Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sind Schlüsselworte derzeitiger energie- und klimapolitscher Diskussionen. Diese reichen von der Energiegewinnung bis tief in die Leistungselektronik. Um Leistungshalbleiter energieeffizienter zu gestalten, sind vor allem zwei Halbleitermaterialien im Gespräch: Galliumnitrid (GaN) und Siliziumkarbid (SiC). Beide verfügen über einen vergrößerten Bandabstand und eine schalterfreundliche Kristallstruktur im Vergleich zu Silizium. Das bringt den Vorteil, dass sich Leistungsbausteine bei höheren Temperaturen betreiben lassen. Kühlaufwand, Baugröße und Gewicht reduzieren sich, was eine große Energie­ersparnis in der Applikation bedeutet.

Die Teilnehmer

  • Klaus Beilenhoff, Customer and R & D Interface Ulm, bei United Monolithic Semiconductors.
  • Mustafa Dinc, Director Sales Business Development Automotive bei Vishay Europe in Heilbronn.
  • Jochen Dreßen, Fachkoordinator Elektronik, VDI Technologiezentrum.
  • Peter Friedrichs, Technology & Innovations Power Division Industrial & Multimarket bei Infineon Technologies in Neubiberg bei München.
  • Daniele Kröll, Regional Produkt Marketing Engineer Analog, Power & MEMS Industrial & Multimarket BU bei ST Microelectronics in München.
  • Dieter Liesabeths, Director of Europe bei Semisouth in München.
  • Erich Niklas, Business Manager Power EMEA bei Cree in Österreichs Hauptstadt Wien.
  • Rüdiger Quay, PD am Fraunhofer IAF in Freiburg.
  • Werner Riethmüller, BU R & D Manager bei NXP in Hamburg.

Audio-Aufzeichnungen der Schlussbemerkungen einzelner Teilnehmer befinden sich am Ende dieses Beitrags.

Soweit die Gemeinsamkeit. Nun spaltet sich die Branche: Ist GaN nur ein Hype oder das Non-Plus-Ultra? Eine Frage, die heftig diskutiert wurde. Das elektronikJOURNAL wollte wissen, wo Vor- und Nachteile im Vergleich zu SiC liegen. Schließlich haben International Rectifier und Efficient Power Conversion bereits Vorarbeit geleistet und GaN-Bausteine im Niederspannungsbereich auf den Markt gebracht. Welches Potenzial bieten beide Materialien? Und: Was ist mit Silizium – gehört das schon zum alten Eisen? Diese Fragen diskutierten nicht nur (Leistungs-) Halbleiterhersteller, wie Infineon, ST Microelectronics, NXP, Semisouth, Vishay, Cree oder United Monolithic Semiconductor (UMS), sondern auch Forschungsinstitute, wie das Fraunhofer Institut für Angewandte Festkörperphysik (IAF) oder das VDI Technologiezentrum.

Was kommt nach Silizium?

Es herrschte also Redebedarf in der Hultschiner Straße. Die Frage, was nach Silizium kommt, wurde durch das entscheidende Wort „wann“ ergänzt: Was kommt wann nach Si? Denn trotz verbesserter Eigenschaften werden Siliziumkarbid und vor allem Gallium­nitrid Silizium als Material für Leistungshalbleiter zumindest für den höheren Leistungsbereich (ab 600 Volt) vorerst nicht ablösen.

Gründe sind zum einen in den im Vergleich zu Si-Bausteinen hohen Herstellungskosten zu finden. Zwar betont Jochen Dreßen, dass der VDI durch die treibenden Märkte Elektromobilität und Energie – also erneuerbare Energien, genauer Photovoltaik und Wind – sehr deutlich auf GaN und SiC angesprochen wird, aber das Argument von Seiten der Industrie, dass keiner für mehr Energieeffizienz zahlt, konnte auch er nicht vom Tisch fegen. „Das Hauptproblem beispielsweise bei Automotive ist nicht die Energieersparnis, sondern billiger, billiger, billiger“, unterstreicht Mustafa Dinc von Vishay diesen Fakt.

Deshalb: „Silizium dürfen wir nicht außen vor lassen“, ist sich Peter Friedrichs von Infineon sicher und bekommt erheblichen Zuspruch aus der Runde. Daniele Kröll von ST ergänzt: „Man kann mit Silizium noch mehr erreichen.“ Letztendlich bleibt die Siliziumtechnologie nicht stehen, sondern entwickelt sich weiter und lässt sich vor allem kostengünstig produzieren. Dieses Kostenniveau müssen sowohl SiC als auch GaN erst einmal erreichen. „Silizium hält nun einmal den Dollarmarkt“, weiß Werner Riethmüller von NXP.

Kosten kontra Energieeffizienz?

Immerhin ließe sich mit Fördermitteln einiges in Richtung GaN bewerkstelligen, argumentiert Dr. Dreßen. „Diese sind allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, widerspricht Dieter Liesabeths, „damit wird keine neue Technologie eingeführt.“ Dafür bräuchte es einige Player, die SiC- oder GaN-Produkte in den Markt einführen – und zwar nicht nur Start-Ups, sondern auch Branchenriesen. Kleine Unternehmen können zwar eine Technologie anschieben, die Frage ist nur, ob sie letztendlich den Atem haben, durchzuhalten. Die Global-Player hingegen haben oft das Problem, dass sie sich keinen Fehltritt erlauben dürfen. Das macht es alles in allem gesehen schwierig, auf eine neue Technologie zu setzen, wenn das Risiko komplett beim Unternehmen liegt. Gesetzliche Regulierungen wären an dieser Stelle sicherlich eine Hilfe, so der allgemeine Tenor.

Auf einen Blick

Silizium geht. Nicht gleich, denn vor allem aufgrund der Kosten hat es durchaus (noch) seine Daseinsberechtigung. Aber auf lange Sicht sind die physikalischen Grenzen von Si erreicht. Was kommt danach? Zur Steigerung der Energieeffizienz sind in der Leistungselektronik Wide-Bandgap-Materialien, wie SiC und GaN, in der Diskussion und werden mittel- bis langfristig eine wichtige Rolle spielen. Beide Materialien bergen Chancen und Risiken, die sich heutzutage noch nicht einhundertprozentig einschätzen lassen. Fakt ist aber: Wer nicht in die neuen Technologien investiert, wird den Anschluss verpassen.

Neben dem Kostenaspekt sind Zuverlässigkeit und Funktionalität Bewertungsfaktoren. Galliumnitrid bringt viele Vorteile mit, „muss aber in einer Mikrosystemumgebung funktionieren“, so Rüdiger Quay vom Fraunhofer IAF. „Wichtig ist zum Schluss nicht das Materialthema, sondern dass die Funktionalität umgesetzt werden kann.“ Fakt: GaN ist nie eine Drop-in-Lösung gewesen und wird auch nie ein One-to-One-Replacement darstellen.

Den Einsatz von Wide-Bandgap-Materialien betrachten

SiC und GaN können Vorteile, wie eine hohe Leistungsdichte, kleinere Applikationen, eine bessere Sperrspannung, niedrige Leistungsverluste, eine höhere EMV-Verträglichkeitkeit sowie ein besseres Ausfall- und Temperaturverhalten ausspielen. Kaco New Energy, Teilnehmer am BMBF-Forschungsprojekt GaN Power Plus, etwa erhofft sich durch den Einsatz GaN-basierter Leistungshalbleiter eine bessere Performance für seine Solarwechselrichter. Angestrebt werden fünf- bis zehnfach höhere Taktfrequenzen bei gleichen oder sogar niedrigeren Leitungsverlusten. Siliziumkarbid – für den Hochspannungsbereich (1200 Volt) prädestiniert – glänzt in punkto Schaltgeschwindigkeit und hohe Schaltfrequenzen. „Sie kommen mit Siliziumkarbid hoch bis in den Megahertzbereich“, unterstreicht Dieter Liesabeths von Semisouth. Entsprechende SiC-Produkte haben Cree (SiC-Mosfets), Semisouth (SiC-JFETs), Infineon (SiC-JFETs), ST und Vishay auf den Markt gebracht.

Mit etwas Skepsis wird in der Runde das recht schnelle Vorstoßen von IR im GaN-Bereich betrachtet, insbesondere die qualitative Seite der Bausteine. Schließlich sollen die Leistungshalbleiter nicht nur im Consumerbereich zuverlässig arbeiten, sondern auch in kritischen Anwendungen. An dieser Stelle muss die Frage gestellt werden, inwiefern man die entsprechende Zuverlässigkeit wirklich zur Verfügung stellen kann. Eine zu frühe Markteinführung von Galliumnitrid-Produkten stellt unter Umständen ein Problem dar und kann zum Imageverlust der entsprechenden Technologie führen.

Cree sieht den zuverlässigen Einsatz von GaN auf langfristiger Ebene, allerdings nicht in einem breiten Einsatzgebiet, sondern für Spezialanwendungen. Erich Niklas‘ Einschätzung: „Galliumnitrid wird in fünf Jahren bei einem Marktanteil von ein bis zwei Prozent liegen, wenn überhaupt. Silizium wird meines Erachtens nicht aussterben, dazu ist der Fortschritt in dieser Technologie zu groß.“ Momentan werden etwa 14 Milliarden US-Dollar im Leistungselektroniksegment bewegt; davon nimmt Siliziumkarbid etwa ein Prozent ein. GaN liegt erheblich darunter.

Mut zur Vorreiterposition

International Rectifier und EPC haben im Niederspannungsbereich bereits erste GaN-Produkte auf den Markt gebracht und zumindest IR will laut eigener Roadmap Ende 2011 einen 600 Volt GaN-on-Si-Baustein vorstellen. Warum hat sich IR für GaN trotz eines gewissen Risikos entschieden? Dazu Tim McDonald, Vice President Emerging Technologies Group: „Die Anforderungen kommerziell nutzbare und hochwertige GaN-on-Si-Bausteine zu produzieren waren hoch, wir mussten viel Geld und Zeit investieren. IR arbeitet an der GaNpowIR-Plattform bereits seit sieben Jahren. Aus unserer Sicht nähert sich das Leistungsvermögen von Silizium seinem Ende. Damit ist die Zeit für eine neue Lösung gekommen. Wir haben, wie gesagt, vor sieben Jahren den Grundstein gelegt und ernten langsam den Lohn für unsere Mühe.“ Warum GaN und nicht SiC? „Siliziumkarbid wird seinen Platz im Markt einnehmen, aus unserer Sicht im Bereich über 1200 Volt. Wir konzentrieren uns auf Applikationen im Bereich von 20 bis 1200 Volt und halten hier GaN für die leistungsstärkere Technologie.“

Für ST Microelectronics steht fest: In fünf bis sieben Jahren wird ein GaN-Mosfet auf dem gleichen Level sein wie ein Siliziumbaustein. Begründung: Bei einem GaN-on-Si-Mosfet lässt sich nahezu das gleiche Equipment zur Herstellung nutzen wie für einen Siliziummosfet. Der erneuten Frage nach den Kosten, erteilt Dr. Quay eine Abfuhr: „Wenn außer, dass eine andere Materialschicht nötig ist, nichts geändert werden muss und dafür erhält man eine erheblich bessere Performance, dann sollte die Frage nach den Kosten eigentlich beantwortet sein.“ Schließlich sind durchaus Appli­kationen denkbar, bei denen Kompaktheit und Leistungsdichte eine Rolle spielen. „Hype oder Chance – ich sehe eindeutig die Chance“, schließt er.

Die Materialbasis betrachten

Das gilt auf der anderen Seite genauso für Siliziumkarbid. Allerdings ist auch an dieser Stelle das Kostenthema signifikant, das vielleicht das entscheidende Quäntchen Pro oder Kontra für die eine oder die andere Technologie gibt. Eine Aussage darüber zu treffen, wie sich 6-Zoll-SiC-Wafer im Vergleich zu einem 6-Zoll-GaN-on-Si-Wafer entwickeln, verdient zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl eher die Bezeichnung Educated Guess. Wie sieht es mit der Materialbasis aus? Bei Galliumnitrid entwickelt jeder Hersteller seine eigene Materialbasis und sein eigenes Verfahren, was letztendlich zu unterschiedlichen Prozessen führt. Interessant ist auch die Frage nach der Schnittstelle. Beispielsweise bietet Aixtron, Anlagenhersteller für die Halbleiterindustrie, Templates lediglich mit einer Pufferschicht. Darauf wird anschließend die aktive Schicht aufgetragen. Für GaN spricht der Fakt, dass trotz komplexer Struktur die Vorteile eines sehr sauberen Substrats ausgespielt werden können.

Ausflug in die HF-Technologie

Der Hochfrequenzmarkt ist im Vergleich zum Leistungselektronikmarkt wesentlich kleiner, aber sicherlich nicht uninteressant: Hier kommt Galliumnitrid bereits seit längerem zum Einsatz. „Wir verwenden GaN-auf-Siliziumkarbid“, gibt Klaus Beilenhoff von UMS einen kurzen Einblick und erklärt: „In unserem Bereich steht die Performance an erster Stelle, erst danach werden die Kosten betrachtet.“ Die Kombination GaN-on-SiC wäre in der Leistungselektronik derzeit wirtschaftlicher Selbstmord. Für Hersteller der beiden Halbleitermaterialien bedeutet das konkret, dass sie sich eine Nische suchen müssen, die sich dann vergrößert, bis man zur Volumenproduktion vorstößt, und sich im Endeffekt die Kosten senken lassen. Auch im HF-Umfeld sind hohe Stückzahlen vonnöten, damit sich die Technologie lohnt.

Was lässt sich daraus für die Leistungselektronik entnehmen? „Das Thema GaN/SiC muss gesellschaftliche Relevanz bekommen“, erwartet Klaus Beilenhoff. Heißt: Wenn es eine Applikation gibt, für die Galliumnitrid oder Siliziumkarbid prädestiniert ist und der gesellschaftliche Drive sozusagen ins Fahren kommt, können die Technologien massiv vorangetrieben werden. „E-Mobility kann ich mir hier gut vorstellen“, meint der UMS-Experte. Problematik: „Solange es keine entsprechende Gesetzgebung gibt, gibt es auch keine hohen Stückzahlen“, schränkt Mustafa Dinc ein.

Fazit

In der Leistungselektronik hat im Zuge von Themen, wie Energieeffizienz und Nachhaltigkeit die Reise hin zu Galliumnitrid und Siliziumkarbid begonnen. Allerdings geht sie noch sehr langsamen Schrittes vonstatten. GaN und SiC stellen zwar langfristig die Leistungshalbleitermaterialien der Zukunft dar, bisher sind allerdings die Gesamtsystemkosten zu hoch. Wann der endgültige Durchbruch kommen wird, kann derzeit noch niemand prognostizieren. Darüber hinaus ist anzumerken, dass Silizium noch längst kein altes Eisen ist – im Gegenteil. Man kann also abschließend sagen: Es wird eine Koexistenz beider Technologien geben und ab dem 600-Volt-Bereich ist Silizium nach wie vor nicht nur mit von der Partie, sondern zumindest aus Kostengründen noch in der Pole-position zu finden.

Abschluss-Statements einzelner Teilnehmer

Am Ende der spannenden Diskussion hatten die Teilnehmer Gelegenheit, ihr persönliches Fazit zu ziehen. Hier die Aufzeichnungen:

Mustafa Dinc, Vishay:

Dieter Liesabeths, Semisouth:

Daniele Kröll, ST Microelectronics:

Peter Friedrichs, Infineon:

Werner Riethmüller, NXP:

Rüdiger Quay, Fraunhofer IAF:

Erich Niklas, Cree:

 

(eck)

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