Es wird schwierig für Unimicron Germany, wie Ruwel International nun durch die Umfirmierung durch den taiwanesischen Mutterkonzern seit dem 16. Januar 2017 heißt: Der Totalausfall eines Zulieferers von sicherheitsrelevanten Bauteilen wird sich in der Automobilindustrie bemerkbar machen und wohl vorübergehend zu Lieferengpässen führen.

Ein Blick in das ehemalige Vorzeige-Werk bei Ruwel: Drei parallele DES-Linien für die Produktionsschritte Entwickeln-Ätzen-Strippen sorgten für Kapazität.

Ein Blick in das ehemalige Vorzeige-Werk bei Ruwel: Drei parallele DES-Linien für die Produktionsschritte Entwickeln-Ätzen-Strippen sorgten für Kapazität. Productronic-Archiv

Die großen Tier 1-Systemhersteller, die unmittelbar den Automobilkonzernen zuliefern, haben zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit für jedes strategisch wichtige Bauteil eine „Second Source“, eine zweite Lieferquelle. Diese wird beim Ausfall eines Lieferanten mengenmäßig sofort hochgefahren.

Nach dem Großbrand am 28. Dezember 2016 wird Ruwel/Unimicron Germany aus kompletter Eigenproduktion in den kommenden etwa eineinhalb bis zwei Jahren nicht in bisherigem Umfang lieferfähig sein. Daher werden üblicherweise in solchen Situationen andere, bereits als Automobilzulieferer freigegebene Hersteller für diese jetzt knappen Teile als neue Second Source qualifiziert. Dies, um keinen völligen Abriss der Zulieferkette aus der nunmehr nur noch einzig existierenden Lieferquelle zu riskieren.

„Auftragsflucht“ nach Asien

Der Lebenszyklus eines Pkw-Modells beträgt im Schnitt rund fünf Jahre, bevor ein grundlegend neues Modell auf den Markt kommt. In der Regel begleitet ein Leiterplattenhersteller Neuanläufe von sicherheitsrelevanten Teilen schon als Entwicklungspartner und fertigt erste körperliche Muster für Prüf- und Testzwecke.

Diese müssen wegen der reproduzierbaren Qualität bereits vom späteren Serien-Equipment stammen. Und genau dies wird eine der größten Herausforderungen für Ruwel werden: Ohne Serien-Equipment, keine Entwicklungsmuster für Neuanläufe. Ohne Neuprojekte kein Seriengeschäft für die dann kommenden zirka fünf Jahre.

Der niederrheinische Leiterplattenhersteller verfügt über Produktionskapazitäten in chinesischen Werken der Muttergesellschaft Unimicron und hat dort ein vergleichbares Qualitätssicherungsmanagement eingeführt. Qualitativ gute Leiterplatten ungleich günstiger aus Asienzu beziehen, ist attraktiv. Wo Ruwel/Unimicron Germany diese „Auftragsflucht“ zugunsten eigener Auslastung in Geldern bislang verhindern konnte, dürfte dies jetzt schwierig werden.

Aber auch asiatische Werke benötigen eine vorherige Freigabe. Und die bisherige deutsche und europäische Leiterplatten-Historie verdeutlicht, dass abgewanderte Aufträge in aller Regel nicht mehr zurückkommen.

 

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Das Innenlagen-Werk mit dem gesamten Basismaterialvorrat wurde zerstört. Doch einige Brandschutzmauern hielten Stand. Fraglich, ob die Versicherungen einen „Totalschaden“ anerkennen und somit einem schnellen Werksneubau nebenan auf der „grünen Wiese“ zustimmen.

Das Innenlagen-Werk mit dem gesamten Basismaterialvorrat wurde zerstört. Doch einige Brandschutzmauern hielten Stand. Fraglich, ob die Versicherungen einen „Totalschaden“ anerkennen und somit einem schnellen Werksneubau nebenan auf der „grünen Wiese“ zustimmen. Lokalpresse

Kein Masslam-Service in Europa mehr

Zwischenzeitlich versucht Ruwel/Unimicron Germany sein Außenlagenwerk weiter mit fertig verpressten Innenlagen von externen Lieferanten zu füttern. Zu besseren Zeiten der Leiterplattenindustrie in Europa wurde Masslam als Halbfertigprodukt von führenden Basismaterialherstellern angeboten. Auch Ruwel versuchte seinerzeit, seine deutlichen Überkapazitäten Mitbewerbern anzubieten.

Im vergangenen Jahr stellte Option Circuits in Großbritannien als letzter Anbieter seinen Masslam-Service ein. Als Bezugsquelle kommen jetzt nur Mitbewerber und asiatische Werke im Unimicron-Konzern in Frage. Dem Vernehmen nach sind Ruwel-Mitarbeiter unter anderem in China sowie bei der schweizerischen Varioprint im Einsatz.

Doch solch ein Fremdbezug ist umständlich. Jeder Leiterplattenhersteller hat seine Fertigung auf bestimmte Produktionspanel-Größen abgestimmt. Daher müssen die Gerberdaten aller Bestandstypen zunächst erneut in der Arbeitsvorbereitung für diese neuen fremden Panel-Formate mit verschnittarmer Nutzenauslegung und allen zugehörigen Programmen zur Equipment-Steuerung umgesetzt werden.

Darüber hinaus verlangen Kunden vor der Serie aus dieser neuen Produktionskonstellation Freigabemuster, die eigehenden Untersuchungen unterzogen werden. All das kostet Zeit, lange Transportwege und bedeutet Aufwand. Manche Aufträge werden da sicher kundenseitig anderweitig vergeben, um diese von A bis Z aus einer Hand betreuen zu lassen.

2015 wurden in Europa noch bei mehrjährig abfallender Tendenz Leiterplatten im Wert von 1,852 Mrd. Euro gefertigt. Das sind nur noch 3,8 Prozent der Weltproduktion. Ruwel erzielte im Jahr 2016 einen Jahresumsatz von knapp 50 Mio. Euro.

2015 wurden in Europa noch bei mehrjährig abfallender Tendenz Leiterplatten im Wert von 1,852 Mrd. Euro gefertigt. Das sind nur noch 3,8 Prozent der Weltproduktion. Ruwel erzielte im Jahr 2016 einen Jahresumsatz von knapp 50 Mio. Euro. Data4PCB

Basismaterial ist knapp

Eine weitere Herausforderung ist die schnelle Basismaterialbeschaffung, denn Kuferfolien steigen im Preis und sind knapp. „Konkurrierende aufstrebende Technologien, wie Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung, Elektroautos und Elektrofahrräder, mobile Endgeräte, Akku-Werkzeuge und die dafür notwendigen Batterien binden enormen Mengen des am Markt gehandelten Kupfers“, verdeutlicht der Leiterplattenindustrie-Experte Michael Gasch von Data4PCB. „Der Herstellprozess von Kupferfolien ist sehr aufwändig. Die Nachfrage stagnierte in den letzten Jahren. Zur besseren Auslastung suchten die Folienhersteller nach Alternativen und fanden diese in der Batterietechnik. Die Folienproduktion dafür ist prozesstechnisch auch weniger anspruchsvoll und wird besser bezahlt“, erläutert Gasch besorgt.

Aus diesen Gründen seien allein in den Jahren 2015 und 2016 schon über 21 Prozent der Gesamt-Folienkapazität für den Batteriebereich umgewidmet worden „und weitere Mengen werden folgen“, prognostiziert der Marktforscher. Ruwels Lagerbestand an Basismaterial ist vernichtet. Wettbewerber benötigen das knappe und teure Material zur Bedienung ihrer eigenen Kunden. Bis die Unimicron-Tochter über eigene neue Kontingente verfügt, dürfte es dauern und zu weiteren Lieferverzögerungen führen.

 

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Doch noch keine Baugenehmigung

Bei Industriebränden gibt es aus guten Gründen von den Versicherungsgesellschaften kein Bargeld. Daher wird Ruwel eine neue Werkshalle in Geldern bauen. Dazu hieß es in einer ersten Stellungnahme des Unternehmens auf seiner Homepage erst fünf Tage nach der Katastrophe am 2. Januar 2017: „Wir werden auf dem Grundstück hinter Werk 2 so schnell wie möglich ein neues Werk aufbauen … und wir haben bereits eine Baugenehmigung.“ Weltrekord! Planung, Statik, Brandschutzkonzept, Umweltgutachten und Baugenehmigung in nur fünf Tagen – und das über Silvester und Neujahr!

So war es nicht verwunderlich, dass das Unternehmen angesichts ungläubigen Staunens aller Orten alsbald zurückrudern musste und sich fünf Wochen nach dem Brand, zum zweiten Mal auf seiner Homepage sehr zurückhaltend äußert: „Intensive Gespräche mit dem Architekten und der Stadt Geldern“ fänden statt, „erste Bauzeichnungen“ seien erstellt.

Das jetzt zerstörte Werk Geldern II war für 1,5 Mio. Quadratmeter Innenlagen pro Jahr nach damaligen Mitteilungen des Unternehmens ausgelegt und schon bei Fertigstellung im Jahr 2001, kurz nach dem Börsencrash und Wirtschaftskrise, völlig überdimensioniert.

Das jetzt zerstörte Werk Geldern II war für 1,5 Mio. Quadratmeter Innenlagen pro Jahr nach damaligen Mitteilungen des Unternehmens ausgelegt und schon bei Fertigstellung im Jahr 2001, kurz nach dem Börsencrash und Wirtschaftskrise, völlig überdimensioniert. Productronic-Archiv

Auch der Neubau auf der grünen Wiese, zeitsparend parallel zu den Abbrucharbeiten, scheint fraglich. Denn diesem müssten die beteiligten Versicherungen zustimmen. Doch einige Brandschutzwände hielten stand und so ist nicht unbedingt von einem Totalschaden auszugehen: „Die Sachverständigen … bewerten den Restbestand“, heißt es dazu von Ruwel/Unimicron. Heißt unter Umständen: Weitere Zeitverzögerung, denn zunächst müssten Teilabriss und Entsorgung der Trümmer erfolgen, bevor ein Neubau errichtet werden kann. Dieser hatte damals schon unter Hochdruck genau ein Jahr gedauert – nach Monaten der Planung und Genehmigungen.

Etikettenwechsel löst Problem nicht

Nach Fertigstellung müssen zunächst neue Zertifizierungen (Qualitätsmanagementsystem, Umwelt etc.) erfolgen, maßgebliche Automobilzuliefer-Kunden müssen die Werks- und Prozessfreigaben erteilen, und schließlich müssen Freigabemuster gefertigt und geprüft werden. Wenn die ersten Serien für automobile Sicherheitselektronik das neue Werk verlassen, zeigt der Kalender schon schnell das Jahr 2019.

Ruwel-Betriebsleiter Bart Kempen hatte im TV-Interview kurz nach dem Brand noch gemeint, es werde „alles voll weitergehen. Die Frage ist nur, wie lange wir brauchen werden – Tage oder Wochen – bis hier wieder alles funktioniert“. Das zerstörte Werk war seinerzeit für rund 30 Mio. Euro errichtet und ausgestattet worden. Geschäftsführer Gerard van Dierendonck bezifferte jetzt den reinen Brandschaden in der Lokalpresse mit „40 bis 45 Mio. Euro“.

Zeitnahe, transparente und verlässliche Krisenkommunikation ist nach einer derartigen Katastrophe unabdingbar, will man nicht das Vertrauen bei Geschäftspartnern und in der Öffentlichkeit verlieren. Da hilft es auch nicht, sich rasch einen anderen Namen zu geben: Wo jetzt nur „Unimicron Germany“ drauf steht, ist immer noch „Ruwel International“ drin. Professionell geplant, hätte das „neue“ internationale Unternehmen sicherlich zum Start zumindest eine eigene Internetseite gehabt.

 

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Die Überkapazitäten im Innenlagenbereich hatte Ruwel seinerzeit als „Masslam-Service“ für Wettbewerber mit nur mäßigem Erfolg angeboten.

Die Überkapazitäten im Innenlagenbereich hatte Ruwel seinerzeit als „Masslam-Service“ für Wettbewerber mit nur mäßigem Erfolg angeboten. Productronic-Archiv

Was bleibt am Ende von Ruwel?

Kritisch könnte für den Leiterplattenhersteller jetzt auch eine einsetzende Personalflucht werden: Schon damals in der Insolvenz 2009 wechselte sogar Führungspersonal rasch zum Wettbewerb. Für die Dauer wohl eines Jahres sind die Löhne über die Versicherung gedeckt. Doch dann wird sich zeigen, wie viele Kunden, wie viele Aufträge noch vorhanden sind, und wie viele Mitarbeiter man aus eigener Tasche dann noch bezahlen will.

Schon zu Zeiten der Insolvenz gab es auch öffentlich geäußerte Gedankenspiele von Verantwortlichen in der Stadt Geldern, dass sich die Ruwel-Halle auch sehr gut alternativ für ein Einkaufszentrum an der Peripherie zur Stadt mit reichlich Parkplätzen eigenen würde. Und neue Maschinen könnten auch in Asien ans Netz gehen. Die Sorge der Belegschaft ist also verständlich.

Ungewisse Zukunft

Wird der Großbrand des Leiterplattenwerkes in Geldern die seit Jahren bestehende Konsolidierung des deutschen und europäischen Leiterplattenmarktes weiter vorantreiben? Zumindest aus eigener Kraft wird sich Ruwel/Unimicron Germany kaum wieder etablieren können. Denn konnte in den ersten Tagen des neuen Jahres noch fertiges Masslam zu Leiterplatten endverarbeitet werden, so fehlte im unbeschädigten Außenlagen-Werk I zum Monatsende hin der Nachschub.

Frank Hoiboom

PR-Berater und freier Journalist

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