Mechatronik gestern (links) und in Zukunft.

Mechatronik gestern (links) und in Zukunft. ITQ

Kunden der Maschinen- und Anlagenbauer fordern bei immer kürzeren Entwicklungszeiten flexible und auf den jeweiligen Einsatz zugeschnittene Lösungen. Die Hersteller begegnen dieser Forderung mit integrierten mechatronischen Systemen, deren Komplexität gerade im Vergleich zu bestehenden überwiegend lediglich Mechanik-orientierten Systemen in der Regel deutlich gestiegen ist. Die daraus resultierende zwingend notwendige disziplinübergreifende Zusammenarbeit steigert die Komplexität der Entwicklungsprozesse. Diese zu beherrschen ist für die Zukunft des Innovations- und Produktionsstandorts Deutschland existentiell und verlangt anwendungsgerechte Methoden und Werkzeuge.

Am Ziel ‚Disziplinübergreifendes Engineering‘ gespiegelt weisen die aktuell ­gelebten Entwicklungsprozessen im Maschinen- und Anlagenbau über alle Branchen hinweg erhebliche Diskrepanzen und Defizite auf:

  • Mechatronische Entwicklungsprozesse sind zwar definiert, werden aber selten gelebt.
  • Disziplinübergreifenden Entwicklungsmethoden fehlt der Praxisbezug.
  • Durchgängigkeit der Entwicklungswerkzeuge ist nicht gegeben.
  • Defizite bei der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter zum Engineer 4.0.

Dies sind die Ursachen für Effizienzeinbußen bei den disziplinübergreifenden Themen, die sich negativ auf Projektlaufzeit, Projektkosten und die Qualität der Lösung auswirken. Effiziente Produkte erfordern jedoch ebenso effiziente Entwicklungsprozesse. Um die vom Markt geforderten Qualitäts-, Zeit- und Kostenvorgaben einzuhalten, braucht es mecha­tronische Entwicklungsmethoden und -werkzeuge, die ineinandergreifen.

Engineering-Szenarien aus dem wahren Leben

Den bestehenden Ansätzen ineffizienter Engineeringprozesse zu beseitigen fehlt oft der Praxisbezug. Deshalb verfolgen viele nationale und internationale Anwender und Institutionen im BMBF-geförderten Forschungsprojekt ‚Meproma‘ das Ziel, mechatronische Innovationen effizienter zu realisieren. In einem ersten Schritt wurden dazu anhand von realen Anwendungsszenarien die Anforderungen an Methoden und Tools formuliert und darauf aufbauend geeignete Methoden und Werkzeuge erarbeitet – bis hin zu Schulungskonzepten und Einführungsstrategien.

Historie des Forschungsprojekts Meproma: Disziplinübergreifendes Engineering gibt es nicht erst seit heute.

Historie des Forschungsprojekts Meproma: Disziplinübergreifendes Engineering gibt es nicht erst seit heute.ITQ

Kerngedanke der mechatronischen Entwicklungsweise ist das vom VDMA empfohlene Vorgehen eines ‚gesunden Entwicklungsprozesses‘, das Quality-Gate-Konzept: Stetig wiederkehrende Quality Gates haben das Ziel, die Ergebnisse der beteiligten Disziplinen fortlaufend zu synchronisieren und auf Grundlage konkreter Produktanforderungen abzusichern. Analog zu sogenannten agilen Ansätzen in der Entwicklung, werden Projekte in eine Abfolge von ‚Sprints‘ gegliedert. Die Ergebnisse der einzelnen Etappen werden dabei an jedem Quality Gate in interdisziplinären Workshops einem Review unterzogen mit eindeutigen Checklisten als Grundlage. Die Bewertungsergebnisse – als Ampel dargestellt – geben dann die Anforderungen und Ziele des nächstens Sprints vor.

Mechatronisches Engineering – wen betrifft‘s?

Um Entwicklungsprojekte erfolgreich bestreiten zu können, sind eine unterschiedlicher Aktivitäten durchzuführen und deren Ergebnisse laufend zu kommunizieren und zu synchronisieren. Mit dem Ziel, die Reife mechatronischer Entwicklungsprozesse ohne Aufwand bewerten zu können, wurden im Forschungsprojekt ‚Bestvor‘ eine Reihe an Prozessgebieten definiert. Diese gliedern die notwendigen Aktivitäten von mechatronischen Entwicklungsprojekten in prozessrelevante und unterlagerte Themen. Das vorläufige Referenzmodell für mechatronisches Engineering besteht aus neun Prozessgebieten mit 43 unterlagerten Aktivitäten.

Quality Gate Konzept: viele kleine Kontroll-Instanzen vermeiden den großen Crash zum Projektende.

Quality Gate Konzept: viele kleine Kontroll-Instanzen vermeiden den großen Crash zum Projektende.ITQ

Diese Gliederung ist der Rahmen für die Definition der Anforderungen an Methoden und Werkzeuge. In mehr als 20 Arbeitstreffen mit Anwendern aus unterschiedlichen Branchen des Maschinen- und Anlagenbaus wurden zudem deren Anforderungen ermittelt – aktuell über 350, die für eine erfolgreiche Durchführung von Entwicklungsprojekten notwendig sind. Diese Anforderungen spiegeln unmittelbar die Voraussetzungen für mechatronisches Engineering wider und bergen somit das Potenzial, die heutigen Engineering-­Methoden und Werkzeuge auf den Prüfstand zu stellen. Dies ist Gegenstand der aktuellen Arbeiten in ‚Meproma‘.

Methoden für ein effizientes Engineering

Flexiblere Maschinen und Anlagen bei sinkenden Stückzahlen bedeuten für den Maschinen- und Anlagenbau, dass fast immer kundenspezifische Anforderungen in die Entwicklung einfließen. Daraus resultieren Probleme, deren Ursache in einer mangelhaften Abstimmung der unterschiedlichen Fachbereiche liegen. Ein gemeinsames Systemverständnis und eine gemeinsame Sprache helfen, Missverständnisse zu vermeiden und aufwendige Iterationsschleifen einzusparen. Eine geeignete Gegenmaßnahme ist der Verzicht auf getrennte Lasten- und Pflichtenhefte für Mechanik, Elektrik und Software. Eine gemeinsame Systemspezifikation der mechatronischen Objekte zwingt dagegen alle Beteiligten, auf deren Grundlage Anforderungen, Konzepte und Umsetzungen zu arbeiten. Dadurch vereinfacht sich die disziplinübergreifende Abstimmung.

Der Siegeszug agiler Ansätze in der Software-Entwicklung hält unvermindert an. Zentrale Stärken dieser Methode sind die Abstimmung im Team und das Kommittent aller Beteiligten bezüglich der eigenen Ziele im Entwicklungsprojekt. Mit Blick auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Mechatronik, bieten agile Ansätze ebenfalls Chancen. Denn allzu oft scheitern Projekte an der mangelnden Kommunikation und Identifikation der Mitarbeiter mit ihrer Aufgabe.

Zudem haben Projekte gezeigt, dass sich agile Elemente, wie User Stories, Magic Estimations, Backlogs und Sprint Plannings, auch bei mechatronischen Entwicklungsprojekten ohne nennenswerten Aufwand implementieren lassen. In der mechanischen Entwicklung sind kinematische Simulationen und Simulationen zur Festigkeitsberechnung längst erprobte Hilfsmittel. Insbesondere mit dem Ziel einer virtuellen Inbetriebnahme, existieren heute zudem zahlreiche Werkzeuge, um die Software mechatronischer Systeme frühzeitig abzusichern.

Die neun Prozessgebiete und unterlagerte Aktivitäten im mechatronischen Engineering: Es gibt viele Hebel für Effizienzverbesserungen, aber welche versprechen die größte Wirkung?

Die neun Prozessgebiete und unterlagerte Aktivitäten im mechatronischen Engineering: Es gibt viele Hebel für Effizienzverbesserungen, aber welche versprechen die größte Wirkung?ITQ

Ebenso können bei mechatronischen Projekten Ansätze zur Simulation in nahezu allen Phasen der Entwicklung dazu beitragen, das Systemverständnis aller Beteiligten zu erhöhen und die interdisziplinäre Abstimmung zu vereinfachen. So halten heute Ansätze aus der Gaming- und Entertainment-Industrie Einzug in den Maschinen- und Anlagenbau.

Modularisierung – bitte die Software nicht vergessen

Modulare Plattformen für mechanische und elektronische Bauteile sind längst Stand der Technik, um den Aufwand im Engineering zu begrenzen. Oft endet der Modul- beziehungsweise Plattformgedanke jedoch an dieser Stelle. Dabei verlangen modulare mechatronische Einheiten aus Mechanik, Elektronik und Software in allen Bereichen klare Strukturen. Die Software wird jedoch oft vergessen, obwohl sie inzwischen immer mehr für die Produktfunktionalität steht und oft zu gravierenden Problemen bei der Integration und Inbetriebnahme führt. Der Nutzen einer Software-Strukturierung/Restrukturierung konnten verschiedene Anbieter in zahlreichen Entwicklungsprojekten nachweisen.

Ein sauberer Entwurf mechatronischer Module und deren Schnittstellen oder zumindest die saubere Spezifikation ermöglicht es, erheblichen Aufwand im Bereich des unumgänglichen Testens einzusparen. Konzepte für das automatisierte Testen sind im Bereich der Software-Entwicklung im PC-Umfeld ein alter Hut – im Steuerungsumfeld ließe sich damit das manuelle Testen reduzieren und damit Ressourcen für eine systematischere Entwicklung schaffen.

Es existiert ein breites Spektrum an Methoden, die ein Engineering 4.0 nachhaltig unterstützen können. Auch wenn an verschiedenen Stellen die Werkzeuge noch Schwachstellen haben, können sie bereits heute die Effizienz von Entwicklungsprozessen steigern und somit den Erfolg von Unternehmen im internationalen Wettbewerb stärken.

Kompetenztag: Engineering zum Anfassen

Interdisziplinäres Engineering ist für den Maschinenbau das Zukunftsthema schlechthin. Denn ohne schnelles und zielgerichtetes Engineering wird es nicht möglich sein, entsprechend den Markterfordernissen stetig innovative Produkte zu entwickeln. Das Engineering über Disziplin- und Unternehmensgrenzen hinweg ist somit für fast alle Unternehmen eine große Herausforderung. Welche Methoden, technische Hilfsmittel und Tools wirklich helfen, wirft viele Fragen auf.

Im Rahmen des Kompetenztages Engineering, der am 10. Juli 2014 bei der Firma ITQ in Garching bei München stattfindet, wird sich das Engineering-Unternehmen gemeinsam mit Kooperationspartnern wie Bosch Rexroth, B&R und Phoenix Contact mit der Fragestellung befassen: Wie sehen moderne Entwicklungsmethoden aus, um einem ideal­typischen Engineering gerecht zur werden? Gleichzeitig soll die Veranstaltung Startschuss für eine offene Kommunikationsplattform der Engineering Community sein, die aus Endanbietern, Maschinen- und Anlagenbauern sowie Herstellern von Automatisierungslösungen und Engineering-Tools besteht. Neben praxisbezogenen Vorträgen, wird anhand von konkreten Projektbeispielen gezeigt, welche konkreten Engineering-Maßnahmen notwendig sind, um die Güte von Entwicklungsprozessen zu erhöhen.

Dr. Bernd Spiegelberger

ist Senior Consultant bei der ITQ GmbH in Garching.

(sk)

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