Ein wichtiger Bestandteil des Themas Industrie 4.0 ist die Vernetzung. Dies gilt aber nicht nur für die Technik, sondern auch für die Beteiligten.

Ein wichtiger Bestandteil des Themas Industrie 4.0 ist die Vernetzung. Dies gilt aber nicht nur für die Technik, sondern auch für die Beteiligten.Kobes – Fotolia.com

Die Einladung erfolgte relativ kurzfristig. Trotzdem kamen über 200 Führungskräfte aus der Industrie, den Lehr- und Forschungseinrichtungen und den Verbänden nach Düsseldorf, um sich aktuell über die ‚Chancen und Herausforderungen für den Produktionsstandort Deutschland‘ durch das sogenannte Internet der Dinge und Industrie 4.0 einen ganzen Tag lang informieren zu lassen. Was da geboten wurde, war ausgesprochen spannend und kompetent. In kurzer Taktfolge, unter der Moderation Prof. Dr. Birgit Vogel-Heuser, wurde aus unterschiedlichsten Blickwinkeln darüber referiert, was wohl unausweichlich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf das produzierende ­Gewerbe in Deutschland und allen dort Beschäftigten zukommen wird und wie gut wir in Deutschland bereits darauf vorbereitet sind.

Revolution in evolutionären Schritten

Mindestens drei Gewissheiten konnte man getrost nach Hause tragen: Erstens wird „die Revolution in evolutionären Schritten“ ablaufen, wie Dr. Willi Fuchs, Direktor des Ingenieurvereins VDI, schon bei seinem Beitrag zur Eröffnung des Kongresses deutlich machte; zweitens ­haben wir in Deutschland im Weltvergleich eine sehr gute Ausgangsbasis mit dem Wissen und Können sowohl in den Ingenieur- und Informatikwissenschaften als auch in den produzierenden Industrien und dem Gewerbe; drittens aber gibt es noch einige technologische, viele normative und administrative und jede Menge kulturelle Aufgaben zu bewältigen, bis in fünf, zehn oder 20 Jahren das Internet der Dinge in unserer Produktionswelt alltäglich geworden sein wird, wobei zwar die Fertigungsindustrien und die Logistik zeitlich vorauslaufen werden, die Prozessindustrien aber in kurzem Abstand folgen (müssen). Positiv ist, dass die deutsche Politik den Ruf der Wissenschaft und Wirtschaft gehört hat und den Wandel bereits kräftig finanziell und administrativ forciert und dies auch weiter tun wird.

Um was es geht

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren: Dr. Frank Possel-Dölken, Dr. Peter Terwiesch, Nikolaus Fecht, Dr. Eberhard Veit, Harald Preiml, Dr. Kurt Bettenhausen

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren: Dr. Frank Possel-Dölken, Dr. Peter Terwiesch, Nikolaus Fecht, Dr. Eberhard Veit, Harald Preiml, Dr. Kurt BettenhausenRedaktion CHEMIE TECHNIK

Industrie 4.0 und Cyber Physical Systems (CPS) heißen die Zauberworte, die uns allen eine „schöne neue Welt“ (Vogel-Heuser) versprechen. Industrie 4.0, laut Prof. Dr. Dieter Wegener, Vice President Advanced Technologies and Standards bei Siemens, „eine deutsche Initiative“, ist das Synonym für die sogenannte vierte industrielle Revolution – nach der Mechanisierung (zum Ende des 18. Jahrhunderts), der Industrialisierung (ab Beginn des 19. Jahrhunderts) und der Automatisierung (ab Mitte der 70-er Jahre des letzten Jahrhunderts) nun also die Autonomik. Wegbereiter von Industrie 4.0 sollen die Cyber-Physikalischen Systeme (CPS) sein oder werden, die im Internet der Dinge reale Produkte oder Produktionsverfahren mit der virtuellen Welt des Internet verbinden und dadurch auf völlig neue Weise mit Informationen anreichern und vernetzen. CPS umfassen typischerweise eingebettete Systeme, die

  • mittels Sensoren und Aktuatoren unmittelbar physikalische Daten erfassen und auf physikalische Vorgänge einwirken,
  • mit digitalen Netzen verbunden sind (drahtlos, drahtgebunden, lokal, global),
  • weltweit verfügbare Daten und Dienste nutzen und über
  • eine Reihe multimedialer Mensch-Maschine-Schnittstellen verfügen.

„Smarte Komponenten, gewonnen durch Modellbildung von Objekten und Systemen, werden aggregiert zu smarten Maschinen und diese wiederum zur smarten Fabrik“, erklärt Prof. Dr. Detlef Zühlke vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). „Die virtuelle Welt und die reale werden zusammenwachsen“, ist Wegener überzeugt.

Was wir brauchen

„Diese Revolution wird in evolutionären Schritten ablaufen.“  Dr. Willi Fuchs, Direktor des VDI

„Diese Revolution wird in evolutionären Schritten ablaufen.“ Dr. Willi Fuchs, Direktor des VDIRedaktion CHEMIE TECHNIK

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern wird und nur schrittweise gegangen werden kann, darin waren sich alle Referenten einig. Wenn man versucht, aus den 14 Beiträgen und der Abschlussdiskussion eine priorisierte To-do-Liste aufzustellen, dann sieht die aus Sicht der Referenten ungefähr so aus:

  • Alle müssen am gleichen Strang ziehen – und in dieselbe Richtung. „Alle“ meint Industrie, Wissenschaft und Politik und insbesondere die Verbände und Vereinigungen Bitkom, GMA, VDI, VDE, DKE, DIN, VDMA und ZVEI. Der Schwung des Aufbruchs muss weitergehen.
  • Ohne Cloud wird es keine Industrie 4.0 geben und ohne Security keine Cloud. Da braucht es neue globale Standards.
  • Proprietäre Lösungen müssen von Anfang an verhindert bzw. beseitigt werden. Offene durchgängige IT-Systeme und Logistik-Standards sind speditiv weltweit zu vereinbaren. Eine Technologie-Roadmap muss her.
  • Es geht primär um den Nutzen für die Menschen, nicht um Technologie. Sie, die Menschen, müssen von Beginn an mitgenommen werden, und zwar alle: Unternehmer, Manager, Ingenieure und Informatiker, Meister, Facharbeiter und Angelernte. Ihre Ausbildung, ihre Qualifikation ist erfolgsentscheidend. Dazu sind in den Unternehmen auch Kultur-Evolutionen unausweichlich. „Der Mensch steht im Mittelpunkt.“
  • Neue Geschäftsmodelle mit Technologie und den Nutzen mit der Architektur der Wertschöpfung zu verknüpfen (Vorbild Apple), darum geht es.
  • Und last but not least: „Von der Natur lernen“, wie Festo-Vorstand Dr. Eberhard Veit an Beispielen aus seiner Firma eindrücklich belegte.

Was wir erwarten können

„Wir haben in der Produktionstechnik, in der Automatisierungstechnik und in der Informations- und Kommunikationstechnik mehr Wissen und Erfahrung als alle anderen. Dies müssen wir einsetzen, um Produktion in Deutschland und Europa zu halten und auszubauen“, beschreibt VDI-Chef Fuchs. Gleiches gilt für die Logistik, die sich als IT-Dienstleister ergänzen wird (muss).

„Organisation 4.0 als Chance: Wer sich nicht anpasst, wird verlieren.“ Dr. Eberhard Veit, Vorstandsvorsitzender von Festo

„Organisation 4.0 als Chance: Wer sich nicht anpasst, wird verlieren.“ Dr. Eberhard Veit, Vorstandsvorsitzender von FestoRedaktion CHEMIE TECHNIK

„Ohne die Methoden und Werkzeuge der Industrie 4.0 werden wir in der Logistik die gestiegene und weiter steigende Komplexität nicht bewältigen können“, ist Prof. Dr. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts Materialfluss und Logistik in Dortmund, überzeugt. „Fertigungen, Logistikketten, unser Arbeitsplatz als Autofahrer, unser Mobilitätsverhalten und nicht zuletzt die Rolle und Aufgaben aller Menschen, und besonders der Beschäftigten, werden sich enorm verändern“, verdeutlicht Dr. Ulrich Kienzle, Direktor der Konzernforschung bei Daimler.

Eines der Endziele ist es, dass Produkte und Entscheidungsprozesse Wertschöpfungsnetzwerke in Echtzeit steuern, autonom und wenn notwendig auch global – das wird nicht ohne den qualifizierten Menschen gehen. Wir brauchen in unseren Fertigungen „die gesicherte maximale Ausbringung“ (Possel-Dölken). Denn „wir müssen um das besser sein, was wir teurer sind“ (Veit). „Die Welt wird elektrischer, Menschen und Roboter werden kooperieren“ (Terwiesch).

Anpassen oder untergehen

Bei aller Aufbruchsstimmung und Entschlossenheit: „Die Informations- und Kommunikationstechnologie hat heute einen Reifegrad erreicht, der bestehende Paradigmen sprunghaft verändern könnte. Disruptive Innovationen, von woher auch immer, könnten technologische ‚Tipping-Points‘ erreichen, die den evolutionären Prozess in einen revolutionären kippen ließen.“

Diese Warnung von Prof. Dr. Michael Weyrich vom Institut für Automatisierungs- und Softwaretechnik der Uni Stuttgart ist ernst zu nehmen! Deshalb ist keine Zeit zu verlieren. Allerdings: „Mit zunehmender Vernetzung und Standardisierung wird die Autonomie, die Wandlungsfähigkeit und die Flexibilität in den Fertigungen beschnitten“, gibt Dr. Frank Possel-Dölken, Director Manufacturing Systems bei Phoenix Contact, zu bedenken. „Hier müssen balancierte neue Lösungen gefunden werden“, forderte er. Aber auch: „Wer sich nicht anpasst, der wird verlieren“ (Veit) – als Volkswirtschaft, als Unternehmer oder als Beschäftigter. Und: „Der Rest der Welt schläft nicht“, wie Dr. Kurt Bettenhausen, Vorsitzender der GMA, aus seinen Erfahrungen in China und USA berichtete; dort werde schon seit Jahren an großen, staatlich geförderten Vorhaben auf diesem Gebiet gearbeitet.

Fazit: Die angeregten Diskussionen (leider nur in den Pausen) zeigten, dass das Thema heiß und das Interesse groß ist. „Machen! Nicht lang reden!“ war denn auch die Aufforderung von Prof. ten Hompel, der sich auch die Teilnehmer in der kurzen Abschlussdiskussion anschlossen. „Wir müssen die positive Grundstimmung nutzen“. Denn „der Übergang von Industrie 3.0 über Industrie 3.x zu Industrie 4.0 startet heute“, wie Dr. Dieter Wegner treffend bemerkte. Tröstend aber die Feststellung von Prof. ten Hompel: „Es wird keine neue Weltordnung geben. Die Zukunft der Welt wird sich selbst ordnen.“

Dieter Schaudel

ist Kolumnist der Zeitschrift Chemie Technik und Inhaber des Beratungsunternehmens Schaudelconsult.

(mf)

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