Bislang wurden viele Informationen aus der Qualitätssicherung und der Traceability überwiegend verwaltet, sie wurden ermittelt und in Speichern abgelegt, damit sie im Falle eines Falles für eine Rückschau wieder zur Verfügung stehen. Das bedeutet viel Aufwand für eine minimale Nutzung wertvoller Informationen. Doch es geht auch anders. Es hat sich herumgesprochen, dass zur Einhaltung von gesetzlichen Pflichten und zum Schutz vor – hoffentlich – ungerechtfertigten Regressforderungen ein Traceability-System sehr vorteilhaft sein kann. Denn die mit dem System gewonnenen Informationen lassen sich weitergehend zum Vorteil des Unternehmens verwenden. Die zeitnahe Nutzung der gewonnenen Daten und Fertigungsinformationen ermöglicht eine beträchtliche Steigerung der Wertschöpfung im Unternehmen. Zeitnahe und präzise Informationen vereinfachen Arbeitsabläufe und beseitigen viele nicht produktive Tätigkeiten. Die „interdisziplinäre“ Suche nach Bauteilgebinden ist dabei nur ein Thema in diesem Gesamtzusammenhang.

Bauteilgebinde: Trotz ID zu oft in der Hand

In fast jedem Unternehmen werden im Rahmen der Kommissionierung und der Aufrüstung von Feedern Bauteilgebinde gesucht, insbesondere dann, wenn wenige oder keine Alternativgebinde mit gleicher Materialnummer vorhanden sind. Die „interdisziplinäre“ Suche beginnt, es suchen Mitarbeiter der Fertigung, des Wareneinganges, des Lagers usw. Zudem stehen viele Kisten mit bereits kommissioniertem Material vorbereitet in der Fertigung. Auch dort kann gesucht werden. Je nach Material gibt es ja auch noch diverse Alternativen, wo ein Bauteilgebinde zwischenzeitlich seinen Aufenthaltsort gefunden haben kann: Trockenschränke, Rücktrockenschränke, Dry Packs oder auch nur am Reparaturplatz oder vielleicht längst bei einem externen Zulieferanten. Vielleicht haben auch nur die Gebindestückzahlen nicht gestimmt und das gesuchte Gebinde ist längst aufgebraucht. Abmeldung? Längst vergessen!

Im Rahmen der Traceability ist es bereits übliche Praxis, die Bauteilgebinde mit einer eindeutigen ID zu versehen. Dies wurde bislang zunächst nur im Rahmen der Rückverfolgbarkeit der Bauteile realisiert. Jedes Gebinde wird dabei individualisiert und lässt sich dadurch als solches auch überwachen. Aufenthaltsort und aktueller Gebindebestand lassen sich so jederzeit eindeutig verfolgen, ebenso wichtige prozesstechnische Daten wie Verfallsdatum und MSL-Status. Sind die Bauteile eines Gebindes verarbeitet, ist sofort bekannt, dass das Gebinde aufgebraucht ist und welche Buchungsdifferenz für eine „permanente“ Inventur an das ERP-System gemeldet werden kann. Dies ist heute schon Stand der Technik.

Dennoch suchen wir vielfach noch immer und nehmen jede Rolle, jedes Tray unter anderem noch zig-mal in die Hand, um sie von A nach B zu tragen: Aus dem Hauptlager ins Vor-Ort-Lager, von dort an den Rüstplatz, Aufrüsten auf den Feeder, dann ab zur Maschine. Nach der Bestückung den gleichen Weg zurück, zumindest bis zum Vor-Ort-Lager. MSL-Bauteile nehmen noch einen zusätzlichen Lauf über den Rücktrockenschrank, den Trockenschrank und/oder den Wiedereinstieg in ein Dry Pack. Dann gehen auch diese Gebinde wieder zurück ins Lager. Anwender nehmen oft ein Gebinde über zehn Mal in die Hand, bevor es aufgebraucht ist und bringen es von einem Platz zum nächsten. Die Kosten für das geschilderte manuelle Handling sind hoch, denn der Aufwand für jeden Vorgang mit den erforderlichen Vor- und Nacharbeiten wie

  • passendes Gebinde auswählen am Rechner,
  • Gebinde auslagern aus einem Lagersystem,
  • Gebinde aus Lager entnehmen,
  • mit Gebinde zum Einsatzort gehen,
  • Gebinde ggf. noch manuell auf einer Kommissionierliste oder Stückliste abhaken,

ist erheblich. Hier entstehen Aufwände und Kosten, die nicht wirklich wertschöpfend sind. Doch es gibt Alternativen. So ist es etwa möglich, in bekannten halbautomatischen Lagersystemen die SMT-Rollen und Trays geordnet abzulegen und über die ID gezielt wieder auszulagern. Diese Systeme sind seit einigen Jahren im Markt verfügbar und eingeführt.

Alternativen mit Nachteilen

Dennoch greifen alle diese Systeme zu kurz. Die Lagerkapazitäten sind mit max. 5.000 Gebinden viel zu gering, um eine umfassende Versorgung in der Produktion sicherzustellen. Alle diese Systeme haben den eklatanten Nachteil, dass sie vorgefertigte Kassetten, Fächer oder Trägerkassetten benötigen, um Gebinde einlagern zu können. Damit muss sich der Anwender von Anfang an auf die maximale Anzahl je Rollengröße festlegen. Flexibilität sieht anders aus.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die klimatische Auslegung der Lagersysteme. Keines dieser Systeme ist in der Lage, MSL-Bauteilgebinde rücktrocknend zu lagern. Der Betrieb des Innenklimas über getrocknete Druckluft ist hier technologisch gesehen kein geeignetes Lösungskonzept. Eine Rücktrocknung der Floor Life Time wird damit nicht erreicht, eine schnelle Rücktrocknung schon gar nicht. Interessant wäre ein Lagersystem, welches keine Gebindegrößen-Einschränkung erfordert und in das hochflexibel, also auch chaotisch, eingelagert werden kann bei gleichzeitiger ständiger Optimierung der vorhandenen Lagerflächen.

Ein solches Lagersystem ist nun erfolgreich in den Markt eingeführt worden. Es bietet zu allen anderen Systemen entscheidende und derzeit einmalige Vorteile. Das neue Dry-Tower-Konzept bietet erstmals die Möglichkeit, ein zentrales Lager vor Ort in der Fertigung zu installieren und alle Gebinde auch direkt vor Ort zu verwalten. Auf kleinster Grundfläche wird ein extrem großes Lagervolumen erreicht. Inzwischen wurden erste Systeme der Dry Tower mit über 15.000 und über 60.000 Lagerplätzen für SMT-Rollen und Trays installiert.

Überwachte Klimadaten

Beide Systeme verfügen über eine eigene Klimatisierung auf 40 °C und weniger 1 Prozent relativer Feuchte. Diese Klimadaten werden permanent überwacht. Für jedes Gebinde wird permanent eine lückenlose MSL-Überwachung und Protokollierung sichergestellt. Zusätzlich werden alle ausgelagerten und dem System bekannten Gebinde auch außerhalb des Lagersystems (Dry Tower) hinsichtlich der Offenzeit überwacht. Bereits vor Ablauf technologisch relevanter Parameter wie Floor Life Time oder Verfallsdatum wird der Bediener informiert und gewarnt. Zudem besteht die Möglichkeit, diese Gebinde mit Ablauf der zulässigen Verwendbarkeit in der Fertigung zu sperren.

Im System lassen sich außerdem mehrere unterschiedliche Lagerbereiche realisieren: Etwa für die Trocknung oder Rücktrocknung, aber auch für eine Langzeitlagerung von Bauteilen. Die Systemsoftware MSL Dry Tower Professional von abp Automationssysteme steuert automatisch die entsprechenden Lagerprozesse und erforderlichen Umlagerungen. Die Automaten sind in drei Größenvarianten verfügbar, beginnend ab einer Lagerkapazität von ca. 3.000 Gebinden pro Automat. In der Ausführung Dry Tower Quattro haben 15.000 bis über 30.000 Gebinde pro Automat Platz. Überdies ist es möglich, mehrere Automaten zu einem System zu kombinieren, sodass sich auch automatische Lagersysteme mit Kapazitäten von über 100.000 Gebinden realisieren lassen. Damit steht ein hochflexibles Konzept zur Verfügung.

Material just in time

Absolut neu aber ist ein weiteres Leistungsmerkmal dieses Lagerkonzeptes. Es ersetzt dem Anwender nicht nur alle Zwischenlager, sondern schafft das benötigte Material auch just in time direkt an den entsprechenden Arbeitsplatz, ohne dass ein manueller Gebindetransport nötig wird. Realisiert ist ein solches Konzept bereits bei einem großen Kunden: Alle Bauteilgebinde incl. aller MSL-Gebinde werden bereits über den Wareneingang in dieses Lagersystem eingelagert. Es verfügt hierzu über entsprechende Transportmodule. Sowohl über Anforderungen durch Fertigungsaufträge vom SAP-System als auch Nachforderungen von den SMT-Linien für Nachrüstungen werden Bauteilgebinde exakt so zur Verfügung gestellt, wie sie gebraucht werden. Material, welches direkt von den SMT-Linien nachgefordert wird, wird auch direkt an die anfordernde Stelle an der Linie ausgelagert. Gebinde, die für eine Feederrüstung an Rüstplätzen benötigt werden, werden auch dorthin in genau der Reihenfolge ausgelagert, wie dies vom Rüstplan für einen Feederwagen vorgesehen ist. Zusätzlich gibt es weitere Auslageroptionen beispielsweise für Einzelauslagerungen oder Massenauslagerungen.

Die Software MSL Dry Tower Professional übernimmt dabei alle logistischen Aufgaben der Ein- bzw. Auslagerungen und sucht auch die zulässigen Gebinde heraus, die sich für eine Auslagerung eignen. Dabei ist Fifo nur eine übergeordnete Auswahlgröße, weitere sind unter anderem die verbleibende Restoffenzeit, das Verfallsdatum oder die Bestandsmenge eines Gebindes. Ebenfalls berücksichtigt werden dabei reservierte Materialbestände, die bereits für andere Aufträge fixiert wurden. Die Software überwacht auch beständig die Klimadaten und berechnet zyklisch für alle Gebinde die aktuelle Floor Life Time.

Das hier beschriebene hochflexible Lagersystem besitzt zwei Einlagerungsplätze und insgesamt fünf getrennte und einzeln bedienbare Auslagerplätze, um eine optimale Materialversorgung ohne manuellen Gebindetransport an dem Platz zu sichern, an dem das Material direkt weiterverarbeitet werden soll. Die Anzahl der Ein-/Auslagerplätze ist dabei nicht limitiert. Es gibt hier nur noch ein Lagersystem, über welches die komplette Materialversorgung der Fertigung organisiert wird. Eingebunden ist das Gesamtsystem über die Software MSL Dry Tower Professional in die IT-Landschaft des Unternehmens, somit auch in das hauseigene Traceability-System.

Nach den vorliegenden Berechnungen werden mit diesem Lösungskonzept die derzeit geringsten Kosten pro Lagerplatz erreicht. Außerdem ist mit diesem Konzept die mit Abstand höchste Lagerplatzkapazität je m² Stellfläche sichergestellt. Die für das System aufzubringenden Investitionskosten amortisieren sich bei einem Drei-Schicht-Betrieb bereits nach deutlich unter einem Jahr Einsatzzeit. Mit dem Wegfall der Stellplätze, auf denen bislang für die Fertigung bereitgestelltes Material geparkt wurde, können zusätzliche Platzkapazitäten für eine produktive Nutzung zur Verfügung stehen.

Nichts dem Zufall überlassen

In Verbindung mit weiteren Softwaremodulen zur Chargenerfassung und zur Kennzeichnung im Wareneingang sowie der weiteren Bauteilverfolgung in der Fertigung ist hier ein neuer Weg beschritten worden, der dem Anwender deutliche Einsparungen und Qualitätsverbesserungen ermöglicht. Dieses innovative Lagerkonzept ist in enger Kooperation und Zusammenarbeit zwischen den Firmen Totech und Totech EU sowie abp Automationssysteme entwickelt worden und inzwischen erfolgreich im Einsatz.

Productronica 2013: Halle A3, Stand 140

Raphael Podgurski

ist Geschäftsführer der von ihm gegründeten abp Automationssysteme

(mrc)

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abp automationssysteme Podgurski GmbH

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