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"Mit dem Selection-Tool konfiguriert der Planer sehr detailliert die I/O-Ebene – in fünf Minuten." Christian Dörner

Herr Brousek, als Produktmanager haben Sie schon mehrere Systeme aus der Taufe gehoben, alles inzwischen Routine?

Norbert Brousek: Ich bin wahrscheinlich der Kollege, der die I/O-Themen am längsten betreut, angefangen mit den S7-300 I/Os, den ET 200M bis hin zu den aktuellen Systemen wie der ET 200MP. Deren Entwicklung hat vor sieben, acht Jahren begonnen. Damals haben wir weltweit ungefähr 100 Kunden besucht und nach deren Anforderungen an die Verdrahtungstechnik befragt. Ein Kern­aspekt war dabei die Usability der Hardware. Das aufrastbare Schirmkonzept ist in den erwähnten Usability-Tests entstanden: Alle Elemente lassen sich aufschnappen. So ist die Schirmung in Sekunden und komplett ohne Werkzeug montiert. Übrigens: Das Kürzel ET steht für Electronic Terminal.

Anwender in wichtigen Zielmärkten befragen, ist das nicht Standard?

Norbert Brousek: Wir haben sehr viel mehr Aufwand getrieben. Beispielsweise sind wir mit Prototypen mehrmals zu Schaltschrankbauern gefahren und haben die Handhabung per Videoaufzeichnung analysiert. Wir haben beobachtet, ob und wo es beim Montieren und Verdrahten der Module noch hakt und dann die Unstimmigkeiten ausgemerzt. Das Ergebnis ist die ET 200MP, die in den zwei Jahren seit Liefereinsatz viel Akzeptanz im Markt gewonnen hat. Und die Schnittstelle zur Steuerung ist dann entweder die Profinet/Profibusanschaltung oder der Rückwandbus. Schließlich sollten beide Systeme für sich wettbewerbsfähig sein.

Christian Dörner: Das hat sich viel mehr vermischt. Früher gab es eine klare Trennung zwischen der zentralen Steuerung und ihren I/O-Baugruppen und dem dezentralen System. Mittlerweile gilt dieser Grundsatz nicht mehr.

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"Bei I/O-Modulen ist es wie bei Autos: Nach und nach sind alle Sonderfunktionen auch in den Standard-Baureihen verfügbar." Christian Dörner

Die Grenzen verwischen also.

Norbert Brousek: Absolut. Natürlich gibt es die ET 200MP mit Profibus- und Profinet-Kopf, wie bei der ET 200SP. Bei kleinen, verteilten Mengengerüsten wird man das MP-System nur selten einsetzen. Dieses kommt im Schaltschrank zum Einsatz und hat hier die Zeilenerweiterung der S7-300/400 abgelöst.

Gibt es eine Auswahlhilfe für die verschiedenen Systeme?

Christian Dörner: Eigentlich spielt der Platzbedarf die zentrale Rolle beim Projektieren. Das bilden wir im Online-Konfigurator ab. Im TIA-Selection-Tool bekommt der Planer die Abmessungen einer Station sowie die Abstände zu den Gehäusewänden angezeigt. Der Projekteur behält dadurch auch bei großen Mengengerüsten die Übersicht über seine Ein- und Ausgänge.

Norbert Brousek: Früher wurde bei der Konfiguration immer ­Modul für Modul gesteckt beziehungsweise ausgewählt. Dazu war praktisch eine komplette Vorplanung auf dem Papier notwendig. Inzwischen ist es umgekehrt. Der Projekteur braucht nur Eckdaten wie die Anzahl I/Os einzugeben und zu platzieren. Den Rest, alles was für die Module sonst noch benötigt wird, erledigt der Konfigurator automatisch. Das Mengengerüst reicht für eine prä­zise Planung. Mehr noch: Das Tool fragt auch die Schaltschrankbreite ab und fügt dann selbständig Erwei­terungen ein und verteilt die I/Os auf die einzelnen Zeilen.

Christian Dörner: Das Tool wird intensiv genutzt, da man schnell eine Kostenübersicht erhält. Zudem, viele können sich aus Zeitgründen gar nicht mehr mit solchen Detail-Planungen beschäftigen. Sie kennen das Mengengerüst und den Schaltschranktyp, benötigen aber eine präzise Kalkulation und Bestellliste. Mit dem Konfigurator ist das auch bei umfangreichen Projekten in fünf Minuten erledigt.

Norbert Brousek: Das Tool agiert ein Stück weit wie ein Expertensystem und verhindert, dass beim Bestellen etwas vergessen wird.

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"Die PWM-Ansteuerung kommt mit dem nächsten Firmware-Update." Norbert Brousek

Dieses Selection-Tool gibt es doch schon länger, welche Funktionen sind konkret hinzu gekommen?

Christian Dörner: Ein Zentraler Punkt ist die Anzahl der Komponenten. Früher beinhaltete der Konfigurator hauptsächlich I/O-Komponenten. Inzwischen sind unter anderem auch die Antriebs­technik, Visualisierung, Stromversorgung und Netzwerkkomponenten integriert. Damit wird das gesamte Totally-Integrated-Automation-Portfolio abgedeckt. Mit einem einzigen Konfigurator erhält der Anwender am Ende eine Liste, die er direkt für eine Bestellung in der Siemens Mall nutzen kann. Zusätzlich haben wir die Anlagenkonfiguration ergänzt, um schnell von einem Mengengerüst zu einem konkreten Angebot zu kommen.

Der Konfigurator ist doch eher Mittel zum Zweck. Was hat sich bei den Baureihen getan?

Christian Dörner: Bei der MP-Serie sind analoge Baugruppen in der schmalen, das heißt in der 25 mm breiten Bauform, dazu gekommen. Die Analog-Varianten haben wir um Mischbaugruppen mit sechs Kanälen, davon vier Eingänge und zwei Ausgänge, ergänzt.

Norbert Brousek: Ein weiterer Schwerpunkt bildet das Thema 230 V. Bislang gab es hier je achtkanalige Relais- und Triac-Baugruppe. Wir haben jetzt die Kanaldichte auf 16 erhöht, was Kostenstruktur und Platzbedarf eines Projekts positiv beeinflusst. Zudem ist die Potenzial-Trennung für jeden Kanal beziehungsweise jede Kanalgruppe einzeln realisiert. Somit lassen sich die Verbraucher beliebig auf die einzelnen Phasen verteilen. Das vermeidet Unsymmetrien im Netz. Bislang waren dazu mehrere Baugruppen notwendig, jetzt lassen sich die Phasen in einer Baugruppe beliebig mischen. In der Planung sind außerdem Weit­bereichsmodule, die Spannungen von 24 V bis 125 V erfassen und schalten können.

Wo liegen die Einsatzszenarien dieser Module?

Norbert Brousek: Typische Applikationen dafür sind zum Beispiel Stellwerke in der Bahntechnik oder die Kraftwerkstechnik mit 48 V. In diesen Branchen wird gerne mit höherer Spannung gearbeitet, da trotz Dezentralisierung immer noch lange Leitungen zu den Sensoren verlegt werden müssen. 125 V sind weit verbreitet bei Wasserkraftwerken, zur direkten Erfassung von Signalen an Turbinen sowie in regionalen Märkten wie Brasilien.

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"Der Microcontroller in jeder I/O-Scheibe ermöglicht uns, die Funktionalität flexibel zu skalieren." Christian Dörner

Spielt die Ansteuerung kleiner Motoren keine Rolle bei Ihren Überlegungen?

Christian Dörner: Natürlich spielt das bei uns auch eine Rolle, ein typischer Anwendungsfall ist die Pulsweitenmodulation. Zur PWM-Ansteuerung haben wir ein Firmware-Update für die ET 200MP in Vorbereitung, das die Digitalmodule ertüchtigt, 24-V-Antriebe bis maximal 2 A über PWM anzusteuern. Bei der ET 200SP ist dies seit April 2015 verfügbar.

ST, MP, AL und Eco, die Abkürzungen verwirren mich immer noch. Welche Bauformen verbergen sich dahinter?

Christian Dörner: Die Baureihe ET 200MP ist als Nachfolger der ET 200M das System für den zentralen Schaltschrank und zur direkten Anbindung an die Steuerungsfamilie der S7-1500. Egal ob die I/Os direkt an der SPS hängen oder über eine Anschalt­baugruppe, es sind dieselben I/Os. Mit der ET-200SP-Serie fokus­sieren wir auf den Serien­maschinenbau. Hier zählt ein geringer Platzbedarf zu den Schlüssel­faktoren. Demzufolge bauen die Module sehr kompakt und sind zudem feinmodular kombinierbar, um keinen Platz zu verschenken. Das ist die IP20-Welt. Nicht immer kann oder will der Anwen­der vor Ort einen Schaltkasten setzen, um die I/Os zu schützen. Hier kommt das IP67-System ET 200AL ins Spiel, das analog zur ET 200SP die gleichen Funktionen bereitstellt, was die Performance, Konfiguration und Programmierung sowie die Dia­gnose angeht. Im TIA-Portal merkt man keinen Unterschied. Wenn wirklich nur ein paar Eingänge irgendwo einzubinden sind, kommt die Stand-Alone-Variante ET 200eco PN ins Spiel. Mit ihrem Druckguss-Gehäuse, vertragen die Module auch Outdoor-Einsätze und direkte Sonneneinstrahlung. Und wer dann noch eine kleine Steuerung benötigt, greift auf die ET 200PRO-Version zurück.

Wo liegen die Schwerpunkte bei den Erweiterungen?

Christian Dörner: Neben dem höheren Spannungslevel liegt ein Schwerpunkt auf dem Thema Energie, Datenerfassung und Energiemanagement. Letzteres ist in Europa bereits sehr wichtig. Deshalb haben wir die Energiemessklemmen zuerst im Formfaktor ET 200SP und für 400 V aufgelegt. Über das I/O-Modul lässt sich die Energieerfassung mit erledigen und direkt mit der Steuerung auswerten. In Deutschland herrscht hierfür ein großer ­Bedarf wegen der Energie-Audits, die bis Ende des Jahres zumindest begonnen sein müssen. In Asien und Amerika gewinnt das Thema Energiedatenerfassung gerade an Bedeutung. Deshalb ziehen wir 690-V-Varianten im Formfaktor ET 200MP nach.

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"LWL liefert das Blitzschutzkonzept gewisser­maßen frei Haus." Norbert Brousek

Welche Funktionen liefern sie gleich mit?

Norbert Brousek: Neben der Auswertung von Strömen, Spannungen und Leistungen auch deren Aufsummierung sowie Templates für die Darstellung in unseren Comfort-Panels oder in ­einer übergeordneten Visualisierung.

Zählen die Energiemessmodule zu den High-Feature-Modulen?

Christian Dörner: Kurz zur Einordnung: Den Einstiegslevel bilden Basic-Module mit einer hohen Kanaldichte und Grundfunktionen. Die Standardmodule haben zusätzliche Diagnosefunktionen oder erweiterte Anwendungsbereiche wie 230-V-Relais-­Module oder die Energiemessmodule. High-Feature-Komponenten unterstützen eine detailliertere Diagnose, bei den digitalen Eingängen bis auf die Kanalebene sowie konfigurierbare Betriebs­arten. Beispiele der High-Feature-Baureihe sind Safety-Module, Wiegezellen, Namur- und Hart-Klemmen. Bei der MP-Serie sind die High-Feature digitalen I/Os sehr ­beliebt wegen der kanalgenauen Diagnose. Der Bediener wie auch der Instandhalter bekommt automatisch eine kanalgranulare Meldung und sieht anhand der LED sofort, an welcher Klemme die Störung anliegt.

Norbert Brousek: Diese Kanalstatusanzeige haben wir auch bei den Analogbaugruppen implementiert. Grün heißt Kanal aktiv, Rot zeigt sofort, wo man mit der Fehlerbehebung ansetzen muss. Das Ganze fügt sich natürlich nahtlos in die Systemdiagnose im TIA-Portal ein. Ohne eine Zeile Code in seinem Anwenderprogramm zu programmieren, aktiviert das TIA-Portal im Hintergrund sämtliche Systemmechanismen und zeigt die Statusinformationen gegebenenfalls auf einem Webserver oder dem HMI.

Diese Differenzierung zwischen Basisfunktionen und High-Feature, lässt sich das noch lange aufrecht erhalten?

Christian Dörner: Das verhält sich ähnlich wie bei den Fahrzeugherstellern. Anfangs sind die Spezialitäten nur in den Oberklasse-Fahrzeugen verfügbar. Nach und nach stehen die Features dann auch in den Basis-Baureihen zur Verfügung. Bei unseren Interface-Modulen war früher Safety nur bei High-Feature-­Modulen möglich. Das ist inzwischen auch in den Standard-Baugruppen verfügbar. Parallel dazu bekommen die High-­Feature-Komponenten immer wieder zusätzliche Funktionen. Bei den neuen Baureihen der ET 200 haben wir dazu die Voraussetzung geschaffen. Die Grundlagen hierfür sind ausreichend Rechenleistung und die passenden Bauteile.

Norbert Brousek: Eine wichtige Voraussetzung dafür ist Intelligenz im I/O-Modul. Dadurch müssen wir Funktionen wie die Diagnose nicht mehr zwingend in Hardware gießen. Vieles lässt sich inzwischen über die Firmware realisieren, zum Beispiel die Parametrierung der Eingangsverzögerungen. Die Elektronik in den Baugruppen ermöglicht uns, High-Feature-Funktionen zum Preis klassischer S7-300-Standardbaugruppen anzubieten.

Für die I/O-Module bietet Siemens nun auch Kopfmodule für Lichtwellenleiter an. Wo liegen deren Zielmärkte?

Norbert Brousek: Standardmäßig kennt man die Anschaltungen für Profinet mit RJ45-Verkabelung für Entfernungen bis 100 m. Das reicht für das Gros an Applikationen, aber eben nicht für alle. Dafür sind die LWL-Busadapter gedacht, die als Ergänzung zu den bisherigen POF-Anschaltungen Ende des Jahres verfügbar sein werden. Kieswerke mit ihrer ausgedehnten Fördertechnik, Kläranlagen, Wasseraufbereitung oder Windparks sind typische Applikationen mit weitläufig verteilten I/Os- oder Steuerungsknoten. Bislang wurde hier meist ein Medienkonverter von RJ45 auf LWL gesetzt – an jeder Station. Das fällt jetzt weg. Bei der optischen Übertragung sind die überbrückbaren Entfernungen wesentlich größer und die Potenzialtrennung beugt Schäden durch Blitzeinschläge vor. Generell liefert LWL das Blitzschutzkonzept gewissermaßen frei Haus mit. Und auch im Automobil-Rohbau mit seiner hohen EMV-Belastung hat LWL seine Vorteile.

Wie entwickeln sich denn die dezentralen Controller?

Christian Dörner: Wir sind mit den Controllern für die ET 200SP, der CPU 1510SP und CPU 1512SP seit gut einem Jahr am Markt. Die Namensgebung, angelehnt an die S7-1500-Serie, zeigt Kunden sofort, in welcher Performanceklasse sie sich mit den dezentralen Steuerungen bewegen. Zudem können sie Programme eins zu eins aus der klassischen S7-1500 Steuerungs­familie übernehmen.

Und die Sicherheitstechnik?

Christian Dörner: Die sicherheitsgerichtete Abschaltung ist ein spannendes Thema. Wir haben hierfür entsprechende SIL3-Baugruppen für die ET 200SP und die ET 200MP. Oft zeigt aber die Risikoanalyse einer Maschine, dass SIL2 vollkommen ausreichend wäre. Die lässt sich mit sicher abschaltbaren Ausgängen realisieren. Dafür haben wir spezielle Power-Module im Portfolio, bei denen sich die betriebsmäßigen Standard-Ausgänge nach SIL2 sicher abschalten lassen. Die Eingänge funktionieren trotzdem und erfassen nach der Auslösung eines Not-Aus weiterhin die Anlage. Und diese Funktion der ET-200SP-Baureihe steht Ende des Jahres dann auch für die ET 200AL zur Verfügung.

Norbert Brousek: Darüber hinaus steht bei der ET 200AL in IP67 eine weitere Ausbaustufe an. Bislang mit M8-Steckverbindern ausgerüstet, sind Versionen mit M12-Anschlüssen und bis zu 16 Kanälen geplant. Gleichzeitig erhöhen wir den zulässigen Ausgangsstrom auf 2 A, da viele Anwendungen entsprechende Aktoren benötigen. Natür­lich sind diese Features besonders interessant für eine Erwei­terung einer ET 200SP.

Christian Dörner: Das zeigt erneut die Wechselwirklung zwischen den Baureihen. Ohne eine gemeinsame Architektur wie sie Siemens mit dem TIA-Portal und der S7-Steuerungsfamilie auf­gesetzt hat, wären die Erweiterungen nicht so flexibel und nur mit wesentlich mehr Aufwand und Kosten umzusetzen.

Stefan Kuppinger

ist Chefredakteur der IEE.

(sk)

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