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(Bild: Incosol/Hilscher)

Anstelle des Rechners mit klassischer PC-Interfacekarte …

Anstelle des Rechners mit klassischer PC-Interfacekarte … Incosol

Die Virtualisierung von bisher physikalischen Windows-Systemen wird mehr und mehr auch bei Prozessleitsystemen (Scada) und Bedien-und-Beobachtungssystemen (HMI) umgesetzt. Insbesondere dann, wenn die bestehende PC-Hardware aufgrund von Defekten oder Überalterung ausgetauscht werden muss, nutzten viele Betreiber die Möglichkeit, mit dem System auf eine virtuelle Plattform wie VMware umzuziehen. Ein weiterer Auslöser ist ein Upgrade des Betriebssystems weil die bestehende Betriebssystemversion abgekündigt wurde. Davon betroffen ist beispielsweise Windows XP, das nicht mehr gewartet wird. Wer auf Nummer sicher gehen will, muss daher ein Upgrade auf eine aktuelle Windows-Version in Angriff nehmen. Weitere Gründe für eine Virtualisierung sind die einfachere, zentrale und kostengünstigere Wartung der Systeme.

An die Grenze stößt die Virtualisierung eines Automatisierungs-PCs immer dann, wenn in dem bisherigen System spezielle Einsteckkarten (im PCI/PCI-Express Format) verbaut sind. Typische Vertreter sind Interface-Karten für die Ankopplung an Feldbusse wie Profibus, Profinet, Devicenet oder CANopen. Solche ‚physischen‘ Interfaces können nicht virtualisiert werden, sondern müssten in den dem virtuellen System unterlagerten VM-Host-PC eingebaut werden.

An sich ist der Einbau dieser Schnittstellen in einen VM-Host-PC kein Problem, sehr wohl aber die softwareseitige Einbindung der Karte in das Wirts-Betriebssystem und das ‚Routing‘ der Karte in das virtuelle Gast-Betriebssystem, das die Dienste der Feldbusanschaltung nutzen möchte. Die typischen Virtualisierungsplattformen wie VMware ESX oder Microsoft Hyper-V unterstützen zwar jede Art von Standard-Hardware, etwa Grafikkarten, NICS, SCSI oder auch ältere Festplatten-Kontroller. Die speziellen Feldbus-Interfaces können jedoch nicht eingebunden werden.

Die existierende Feldbus-Infrastruktur in der Anlage mal so eben schnell gegen einen Ethernet-fähigen Feldbus (Profinet) zu ersetzen, wäre ein kostspieliges und zeitaufwendiges Unterfangen. Es braucht also eine Lösung, wie bestehende Feldbusse auch von einem virtualisierten System genutzt werden können.

LAN-Gateway ersetzt PC-Steckkarten

… tritt das LAN-Gateway. Über TCP/IP und den S7A-OPC-Server werden die Feldbusdaten direkt in das virtualisierte Scada-System gespielt.

… tritt das LAN-Gateway. Über TCP/IP und den S7A-OPC-Server werden die Feldbusdaten direkt in das virtualisierte Scada-System gespielt. Incosol

Die Firma Incosol hat hier einen Weg gefunden, in Form einer Kombination aus Hard- und Software: dem sogenannten NetHost-LAN- Gateway und dem S7A-OPC-Server. Der NetHost schlägt eine Brücke zwischen dem Feldbus, zum Beispiel Profibus DP und Ethernet. Als Hutschienen-Gerät kann es extern auf eine Hutschiene im Schaltschrank montiert werden, ein separater Host-PC für die Feldbusanschaltung entfällt.

Der NetHost agiert als Feldbus-Gateway in Richtung des virtualisierten Scada- oder HMI-Systems. Das Feldbus-Protokoll wird vollständig auf dem NetHost-Gateway abgewickelt. Als logisches Bindeglied zwischen NetHost und Software dient der S7A-OPC-Server. Dieser kommuniziert mit dem NetHost über TCP/IP auf dem Ethernet-Netzwerk. Eine speziell für das Gateway entwickelte Kommunikations-Dll leitet die Funktionsaufrufe des S7A-OPC-Servers per TCP/IP Protokoll an das NetHost-LAN-Gateway weiter und gibt die per TCP/IP-Telegramm vom Gateway empfangenen Feldbus-Daten an den S7A-OPC-Server zurück. Für den OPC-Server ist der Zugriff auf das Gateway transparent und unterscheidet sich nicht von einem direkten Zugriff auf eine im PC eingebaute Interface-Karte.

Eine Beeinträchtigung der Übertragungsgeschwindigkeit oder Datenaktualisierung entsteht durch das Routing der Funktionsaufrufe vom OPC-Server über das Ethernet zum NetHost nicht. Die heutigen Gigabit-Netzwerke verursachen keine signifikante Verzögerung der Kommunikation zwischen OPC-Server und Gateway. 1000 Byte Eingangs- und Ausgangsdaten sind in etwa 1 ms über das Netzwerk übertragbar. Zur Erhöhung der Verfügbarkeit und Betriebssicherheit lassen sich zwei NetHosts im Verbund redundant betreiben. Bei Kommunikationsunterbrechung zum primären Gerät führt der S7A-OPC-Server automatisch eine weiche Umschaltung auf das Backup-Gerät durch. Die Darstellung und Verarbeitung der Prozessdaten in der Scada/HMI-Anwendung wird durch die Umschaltung also nicht unterbrochen oder sonst wie beeinflusst.

Falls ein NetHost-Gateway ausgetauscht werden muss, kann das Ersatzgerät durch den Wechsel der Speicherkarte binnen Sekunden vom Wartungspersonal ohne Softwarekonfiguration in Betrieb genommen werden.

Altbewährte Software in neuem Kleid

Die softwareseitige Unterstützung des NetHost-Gateways steht ab Version 8 des S7A-OPC-Servers zur Verfügung. Mit dem Versionswechsel von 7 auf 8 hat die Software ein neues ‚Gesicht‘ erhalten: Die Benutzeroberfläche des bisherigen Konfigurators wurde komplett neu entwickelt und mit vielen Zusatzfunktionen ausgestattet, wodurch das Erstellen einer Konfiguration nun schneller und komfortabler erfolgt. Außerdem wurden die Diagnose- und Optimierungswerkzeuge erweitert. Zusätzlich zu den bisherigen Kommunikationskanälen (Profibus, Profinet, S7/S5 TCP/IP, MPI) erlaubt die Version 8 nun auch den symbolischen Zugriff auf die S7-1200/1500 Steuerungsfamilie. Die Betriebssystemunterstützung wurde auf Microsoft Windows 10 erweitert.

Retrofit in der Lebensmittelindustrie ersetzt

Incosol setzt auf die Gateways und Steckkarten der Firma Hilscher. Incosol/Hilscher

Incosol setzt auf die Gateways und Steckkarten der Firma Hilscher. Incosol/Hilscher

In einem Retrofit-Projekt bei einem Lebensmittelhersteller kommt diese Lösung zum Einsatz. Hier waren in der Anlage bislang mehrere Barcode-Scanner per Profibus-DP an einen Prozessrechner gekoppelt, der noch mit Windows XP arbeitete. Die Profibus-Anbindung erfolgte über eine klassische Einsteckkarte. Aufgrund der Abkündigung des erweiterten Supports von Windows XP im Jahr 2014 hätte dieser Rechner zumindest ein Betriebssystem-Upgrade erhalten müssen. Der Kunde entschied sich jedoch für die vollständige Ablösung des physikalischen Rechners durch ein virtuelles System auf einem VMware Host. Zur Ankopplung des Profibus-DP an den virtuellen Prozessrechner wurde das NetHost-LAN-Gateway in einen Schaltschrank eingebaut und der S7A-OPC-Server auf dem virtualisierten Prozessrechner installiert. Die erforderliche Anpassung der OPC Item IDs auf der OPC-Client-Seite wurde von Incosol mit einem Konvertierung-Tool durchgeführt.

Zurzeit unterstützt diese Lösung Profibus-DP und Profinet. Bis Ende des Jahres folgen die Feldbusse Devicenet, CANopen, Ethercat und Ethernet/IP. Ebenso können wie bisher auch PC-Karten als Feldbus-Gateways mit dem S7A-OPC-Server eingesetzt werden. Die PC-Karten gibt es in den Formfaktoren PCI, PCI Express, Compact PCI sowie im Low Profile PCI Express Format. Hersteller des NetHost-LAN-Gateways sowie der PC-Einsteckkarten ist die Firma Hilscher.

Jürgen Stähler

ist Geschäftsführer von InCoSol – Industrial Communications Solutions – in Dornburg.

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