„Mit dem I/O-System 750 XTR kommen wir Anwendern mit extremen Anforderungen ein gutes Stück entgegen“, sagt Dr. Thomas Albers, Leiter Technik Automation von Wago.

„Mit dem I/O-System 750 XTR kommen wir Anwendern mit extremen Anforderungen ein gutes Stück entgegen“, sagt Dr. Thomas Albers, Leiter Technik Automation von Wago.Redaktion IEE

Herr Dr. Albers, Ihr zusätzliches System 750 XTR glänzt mit hohen Belastungswerten. Wer braucht so was?

Wir haben unser System in drei Kerneigenschaften gehärtet: Temperatur, Schock/Vibration und Spannungsfestigkeit. Der Verdopplung der Umgebungstemperatur-Bandbreite – bezogen auf den Standard-Temperaturbereich – wird überall dort benötigt, wo Steuerungssysteme direkt in Schaltkästen oder Verteilerschränken außerhalb von Gebäuden eingesetzt werden sollen und wegen Platzersparnis sowie aus Kostengründen auf eine separate Klimatisierung verzichtet werden soll.

Ebenso gibt es viele Anwendungen, die mit hohen Temperaturen arbeiten, Härtereien, Glasherstellung oder Aluminiumproduktion. Hier würden die Klimatisierungskosten überproportional steigen, je mehr gekühlt werden muss. Mit dem System 750 XTR kommen wir solchen extremen Anforderungen ein gutes Stück entgegen.

Insbesondere in der Energiebranche gibt es Projekte, bei denen eine höhere Spannungsfestigkeit und Störsicherheit der Hardware gefordert wird. Mit einer Verdopplung der Stoßspannungsfestigkeit und verbesserter Störsicherheit haben wir die richtige Antwort gefunden und erfüllen die Anforderungen der einschlägigen Fernwirk-Normen.

Die erhöhte Vibrationsfestigkeit bis 5 g und Schockfestigkeit bis 25 g dokumentiert darüber hinaus die hohe mechanische Belastbarkeit des Systems.

Die Werte einer Norm sind schlecht zu greifen. Was bedeutet die Widerstandsfähigkeit auf Situationen im Alltag übertragen?

Die Vibrations- und Schockfestigkeit ermöglicht beispielsweise den Einsatz des I/O-Systems 750 XTR in unmittelbarer Nähe zu stark vibrierenden Motoren, etwa einem großen Schiffsdiesel, in Baumaschinen oder auch im Schienenverkehr. Zur Veranschaulichung: Ein Formel-1-Rennfahrer ist in engen Kurven maximal 5 g ausgesetzt; Fahrgäste der schnellsten Holzachterbahn der Welt, des Colossos im Heide-Park Resort bei Soltau, kurzfristig bis zu 4,5 g. Die Serie 750 XTR verträgt diese Beschleunigungen dauerhaft.

Ein Einsatzszenario des robusten Automatisierungssystems 750 XTR ist die Montage in Standard-Schaltkästen.

Ein Einsatzszenario des robusten Automatisierungssystems 750 XTR ist die Montage in Standard-Schaltkästen.Wago

Was bereitete ihren Entwicklern mehr Kopfzerbrechen bei der Umsetzung, Schock oder Vibration?

Die größere Herausforderung war die Vibration bis 5 g gemäß Anforderungen der Schiffsklassifizierungsgesellschaften. Die verlangen eine Prüfung nach dem Resonanzfrequenzverfahren, bei dem nicht nur die Frequenzbereiche durchlaufen werden. Hier sind gezielt die Frequenzen zu ermitteln, bei denen sich die Schwingungen aufschaukeln. Anschließend erfolgt auf den beiden kritischsten Resonanz-Frequenzen der Vibrationstest für jeweils zwei Stunden. Und diese Prüfungen haben wir für jedes Modul durchlaufen.

Und wie liefen die Tests?

Unsere Entwicklung musste vereinzelt höher aufbauende Komponenten durch flachere Varianten ersetzen. Die Tests bestätigten ebenso unsere Überzeugung hinsichtlich der Stärke der Feder­klemmtechnik, die auf der Anschlussseite keinerlei Probleme bereitete. Insgesamt lässt sich aber sagen, dass die Erweiterung der Temperaturbandbreite von 55 K auf jetzt 110 K sowie die höhere Spannungsfestigkeit und Störsicherheit auch hinsichtlich Bauteilsuche und -auswahl in Summe mehr Aufwand verursachte.

Was war denn an den Modulen konkret anzupassen?

Bei fast allen Modulen waren umfangreiche Layout-Änderungen notwendig, um einerseits die Wärmeverteilung zu optimieren und andererseits die viel schärferen EMV-Anforderungen zu erfüllen. Darüber hinaus wurden Bauteile teilweise durch MIL-Komponenten ersetzt, die Leistungskontakte hartvergoldet und die Leiterkarten lackiert.

„Wir adressieren Marktbereiche, wo bislang überwiegend blockmodulare Systeme oder mit fester Backplane zum Einsatz kommen“, beschreibt Dr. Thomas Albers die Einsatzbereiche des Automatisierungssystems 750 XTR.

„Wir adressieren Marktbereiche, wo bislang überwiegend blockmodulare Systeme oder mit fester Backplane zum Einsatz kommen“, beschreibt Dr. Thomas Albers die Einsatzbereiche des Automatisierungssystems 750 XTR.Redaktion IEE

War es schwierig alle Bauteile für die erweiterten Umweltbedingungen zu bekommen?

Durchaus. Die Auswahl an Lieferanten ist deutlich dünner. An Stellen, wo kein entsprechendes Bauteil zu finden war, wurde die Schaltung überarbeitet, um die passenden Komponenten spezifizieren zu können.

Geht die höhere Arbeitstemperatur nicht zu Lasten der Lebensdauer? Schließlich sinkt die Lebensdauer von Elektronik mit steigenden Betriebstemperaturen deutlich.

Genau um diesem Effekt entgegenzuwirken, haben wir den Aufwand bei der Bauteil-Spezifikation betrieben. Die Wirkung von höheren Temperaturen auf die Lebensdauer eines Moduls hängt auch stark vom Layout ab. Unsere Berechnungen zur Lebensdauer der XTR-Module haben gezeigt, dass bei einem Temperaturhub von 20 auf 70 °C in etwa eine Halbierung der durchschnittlichen Lebensdauer eintritt. Somit ist der Effekt eher als moderat zu bezeichnen.

Wer oder Was gab den Anstoß zu dieser Entwicklung?

Auslöser war in erster Linie eine Zunahme von Kundenanfragen nach Freigabe definierter I/O-System-Konstellationen für ganz spezifische Einsatzbereiche. Entweder ging der bisherige maximale Temperaturbereich nicht weit ­genug oder es war eine höhere Spannungsfestigkeit und Störsicherheit gefordert.

Gibt es hinsichtlich der Funktionen Unterschiede zum Standard-System 750?

Für den Markteintritt zur Hannover Messe ertüchtigt wurde eine Auswahl von insgesamt 30 Modulen, darunter drei Controller- und drei Kopplervarianten. Dieses Portfolio wird natürlich ausgebaut. Handhabung und Programmierung sind identisch zum Standard-System 750.

„Wir haben mit dem I/O-System einen Benchmark gesetzt, an dem sich unsere Marktbegleiter messen lassen müssen“, ist sich Dr. Thomas Albers sicher.

„Wir haben mit dem I/O-System einen Benchmark gesetzt, an dem sich unsere Marktbegleiter messen lassen müssen“, ist sich Dr. Thomas Albers sicher.Redaktion IEE

Mit welchem Anteil der ruggedized Plattform rechnen Sie bei den Stückzahlen?

Als Grundlage für unsere Entwicklungsentscheidung hatten wir vor rund drei Jahren einen Anteil im unteren einstelligen Prozentbereich geschätzt – gemessen an der Gesamtzahl an I/O-Systemen, die Wago verkauft. Die ersten Marktreaktionen zeigen, dass wir hier eher konservativ waren.

Die Module sind durchschnittlich rund 40 % teurer als das Automatisierungssystem 750. Was rechtfertigt diesen Aufschlag?

Die Serie 750 XTR zielt auf Anwendungen, in denen Standardsysteme regelmäßig ausfallen. Damit sind wir in Marktbereichen, wo überwiegend blockmodulare Systeme oder solche mit einer festen Backplane zum Einsatz kommen. Diese Systeme spielen sowohl hinsichtlich Abmessungen als auch preislich in einer ganz anderen Liga. Hier sind wir bezüglich Platz- und Kostenersparnis mit der Serie 750 XTR die erste Wahl. Man kann es auch aus einer anderen Warte betrachten: Verdopplung der Umgebungstemperatur-Bandbreite und Verdopplung der Stoßspannungsfestigkeit bei durchschnittlich nur 40 % höherem Preis.

Was glauben Sie, wird die Konkurrenz nachziehen?

Wir haben mit dem I/O-System 750 XTR einen Benchmark gesetzt, an der sich unsere Marktbegleiter messen lassen müssen. Sicherlich wird es Bestrebungen geben, die Lücke wieder zu schließen. Aber auch wir ruhen uns nicht aus und investieren weiter in die XTR-Serie

Stefan Kuppinger

ist Chefredakteur der IEE.

(sk)

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