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So „sieht“ der Parkassistent seine Umgebung.

So „sieht“ der Parkassistent seine Umgebung.Carmeq

Die Komplexität der Fahrerassistenzsysteme (FAS) ist in den letzten Jahren stark gestiegen und wird weiter zunehmen. Ein Hauptgrund ist der wachsende Autonomiegrad der Funktionen. So hat die erste Generation des Park Assist von Volkswagen lediglich das Lenken übernommen: der Fahrer war zuständig für Gas- und Bremspedal. Der aktuelle Park Assist, beispielsweise im Passat, bremst zusätzlich den Fahrer ein, wenn er zu schnell fährt oder droht, mit einer Parklückenbegrenzung zu kollidieren. Ähnliche Tendenzen finden sich in den Quer- und Längsführungssystemen im Fahrzeug.

Mit steigendem Autonomiegrad steigen auch die Anforderungen an die funktionale Sicherheit. Dies erhöht den Aufwand für die Erprobung der Funktion, deren Umfang wiederum durch die Bewertung von Sensoren und Umfeldmodellen auf ein sinnvolles Maß begrenzt werden kann. Hierfür sind leistungsfähige Mess- und Bewertungswerkzeuge notwendig, die es dem Entwickler erlauben, Sensor- und Umfelddaten mit der realen Welt zu vergleichen. Die hier vorgestellte Referenzmesstechnik erfüllt genau diese Anforderung, indem sie mit einem leistungsfähigen und gleichzeitig genauen Lasersensor die Umwelt erfasst und diese Daten als „Ground Truth“ für die Sensordaten zur Verfügung stellt.

Entwurf des Referenzmesssystems

Das vorgestellte Referenzmesssystem wurde für die Entwicklung des Volkswagen Park Assist entworfen, ist aber von seinem grundlegenden Design für eine Reihe weiterer FAS ausgelegt, für die es derzeit weiterentwickelt wird. Eine wesentliche Forderung bestand darin, das System mit wenigen Komponenten zu realisieren, um eine geringe Ausfallrate sowie schnelle Rüstzeiten zu erreichen. Außerdem soll es für den Einsatz in beliebigen Erprobungsumgebungen – insbesondere auch auf öffentlichen Straßen – geeignet und nicht auf ein Begleitfahrzeug angewiesen sein. Es soll robuste Referenzdaten in 3D liefern, die sich automatisch oder mit einer aussagekräftigen Visualisierung manuell auswerten lassen. Die Wahl für den Referenzsensor fiel auf den Velodyne 3D Laserscanner, der mit 5 bis 15 Hz rotiert und die Umgebung mit 64 vertikal angeordneten Strahlen abtastet.

Bild 2: Modularer Aufbau der laborgestützten Validierungsplattform für dynamische Navigationssysteme einschließlich Drehtelleranbindung.

Bild 2: Modularer Aufbau der laborgestützten Validierungsplattform für dynamische Navigationssysteme einschließlich Drehtelleranbindung. Carmeq

Problematisch ist die Tatsache, dass der Erfassungsbereich des Laserscanners bei Montage auf dem Autodach durch seine begrenzte vertikale Auflösung Abschattungsbereiche aufweist (Bild 2). Für Parksysteme sind im Wesentlichen statische Objekte interessant, so dass sich diese Abschattungsbereiche durch Messergebnisse ergänzen lassen, die das System zu einem früheren Zeitpunkt ermittelte, zu dem die Bereiche im Erfassungsbereich des Sensors waren. Auf diese Weise erfasst das System die gesamte Szenerie während der Vorbeifahrt des Fahrzeugs komplett und reichert sie integrativ an. Zu diesem Zweck ist es nötig, die Fahrzeugbewegung genau zu kennen.

Eigenbewegungsschätzung

Die Eigenbewegungsschätzung dient neben der Ergänzung der Abschattungsbereiche als Referenz für die Fahrzeug-Odometrie, die der Park Assist auf Basis der Rad-Drehsensoren des Bremsensystems berechnet. Außerdem führt die Eigenbewegung des Referenzsensors während dessen Drehung und einer gleichzeitigen Bewegung des Fahrzeugs zu einer Verzerrung der abgetasteten Objekte, die kompensiert werden muss.

Auch für die Eigenbewegungsschätzung gilt, dass möglichst wenige Komponenten zum Einsatz kommen sollen, so dass die Ingenieure bewusst darauf verzichten, zusätzliche Ortungsgeräte – beispielsweise auf Basis von DGPS – einzusetzen. Das System schätzt die Eigenbewegung ausschließlich auf Basis der Punktwolken, die der Velodyne-Laserscanner liefert.

Bild 4a: Das Sensordatenbild stellt Parklücken und Fahrzeuge eindeutig dar.

Bild 4a: Das Sensordatenbild stellt Parklücken und Fahrzeuge eindeutig dar.Carmeq

Bild 4b: Das Sensordatenbild stellt Parklücken und Fahrzeuge eindeutig dar.

Bild 4b: Das Sensordatenbild stellt Parklücken und Fahrzeuge eindeutig dar.carmeq

Dazu nutzt das Messsystem das aus der Robotik bekannte Verfahren „Iterative Closest Point“ (ICP), das die Carmeq für die vorliegende Referenzmesstechnik anpasste. Das ICP-Verfahren funktioniert im Prinzip derart, dass es eine Messung zu einem Zeitpunkt t0 erfasst und mit einer Messung zu einem späteren Zeitpunkt t1, vergleicht. Zunächst reduziert das System beide Messungen auf eine Auswahl relevanter Punkte, um es im zweiten Schritt so lange im Raum zu verschieben, bis sich der minimale quadratische Abstand ergibt. Die so gefundene Verschiebung entspricht dann der geschätzten Bewegung.

Carmeq implementierte das Verfahren für das Referenzmesssystem und untersuchte es auf seine Leistungsfähigkeit. Zu diesem Zweck wurde ein Rundkurs in Berlin (Helmholtzstraße, Pascalstraße, Morsestraße) mit einer Länge von zirka 800 m vermessen und die Eigenbewegung auf diesem Kurs geschätzt. Die Auswertung ergibt einen rotatorischen Fehler von unter 1 ° und einen translatorischen Fehler von weniger als 20 cm. Die Berechnung der Eigenbewegungsschätzung erfolgt dabei in Echtzeit auf einem Notebook dessen Core-i7 Prozessor unter Windows 7 mit einer Prozessorauslastung von rund 25% arbeitet.

Referenzmesssystem für Park Assist

Carmeq hat das vorgestellte Referenzmesssystem für die Volkswagen AG entwickelt, um die komplexe Funktion des Park Assist 2.0 auf Ebene der Sensorik zu erproben und abzusichern. Die Funktionen des Park Assist 2.0 sind Längsparken, Querparken, Ausparken und Bremsen auf Hindernisse.

Die größte Herausforderung besteht dabei in der Genauigkeit der Parklückenvermessung mittels Ultraschall-Sensorik, welche aus dem Verlauf der Echos auf deren Lage schließt, Bordsteine erkennt und begrenzende Objekte möglichst genau klassifizieren muss.

Bild 5: Referenzmessszene des Park Assist beim Längsparken.  Die Referenzmessdaten für Objekte sind in türkis, die Daten für die Bodenebene in rot dargestellt.

Bild 5: Referenzmessszene des Park Assist beim Längsparken. Die Referenzmessdaten für Objekte sind in türkis, die Daten für die Bodenebene in rot dargestellt. Carmeq

Eine weitere Aufgabe besteht darin, die Odometrie des Park Assist, die großen Einfluss auf die Genauigkeit des Einparkergebnisses hat, zu beurteilen. Damit lassen sich Verschiebungen der Parklücke aus Sicht des Fahrzeugs aufgrund von Abweichungen der Odometrie des Park Assist beurteilen. Bild 5 zeigt eine Referenzmessszene des Park Assist beim Längsparken.

Derzeit entwickelt Carmeq das System weiter, um einerseits die automatische Auswertung von Einparkvorgängen zu erlauben und andererseits die Referenzierung für weitere Fahrerassistenzsysteme zu ermöglichen. 

Jesko Klandt und Dr. Markus Radimirsch

: Radimirsch arbeiten bei Carmeq – und zwar als Projektleiter beziehungsweise als Business Team Manager.

(av)

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