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PI sieht eine große Chance, die Stärken von Profinet und TSN zu kombinieren und damit Profinet auf ein zukunftsfähiges Fundament für Industrie 4.0 zu setzen. (Bild: PI)

Auf die Schnelle

Das Wesentliche in 20 Sek.

  • PI arbeitet an der Implementierung von Time Sensitive Networking
  • Synchronisation und zeitgesteuertes Senden ermöglichen Echtzeit- und beliebigen IP-Traffic auf der gleichen Leitung.
  • TSN ergänzt die bestehende RT/IRT-Kommunikation im Layer 2
  • Nur der Layer 2 ändert sich, die Geräteprofile nicht
  • OPC UA für die Controller-Controller-Kommunikation favorisiert

Seit jeher greift PI (Profibus & Profinet International) zukunftsträchtige Technologie-Entwicklungen auf, um sie zu prüfen und zu bewerten. Erst wenn diese Konzepte nachhaltig sind und konkrete Vorteile bringen, folgen die Feinarbeiten und der oft mühsame Weg zur Standardisierung. Diese Prozesse mögen auf Einige zögerlich wirken; den Weg in die langjährige Praxis findet eine Technologie aber nur, wenn sie von Anwendern und Herstellern gleichermaßen getragen wird.
Vor genau so einer Situation steht PI derzeit mit TSN ‒ eine vielversprechende IEEE-Technologie für Ethernet, welche die Bandbreite der IT-Netze mit der Latenz der OT-Netze (Operational Technology) verbindet. Die Mechanismen, die in der IEEE entwickelt werden, versprechen Synchronität und Robustheit in der industriellen Kommunikation. Und das ist wichtig, da die Datenmenge, die künftig über die Netze transportiert werden, mit Industrie 4.0 noch weiter zunimmt, die eigentliche Automatisierungsaufgabe aber performant und zuverlässig funktionieren muss. PI sieht eine große Chance, die Stärken von Profinet und TSN zu kombinieren und damit Profinet auf ein zukunftsfähiges Fundament für Industrie 4.0 zu setzen. Gleichzeitig bietet die Technologie die Chance, auch in der Feldebene Standard Ethernet-Controller einzusetzen und so noch schneller von den Entwicklungen im IT-Bereich zu profitieren, beispielsweise von der höheren Bandbreite (Gigabit Ethernet), oder ganz einfach eine größere Auswahl von Bausteinen für die Geräteentwickler zu haben. Zudem können mit TSN durchgängige, synchrone Netzwerke für taktsynchrone Anwendungen realisiert werden. Bisher mussten solche Netzwerke separat realisiert und in den Geräten dedizierte Chips integriert werden.

Hier geht es zum Interview mit Kasten Schneider, Profibus International: „Bis zum Jahresende haben wir ein detailliertes Gesamtbild, wie wir TSN nutzen werden.“

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Synchronisation und zeitgesteuertes Senden ermöglicht Echtzeit und beliebigen IP-Traffic auf der gleichen Leitung. PI

Gemeinsamkeiten von RT/IRT und TSN

Künftige Industrie 4.0-Anwendungen stellen eine Reihe an Basisanforderungen an die Kommunikation. Dazu zählen Quality of Service, Robustheit, Bandbreite, geringe Latenz, aber auch Plug & Work, standardisierte Technologien und Interoperabilität. Diese Anforderungen sind für Profinet-Nutzer nicht neu. Beispielsweise gibt es schon heute mit RT (Realtime) und IRT (Isochronous Realtime) Verfahren zur  robusten und schnellen Kommunikation bei parallelem TCP/IP-Verkehr. Diese Prinzipien finden sich auch bei TSN. Experten von mehreren Firmen erarbeiten in den Arbeitsgruppen der PI derzeit die konkrete Anwendung dieser TSN-Mechanismen im Detail.

Synchronisation

Bei Profinet IRT sind alle Teilnehmer durch ein Synchronisationsverfahren auf eine gleiche ‚Working Clock‘ synchronisiert. Darauf basieren die Weiterleitungsmechanismen für die reservierten Telegramme, aber auch die geräteinterne taktsynchrone Anwendung, etwa die mikrosekundengenaue Regelung eines Antriebs. Das Verfahren der ‚Transparent Clock‘ nutzen sowohl IRT als auch TSN.

Bandbreitenreservierung

Zur Sicherstellung der Echtzeitfähigkeit von dedizierten Telegrammen auch bei zusätzlichem beliebigen Kommunikationsaufkommen ist das Verfahren TDMA (Time Division Multiple Access) etabliert: Es gibt verschiedene Zeitfenster für unterschiedlichen Netzwerktraffic. In der ‚roten‘ Zeitphase eines IRT-Zyklus werden nur die dedizierten IRT-Telegramme weitergeleitet, andere Telegrammtypen müssen warten. Bei TSN funktioniert der Time Aware Shaper (TAS) prinzipiell genauso. Auch hier werden definierte Streams in einem bestimmten Zeitfenster weitergeleitet, andere in spätere Zeitphasen verlegt.

Fragmentierung

Damit die Kommunikationszyklen nicht durch die maximale Ethernet-Telegrammlänge (125 µs bei 100 Mbit) eingeschränkt werden, beziehungsweise damit die Zykluszeit optimal ausgenutzt werden kann, müssen über einen von der Steuerungsapplikation unabhängigen Mechanismus die langen Ethernet-Telegramme gestückelt versandt werden. Bei Profinet IRT heißt der Mechanismus ‚Fragmentierung‘, TSN nennt dieses Verfahren ‚Preemption‘.

IRT-Funktionen werden IEEE-Standards

Mit TSN werden also Mechanismen, die Profinet per IRT-Layer 2 bereits auf dem bestehenden Ethernet realisiert hat, direkt in den IEEE-Standard integriert, allerdings nur die Anteile des Layer 2 (genauer: auf der Bridge Ebene). Diese Präzisierung ist wichtig, weil TSN keinen Feldbus ersetzen kann. Die Verfahren sind grundsätzlich gleich, der Profinet-Nutzer muss nicht umlernen und die höheren Schichten des Profinet-Kommunikationsstacks sind einfach adaptierbar.
Wesentliches Architekturmerkmal von Profinet ist, dass sich TCP/IP unabhängig von Spezialmechanismen im Protokoll oder in der Hardware nutzen lässt. Diese Eigenschaft wird meist in unspektakulären Anwendungen genutzt, etwa in der Wartung, um mal eben eine Hardware zu identifizieren oder um direkt auf ein Gerät zuzugreifen.
Diese Eigenschaft wird im Industrie-4.0-Zeitalter immens wichtig: Fast alle Konzepte zur Optimierung und Instandhaltung beruhen auf dem Sammeln von vielen Daten, die mittels Algorithmen zum Beispiel in einer Cloud verarbeitet werden. Die eigentliche Automatisierung muss von der Datenerfassung unberührt bleiben. TSN ermöglicht diese Robustheit und den direkten Durchgriff auf ein Gerät ohne Auswirkungen auf die eigentliche Steuerung – ein Vorteil, von dem in Zukunft die Anwender profitieren.

Die Implementierung: Applikationsschicht bleibt unberührt

PI wird die TSN-Mechanismen für Profinet nutzbar machen. Dabei gilt es zwischen Feld- und Anlagenkommunikation zu unterscheiden, da verschiedene Bedürfnisse seitens der Anwender und der Applikationen aufkommen. Ein Beispiel: Eine Achsregelung spielt anlagenweit keine Rolle, da sie in der Regel lokal in der Maschine verankert ist. Dagegen werden Maschinenzustandsdaten anlagenweit übertragen.
TSN definiert verschiedene Mechanismen auf der Switching-Ebene und ist damit alleine kein Feldbus­ersatz. Theoretisch ist eine Datenkommunikation allein über TSN, das heißt auf Layer-2, möglich. Allerdings müsste hierfür jeder Dateninhalt für jedes einzelne Gerät extra vom Anwender programmiert werden. Dieser Mehraufwand bei der Geräteintegration widerspricht völlig den Bemühungen nach einer umfassenden Standardisierung bei Industrie 4.0. Hier sind übergreifende Datenschnittstellen gefordert.
Profinet bietet bereits viele in der Praxis längst bewährte Funktionen, etwa im Hinblick auf Projektierung, Hochlauf, Betrieb, Diagnose und Wartung. Dank konkretem Feedback der Anwender wurden beispielsweise im Laufe der Jahre Diagnose-Definitionen verfeinert und erweitert. Hier gibt es keine Veranlassung, etwas zu ändern. Der Anwender kann sich darauf verlassen, dass seine bisherigen Aufwendungen, etwa für die Ausbildung der Programmierer oder Servicemitarbeiter, ihren Wert behalten. Auch die bewährten Profile, wie Profisafe, Profidrive, Profienergy lassen sich weiter nutzen. Ebenso bleibt die Datenmodellierung per Modul/Submodul identisch.

Welche Mechanismen mittelfristig um TSN erweitert werden, erfahren Sie auf Seite 2.

PI

TSN ergänzt die bestehende RT/IRT-Kommunikation im Layer 2 PNO

Technologiewechsel auf Layer 2

Einen Technologiewechsel wird es dagegen bei den unterlagerten Layer-2-Mechanismen von RT/IRT geben. Sie werden um TSN ergänzt. Die Vorteile liegen in einem einheitlichen Standard-IEEE und damit verbunden in einer großen Verfügbarkeit von Ethernet-Chips. Selbstverständlich werden Technologiehersteller Bausteine anbieten, die sowohl RT/IRT als auch TSN unterstützen. Zudem ermöglichen durchgängige Netzwerke die Synchronisation bis in die Applikation. Profinet bietet auf Basis von TSN auch die Skalierbarkeit beim Link-Speed. Hersteller können sowohl 100 MBit- als auch GBit-Geräte anbieten, je nach Positionierung und zulässiger Verlustleistung. Ziel ist, dass jedes Gerät mit einem TSN-Ethernet-Port prinzipiell Profinet-fähig ist, unabhängig davon, ob der Port in einen HighEnd-PC oder einer kostenoptimierten Embedded-Plattform integriert ist.

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OPC UA in der Anlagenebene (Controller-Controller-Kommunikation) und Profinet in der Feldebene ermöglichen eine bedarfsgerechte Kommunikation. PI

Anlagenkommunikation mit OPC UA

Auch in der Controller-Controller-Kommunikation gibt es den Trend zu herstellerübergreifenden Definitionen. Ein Lösung für PI ist OPC UA, das unabhängig von den unterlagerten Kommunikationsschichten arbeitet. Heute schon sind mit TCP/IP viele Aufgaben lösbar mit der Einschränkung, dass diese nicht echtzeitfähig sind. Dies wird sich ändern: Mit Pub/Sub wird die Performance und mithilfe von TSN die Robustheit gesteigert. Im Gegenzug bedeutet dies jedoch, dass TSN nicht zwingend Voraussetzung für eine OPC UA-Kommunikation auf Anlagenebene ist.

Engineering muss einfach bleiben

Auch das Engineering ist bei der Integration von TSN ein wichtiger Aspekt. Anwender möchten auf keinen Fall mehr Komplexität durch ein weiteres Engineering-Tool. Die IEEE-Standards definieren hier nichts. Für den Einsatz von Profinet mit TSN in der Feldebene wird daher die bewährte Vorgehensweise über das Engineering der Steuerung genutzt. Da im Steuerungsprogramm bereits die Zuordnung der E/As zu den Variablen und die Einstellung der Parameter erfolgt, wird wie bei Profinet gewohnt das Engineering für das TSN-Netzwerk übernommen. Ein zusätzliches Tool, das separat bedient werden müsste und dann noch einen Abgleich mit dem Steuerungsprogramm auszuführen hätte, ist kompliziert zu bedienen und erfordert komplexere Abläufe bei Änderungen.
Auf Anlagenebene wird eine Herausforderung darin bestehen, dass verschiedene Echtzeitprotokolle zu erwarten sind. Eine Möglichkeit damit umzugehen, ist die Konfiguration des TSN-Netzwerks über ein zentrales Tool des jeweiligen Switchlieferanten. Diese Vorgehensweise ist bei IT-Netzen üblich. Die Automatisierung benötigt in diesem Bereich allerdings mehr Flexibilität. Wesentliches Problem ist, dass Änderungen im Anlagenaufbau auch während des laufenden Betriebs keinen Neustart der kompletten Anlage erzwingen dürfen. Deswegen unterstützt PI über einige Mitgliedsfirmen Ansätze für ein herstellerunabhängiges, dezentrales Engineering. Wichtige Elemente dabei werden ein einheitliches Interface zur Beschreibung des Kommunikationsbedarfs (UNI-Interface) und Stream-Reservierungsprotokolle sein. Im Testbed beim LNI (Labs Network Industrie) werden solche Szenarien derzeit aufgebaut.
Wenn sich solche Verfahren für ein dezentrales Engineering bewähren, können diese mittelfristig ins Feld übertragen werden. Dann ist es auch möglich, unterschiedliche TSN-Streams oder auch adhoc-Netzwerkbeziehungen einfach zu etablieren. Damit wären Konfigurationsänderungen im laufenden Betrieb ohne große Vorbereitungen denkbar; sogar Szenarien, wie das An- und Abdocken von Maschinen mit höchsten Synchronitätsanforderungen sind darüber realisierbar. Bis dahin ist allerdings noch Detail­arbeit nötig.
Die TSN-Mechanismen sind zukunftssicher, da diese in IEEE-Standards verankert sind. PI wirkt über seine Mitgliedsfirmen in deren Entstehungs- und Standardisierungsphase im Detail mit, damit einfache Integration in die bestehende Profinet-Architektur möglich ist. Bis eine konkrete Gerätelandschaft verfügbar ist, wird noch einige Zeit vergehen. Der Übergang oder auch nur eine Ergänzung von RT/IRT auf TSN ist ein langwieriger Prozess. Heute bestehende Geräte und Lösungen werden daher weiterhin noch lange Bestand haben. Ganz entscheidend aus Anwendersicht: Die Investitionen in Profinet bleiben auch bei Nutzung von TSN gewahrt.

(sk)

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