Paul Pletner (l.) und Christian Dörner von Siemens im Interview über schaltschranklose Maschinenkonzepte.

Paul Pletner (l.) und Christian Dörner von Siemens im Interview über schaltschranklose Maschinenkonzepte. (Bild: Redaktion IEE)

Wie ausgeprägt ist denn die Entwicklung zur schaltschranklosen Automation, also hin zu IP65/IP67-Systemen verglichen mit Standard-IP20-Systemen?

Dörner: Wenn man den gesamten Markt betrachtet, liegt der IP65/IP67-Anteil bei rund 8 %. Wobei dies sehr branchenabhängig ist. Zum Beispiel findet sich in der Automobilbranche oft ein Aufbau ganz ohne Schaltschrank. In der Fördertechnik mit weit verteilten I/Os sehen wir in den letzten Jahren einen starken I/O-Anstieg bei der IP67-Bauform.

Ohne schützendes Gehäuse müssen die CPU-Module um einiges robuster ausgelegt sein.

Pletner: Das fängt schon bei der Mechanik an. Zum Beispiel sind der Träger und die Module auch für extreme Bewegungen bis zu einer Rüttelfestigkeit von 5 g dauerhaft und 30 g Schockbelastung konzipiert. Desweiteren sind die ET-200pro-Baugruppen auch staub- und spritzwassergeschützt ausgelegt. Und bei der Kon­struktion der CPUs haben wir auf glatte Oberflächen und die Vermeidung von Schmutzkanten geachtet. Das erleichtert die Reinigung. Standardmäßig kann die CPU bis zu einer Temperatur von -25 bis 55 °C und einer relativen Luftfeuchte von 5 bis 100  % inklusive einer Kondensation betrieben werden. Dies erschließt uns Anwendungen in Kühlhäusern, Gießereien und Öfen.

Entsprechen die Werte den Eigenschaften der I/O-Module?

Pletner: Ja, es sind dieselben Werte wie bei den Standard-I/O-Modulen der Baureihe.

Gibt es bei den Peripheriemodulen ebenfalls Erweiterungen/Modernisierungen?

Dörner: Die neuen Steuerungen der ET 200pro unterstützen alle bisher verfügbaren Module und sind kompatibel zu bisherigen Lösungen. Im Zuge der CPU-Innovation gibt es ebenso Neuerungen bei den I/O Modulen. Der IO-Link-Standard 1.1 setzt sich immer mehr durch, deswegen wird es ab Herbst auch ein entsprechendes IO-Link-Modul im Formfaktor ET200pro geben.

Die Performance der S7-1500-Baureihe steht jetzt auch in IP65 zur Verfügung.

Die Performance der S7-1500-Baureihe steht jetzt auch in IP65 zur Verfügung. Redaktion IEE

Verhilft Industrie 4.0 dem Thema IO-Link zu mehr Dynamik?

Pletner: Ein Bestandteil von Industrie 4.0 sind intelligente Aktoren und Sensoren in der Feldebene. Mit IO Link kann genau dies realisiert werden. Der Sensor kann darüber mehr Daten als einfach nur einen Analogwert liefern, zum Beispiel auch die Qualität des Wertes. Damit lassen sich Prozesse leichter optimieren.

Die Controller haben OPC UA an Bord. Ist das eine Konsequenz auf die Industrie-4.0-Szenarien und den wachsenden Kommunikationsbedarf?

Dörner: Einen zusätzlichen PC als Zwischenschicht einzubauen, wird von vielen Kunden heute nicht mehr akzeptiert. Zur Datenerfassung ist es vielfach gewünscht, die Steuerungen über eine standardisierte Schnittstelle direkt an die Managementebene anzubinden. Hierfür ist OPC UA ideal.

Pletner: Im ersten Schritt ist in die neuen ET-200pro-CPUs, wie auch in allen CPUs auf Basis S7-1500, ein OPC-UA-Server implementiert, der das Data-Access-Protokoll beherrscht. Somit können OPC-UA-Clients, wie HMI-Panels, Scada-Systeme oder auch andere Geräte, Daten aus der CPU auslesen oder in die CPU schreiben. Für weitere Entwicklungsstufen planen wir auch einen OPC-UA-Client zu implementieren.

Werden auch OPC-Funktionen wie die Pub/Sub-Kommunikation implementiert?

Dörner: Die Pub/Sub-Kommunikation ist ein Thema der nächsten Entwicklungsstufen.

Braucht die OPC-UA-Kommunikation nicht zu viel Rechenleistung, wenn darüber die Daten vieler Sensoren in die Cloud geschickt werden?

Pletner: Für die aktuelle S7-1500-Steuerungsgeneration, die jetzt auch in der ET-200pro-Bauform verfügbar ist, haben wir schon bei der Entwicklung einen großen Anteil der Leistung für die Kommunikation reserviert. Somit können wir die Anforderungen der Digitalisierung einfacher umsetzen.

Dörner: Natürlich gilt es auf die Performance zu achten, wenn sehr viele Daten über OPC UA ausgetauscht werden. Die lässt sich aber auch mit anderen Mitteln steigern, als nur über die CPU-Performance: So kann man zum Beispiel die Kommunikationsperformance um den Faktor 10 bis 100 steigen, wenn die Daten auf der CPU in Arrays und strukturiert abgelegt sind. Außerdem kann die Netzlast mithilfe des Abonnements von Daten reduziert werden, wobei die CPU Daten erst bei einer Wertänderungen an den Client sendet.

Mit welcher Performanceklasse gehen Sie jetzt ins Feld?

Pletner: Die Leistung der ET-200pro-CPUs entspricht einer S7-1500 CPU 1516-3 PN/DP, also einer CPU im höheren Leistungs­segment. Diese gibt es in zwei Ausführungen, einmal als Standard und mit integrierter Safety. Nicht nur die Performance CPUs 1516pro-2 PN ist gleich der S7-1500 CPU 1516-3 PN/DP, sondern auch die übrigen Mengengerüste.

Das zweite Profinet-I/O-Interface ermöglicht die gewohnte Trennung von IT- und Steuerungsnetzwerk.

Das zweite Profinet-I/O-Interface ermöglicht die gewohnte Trennung von IT- und Steuerungsnetzwerk. Redaktion IEE

Warum gibt es bei den CPUs kein WLAN als Interface?

Dörner: Wir hatten über Jahre ein Interface-Modul mit WLAN-Anbindung im Port­folio. Der Großteil der Kunden hat sich aber für eine konventionelle Verdrahtung entschieden. Bei der CPU konzentrieren wir uns dem Aufstellungsort entsprechend auf Applikationen und Anwender, die eine M12-Verdrahtung favorisieren beziehungsweise aufgrund der Umgebungsbedingungen benötigen. Eine Ausnahme bildet die Programmierschnittstelle. Hier ist ein RJ45-Interface obligatorisch, das wir aber hinter einer robusten Plexiglas-Verschraubung vor Schmutz und Feuchtigkeit schützen. Bei Bedarf lässt sich ein Wireless-Zugang mit der Anbindung über Profinet und passende Switches realisieren.

Was gab den Anstoß für die zwei getrennten Profinet-Schnitt­stellen auf der CPU?

Pletner: Besonders bei einer Anbindung an die Management­ebene oder das IT-Netz ist es wichtig, dass zwar die CPU eingebunden ist, jedoch nicht die IO-Stationen. Denn jede IP-Adresse muss von der IT verwaltet werden: und je weniger, desto effizienter. Deshalb wollen viele Unternehmen diese Trennung.

Dörner: Unsere Kunden aus der Automobilbranche setzen heute die ET-200pro-Systeme mit einer IM154-8 PN/DP CPU, basierend auf S7-300, sehr erfolgreich zum Beispiel in der Powertrain-Fertigung ein. Dabei kommuniziert die CPU über Profinet IO mit der übergeordneten Steuerung, beziehungsweise über TCP-IP mit dem IT-System. Die lokalen dezentralen IOs oder Antriebe sind über Profibus-DP angebunden. Somit hat der Kunde zwei Bussysteme in seiner Anlage mit entsprechenden Vor- und Nachteilen. Der allgemeine Trend von Profibus zu Profinet ist in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Und in der heutigen Zeit, wo man sehr viel über die Industrie 4.0, Vernetzbarkeit und das Internet of Things spricht, wollen auch unsere Kunden die Vorteile von Ethernet/Profinet bis in die Feldebene nutzen.

Pletner: Ein positiver Nebeneffekt kommt noch dazu: vereinfachte Ersatzteilhaltung bei einem Bussystem. Aus dieser Anforderung sind wir zur ET-200pro-CPU mit zwei getrennten Profinet IO-Schnittstellen gekommen.

Haben das die Schaltschrankversionen ebenfalls?

Dörner: Ja. Die Schaltschrank-Varianten, in diesem Fall die S7-1500-CPUs der höheren Leistungsklasse ab 1515, bekommen mit der Firmware-Version V2.0 auch eine zweite Profinet-IO-Schnittstelle. Im Vergleich zu den Schaltschrank-Varianten besitzen die ET-200pro-CPUs aber einen zusätzlichen Port. Ein Port mit M12-Anschlusstechnik für die Anbindung an die IT-Welt, ein zweiter M12-Port für den Aufbau einer Linie in der IO-Ebene sowie ein RJ45-Port für das Programmiergerät.

Bestehende Programme sind sicher kompatibel mit der IP65-Variante?

Pletner: Sollte mal die Leistung der ET-200pro-CPUs 1516pro-2 PN für eine Applikation nicht ausreichend sein, kann problemlos eine größere S7-1500-CPU verwendet werden, zum Beispiel 1517 oder 1518. Die SPS-Programme lassen sich über das TIA Portal schnell und komfortabel migrieren. Da bei der ET 200pro das IO-Spektrum beibehalten wird, lassen sich sogar die Zugriffe auf die I/O Ebene 1:1 übernehmen.

Abgesehen von der Bauform. Worin unterscheidet sich die ET-200pro-CPU von der S7-1500?

Dörner: Außer von der Bauform, dem Display und dem eingesetzten Rückwandbus, sind die CPUs vollkommen identisch. Eine CPU 1516 in der klassischen Bauform hat die gleichen Merkmale wie die in ET-200pro-Bauform.

Sind weitere Varianten geplant?

Dörner: Wir haben die Steuerungen für den größten Kunden­bedarf in dieser Bauart erstellt. Diese entspricht genau der Leistungsklasse, die auf dem Markt für IP67-Steuerungen aktuell gefragt wird. Verlangt der Markt in der Zukunft andere Leistungsklassen, kann es in den nächsten Jahren durchaus noch weitere Steuerungsvarianten geben.

Irgendwann wird die ganze Welt OPC UA sprechen.

Irgendwann wird die ganze Welt OPC UA sprechen. Redaktion IEE

Wie sieht es mit dem Speicher für Daten und Prozesswerte aus, wieso schreibt Siemens hier die eigenen Memory Cards zwingend vor?

Pletner: Bei den Simatic-CPUs werden Simatic Memory Cards eingesetzt, die speziell für unsere Steuerungen entwickelt wurden. Die mit Standard-SD-Kartenlesern beschreibbaren SMC-Karten sind für den industriellen Einsatz und die Performanceansprüche der Simatic-Steuerungen ausgelegt. Zum Beispiel verwenden sie gegenüber Consumer-Karten höherwertige SLC-Flash-Speicher (Single Level Cell). Der Unterschied liegt in der Anzahl der Bits, die sich in einer Speicherzelle speichern lassen. Bei unseren SLC-Karten wird genau ein Bit in einer Speicher­zelle gespeichert, bei den Multi Level Cells aus der Consumer-Welt dagegen bis zu 3 Bits, was die Fehlerwahrscheinlichkeit erhöht. Auch die Lebensdauer einer SLC-Karte ist um den Faktor 10 bis 30 höher als bei einer MLC-Karte. Die Siemens Cards beherrschen bis zu 500 000 Schreib/Löschvorgänge bezogen auf die gesamt Speichergröße. Im Vergleich dazu kommt eine Standard-Karte nur auf etwa 10 000 bis 30 000 Schreib/-Löschvorgänge.

Dörner: Neben der Verlässlichkeit der Karten ist auch der Kopierschutz der Programme ein wichtiger Faktor für die Industrie. Das ist über die eindeutige Kennung der Karte möglich. Bei Karten aus dem Elektronikmarkt ist dies nicht gewährleistet. Wichtig ist auch die Ersatzteilverfügbarkeit. Wir garantieren zehn Jahre Ersatzteilkompatibilität. Standardkarten ändern die Spezifikation alle drei Jahre, sodass neuere Karten oft nicht mehr kompatibel in alten Systemen einsetzbar sind.

Mit welchen Tools werden die CPUs programmiert?

Pletner: Programmiert werden die CPUs mit Step7 im TIA Portal V14. Zum Download des Projekts reicht der Webserver oder man nutzt das Simatic Automation Tool.

Wieso ist der Umstieg auf Step7 V14 notwendig?

Dörner: Die CPUs besitzen neue Funktionen des TIA Portals V14, wie zum Beispiel den OPC-UA-Server oder Prodiag. Deswegen ist die neue Version erforderlich.

Wie sind die CPUs im TIA Portal und TIA-Konfigurator abgebildet?

Pletner: Die neuen CPUs sind genauso im TIA Portal und TIA Selection abgebildet wie die bestehenden Steuerungen. Dazu kommen natürlich Eigenschaften wie die integrierte Motion-Funktionalität, die analog zu den andern S7-1500 realisiert wurden.

Welche IO-Erweiterungen sind verfügbar. Findet hier auch eine sukzessive ‚Modernisierung‘ statt?

Pletner: Neben dem IO-Link-Mastermodul gibt es einen neuen Frequenzumrichter und ein erweitertes RFID-Readermodul, an das sich ein Handlesegerät direkt anschließen lässt.

Das TIA Portal V14 ist Cloud-fähig.

Das TIA Portal V14 ist Cloud-fähig. Redaktion IEE

Haben die einzelnen IO-Module ebenfalls einen OPC-UA-Server?

Dörner: Die Daten der IO-Module werden in der CPU gesammelt und aufbereitet. Von dort werden diese dann weitergeleitet. Für Industrie-4.0-Szenarien ist es wichtig, Transparenz und auswertbare Daten zu liefern. Dabei hilft es, Daten von unterschiedlichen Aktoren/Sensoren zu sammeln und diese dann in einem normierten Format zusammenzufassen.

Eine Neuerung ist die Backup- und Restore-Funktion per Webserver. Öffnet das dem Datenklau nicht Tür und Tor?

Pletner: Der Webserver kann über Benutzer­gruppen und Passwörter gesichert werden. Außerdem lässt sich die Kommunikation über https verschlüsseln. Somit ist der Zugriff auf die CPU individuell einzuschränken.

Lässt sich der Webserver auch für die Visualisierung nutzen?

Pletner: Auf dem Webserver lassen sich auch Webseiten mit Zugriff auf Prozessdaten ablegen. Das nutzen unsere Kunden meist für Servicezwecke oder für die Fernwartung.

Wann sind die CPUs und das TIA Protal verfügbar?

Dörner: Die neuen ET-200pro-CPUs 1516pro-2 PN und das TIA Portal V14 wurden gemeinsam auf der Hannover Messe vorgestellt. Der Liefereinsatz ist für das dritte Quartal 2016 angedacht.

(sk)

Sie möchten gerne weiterlesen?