Modellbeschreibung der Validator und Controller innerhalb des Connected Layers.

(Bild: Kugler Maag Cie)

Wer sich Mobilität im Jahr 2030 vorstellt, hat selbstfahrende Autos vor Augen, die emissionsfrei durch unsere Städte surren. Das ist die Autowelt des Jahres 2017, gepaart mit innovativen Technologien. Mit der Umsetzung dieser Innovationen beschäftigen sich die F&E-Abteilungen bei Herstellern und Zulieferern intensiv. Sie verfügen über die nötige Erfahrung, neue Technologien ins Fahrzeug zu bringen.

Vom Produkt zur Dienstleistung

Infokasten

Digitale Dienste stellen die Autobranche auf den Kopf. Sowohl die Hersteller wie auch die Zulieferer müssen alle Geschäftsdimensionen gleichzeitig verändern. Die Veränderungen beginnen beim Geschäfts- und Ertragsmodell und reichen hin zur Produktarchitektur, der Prozessorganisation und der Aufbauorganisation. Am Beispiel der Elektronikarchitektur und den Anforderungen an eine konsequente Servicefähigkeit werden die Konsequenzen der digitalen Transformation deutlich.

Mit der zunehmenden Vernetzung hat allerdings eine neue Dimension in die Autobranche Einzug gehalten: digitale Dienstleistungen. Diese haben das Potenzial, die gesamte Branche auf den Kopf zu stellen. Denn das Grundgerüst der Autobranche ist seit jeher darauf ausgerichtet, Autos zu entwickeln und zu vermarkten. Alle Geschäftsdimensionen, vom Geschäftsmodell über die Aufgabenverteilung im Unternehmen bis zu dessen Struktur, sind auf das Ziel geeicht, Autos zu verkaufen, also physische Geräte. After-Sales-Dienstleistungen runden dieses Angebot lediglich ab.

Continuous Engineering heißt, ganzheitlich zu denken. BizDevOps sorgen dafür, dass die Dienste bis zum Ende der Nutzungsdauer der Modellreihe verfügbar bleiben.

Die Topologie des Connected Layer zeigt, wie die serviceorientierte Architektur zur Grundlage der digitalen Geschäftsmodelle wird. Kugler Maag Cie

Digitale Dienstleistungen folgen jedoch einer vollkommen anderen Geschäftslogik. Der Blick auf die Telekommunikation oder die Foto- und Musikbranchen zeigen, wie die digitale Transformation eingesessene Zweige und Anbieter verändert und auch verdrängt hat. Dem Automobilsektor steht mit der Dienstleistungsorientierung ebenfalls ein epochaler Umbruch bevor. Sind die Platzhirsche der Automobilindustrie darauf ausreichend vorbereitet? Die Dienstleistungsorientierung darf dabei nicht mit den bisherigen Technologiesprüngen verwechselt werden, bei denen die großen Hersteller souverän neue Technologien in ihre Fahrzeuge integriert haben.

Die Evolution des Autos, wie wir es heute kennen, könnte man ab der Nachkriegszeit in Epochen unterteilen: Beginnend mit dem „Kabel-Zeitalter“ der Wirtschaftswunderjahre, das Mitte der Neunziger Jahre durch das „Zeitalter der Steuergeräte und Datenbusse“ abgelöst wurde. Die Integrationsleistung der Ingenieure und Entwickler bestand darin, Software und mechatronische Systeme ins Fahrzeug zu bringen. Die Herausforderung gestaltete sich weitgehend als eine technische Aufgabe, die Transformation beschränkte sich hauptsächlich auf die Dimension der Fahrzeugarchitektur. Aus heutiger Sicht wäre das ein Spaziergang.

Alle Unternehmensbereiche sind betroffen

Mit der Connectivity gehen wir direkt ins „Service-Zeitalter“ über. In der Sandkastenphase vernetzten Autobauer vor allem Infotainment-Funktionen. Die nächste Stufe sind eigenständige digitale Dienstleistungen, die dann mehr als nur hippe Gimmicks sind. Mobilität und Dienstleistungen verschmelzen und die Services avancieren zum integralen Bestandteil der Geschäftsmodelle der Autobauer. Dabei ist es unerheblich, ob der Dienst unmittelbar zum Erlös beiträgt oder kostenlos zur Verfügung steht, um das Gesamtangebot attraktiver zu gestalten.

Die digitalen Dienstleistungen definieren die Spielregeln der Branche neu, was dazu führt, dass sich auch die Geschäftsgrundlagen für die etablierten Anbieter verändern. Diese „Revolution“, wie der Verband der Automobilindustrie (VDA) den Wandel auch nennt, besteht darin, dass sich alle Geschäftsdimensionen gleichzeitig ändern, nicht nur die Technikseite wie beim selbstfahrenden Auto. Denn serviceorientierte Geschäftsmodelle funktionieren in der Praxis nur, wenn sie auf einer leistungsstarken Systemarchitektur aufsetzen können. Eine aufgabenorientierte Prozessorganisation muss diese wiederum entwickeln und pflegen. In der Organisation liegt der Schlüssel zur Dienstleistungsfähigkeit, insbesondere in der Kultur und Kommunikation. Im Kern geht es bei der Digitalisierung darum, ein Unternehmen so aufzustellen, dass es die neue, dienstleistungsgetriebene Geschäftslogik erfüllen kann.

Ein Konzept, um diese Geschäftsdimensionen zu synchronisieren, ist das so genannte BAPO-Modell. Dieses betrachtet, ausgehend von der Strategie, folgende Dimensionen:

  • Geschäftsmodell (Business)
  • Angebotsprogramm-, Produkt- und Systemarchitekturen (Architecture)
  • Ablauforganisation (Process)
  • Aufbauorganisation und Unternehmenskultur (Organization).

Das Modell hilft, ein komplexes Unterfangen wie etwa ein Unternehmen als aufeinander aufbauendes Zwecksystem zu verstehen. Ändert sich die Ausgangslage, also die Strategie oder die Geschäftsmodelle, müssen die anderen Dimensionen neu konfiguriert werden. Gleichzeitig veranschaulicht das Modell, weshalb die Transformation durch digitale Dienstleistungen tatsächlich revolutionär ist und nicht auf der Architektur- oder Technikebene alleine gemeistert werden kann.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, wie man neue, digitale Geschäftsmodelle umsetzt.

Digitale Transformation: Aber wie?!

Es wimmelt inzwischen von Studien zur digitalen Transformation. Die meisten beschäftigen sich mit den Potenzialen der Digitalisierung und versuchen, Chancen für künftige Investitionen zu berechnen oder Risiken für das etablierte Geschäft zu beziffern. Das ist wichtig, um zu wissen, wohin die Reise gehen kann und um die Wucht der Veränderung zu begreifen. Unbeantwortet bleibt dabei jedoch die entscheidende Frage: Wie kann ein etabliertes und bislang erfolgreiches Unternehmen die mehrdimensionale Veränderung bewältigen und sich also gewissermaßen neu erfinden?

Mögliche Antworten liefert eine Managementbefragung, welche das Beratungsunternehmen Kugler Maag Cie unter E/E-Entscheidern durchgeführt hat: Der Report Software Drives. Digital Capabilities for Automotive Innovators 2030 hat auf der Basis der intensiven Befragungen Anforderungen an die Fähigkeiten definiert, die für die Dienstleistungsfähigkeit erforderlich sind.

Das Auto wird zum Teil des Internets

Connectivity, also die Anbindung des Autos an das Internet, reicht in einem dynamisch-vernetzten Umfeld nicht mehr aus. Wenn das Fahrzeug selbst dienstfähig werden soll, muss das Auto auch zu einem Bestandteil des Internets der Dinge werden. Diese neue Rolle als aktiver Datenknoten erfordert eine neue Fahrzeugarchitektur. Diese muss zwei widersprüchliche Aufgaben erfüllen: Zum einen muss die Fahrzeugarchitektur die Öffnung sowie Vernetzung ermöglichen und zum anderen die Anforderungen von Security und funktionaler Sicherheit absichern. Als Lösungsweg zeichnet sich eine duale Schichtenarchitektur ab, die diese entgegenlaufenden Anforderungen adressiert. Die Belange von Security und Safety werden dabei im Physical Layer verortet, Komfortfunktionen im Connected Layer. Diese Schichtenarchitektur wurde intensiv im 2015 erschienen Vorgängerreport zur Managementstudie Software Drives 2030 diskutiert (Automobilelektronik 07-08/2015; infoDIREKT 309ael0815).

In dieser Schichtenarchitektur von übernehmen virtuelle Maschinen verschiedene Funktionen auf der Ebene der Core Nodes.

In dieser Schichtenarchitektur übernehmen virtuelle Maschinen verschiedene Funktionen auf der Ebene der Core Nodes. Kugler Maag Cie

In Bezug auf die für digitale Geschäftsmodelle nötige Serviceorientierung basiert der Connected Layer auf einer serviceorientierten Architektur. Diese steht konträr zur heute üblichen, hoch spezialisierten Komponenten-Architektur: Bislang entwirft der Hersteller ein Fahrzeug und gliedert dieses dann in Komponenten, die von den Zulieferern entwickelt werden. „Die Zukunft sieht anders aus“, erläutert Bonifaz Maag, geschäftsführender Gesellschafter von Kugler Maag Cie: „Kein Hersteller kann sein Fahrzeug mehr vorab vollständig spezifizieren. Das eigentliche Auto ist mit Back-end-Services, Rechenzentren und der Telekommunikations- und Verkehrsinfrastruktur verbunden.“ Zu erwarten ist eine neue Topologie in Baureihen, die ab dem Jahr 2023 auf den Markt kommen werden.

Innerhalb des Connected Layers befinden sich Knotenpunkte, die auf kostengünstiger Standard-Hardware basieren. Während die Funktionalitäten des Systems sich über die Nutzungsdauer des Fahrzeugs ändern können, bleibt die Hardware konstant. Funktionen und Erweiterungen werden per Software bestimmt. Weil niemand weiß, welche zusätzlichen Funktionen künftig gefragt sind, muss die Hardware ausreichend freie Kapazität bieten. Diese horizontale Erweiterbarkeit ist, neben der Update-Fähigkeit, die essenzielle Voraussetzung für digitale Dienstleistungen. Denkbar sind beispielsweise Knoten, auf denen eine Armada virtueller Maschinen zum Einsatz kommt. Funktionale Anforderungen wie etwa Leistungsparameter bestimmen die Anzahl der virtuellen Maschinen und legen fest, wie viele Instruktionen per Sekunde sie bewerkstelligen müssen.

Aufmerksamkeit verdient dabei der Core Node. Dieser Knoten bildet die strukturelle Entsprechung zum Internet. Dadurch werden Dienste erleichtert, die in der Remote-Struktur außerhalb des Fahrzeugs angesiedelt sind. Insbesondere das Problem der Integrationstiefe von Diensten wird damit gelöst, weil so die HMI-Schnittstelle zwischen dem Anwender und der Maschine Funktionen friktionsfrei integrieren kann. Sowohl aus Usability- als auch aus Markensicht entsteht allerdings eine neue Herausforderung für die Hersteller: Wessen Nutzeroberfläche wird dem Anwender oder Fahrer präsentiert – die eines Internetkonzerns oder der Automarke?

Welche Veränderungen auf Entwickler und Ingenieure mit dem digitalen Wandel zukommen, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Neuer Rhythmus für Ingenieure und Entwickler

Die Zukunft der Entwicklung: Für die Entwicklung und Pflege von digitalen Services eignen sich BizDevOps-Teams besonders. Die cross-funktionalen Teams treffen selbstständig alle Entscheidungen.

Die Zukunft der Entwicklung: Für die Entwicklung und Pflege von digitalen Services eignen sich BizDevOps-Teams besonders. Die cross-funktionalen Teams treffen selbststständig alle Entscheidungen. Kugler Maag Cie

Mit der skizzierten Topologie der Fahrzeugarchitektur, insbesondere des Connected Layers, stehen die etablierten Autohersteller vor einer Herausforderung. Denn die Umsetzung der Servicefähigkeit auch auf der technischen Ebene verlangt andere Entwicklungsrhythmen. Bislang lässt sich die Entwicklung einer neuen Modellreihe in der Autobranche als aufwendige Projektarbeit veranschaulichen. Spätestens mit dem Produktionsstart wendet sich die Entwicklungsabteilung jedoch einer anderen Aufgabe zu. Denn mit der Stabübergabe an die Fabrik ist die Autoentwicklung abgeschlossen; nachträgliche Änderungen wie in der Software-Welt sind nicht vorgesehen.

Die digitale Servicewelt tickt hingegen vollkommen anders: Serviceanbieter erbringen Dienste in Echtzeit, wann und wo der Kunde es will. Die Serviceerbringung ist also ein 24/7-Job. Dazu müssen stets aktuelle Inhalte aufgespielt und Funktionen ergänzt oder erweitert werden. Damit endet der langjährige Entwicklungsrhythmus, den die E/E-Entwicklung bislang geprägt hat.

Stattdessen beginnt eine neue Zeitrechnung: der Einzug synchroner DevOps-Teams in der Automobilelektronik. Das Kofferwort charakterisiert die neue Aufgabe der Entwickler: das Verschmelzen von Entwicklung (Development) und Wartung (Operations). Ihr Auftrag ist, einzelne Dienste oder Funktionen komplettverantwortlich (initial) zu entwickeln und anschließend über die Nutzungsdauer der Fahrzeugreihe zu pflegen und weiterzuentwickeln. Damit ändert sich der Rhythmus der Ingenieure und Entwickler von einer Projektorganisation hin zu einem synchronen, kontinuierlichen Arbeiten, gewissermaßen Continuous Engineering.

Die DevOps-Teams sind für ihren Dienst oder ihre Funktion verantwortlich. Es agiert ähnlich wie ein selbstständiges Unternehmen unter dem Dach des Großunternehmens. Dementsprechend sind diese Teams interdisziplinär aufgestellt und vereinen viele Blickwinkel und Kompetenzen: von den Software- und Mechatronik-Domänen bis zur Betriebswirtschaft. Denn durch ihre unmittelbare Nähe zu den Kunden und Nutzern des Dienstes sind sie die ersten, die sehen, wo der Dienst verbessert werden muss oder wie die Funktion für den Kunden attraktiver gestaltet werden kann. Dazu gehört auch die Berechtigung, Kooperationen mit Partnern außerhalb des eigenen Unternehmens einzugehen, beispielsweise mit Start-ups und branchenfremde Spezialisten. Diese fordern eine Kooperation auf Augenhöhe. Die hierarchische Tier-Struktur hat ausgedient. Denn echte Innovationen entstehen im digitalen Zeitalter meist an der Schnittstelle verschiedener Branche. Bei der Umsetzung kommt es auf schnelle Lösungen an. Hier sind innovative Vertragsgestaltungen gefragt, beispielsweise per Blockchain.

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Continuous Engineering heißt, ganzheitlich zu denken. BizDevOps sorgen dafür, dass die Dienste bis zum Ende der NUtzungsdauer der Modellreihe verfügbar bleiben. Kugler Maag Cie

Dieser ganzheitliche Ansatz einschließlich des Businessaspekts lässt sich als BizDevOps-Teams charakterisieren. Diese Teams sind direkt auf die Aufgabe ausgerichtet, auf den jeweiligen Dienst und den Nutzen, den die Funktion dem Kunden bietet. Sie sind also das Bereichssilo, das für Großkonzerne von heute typisch ist.

Die Dienstleistungsfähigkeit fordert die Autobranche auf ganzer Linie – sie muss lernen, die Basis für kontinuierliche Dienstleistungen zu schaffen, anstatt im Projektrhythmus zu denken. Dabei steht das gesamte Geschäft auf dem Prüfstand: von den Geschäftsmodellen über die Systemarchitektur bis zur Ablauf- und zur Aufbauorganisation. Das macht die digitale Transformation einzigartig und zu einer Herausforderung, für die es keine Vorbilder gibt. Der Schlüssel zum Wandel liegt weniger in der Technik. Er ist eine Kulturfrage.

Den vollständigen Report zur Managementstudie gibt es auf der Homepage von Kugler Maag Cie.

(prm)

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