Im Alltag lesen wir oft irgendwelche Werte von Skalen, Displays und Monitoren ab und nutzen Geräte, um Messungen vorzunehmen. Dieser Vorgang ist uns mittlerweile so geläufig, dass nur wenige von uns sich einer ganz wesentlichen Tatsache bewusst sind: Es besteht praktisch keine Chance, dass die von uns abgelesenen Werte auch tatsächlich der Wirklichkeit entsprechen.

Aus verschiedenen Gründen unterliegt jede Messung, das heißt das Feststellen eines Wertes einer physikalischen Größe, Fehlern. Eine experimentelle Messung lässt sich  daher nur korrekt interpretieren, wenn sie mit einem geschätzten möglichen Fehler verbunden wird, beispielsweise ‚Dieses Rohr hat einen Durchmesser von 10 cm ±0,5 mm‘. Diesen Schätzwert bezeichnet man als Messunsicherheit. Bei Tätigkeiten im Alltag sind die Auswirkungen einer solchen Unsicherheit vernachlässigbar. In einer Industrieumgebung sieht dies jedoch ganz anders aus. „Um in verfahrenstechnischen Anlagen die richtigen Entscheidungen treffen zu können, muss man lernen, seine Messungen anzuzweifeln“, stellt Dimitri Vaissière, Produktmanager Metrology & Optimization Services bei Endress+Hauser, fest.

Kleine Ungenauigkeit, große Auswirkung

Die Auswirkungen der Messunsicherheit richtig zu bewerten und handzuhaben, ist eines der Hauptziele der Metrologie. Was das Qualitätsmanagement anbelangt, umfasst die Metrologie die Vorbereitung und Durchführung von Messaufgaben, um Messergebnisse, ihre Rückführbarkeit und die richtige Angabe der Messunsicherheit zu sichern. Insbesondere unterstützt die Metrologie die richtige Messmethode und ein für die benötigte Genauigkeit geeignetes Messgerät auszuwählen.

Ein einfaches Beispiel verdeutlicht diesen Aspekt: Beim Einrichten eines Produktionsprozesses führt der Bediener einen ersten Test durch und erhält von seinen Geräten den Messwert 10. Nachdem er einige Änderungen an den Steuerungseinstellungen vorgenommen hat, wiederholt er den Test und erhält dieses Mal den Wert 12. Aufgrund seiner Messwerte wird der Bediener wahrscheinlich zu dem Schluss gelangen, dass die Änderungen, die er an den Einstellungen vorgenommen hat, zu der Veränderung des Messwertes geführt haben. Dies könnte jedoch ein Trugschluss sein.

Wenn man die Auswirkung der Änderungen nachweisen möchte, muss man zunächst wissen, welchen Wert der Bediener erhalten hätte, wenn er keine Änderungen vorgenommen hätte. Vielleicht hätte er auch ohne die Änderungen den Wert 12 gemessen. In diesem Fall würde der Unterschied zwischen den beiden Messwerten nicht von dem System herrühren, das gemessen wurde, also dem Produktionsprozess, sondern eher von dem System, das zur Durchführung der Messung verwendet wird, dem Messprozess.

Um nun herauszufinden, ob die beiden Werte eine Änderung im Verhalten des Produktionsprozesses wiedergeben, muss der Bediener die Abweichung, also die Messunsicherheit, um den Wert 10 und die Abweichung um den Wert 12 kennen. Wenn diese Abweichung ±0,1 beträgt, besteht der begründete Verdacht, dass die Änderungen an den Einstellungen bedeutende Auswirkung auf den Produktionsprozess hatten. Wenn die Unsicherheit jedoch ±3 beträgt, dann ist die vom Messsystem verursachte Abweichung derart, dass man nicht feststellen kann, ob sich die vorgenommenen Änderungen auf den Prozess ausgewirkt haben.

Gleiches gilt für den Techniker, der eine Kalibrierung durchführt. Kennt er die Kalibrierungenauigkeit nicht, ist es ihm unmöglich, die Fehler zu interpretieren, die dem Gerät, das kalibriert wird, zugeschrieben werden. Ohne diese Unsicherheit werden sich alle vorgenommenen Korrekturen oder Anpassungen höchstwahrscheinlich als ungeeignet oder sogar nachteilig erweisen.

Das Beispiel geht noch weiter: Ein Techniker erhält bei der jährlichen Kalibrierung regelmäßig Werte, die an der Grenze oder sogar außerhalb der Toleranzen liegen. Wahrscheinlich entscheidet er, das Gerät stattdessen alle sechs Monate zu kalibrieren. Sicher ist, dass diese Entscheidung das Unternehmen mehr kosten wird. Keineswegs sicher ist jedoch die Wirksamkeit dieser Entscheidung. Der Grund ist, dass das Gerät immer im Kontext des Mess- oder Kalibriervorgangs betrachtet werden muss. Generell kann man sagen, dass das Zusammenspiel mehrerer verschiedener Faktoren die Genauigkeit einer Messung beeinflusst. Die Metrologie unterstützt den Anwender, die Auswirkungen der verschiedenen Faktoren zu quantifizieren und im Anschluss daran zu verringern. Nur wenn sich Betriebs- und Wartungspersonal von Prozessanlagen über den Einfluss der Messunsicherheitsfaktoren bewusst sind, können Messergebnisse auch korrekt interpretiert werden. Eine Kultur des Zweifels zu fördern, bedeutet zu akzeptieren, dass unsere Beobachtungen nicht unanfechtbar sind und eine skeptische Haltung gegenüber dem Messvorgang und den Überprüfungsmethoden einzunehmen – mit dem Ziel, sie zu verbessern.

Technik im Detail

Kalibrierservice

Um Qualitätsstandards zu sichern und gleichzeitig den Auditierungsaufwand zu verringern, bietet Endress+Hauser einen akkreditierten Kalibrierservice für alle in der Prozessindustrie gängigen physikalischen, analytischen und mechanischen Parameter. Je nach Bedarf können die Kalibrierungen entweder direkt vor Ort oder in einem der nach ISO/IEC 17025 akkreditierten Kalibrierlabore durchgeführt werden. Das Unternehmen verfügt durch über eine Million durchgeführter Kalibrierungen tiefgreifendes Beratungs-Know-how im Bereich Metrologie. 

Herr Vaissière, weshalb glauben Sie, dass die Potenziale der Metrologie in der Industrie noch nicht ausreichend genutzt werden?

Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Benutzer der Geräte ihre Messwerte in der Regel nicht anzweifeln. Sobald Sie eine Messung durchführen, müssen sie sich jedoch dessen bewusst sein, was Sie beobachten: Es handelt sich tatsächlich um eine Wirklichkeit, die durch die Unfähigkeit einer korrekten Messung beeinflusst ist. Dies spiegelt sich in der Messunsicherheit wieder. Eine solche Information ist von wesentlicher Bedeutung, damit wir die richtigen Entscheidungen treffen können. Denn was wir da ablesen ist nur ein Indikator, aber es ist kein Beleg für den wahren Wert.

Sie sind der Ansicht, dass es für den Kalibriertechniker daher wichtig ist, in einen Dialog mit den Benutzern der Messgeräte zu treten?

Absolut! Der Grund, weshalb die Erkenntnisse der Metrologie in der Industrie in relativ geringem Maße genutzt werden, ist eine Unterschätzung des Nutzens für den Prozess. Die eigentlichen Fragen zur Messunsicherheit sollten lauten: Welche Auswirkung hat sie und wie kann die Messung insgesamt verbessert werden? Die Metrologie ist insofern eine echte Unterstützung für den Anwender, damit er das Beste aus seinen Messergebnissen herausholen kann. Die Kalibrierdaten sind hierzu ein Ausgangspunkt. Sie liefern nicht nur den Nachweis, dass die Geräte konform arbeiten, sondern bilden auch eine Grundlage für die Optimierung der Kalibrierhäufigkeit und ganz allgemein der Messung selbst. So bleibt die Metrologie nicht nur eine theoretische wissenschaftliche Disziplin sondern bringt einen ganz konkreten Nutzen für die Technik des Messens in der Praxis.

Thomas Kaufmann

: Produktmanager Life Cycle Management bei der Endress+Hauser Messtechnik GmbH & Co. KG in Weil am Rhein

(mf)

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