Der Xtremtouch als Basissystem.

Der Xtremtouch als Basissystem.Citron

Den Wunsch, um nicht zu sagen die Forderung nach Multitouchfunktionalität, haben die Menschen von ihren Smartphones gelernt. Inzwischen übertragen sie ihn in fast alle Bereiche des privaten und auch des beruflichen Lebens. Das in Augsburg ansässige Unternehmen Citron stellt sich dieser Herausforderung seit 1991. Seitdem stellt es Infrarot-Touchscreens her; im Jahr 2008 war der erste echte Multitouch auf Infrarotbasis Realität. Den Entwicklern des Unternehmens war schon damals klar, dass sie mit der Innovation einen Vorsprung von längstens vier Jahren gegenüber der weltweiten Konkurrenz haben würden. Folglich überlegten sie, wie im Bereich interaktiver Eingabesysteme, ein innovatives Produkt entstehen könnte.

Touch me softly

Multitouchfunktionalität liegt im Trend. Von der Touchfunktion einer Diagonale von 46 Zoll stiegen die Möglichkeiten des realisierbaren bis zum größten derzeitigen IR-Multitouch, der auf einer Fläche von 10 x 2,5 m Berührungen verzeichnet. Nicht zu vergessen ist, dass eine gute Hardware auch eine zugehörige Software benötigt. Gut wenn alles von einem Unternehmen stammt.   

Wie so oft kam hier ein Zufall ein wenig zu Hilfe. Diesmal in Gestalt einer Anfrage, ob Citron eine Fläche aus zehn Monitoren mit einer Diagonale von 46 Zoll (116 cm) mit Touchfunktion ausstatten kann. Die Hürde lag in der großen Fläche. Basierend auf der damals bereits bestehenden Multitouch-Technologie entstand innerhalb kurzer Zeit die Regio Wall, die Passanten seit 2011 im Touristenzentum am Bahnhof in Stuttgart nutzen und bewundern können.

Mit diesem Projekt wurde klar, dass Bedarf für interaktive Flächen vorhanden ist und auch steigt. Zum Beispiel in Museen, auf Messen, in Konferenzräumen oder Schulungszentren. Allerdings musste Citron die Probleme Fertigbarkeit, Lagerung, Versand und Montage für große Installationen lösen. Nach Abwägung der relevanten Randbedingungen kam beim Multitouch-System ein modularer Aufbau zum Tragen. Das System, so wie es sich heute darstellt, ist in der Lage, eine Fläche von beispielsweise  8 x 3 m zuverlässig touchbar zu gestalten. Darüber hinaus lassen sich bis zu acht Touche miteinander verbinden, so dass interaktive Flächen in Abmessungen bis 40 x 6 m entstehen.

Infrarot clever eingesetzt

Prinzipiell handelt es sich bei einem Infrarot-Multitouch um einen Lichtvorhang, den man vor einer Fläche aufspannt. Eine Elektronik erkennt die unterbrochenen Lichtstrahlen und die Treibersoftware errechnet daraus die Position des Berührpunkts. Bei geeigneter Wahl der Lichtwege lassen sich so bis zu 32 Berührpunkte unterscheiden.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Touch auf einer Profilschiene zu montieren.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Touch auf einer Profilschiene zu montieren.Citron

Das Xtremtouch-System besteht aus Sensorelementen, den so genannten Xtrembricks. Diese enthalten sowohl die Infrarot-Sendedioden, als auch die Empfängerelemente. Die benötigten Bricks lassen sich elektrisch über einem Ringbus zusammenschließen und über ein Interface mit der Bezeichnung Xtremboxvia-USB mit einem Rechner verbinden. Auf dem Rechner läuft die von Citron entwickelte Treiber-Software, welche letztendlich die Berührpunkte berechnet und die Informationen über verschiedene Software-Schnittstellen an das Betriebssystem beziehungsweise die Anwendungssoftware weitergibt.

Der Unendlichkeit begegnen

Untersuchungen haben gezeigt, dass es für die Vielzahl der am Markt erhältlichen Monitorgrößen kein gemeinsames Raster gibt, welches alle Größen von Monitoren und Videowänden optimal abdeckt. Daher wählten die Entwickler einen pragmatischen Ansatz, der die konkreten Monitorgrößen nicht berücksichtigt. Die Größe der bereits vorhandenen Multitouch-Elektronik blieb bestehen, so dass sich durch das Verwenden existierender Baugruppen sowohl in der Entwicklung als auch der Fertigung Syngergieeffekte nutzen lassen.

Die Xtremtouch-Bausteine gibt es in verschiedenen Abmessungen.

Die Xtremtouch-Bausteine gibt es in verschiedenen Abmessungen.Citron

Als Ergebnis weist das Xtremtouch-System ein Basisraster von 296 mm auf. Entsprechend gibt es die Xtrembricks in den Größen von 295, 591 und 1183 mm. Zwischen den Bricks beträgt der Montagespielraum jeweils 1 mm – bei den als Zielapplikation angestrebten großen Videowänden und Projektionsflächen gleichen sich die Fehlanpassungen ohnehin meistens aus. Außerdem lässt sich das Xtremtouch-System flexibel konfigurieren, so dass Citron für nahezu jede Aufgabenstellung eine passende Variante umsetzen kann. Zur mechanischen Befestigung der Xtrembricks untereinander und auch mit der Rückwand beziehungsweise der Unterkonstruktion sind M5-Gewinde an den Seiten des Bricks vorhanden.

Die Verfügbarkeit sichern

Die elektrische Verbindung der Xtrembricks untereinander erfolgt über einen differenziellen Ringbus, der zusammen mit der 24-V-Versorgungsspannung über jeweils zwei Standard-Kat.6-Ethernet-Kabel läuft. Aus Gründen der Verfügbarkeit fiel die Wahl an dieser Stelle bewusst auf ein handelsübliches Kabel; dafür nahm man den Einsatz eines Kabelpaares in Kauf. So lässt sich beim Aufbau eines Xtremtouch-Systems weltweit problemlos und schnell Ersatz beschaffen, falls einmal ein Kabel beschädigt ist oder verloren geht. Falls RJ45-Leitungen aus ästhetischen Gründen oder wegen Vandalismusgefahr ausscheiden, besteht die Möglichkeit den Ringbus über verdeckt geführte Flachbandleitungen zu schließen. Allerdings steigt in diesem Fall der Montageaufwand.

Durch die rundum im Sensorrahmen angeordneten Sende- und Empfangselemente arbeitet das System redundant und robust gegenüber Störungen an einzelnen Punkten: Laut Citron gibt es hier keinerlei Fehlerquellen (Single Point of Failure). Ebenso ist dadurch eine aktive Erkennung und Unterdrückung von Blitzlichtern möglich, was insbesondere auf Messeständen einen positiven Faktor darstellt.

Es gibt noch weitere interessante Eigenschaften mit denen sich die Xtremtouch-Systeme ausstatten lassen. Dazu zählen die Option eine frontseitige Wasserdichtigkeit zu erzielen, ihre Toleranz gegenüber falsch gesteckten Busleitungen oder ihre integrierten Diagnosemöglichkeiten.

Das Konfigurationstool lässt sich einfach bedienen.

Das Konfigurationstool lässt sich einfach bedienen.Citron

Intelligente Software

Um die Flexibilität des Xtremtouch-Systems für den Anwender beherrschbar zu gestalten, gibt es das intuitiv bedienbare Konfigurationstool Xtremconfig, welches ebenfalls von Citron kommt und das das Unternehmen kostenlos zur Verfügung stellt. Der Anwender teilt dem Programm lediglich die Größe der gewünschten touchbaren Fläche mit und erhält daraufhin eine Grafik, welche den Aufbau des Systems zeigt. Es bestehen zwei Möglichkeiten, die Informationen in das System einzugeben:

  • der Betreiber gibt die Größe in der Einheit Millimeter an oder
  • der Betreiber spezifiziert die Anzahl der Monitore in X- und Y-Richtung.

Passt die konfigurierte Variante zu den Wünschen des Anwenders, so startet die Simulation eines kompletten Systems. Im Ergebnis erhält der Kunde die zu erwartende Auflösung des Touch-Systems, eine Konfigurationsdatei für den Treiber, eine Stückliste und eine detaillierte Aufbauanleitung für sein eigenes individuelles Xtremtouch-System.

Abgespeckt für besseres Handling

Um die Konfiguration des Xtremtouch-Systems für den Kunden einfach und verständlich zu gestalten sind mit dem Xtremconfig-Tool bewusst nur die gebräuchlichsten Aufbautopologien (Rahmen und Streifen) implementiert. Benötigt der Systementwickler eine davon abweichende Topologie, so ist diese in den meisten Fällen durchaus realisierbar.

Die Software-Topologie des Xtremtouch-Systems

Die Software-Topologie des Xtremtouch-SystemsCitron

Insbesondere die großen Videowänden setzen oftmals mehrere Rechner ein, um den Bildinhalt zu erzeugen. Der von Citron entwickelte und gepflegte Treiber Citmuto03 erlaubt es daher, die Touch-Ereignisse über das Netzwerk flexibel auf mehrere Rechner zu verteilen. Dabei kann auch eine gemischte Betriebssystemumgebung zum Einsatz kommen: Der Treiber steht sowohl für Microsoft Windows als auch für Linux zur Verfügung.

Die Touch-Ereignisse verteilt das TUIO-Protokoll; im letzten Schritt erfolgt die Verarbeitung entweder direkt von der Kundenapplikation oder als Übergabe der virtuellen HID-Device an das Betriebssystem.

Citron fertigt und erstellt sowohl die Hard- als auch die Software selbst: Sollte der Kunde eine bestimmte, vom vorhandenen Standard abweichende Lösung benötigen, so lohnt sich daher eine Anfrage in Augsburg. In der Regel lässt sich im direkten Gespräch mit den Entwicklern eine Lösung erarbeiten. Das Unternehmen hat seine Wurzeln in der Industrieelektronik und setzt auf Qualität und Langlebigkeit der Produkte.

Der gewölbte Xtremtouch auf der IAA 2013.

Der gewölbte Xtremtouch auf der IAA 2013.Citron

Einfach gut angepasst

Die Xtremtouch-Elemente sind variabel im Aufbau; es ist keine übermäßige Präzision beim Aufbauen und dem Ausrichten der Xtrembricks erforderlich. Solange die Module auf zirka 3° genau zueinander ausgerichtet sind, funktioniert das System bereits. Dies hat sich in der Praxis bei realisierten Systemen bewährt. Dank dieser Toleranz lassen sich auch ungewöhnliche Designs umsetzen, zum Beispiel der VW-Stand auf der IAA 2013 in Frankfurt am Main. Hier konnten die Messebesucher erstmals eine gebogene Touchfläche mit ungefähr 5 x 3 m Abmessung bestaunen.

Der Xtremtouch des Fernsehsender Al Jazeera in  Doha, Katar.

Der Xtremtouch des Fernsehsender Al Jazeera in Doha, Katar.Citron

Seine Flexibiltät konnte das Xtremtouch-System inzwischen auch weltweit beweisen. Änderungen der Systemgeometrie lassen sich selbst noch auf der Baustelle durchführen, wie es sich bei den beiden Touch-Systeme in den Sportstudios von Al Jazeera in Katar zeigte. Hier konnte der Xtremtouch auch mit Toleranz gegenüber Fremdlicht, wie den Studioscheinwerfen punkten.

Der Größte seiner Art

Das dereit größte Xtremtouch-System ist ebenfalls auf der arabischen Halbinsel zu finden. Im Sommer 2013 nahm man an der King Abdullah Universität in Thuwal (K.A.U.S.T), Saudi-Arabien, eine 10 x 2,5 m große Touchwand erfolgreich in Betrieb.

Das bisher größte Xtremtouch-System befindet sich in der King Abdullah Univeristät in Thuwal, Saudi-Arabien.

Das bisher größte Xtremtouch-System befindet sich in der King Abdullah Univeristät in Thuwal, Saudi-Arabien.Citron

Von Citron angelernte Monteure baueten sie innerhalb von zwei Arbeitstagen auf. Bei einem Xtremtouch ist die Größe zwar eventuell entscheidend, aber bei weitem nicht alles. Die Ingenieure in Augsburg hatten bei der Entwicklung des Systems mehr als nur die schiere Größe im Kopf. Und die Entwicklung geht weiter – auf zu großen Zielen.

Thomas Thanner

ist Manager im System Development bei Citron in Augsburg.

(rao)

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