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Die automatische Notbremsfunktion in Aktion

Die automatische Notbremsfunktion in AktionTRW

Eine der neusten Entwicklungen der TRW Automotive Holdings ist beispielsweise ein System zur Fußgängererkennung, das 2014 auf den Markt kommen soll. Es kombiniert die Daten einer skalierbaren Videokamera und eines relativ kostengünstigen 24-GHz-Radarsensors mit Hilfe von Datenfusion und ist außerdem mit der elektronischen Stabilitätskontrolle (ESC/ESP) integriert. Um Fußgänger zuverlässig zu detektieren, kombiniert das vorausschauende Fußgängererkennungssystem von TRW die Informationen der skalierbaren Videokamera und des 24 GHz Radars.

Erkennt die Kamera einen Fußgänger vor dem Fahrzeug und bestätigt das Radar diese Information, ermitteln Risikoalgorithmen die Wahrscheinlichkeit einer Kollision. Im nächsten Schritt wird der Fahrer gewarnt und – wenn nötig – automatisch ein Bremsmanöver eingeleitet. Mit dieser Elektronik ist das System in der Lage, das Fahrzeug bei einem bevorstehenden Unfall mit einem Fußgänger automatisch abzubremsen, um so die Schwere des Aufpralls zu reduzieren. „Dieses Prinzip gleicht dem der radarbasierten automatischen Notfallbremse mit reduzierter Bremsverzögerung von TRW, die bereits in Serie ist“, erläutert Martin Thoone, Vice President Electronics Engineering bei TRW. „Die skalierbare Kamera erkennt nicht nur Fahrzeuge, Fahrspuren und Verkehrszeichen, sondern auch Fußgänger in einer Entfernungen von über 40 Metern – und das sogar im schwierigen Umfeld des Stadtverkehrs, beispielsweise wenn Fußgänger mit Regenschirmen unterwegs sind oder mehrere Fußgänger die Straße an einem Fußgängerüberweg überqueren. Um diese große Komplexität zu bewältigen und zuverlässige Ergebnisse zu erhalten, kombinieren wir die Kamera mit unserem Radar.“

Bild 1: Der Spurhalteassistent überlagert ein Lenkmoment, das der Fahrer aber jederzeit korrigieren kann.

Bild 1: Der Spurhalteassistent überlagert ein Lenkmoment, das der Fahrer aber jederzeit korrigieren kann.TRW

Im Fahrtest war ein entsprechend ausgerüstetes Fahrzeug in der Lage, durch die automatische Bremsung eine Berührung mit dem auf einer freien Fläche stehenden Fußgänger-Dummy zu vermeiden, obwohl das Fahrzeug mit fast 60 km/h frontal auf den Dummy zufuhr. Nach Angaben von TRW hatte dieser Dummy in etwa die gleichen Radar-Absorptionswerte wie ein menschlicher Körper. Derzeit erkennt das System allerdings erst Personen, die mindestens 80 cm groß sind. „Mittelfristig, also innerhalb der nächsten fünf Jahre, wird die Fußgängererkennung ein ganz großes Thema“, hebt Martin Thoone hervor. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, die Bewegungsvektoren der Fußgänger richtig zu erfassen.

Lenkassistenz

Weitere Elektronik-Neuheiten für mehr Sicherheit sind die skalierbare Kamera, die in Kombination mit der elektrischen Servolenkung (Electrically Powered Steering – EPS) durch Lenkmomentenüberlagerung eine Spurhalteassistenzfunktion ermöglicht, sowie eine Fahrerlenkempfehlung (Driver Steer Recommendation – DSR) gibt. Die DSR-Funktion basiert auf der Integration von ESC und EPS und kann beim Übersteuern – beispielsweise bei starker Kurvenfahrt oder bei schnellem Fahrspurwechsel – sowie  in  µ-Split-Bremssituatio-nen ein Lenkmoment generieren, um die Fahrzeugstabilität zu erhöhen. Gerade im extremen µ-Split-Bereich zeigte dieses DSR-System im Fahrversuch seine Stärken, indem es automatisch die Spur hielt.

Bei einer Fahrt auf Landstraßen zeigte sich, dass die Spurhalteassistenzfunktion mit ihrer Lenkmomentenüberlagerung vom Prinzip her zwar schon recht gut funktioniert, aber bei einer Kombination aus regnerischem Wetter an einer Kuppe mit Kurve seine Grenzen aufzeigt. In solch einer Situation zeigt sich, warum der Fahrer offiziell nicht freihändig fahren darf und warum DSR eine reine Assistenzfunktion ist. Wenn das System übrigens bemerkt, dass der Fahrer die Hände nicht mehr am Lenkrad hat, löst es sofort eine Warnung aus.

Bild 2: Eine Videokamera liefert die Basisdaten für die Fußgängererkennung, Spurassistenten, Ver- kehrsschilderkennung etc.

Bild 2: Eine Videokamera liefert die Basisdaten für die Fußgängererkennung, Spurassistenten, Ver- kehrsschilderkennung etc.TRW

Komplexere Systeme

„Die Anzahl elektronischer Sicherheitssysteme im Auto ist erheblich gestiegen – ein Trend, der sich in den kommenden Jahren verstärken wird“, betont Martin Thoone. „Um diese große Komplexität zu bewältigen, arbeiten wir an Domain-Modell-Architekturen wie unserer Sicherheits-Domain-ECU, die wir mit SDE abkürzen. Mit diesem zentralen Rechnerkonzept können wir die Funktionen mehrerer dezentraler Steuergeräte zusammenbringen, kontinuierlich erweitern und letztlich auch elektronische Redundanzen reduzieren, so dass wir wiederum die Kosten für solche Systeme schrittweise senken können.“ Bei den Radar- und Kamerasystemen sieht Martin Thoone „ein sehr großes Interesse der OEMs“ – und zwar auch in allen Segmenten der Mittelklasse.

Future Brake System

Neben seinen integrierten Fahrerassistenzsystemen demonstriert TRW in Wüschheim auch sein neues vakuumunabhängiges sogenanntes „Future Brake System“ (FBS), das eine vollständige Bremsüberblendung für regenerative Bremssysteme ermöglicht. Die am Standort Koblenz entwickelte Technologie hat das Unternehmen auf der diesjährigen IAA erstmals vorgestellt. Das FBS ist ein modulares, vollständig integriertes System für alle standardmäßigen Brems- und Steuerungsfunktionen, beispielsweise ABS und ESC. Darüber hinaus kann das FBS erweiterte autonome Bremsanwendungen unterstützen und den dafür notwendigen hochdynamischen Bremsdruck aufbauen. Außerdem übernimmt es die Steuerung von Systemen wie adaptive Geschwindigkeitskontrolle (Adaptive Cruise Control – ACC), ACC mit Stop-and-Go-Funktion, Kollisionsminderungsbremse und automatische Notfallbremse.

Bild 3: Die Sicherheits-Domain-ECU (SDE) bringt mehrere zuvor dezentrale Steuergeräte in einem zentralen Rechnerkonzept zusammen.

Bild 3: Die Sicherheits-Domain-ECU (SDE) bringt mehrere zuvor dezentrale Steuergeräte in einem zentralen Rechnerkonzept zusammen.TRW

Auf dem Testgelände demonstrierte TRW das FBS in einem VW Passat sowie in einem Chevrolet Volt, bei dem die Überblendung von leichter über intensive Rekuperation bis zur hydraulischen Vollbremsung so implementiert war, dass die gerade genutzte Bremsfunktionalität (Rekuperation und/oder hydraulische Bremsung) für den Fahrer auf Grund des reinen Fahrverhaltens überhaupt nicht ersichtlich war. Weil das FBS ganz ohne mechanischen Durchgriff zwischen Bremspedal und Bremsen arbeitet, kommt es auch zu keinerlei Pedalrückwirkung, wenn das ABS einsetzt.  Damit könnte so manche Notbremsung noch effektiver werden als bisher, weil die Fahrer nicht mehr über ein pulsierendes Bremspedal erschrecken können.

FBS ist ein Brake-by-Wire-System

Dieses vollintegrierte vakuumunabhängige Brake-by-Wire-System verwendet einen Pedalsimulator sowie einen elektromechanischen Bremskraftverstärker und spart auf Grund der Vollintegration bis zu 4 kg Masse im Vergleich zu einem herkömmlichen vakuumbasierten Bremssystem. „Auf Grund geringer Systemkosten ist das FBS wettbewerbsfähig mit herkömmlichen vakuumbasierten Systemen, die eine elektrische Vakuumpumpe nutzen“, hebt Martin Thoone hervor.

Safety und FAS

Fahrerassistenzsysteme (FAS) sowie komplexe Sicherheitssysteme werden in Kürze die Mittelklasse erobern, und dafür stellen die OEMs jetzt bereits die entsprechenden Weichen. Durch die Demokratisierung der Fahrerassistenzsysteme sinken auch die Preise für die Nutzung der Radartechnologie.

„Intelligentes“ TPMS und ABL

„Ein weiteres Beispiel dafür, wie TRW Sicherheit durch Integration erschwinglich macht, ist ein neues Hybridsystem zur Reifendruckkontrolle mit Lokalisierungsfunktion“, erklärte Martin Thoone. Die neue Technologie nutzt die Raddrehzahlsensoren der elektronischen Stabilitätskontrolle oder des Antiblockiersystems, um die Position von einem oder mehreren Reifen mit zu niedrigem Druck zu bestimmen und benötigt somit keine zusätzliche Hardware.

Darüber hinaus stellte TRW ein integriertes System vor, das die automatische Notfallbremse (Automatic Emergency Braking – AEB) mit dem aktiven Gurtschloss (Active Buckle Lifter – ABL) kombiniert. Die Technologie kann mithilfe von Umgebungssensoren in kritischen Verkehrssituationen frühzeitig eine reversible Straffung des Sicherheitsgurtes auslösen, um den Insassen im Falle einer Kollision besser zu schützen. Bei entsprechender Auslegung der Steuerungssoftware des reversiblen Gurtstraffers lässt sich agiles Fahren noch aktiver erleben.

Alfred Vollmer

ist Redakteur der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK.

(av)

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