Die Beitragsberechnung wird überflüssig, wenn der individuelle Versicherungsvertrag durch neue, nutzungsabhängige Deckungsformen verdrängt wird.

Die Beitragsberechnung wird überflüssig, wenn der individuelle Versicherungsvertrag durch neue, nutzungsabhängige Deckungsformen verdrängt wird. stockWERK - Fotolia

Noch ist die Kfz-Versicherung ein stark standardisiertes Produkt. Der Versicherer kalkuliert seine Prämie abhängig vom individuellen Schadenfreiheitsrabatt, also der Unfallhistorie des Versicherungsnehmers (Fahrzeughalters), von der Einstufung des Fahrzeugs in Typklassen und der Einstufung in Regionalklassen abhängig vom Wohnort des Halters. Dieses System bildet neben zahlreichen weiteren, unternehmensindividuellen „weichen Tarifmerkmalen“, wie zum Beispiel eine Garage oder ein selbst genutztes Einfamilienhaus, die Grundlage für die Prämienkalkulation. Neben diesem klassischen Kfz-Versicherungsgeschäft haben sich in den letzten Jahren Kooperationen mit den Fahrzeugherstellern als lukrativere Formen der Autoversicherungen herausgestellt. Dabei bieten die kooperierenden Versicherer beim Neuwagenkauf in der Händlerorganisation des Fahrzeugherstellers ihre Versicherungen zusammen mit dem Fahrzeug direkt am sogenannten Point of Sale an. Oftmals sind hier schon teil- beziehungsweise vollautomatisierte Lösungen im Einsatz, mit denen der Kunde entweder selbst oder über das Verkaufspersonal die notwendigen Angaben für seinen Versicherungsschutz EDV-mäßig erfasst.

Teilschuld beim teilautomatisierten Fahrzeug?

Die gute Nachricht des automatisierten Fahrens: Der Mensch wird als Unfallursache Nummer 1 ausscheiden, die Zahl der Unfälle zurückgehen.

Die gute Nachricht des automatisierten Fahrens: Der Mensch wird als Unfallursache Nummer 1 ausscheiden, die Zahl der Unfälle zurückgehen. Monkey Business - Fotolia

Fahrzeuge werden durch die Ausstattung mit Assistenzsystemen zunehmend teilautomatisiert. Weil diese den Fahrer nur ihn in bestimmten Fahrsituationen unterstützen aber nicht überflüssig machen, wird dies noch nicht unmittelbar zu einer Revolution der Kfz-Versicherung führen. Der individuelle Schadenfreiheitsrabatt behält seine Berechtigung, denn weiterhin wird es maßgeblich auf die subjektive Schadenshistorie des Halters ankommen, der statistisch die Fehlerquelle Nummer 1 für Unfälle bleiben wird. Zwar werden sich teilautomatisierte Fahrzeuge positiv auf die Unfallstatistik auswirken, der subjektive Fehler des Fahrers wird jedoch weiterhin möglich und auch vorherrschend bleiben, und die Auswirkung auf die Kfz-Versicherungen dadurch beschränkt.

Doch welche Auswirkungen wird ein Versagen von technischen Assistenzsystemen auf die Haftungs- und Versicherungssituation haben? Nach derzeitiger Rechtslage kann sich ein Fahrer beziehungsweise Halter dem Geschädigten gegenüber nicht auf ein technisches Versagen seines Fahrzeuges berufen, sondern hat für das technische Versagen seines Fahrzeuges einzustehen. Dies betrifft auch technische Assistenzsysteme des teilautomatisierten Fahrens. Damit ist jedoch im Innenverhältnis die Frage nach der Verantwortung noch nicht beantwortet. Hier ist davon auszugehen, dass Regressprozesse der Kfz-Versicherer auf die Fahrzeughersteller, insbesondere auf die Zulieferer der Assistenzsysteme, zukommen werden, die – nach den Behauptungen interessierter Parteien – einen Unfall verursacht haben sollen. Allerdings ist zu erwarten, dass der Nachweis im gerichtlichen Regressprozess nur sehr schwer gelingen wird, denn letztverantwortlich bleibt der Fahrer. Diese Schwierigkeiten werden dazu führen, dass die Regresse nicht erfolgreich geführt werden und etwaige Unfälle, die auf ein Versagen beziehungsweise eine Fehlfunktion teilautomatisierter Systeme zurückzuführen sind, in aller Regel von der Solidargemeinschaft der Versicherten getragen werden.

Damit ist beim teilautomatisierten Verfahren insgesamt noch nicht mit einer grundlegenden Veränderung der Haftungs- und Versicherungssituation zu rechnen. Lediglich vereinzelt könnte die Produkthaftpflichtversicherung des Fahrzeugausrüsters beziehungsweise Zulieferers angesprochen werden. Nämlich dann, wenn zunächst behauptet und später gegebenenfalls auch bewiesen wird, dass Fehlfunktionen oder Versagen der vom Zulieferer beziehungsweise Fahrzeugausrüster gelieferten technischen Einheiten zu Unfällen geführt haben.

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Durch die Automatisierung der Versicherungswirtschaft und der durch sie versicherten Fahrzeuge wird sich die individualisierte Versicherungspolice zu einer Versicherung des Mobilitätsrisikos verändern. Die Versicherung wird in starkem Umfang nutzungsabhängig ausgestaltet werden und damit das bisherige Kalkulationssystem nach Typ und Regionalklassen ablösen. Der Trend zur mobilitätsabhängigen Kalkulation würde es tendenziell sogar ermöglichen, das gesamte System der individuellen Kfz-Versicherung abzulösen und die Autoversicherung als ein „in das Fahrzeug eingebautes Feature“ zu verstehen. Der Fahrzeughalter wird vor allem aber beim vollautomatisierten Fahrzeug die damit verbundenen Haftungsrisiken über eine Haftpflichtversicherung abdecken können. Mittelfristig kann sogar darüber nachgedacht werden, die bestehende Produkthaftpflichtversicherung der Fahrzeugausrüster und Zulieferer sowie Fahrzeughersteller mit der Kfz-Versicherung zusammenzuführen. Dies würde insbesondere für diejenigen Versicherungsunternehmen, die neben der Kfz-Versicherung auch die Industrieversicherung betreiben, attraktiv erscheinen, weil nicht unerhebliche Effizienz- und Kostensparmöglichkeiten damit verbunden sind. Sind sämtliche Risiken einer „Lieferkette“ bei ein und demselben Versicherer versichert, wird sich für ihn ein komplizierter und kostenträchtiger Regress erübrigen.

Schadensfreiheitsrabatte werden überflüssig

Tiefgreifende Veränderungen auf der Ebene der Haftungs- und Versicherungssituation sind dann zu erwarten, wenn vollautomatisierte Fahrzeuge zum Einsatz kommen. Zunächst wird sich die etablierte Kfz-Versicherungstechnik verändern, die derzeit im Wesentlichen an die persönliche Schadenshistorie anknüpft. Kurz gesagt: Es kommt darauf an, wie lange der Fahrzeughalter schadenfrei gefahren ist. Die Anknüpfung an die subjektive Schadenhistorie ist plausibel, weil menschliches Versagen bislang Unfallursache Nummer 1 ist. Beim vollautomatisierten Fahrzeug fällt ein Fahrerversagen aber weg. Bereits dies wird die Kfz-Versicherung grundlegend verändern, denn der Schadensfreiheitrabatt des Halters und Versicherungsnehmers wird als Kalkulationsgrundlage künftig entfallen.

Aber auch die anderen Kalkulationsgrundlagen (Typklasse und Regionalklasse) des Versicherers werden nicht unerheblich betroffen sein: Ein vollautomatisiertes Fahrzeug kann nämlich hinsichtlich seines geographischen Aufenthaltsortes und seiner konkreten Nutzung genau erfasst werden. Es ist daher in der Versicherungskalkulation weder notwendig noch geboten, auf relativ grobe Einteilungen wie Typklassen oder Regionalklassen zurückzugreifen. Zudem wird sich der Fahrstil vereinheitlichen, da vollautomatisierte Fahrzeuge nicht über einen individuellen Fahrstil verfügen. Damit entfällt jedenfalls teilweise auch die Berechtigung einer Typklasseneinstufung.

Schon jetzt gibt es Versicherungstarife, die aufgrund der Fahrzeugelektronik oder nachgerüsteter Blackboxes eine nutzungsabhängige Prämienkalkulation ermöglichen. Diese „Pay-as-you-drive“- oder „Pay-how-you-drive“-Tarife werden bei einem vollautomatisierten Fahrzeug eine noch größere Bedeutung erlangen, da das vollautomatisierte Fahrzeug die einzelnen Fahrzeugbewegungen ohnehin schon nahezu alle erfasst.

Im äußersten Fall wird bei dieser Fahrzeugform ein Versicherungsschutz im Sinne eines Dauerschuldverhältnisses des Halters zu seinem Versicherer völlig überflüssig werden. Vielmehr wird es möglich sein, die Versicherungsaufwände in den Fahrzeug- oder Mobilitätspreis einzukalkulieren beziehungsweise nutzungsabhängig auszugestalten. Es bleibt abzuwarten, ob die über viele Jahrzehnte implementierte Praxis der Autoversicherung, die einen individuellen, dauerhaften Versicherungsvertrag zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer vorsieht, durch neue, nutzungsabhängige Deckungsformen verdrängt wird. Die technischen Voraussetzungen dafür liefert spätestens das vollautomatisierte Fahrzeug.

Weniger Unfälle, mehr Serienschäden

Teil- und vollautomatisierte Fahrzeugsysteme funktionieren zuverlässiger und fehlerfreier als der Mensch, wodurch die Anzahl der Unfälle mittelfristig zurückgehen wird. Der Umstand, dass auch mit ihnen keine vollständige Unfallfreiheit erreicht werden wird, steht dem nicht entgegen. Versicherer arbeiten seit jeher mit dem Gesetz der großen Zahl und es wird sich für die Versicherungswirtschaft positiv bemerkbar machen, wenn es den Fahrzeugsystemen gelingt, Unfallwahrscheinlichkeiten zu reduzieren.

Die schlechte Nachricht: der Reparaturaufwand wird zunehmen, da nicht nur die Schäden behoben werden müssen, sondern auch die Unfallursache, die in der Elektronik oder der Programmierung liegen wird.

Die schlechte Nachricht: der Reparaturaufwand wird zunehmen, da nicht nur die Schäden behoben werden müssen, sondern auch die Unfallursache, die in der Elektronik oder der Programmierung liegen wird. Andrey Popov - Fotolia

Beim vollautomatisierten Fahrzeug wird sich aber die Charakteristik von Schäden verändern, die von diesem Fahrzeug verursacht wurden. Solange der Fahrer als Unfallursache Nummer 1 im Mittelpunkt steht, wird es sich bei jedem Unfall um ein individuelles Geschehen handeln, das keinerlei Serienschadencharakter trägt. Fußt jedoch die Unfallursache in einer systematischen Fehlfunktion der Assistenzsysteme, liegt in aller Regel ein Serienschaden vor. Für die Versicherer sind Serienschäden schwieriger zu handhaben, weil es sie vor erhebliche (Kumul-) Risiken stellen wird. Auch die Ursachenforschung wird aufwendiger: Scheidet der Mensch als Unfallursache aus, wird sich bei jedem Unfall das Bedürfnis ergeben, die Unfallursache genau aufzuklären, gegebenenfalls auch durch Analyse der entsprechenden Programmierungen. Für die Zulieferer beziehungsweise Fahrzeugausrüster ist diese Situation durchaus gefährlich. In der Vergangenheit erschien selbst bei dem Verdacht, dass ein technisches Versagen eines Assistenzsystems zum Unfall beigetragen haben sollte, der Regress gegen den Hersteller dieser Systeme unattraktiv. Verglichen zum Einzelschaden müsste ein relativ hoher Aufwand betrieben werden, um die Verantwortlichkeit des Herstellers festzustellen. Liegen aber Serienschäden auf der Ebene des Fahrzeugherstellers vor, die Gegenstand eines möglichen Regressanspruches gegen den Fahrzeugausrüster oder Zulieferer sein könnten, wird sich das wirtschaftliche Verhältnis von Aufwand und kumulierter Schadensumme besser rechnen. Die Zulieferer und Ausrüster müssen daher damit rechnen, dass in Zukunft in stärkerem Maße Regressprozesse gegen sie erhoben werden, was nicht nur sie, sondern gerade auch ihre Produkthaftpflichtversicherer betrifft.

Reparaturaufwand nimmt zu

Gegenläufig zur grundsätzlich positiven Entwicklung der Unfallstatistik wird sich der Reparaturaufwand entwickeln, der bei einem Fahrzeug mit teil- oder vollautomatisierten Systemen entstehen wird. Solche Systeme bestehen aus hochkomplexen elektronischen Bauteilen, die am Fahrzeug an exponierter Stelle verbaut werden. Bei einem Fahrzeug aus der Vergangenheit war dort bei einer leichten Kollision lediglich der Stoßfänger auszutauschen, was praktisch von jedermann mit dem passenden Schraubenschlüssel erledigt werden konnte. Künftig werden komplexe Reparaturen den Aufwand deutlich erhöhen. Dies betrifft sowohl die Materialkosten, wenn Bauteile ersetzt werden müssen, als auch die Arbeitskosten, da der Einbau und die Kalibrierung entsprechender Systeme Spezialisten verlangen. Beides wird dazu führen, dass die Versicherer stärker mit den Herstellern der Fahrzeugelektronik zusammenarbeiten werden wollen, um das im Schadenbereich erhebliche Einsparpotenzial zu realisieren.

Dr. Stefan Segger

Rechtsanwalt und Partner bei CMS Hasche Sigle Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB

(il)

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