In den Medien und auf Vorträgen zu Industrie 4.0 werden vorwiegend Techniken und Konzepte für die Fertigungsautomatisierung vorgestellt. Ein Werkstück bestimmt beispielsweise selbst, welche Fertigungsschritte es auf welchen Maschinen durchlaufen soll. Denn die dazu nötigen Maschinen in der Fertigung wissen, was sie können und wie sie ausgelastet sind, und bieten dem Werkstück dementsprechend ihre Dienste an. ‚Schwarmintelligenz‘ und ‚Losgröße 1‘ sind weitere Begriffe, die in diesem Zusammenhang oft fallen. Ziel ist eine sich selbstorganisierende, selbstoptimierende, extrem flexible Fertigung, die schnell und wirtschaftlich rentabel auf individuelle Kundenwünsche eingehen kann. Aber passen diese Konzepte auch zur prozesstechnischen Industrie? Hier werden teilweise riesige Anlagen gebaut, die auf die Produktion nur weniger oder auch nur eines einzigen Produktes spezialisiert sind. Kundenspezifische Abwandlungen, flexible Produktionswege oder gar Ein-Stück-Serien kommen so gut wie gar nicht vor und lassen sich auch nur schwer umsetzen.

Auch wenn die Modelle der Fertigungstechnik nicht so recht auf die prozesstechnische Industrie passen, so gibt es doch Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen geht es um die Digitalisierung der Produktion und die Integration über das Internet. Diese Datenintegration betrifft alle Ebenen eines Unternehmens, sowohl in fertigungstechnischen als auch verfahrenstechnischen. Vertikal geht diese Integration vom Feldgerät in der Produktion bis hoch zum ERP-System (Enterprise Resource Planning), horizontal durch die gesamte Wertschöpfungskette vom Rohstoff-Lieferanten bis zum Endkunden und beim Engineering von der ersten Planungsphase einer Anlage und deren Vernetzung bis zur Stilllegung. Ein Ziel von Industrie 4.0 ist nun, Informationen dieser drei Achsen – vertikal, horizontal und planungsbezogen – zu integrieren und miteinander zu verknüpfen.

Verschiedene Teilsysteme intelligent zu verknüpfen, vom ERP-System über die Bedien- und Steuerungsebene bis in die Feldebene, ist für die Funktionalität und die Effizienz einer Anlage entscheidend.

Verschiedene Teilsysteme intelligent zu verknüpfen, vom ERP-System über die Bedien- und Steuerungsebene bis in die Feldebene, ist für die Funktionalität und die Effizienz einer Anlage entscheidend.Endress+Hauser

Vertikale Integration – Automatisierung und IT wachsen zusammen

Verschiedene Teilsysteme intelligent zu verknüpfen, vom ERP-System über die Bedien- und Steuerungsebene bis in die Feldebene, ist für die Funktionalität und die Effizienz einer Anlage entscheidend. Oft sieht die Realität aber anders aus. Geschlossene Systeminseln, fehlende Schnittstellen und viele manuelle Datenübergaben – und somit potenzielle Fehlerquellen – prägen das Bild. Diese entkoppelten Systeminseln lassen sich mit dem Konzept der Business Process Integration (BPI) von Endress+Hauser zu einem Gesamtsystem mit durchgängigem Datenfluss verbinden. BPI agiert dabei als Vermittlungsschicht (Middleware) unterhalb der Teilsysteme und bildet somit eine gemeinsame Plattform für den Datenaustausch zwischen den Systemen.

Ein Kalibriervorgang als Beispiel: Das ERP-System, zum Beispiel SAP, erstellt einen Kalibrierauftrag. Statt diesen auszudrucken, wird dieser Auftrag an die BPI-Software gesendet. Sie erkennt diesen als Kalibrierauftrag, routet entsprechend auf das Kalibrationsmanagement-System Compucal von Endress+Hauser, übersetzt und formatiert die Daten in eine für das Zielsystem lesbare Form und versendet diesen Auftrag. Nach der Kalibrierung werden die Kalibrierdaten wieder an BPI zurück gesendet. Die Middleware erkennt diese Daten als Kalibrierdaten, bereitet die Daten für jedes Zielsystem auf und sendet sie weiter. Das SAP-System erhält so die Daten, um den Auftrag zu aktualisieren, das Asset Management trägt das Ereignis für den Audit Trail ein und der Service-Server aktualisiert die Key Performance Indicator (KPI) – alles ohne äußere Eingriffe. Weil so Daten nicht mehr manuell von einem System ins andere konvertiert werden müssen, entfallen die Kosten für die dafür benötigten Komponenten oder für den zusätzlichen Arbeitsaufwand durch Datenredundanz oder Doppelarbeiten.

Ein barrierefreier Datenfluss eröffnet neue Möglichkeiten. Ein Beispiel ist die genaue Diagnose des Messgeräts, auf dessen Basis automatisch vorbeugende Wartungsmaßnahmen oder Kalibrieraufträge angestoßen werden können. Auch eine Verwaltung der Feldgeräte einer Anlage mit automatischen Datenbankeinträgen bei Ereignissen wie Reparatur oder Kalibrierung ist möglich.

Nur auf Basis von aktuellen und transparenten Bestandsdaten entlang der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich Planung und Nachschubprozesse den Marktanforderungen anpassen.

Nur auf Basis von aktuellen und transparenten Bestandsdaten entlang der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich Planung und Nachschubprozesse den Marktanforderungen anpassen.Endress+Hauser

Horizontale Integration – durchgängige Kommunikation in der Wertschöpfungskette

Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens lässt sich durch die Wahl der Bestandsstrategie oft signifikant beeinflussen. Hohe Bestände ermöglichen einen hohen Lieferservice, bedeuten aber auch höhere Kosten für die Lagerhaltung. Umgekehrt senken niedrige Bestände die Kosten, steigern jedoch das Risiko den Lieferservice nicht erfüllen zu können. Während die Firmen sich um die richtige Balance ihrer Lagerbestände bemühen, werden sie gleichzeitig mit sich ändernden Kundenbedürfnissen, wie zunehmender Diversität und volatilem Bedarf, konfrontiert. Um die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, bedarf es deswegen kontinuierlich verbesserter Abläufe. Nur auf Basis von aktuellen und transparenten Bestandsdaten entlang der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich Planung und Nachschubprozesse den Marktanforderungen anpassen. Sind diese Daten nicht hinreichend bekannt, müssen höhere Sicherheitsbestände dies kompensieren. Eine genauere Verbrauchsvorschau auf Basis von aktuellen Bestandswerten und bereits geplanten Materialbewegungen ist also der Schlüssel, um Bestände zu reduzieren und gleichzeitig den Lieferservice zu verbessern.

Verlässliche Messtechnik ist die Basis für optimierte Lagerhaltung und Lieferprozesse. Bei der Kommunikation der Messdaten setzt Endress+Hauser auf Internet-Technik: Die lokale Datenübertragungseinheit Fieldgate mit integriertem Webserver ermöglicht die weltweite Datenerfassung über private und öffentliche Kommunikationsnetzwerke. Ein normaler Internet-Browser reicht hierbei für die Bestandsdatenabfrage aus. Verschiedene Übertragungsarten wie Ethernet, Modem und GSM/GPRS lassen sich, je nach der vorhandenen Infrastruktur, beliebig kombinieren.

Die Fieldgates stellen nicht nur aktuelle Messwerte zur Verfügung, sondern bieten zusätzlich die Möglichkeit, die Gerätestatus zu überwachen, Informationen abzufragen und Daten direkt an eine übergeordnete Bestandsmanagement-Software wie Supplycare von Endress+Hauser zu übergeben. Supplycare ermöglicht vom Schreibtisch aus den Zugriff auf die aktuellen Füllstände in Tanks und Silos, wobei Anwender individuelle Warn- und Alarmgrenzbereiche aller angezeigten Bestandsdaten festlegen können. Mit der integrierten E-Mail-Funktion lässt sich schnell und unkompliziert Nachschub anfordern. Darüber hinaus stellt die Software Trends, historische Daten und Ereignisse dar und erlaubt die Verwaltung von Tanks, Tankgruppen, Kunden sowie Produkten. Mithilfe des Analysemoduls lassen sich außerdem Leistungskennzahlen berechnen und auswerten.

Würden Automatisierer und IT-ler eine gemeinsame Sprache sprechen, wären die Synergieeffekte im Engineering viel größer

Würden Automatisierer und IT-ler eine gemeinsame Sprache sprechen, wären die Synergieeffekte im Engineering viel größerEndress+Hauser

Durchgängiges Engineering – Anlagendaten rücken zusammen

Für ein durchgängiges Engineering dürfen die Bereiche Automatisierung und IT nicht getrennt betrachtet werden – sie müssen informationstechnisch zu einer Einheit verschmelzen. Damit eine Zusammenführung von Automatisierung und IT gelingt, müssen aber nicht nur deren Komponenten dieselbe Sprache sprechen, sondern auch die Entwickler. Das Problem: Automatisierer und IT-Programmierer setzen unterschiedliche Prioritäten. Steht in der IT Vertraulichkeit und Sicherheit von Daten an erster Stelle, ist für den Automatisierer das Thema Verfügbarkeit die Nummer 1. Diese unterschiedlichen Sichtweisen führen zu einer gewissen Skepsis der Entwickler gegenüber der jeweils anderen Welt. Würden Automatisierer und IT-ler eine gemeinsame Sprache sprechen, wären die Synergieeffekte im Engineering viel größer.

Bei Endress+Hauser findet diese enge Zusammenarbeit zwischen Automatisierung und IT bereits statt. Ein Beispiel hierfür ist die Implementierung von Life-Cycle-Konzepten bereits während der Planung einer Anlage. Denn während die Lebensdauerzyklen einer Produktionsanlage bei 20 bis 30 Jahren liegen, sind die IT-Zyklen wesentlich kürzer. So ist es in der IT üblich, rechtzeitig Update- und Migrationsstrategien zu entwickeln. Diese IT-Strategien wurden jetzt für die Produktionsanlagen und deren Komponenten übernommen. Das Ergebnis: das webbasierte Asset-Managementsystem W@M. Mit diesem System steht Projektierern und Anwendern eine Plattform für alle Prozesse in einem Tool zu Verfügung. Das A und O bei Industrie 4.0: der schnelle und zielgerichtete Zugriff auf die richtigen Daten zum Zeitpunkt des Bedarfs. Die webbasierten Werkzeuge Operations App für Smartphones, das W@M Portal oder W@M Enterprise liefern alle gewünschten Informationen und unterstützen den Anwender von der Anlagenplanung bis hin zur Instandhaltung der Betriebsmittel. So erfolgt beispielsweise die Auswahl, Auslegung und Verwaltung der Messtechnik zentral mit dem Applicator. Die resultierenden Daten werden anschließend in den Beschaffungsprozess übertragen, etwa in den Online Shop oder das ERP-System. Bei der Beschaffung ermöglicht das Portal ebenfalls eine direkte Konfiguration und Bestellung der Produkte und Ersatzteile, falls dies noch nicht über den Applicator realisiert wurde. Für Inbetriebnahme, Betrieb und Instandhaltung liefert das Portal dem Anwender vollständige Informationen und Dokumentationen zu allen Messgeräten, für Endress+Hauser-Produkte automatisch. Ein weiterer Helfer bei der täglichen Arbeit ist der integrierte Aktivitätenplaner. Er unterstützt das Anlegen und Verfolgen von Aufgaben, zum Beispiel Kalibrierung, Wartung oder Reparatur. Eine automatische E-Mail-Benachrichtigung sorgt dafür, dass nichts vergessen wird.

Wer den Status seiner Anlage kennt, kann eine proaktive Wartungsstrategie umsetzen und so Zeit und Geld sparen. Daraus resultieren eine effektive Überwachung der installierten Technik, eine erhöhte Anlagenproduktivität und -sicherheit sowie geringere Anlagenstillstände. Mit der Online-Verbindung zur Produktdatenbank erhalten die Kunden automatisch alle aktuellen Informationen über ihre Messgeräte, zum Beispiel Produktverfügbarkeit, Lebenslauf, Dokumentation, Kalibrierprotokolle oder Betriebsanleitungen.

Ralf Willmes

ist Marketingmanager Prozessautomatisierung bei der Endress+Hauser Messtechnik GmbH & Co. KG in Weil am Rhein.

(mf)

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Endress+Hauser (Deutschland) GmbH+Co. KG

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