Im zweiten Anlauf soll alles besser werden. Die nächsten Ergebnisse soll es bereits Ende des Jahres geben.

Im zweiten Anlauf soll alles besser werden. Die nächsten Ergebnisse soll es bereits Ende des Jahres geben.Deutsche Messe

Am Messedienstag der Hannover Messe war es endlich soweit: Der offizielle Startschuss für die neue Plattform Industrie 4.0 ertönte. Auf eine breitere politische und gesellschaftliche Basis soll die Industrie-4.0-Initiative jetzt gehoben werden. Ein thematischer und struktureller ­Umbau sei dafür notwendig gewesen. Deswegen sind jetzt nicht nur die Industrieverbände Bitkom, VDMA und ZVEI mit im Boot, sondern auch die Industriegewerkschaft Metall, die Fraunhofer-­Gesellschaft und Vertreter der Industrie. Die politische Leitung der neuen Plattform übernehmen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. „Wir müssen gerade beim Thema Industrie 4.0 an unsere vorhandenen Stärken anknüpfen und die herausgehobene Stellung ­unserer Industrie weiter ausbauen“, fasst es Bundesminister Gabriel zusammen.

Die Plattform wird größer und komplexer. Das darf die Arbeit der Plattform nicht verlangsamen.

Die Plattform wird größer und komplexer. Das darf die Arbeit der Plattform nicht verlangsamen.ZVEI

Wie laut der Startschuss nachhallen wird, muss sich schnell zeigen. Denn der mehr oder weniger unterschwellige Vorwurf an die alte Industrie-4.0-Plattform, sie würde nichts auf die Beine stellen, muss der neue Zusammenschluss entkräften. Dazu sollen interdisziplinäre Arbeitsgruppen zu den Themen Standardisierung, Forschung, Sicherheit, Recht, Arbeit sowie Aus- und Weiterbildung bis Ende des Jahres erste Ergebnisse vorlegen. Diese sollen auf dem IT-Gipfel im November 2015 vorgestellt werden. Grundlage für die ­Arbeit sei die Umsetzungsstrategie der ­alten Plattform, die offiziell auf der ­Hannover Messe vorgestellt und symbolträchtig übergeben wurde, aber in Branchenkreisen schon länger kursierte – ­namentlich das Referenzarchitekturmodell ­Rami 4.0. Auch die Definition einer Industrie-4.0-Komponente ist ein Ergebnis aus zwei Jahren Arbeit.

Das Referenzarchitekturmodell Rami 4.0 soll die Grundlage für alle weiteren Konzepte und Entwicklungen rund um die Industrie 4.0 bilden.

Das Referenzarchitekturmodell Rami 4.0 soll die Grundlage für alle weiteren Konzepte und Entwicklungen rund um die Industrie 4.0 bilden.ZVEI

Die Automatisierungspyramide ist gestürzt

Das Referenzarchitekturmodell ist ein dreidimensionales Schichtenmodell, anhand dessen sich Indsutrie-4.0-Technologien systematisch einordnen lassen. Das Modell soll die Automatisierungspyramide auf lange Sicht ersetzen. Auf der rechten horizontalen Achse sind die Hierarchiestufen der IEC 62264 (Enterprise-control system integration) angeordnet. Diese Hierarchiestufen stellen die unterschiedlichen Funktionen innerhalb einer Fabrik oder Anlage dar. Sie wurden um die Stufe für das Werkstück (Product) ergänzt, das im Sinne der Industrie 4.0 aktiver Teil der Produktion und nicht nur bloßer Empfänger von Bearbeitung sein soll. Auch das Internet der Dinge oder allgemein die Anbindung an Internetdienste finden sich im Punkt ‚Connected World‘ wieder.

Die linke horizontale Achse stellt den Lebenszyklus von Anlagen und Produkten dar. Grundlage hierfür ist die IEC 62890 zum Life-Cycle-Management. Unterschieden wird hier zwischen ‚Typ‘ und ‚Instanz‘. Aus einem ‚Typ‘ wird eine ‚Instanz‘, wenn die Entwicklung und Prototypenfertigung abgeschlossen sind und in der Fertigung das eigentliche Produkt hergestellt wird.

Die sechs Schichten (Layers) auf der vertikalen Achse beschreiben die IT-Repräsentanz, also das digitale Abbild einer Maschine oder Komponente. Die Darstellung in Schichten kommt aus der IT, wo es üblich ist, komplexe Konzepte in Schichten zu gliedern.

Das Modell ist bewusst abstrakt gehalten. „Es ging uns darum, eine gemeinsame Sprache zu finden,“ verteidigt Dr. Kurt Bettenhausen, Mitglied im VDE-Präsidium und Vorsitzender der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik, das wenig intuitive Modell. Nach den Unklarheiten rund um den Start von Industrie 4.0 und die Definition derselben ein durchaus verständliches Anliegen. Gleichzeitig wehren sich die alten Plattformmitglieder gegen die Kritik, die Amerikaner mit dem IIC (Industrial Internet Consortium) wären schneller, pragmatischer und damit einer praktischen Umsetzung der Industrie 4.0 näher. Viel Gerede um nichts, war die einhellige Antwort auf kritische Nachfragen. Die Amerikaner seien schon immer besser darin gewesen viel Theater um nichts zu machen. ZVEI-Präsident Michael Ziesemer gesteht der USA aber einen Vorsprung bei der IT zu: „Während deutsche Unternehmen ohne Zweifel spitze bei den Dingen des Internets der Dinge sind, müssen wir uns eingestehen, dass wir bei den Diensten unerfahrener als Google und Co. sind.“ Der Industrie 4.0 in der Praxis seien die Amerikaner aber keinen Schritt näher als wir. Die Strategie für die Zukunft heiße weiterhin erst über Konzepte zu reden, sich auf eine Variante zu einigen und diese dann an „in Modellfabriken mit echten Werkzeugmaschinen und Prozessanlagen zu testen“, so VDE-Mann Bettenhausen.

So soll eine Industrie-4.0-Komponente aussehen. Die wichtigen Daten trägt sie ihren gesamten Lebenszyklus in der Verwaltungsschale mit sich.

So soll eine Industrie-4.0-Komponente aussehen. Die wichtigen Daten trägt sie ihren gesamten Lebenszyklus in der Verwaltungsschale mit sich. ZVEI

Eine solches Konzept ist die Industrie-4.0-Komponente. Sie ist ein Modell, das Eigenschaften von Cyber-physischen Systemen, also von realen Objekten der Produktion, die mit virtuellen Objekten und Prozessen vernetzt sind, genauer beschreibt. Zu diesen Eigenschaften zählt die Kommunikationsfähigkeit. Das Modell beschreibt deswegen die Voraussetzungen für Industrie-4.0-konforme Kommunikation zwischen den einzelnen Hard- und Software-Komponenten. Industrie-4.0-Komponenten sollen über ihren kompletten Lebenszyklus hinweg alle relevanten Daten in einem elektronischen Container sammeln, mit sich tragen und zur Verfügung stellen, wann immer sie – berechtigt – benötigt werden. Der Container trägt den sperrigen Namen ‚Verwaltungsschale‘.

Alle Beteiligten betonen immer wieder, wie gut Deutschland für die Industrie 4.0 aufgestellt sei. Aber es müsse auch klar sein, dass eine solche fundamentale Änderung der Fertigungskonzepte und -anwendungen nicht von heute auf morgen passieren könne. Die Erklärung, dass es sich bei der Industrie 4.0 eben um eine Evolution und nicht um Revolution handele, gelte nach wie vor.

Melanie Feldmann

ist Redakteurin der IEE.

(mf)

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