autowerkstatt kann das undefinierte Problem noch deutlich spürbar sein, aber kaum ist ein Mechaniker dabei, sind alle Indizien für den Fehler verschwunden. Kaum zuhause angekommen, ist das Problem ärgerlicherweise wieder da.

Mit der zunehmenden Elektronik im Automobil nehmen auch solche Fehler zu – in der Softwareentwicklung spricht man von Bugs. Auch wenn Softwarehäuser es nur widerwillig zugeben, jedes komplexe System ist voll von Bugs, einige fallen gleich nach dem ersten Test auf, andere machen sich erst nach langem Dauereinsatz und unter ganz bestimmten Konstellationen bemerkbar und sind unauffindbar für standardisierte Testverfahren.

Heute lassen sich auftretende Fehler jedoch im Kontext betrachten. Der Fahrzeugzustand und das Fahr- sowie sonstiges Nutzungsverhalten werden über tausende Sensoren erfasst. Tritt ein seltener Fehler in mehreren baugleichen oder ähnlichen Fahrzeugen auf, lassen sich die zum Fehlerzeitpunkt vorliegenden Fahrzeugdaten verwenden, um gleichartige Muster über den Fuhrpark zu identifizieren. Somit kann man nicht nur Fehlerursachen entdecken, die ohne diese gesamtheitliche Datenbetrachtung kaum auffindbar gewesen wären, auch lassen sich mit nur wenig Anpassung durch Abgleich der Daten des gesamten Fuhrparks Vorhersagen über das Auftreten des Fehlers im gesamten Fahrzeugbestand machen.

Predictive Vehicle Maintenance

Die Automobilelektronik hat neben der Steuerungsfunktion auch die Funktion der Überwachung der mechatronischen Baugruppen, indem sie Ausfälle anderer elektronischer oder mechanischer Komponenten anzeigt. Wartungspläne setzen Instandhaltungsintervalle fest, die Ausfälle im Vorfeld verhindern und somit die Zuverlässigkeit erhöhen, auf der anderen Seite jedoch die Kosten für die OEMs und Kunden möglichst geringhalten sollen. Häufig mussten OEMs die Wartungsintervalle beispielsweise für den Zahnriemenwechsel im Laufe eines Modelllebens verkürzen.

Die Sensorausstattung erlaubt es dabei schon heute, die Abnutzung von mechanischen Teilen direkt oder indirekt über die Erfassung der Belastung zu überwachen, etwa durch Drehzahlen oder Frequenzänderungen von Rotationsbewegungen, und unter Zuhilfenahme statistisch-stochastischer Analysen genaue Prognosen über die weitere Abnutzung bis zum Zeitpunkt des Ausfalls durchzuführen. So könnte das Auto zum intelligenten System werden, das Fahrer bereits frühzeitig über drohende Ausfälle informiert und nicht erst dann, wenn es schon zu spät ist.

Schutz vor Hackern – Autonome Systeme sichern autonome Systeme

Herr über sein Auto ist derjenige, der den physischen Schlüssel in der Hand hält. Eine Tatsache, die schon immer als eine Art Naturgesetz akzeptiert wurde, in den kommenden Jahren jedoch umgestoßen werden könnte.

Längst analysieren Systeme serverseitig, also im Hintergrund und ohne Kenntnis des Nutzers, jede Kreditkartentransaktion, um die Wahrscheinlichkeit für einen Fall von Kreditkartenmissbrauch zu berechnen. Auch hier startete die Initiative anfangs über deterministische Programmierung: Wenn früher eine Transaktion im Ausland stattfinden sollte, die dem Kreditkartenunternehmen nicht vorher mitgeteilt wurde, erfolgte automatisch eine Verweigerung. Hierfür reichen einige wenige fest einprogrammierte Abfragen. Heute verlangen die Kunden jedoch weit mehr Freiheit und weniger Restriktionen, sodass diese einfachen Regeln nicht mehr kundenorientiert sind. Mehr Freiheit bringt jedoch auch exponentiell erhöhte potenzielle Angriffsszenarien, die sich keinesfalls alle von einem Vordenker überlegen und in Quellcode umsetzen lassen. Die Systeme kann man heute daher so entwickeln, dass sie aus bisherigen Betrugsfällen selbst Muster finden, die als Grundlage zur Fraud Detection dienen können.

Parallel dazu verfügt das Automobil über immer mehr elektronische und digitale Funktionen, und deren Nutzungsvielfalt steigt ebenso wie die Möglichkeiten des Missbrauchs. Daher wird es unumgänglich sein, dass das Auto potenziellen Missbrauch, insbesondere Diebstahlversuche, eigenständig erkennt.

Die Cyber Grand Challenge der DARPA im August 2016 in Las Vegas zeigte, dass sich in der IT-Security gerade genau solche Umwälzungen anbahnen. Sieben vernetzte und autonom agierende Systeme hackten einander und schrieben hunderte Programme neu, um Sicherheitslücken zu erkennen und zu schließen. Die Systeme traten in 96 Runden gegen einander an, beinahe ganz ohne menschliches Zutun. Die aus dem Wettbewerb gewonnenen Erkenntnisse sind ein Meilenstein für die IT-Security, denn sie stellen ein Proof of Concept der künstlichen Intelligenz zur IT-Systemabsicherung dar, wenn auch vorerst noch unter Laborbedingungen.

Datenfusion ermöglicht Orientierung für alle Fahrsituationen

Dass Daten im Automobil in Echtzeit analysiert werden, um daraus Fahrassistenzsysteme zu entwickeln, ist längst gängige Praxis. Namhafte Zulieferer arbeiten seit Jahrzehnten an Fahrassistenzsystemen, die beispielsweise ein gefährliches Übersteuern, Gegenverkehr bei angeschaltetem Fernlicht oder Verkehrsschilder automatisch erkennen. Über den CAN-Bus, ein ursprünglich von Bosch entwickeltes System zur Vermeidung von Kabelbäumen im Fahrzeug, greifen diese Fahrassistenzsysteme auf Daten des Fahrzeugzustands und der aktuellen Fahrsituation zurück, beispielsweise den Steuerwinkel, die Beschleunigung und die Fahrgeschwindigkeit, und kombinieren sie mit Daten aus Mono- oder Stereokamerasystemen. Solche Fahrassistenzsysteme erlauben Anwendungen wie die automatische Spurhaltung oder die Fernlichtdeaktivierung bei Gegenverkehr. Die aus unterschiedlichen Quellen fusionierten und dann verarbeiteten Datenmengen sind dabei gerade noch überschaubar genug, um sie mit aktueller Technologie schnell auswerten zu können.

Das autonome Fahrzeug in Interaktion mit der Umwelt

Mit den erwähnten und bereits im Einsatz befindlichen Fahrassistenzsystemen ist das Fahrzeug fast ausschließlich auf die Straße selbst fokussiert (Car-to-Street). Daneben lassen sich beim Datenaustausch zwischen Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur auch Daten über die Umgebung aufnehmen, beispielsweise vom Bodenradar. Am Lincoln Laboratory des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben Ingenieure ein Bodenradar für Lokalisierungszwecke (Localizing Ground-Penetrating Radar, LGPR) entwickelt. Das Radar speichert die einzigartige Struktur des Bodens dreidimensional ab, wobei sich Abschnitte des Bodens in bis zu mehreren Metern Tiefe unter einer möglicherweise vorhandenen Schneedecke erfassen lassen. Bei einer erneuten Fahrt über dieselbe Straße vergleicht ein Computer die aktuelle Messung mit den gespeicherten Daten und leitet daraus genau ab, wo sich das Fahrzeug gerade befindet.

Die abzurufende und auszuwertende Datenmenge ist jedoch beträchtlich, denn das Bodenradar speichert unter Einsatz von Datenkompression immer noch mehr als 50 KByte pro Sekunde. Eine umfassende Bodenradar-Karte für den Straßenverkehr der EU würde demnach deutlich mehr als ein Petabyte umfassen. Dennoch ist das Bodenradar ein ernstzunehmendes zukünftiges Orientierungssystem, das selbst bei Satellitenausfällen funktionieren würde.

Weitere Beispiele zum Datenaustausch zwischen Fahrzeugen untereinander (Car-to-Car) und mit der Infrastruktur (Car-to-Infrastructure), die man bereits heute in Ansätzen umsetzt, sind Informationen über verfügbare Parkplätze, Unfälle auf der vorausliegenden Strecke oder sich nähernde Einsatzfahrzeuge.

Kommerzialisierung von Daten

Die Möglichkeiten und künftigen Potenziale zur Generierung von Daten lassen vermuten, dass hier neue Milliarden-Märkte zur kommerziellen Nutzung der Daten entstehen. Für Datenkonzerne wie Google ist die Kommerzialisierung von Daten das eigentliche Geschäftsmodell. Nun sind vor allem die Automobil-OEMs und deren Zulieferer darum bemüht, diese Services nicht aus der Hand zu geben. Eine der zentralen Aufgaben der OEMs ist somit, die digitalen Services kundenorientiert umzusetzen, gleichzeitig aber zu verhindern, dass die US-amerikanischen Datenkonzerne sich zu sehr im Automobil ausbreiten und unkontrolliert Fahrzeugdaten abgreifen. Auch deshalb haben einige OEMs bereits angekündigt, dritten Firmen keinen Zugriff auf Daten aus den internen Fahrzeugsystemen zu geben.

Benjamin Aunkofer

(Bild: Datanomiq)
Chief Data Scientist, Datanomiq

(pet)

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