Start/Stopp-Segeln ist, ausgehend vom konventionellen Triebstrang mit Verbrennungs­motor, der nächste konsequente Schritt bei der Entwicklung skalierbarer Antriebsstrang-Technologien auf dem Weg zur Elektromobilität, denn die Funktion erlaubt es, während der Fahrt den Verbrennungsmotor vom restlichen Triebstrang zu entkoppeln und abzuschal­ten. Dieser verbraucht dann keinen Kraftstoff. Dadurch wird ein fast geräuschloses, emissionsfreies Rollen über weite Strecken möglich. Der Motor geht aus, sobald das Fahrzeug durch bloßes Rollen seine Geschwindigkeit halten kann, beispielsweise bei einem leichten Gefälle. Tippt der Fahrer Gas oder Bremse an, startet der Motor wieder.

Segeln: Die Weiterentwicklung des Start-Stopp-Systems.

Segeln: Die Weiterentwicklung des Start-Stopp-Systems.Bosch

Basis hierfür ist das im Markt etablierte Start/Stopp-System. Heute wird nahezu jedes zweite Neufahrzeug in Europa mit dieser umweltfreundlichen Technologie verkauft. Das Funktionsprinzip ist einfach, effizient und komfortabel: Bei Fahrzeugstillstand wird der Verbrennungsmotor automatisch abgeschaltet und der Kraftstoff gespart, der sonst unnö­tig zur Kompensation der Motorschleppverluste verwendet wird.

Segeln light

In einigen Autos ist schon heute ein Segeln „light“ mittels Doppelkupplungsgetriebe möglich. Dieses schaltet selbstständig in den Leerlauf, sobald der Fahrer vom Gas geht. So rollt das Auto zwar, verbraucht aber trotzdem wegen des Leerlaufbetriebs weiter Kraftstoff. Bosch setzt mit seinen Start/Stopp-Systemen traditionell auf einen komplett abgeschalteten Motor. Die erste Generation schaltet den Motor nur bei Fahrzeugstillstand aus. Beim erweiterten Start/Stopp-System wird der Motor bereits während des Ausrollens abgestellt, etwa vor einer roten Ampel. Fahrzeuge mit Start/Stopp-Segeln dagegen schalten den Verbrenner während der Fahrt ab, sobald der Fuß nicht auf Gas oder Bremse steht. Das spart noch mehr Sprit. Und da der Motor abgekoppelt ist, kann das Fahrzeug noch länger gleiten als beispielsweise mit der Schubabschaltung. Das Segeln basiert zu großen Teilen auf einer Erweiterung der Software auf Basis vorhandener Sensorinformationen.

Start/Stopp-Segeln

… ermöglicht einerseits Kraftstoff-Einsparungen von bis zu zehn Prozent, hat aber den Nachteil, dass Nebenaggregate bei stehendem Motor auch während der Fahrt nicht mehr permanent angetrieben werden. Daher sind in Fahrzeugen mit Start/Stopp-Segel-Systemen ein zyklisierbares Bordnetz, angepasste Bremsen und Getriebe sowie entsprechend modifizierte Klimaanlagen erforderlich.

Einsparen, wo es sinnvoll ist

Das Start/Stopp-Segeln erweitert dieses Prinzip nun. Gerade beim Fahren mit geringer Last bei höherer Motordrehzahl und fast konstanter Geschwindigkeit wird Kraftstoff lediglich zur Kompensation der Motorschleppverluste verbraucht. Umfangreiche Tests von Bosch haben gezeigt, dass der Motor rund 30 Prozent der Zeit nicht benö­tigt wird. Selbst im Vergleich zur etablierten Schubabschaltung ist das Rollen mit abge­koppeltem Aggregat effizienter: Da der Motor nicht mitgeschleppt wird, wird Verlustleistung vermieden und das Fahrzeug rollt deutlich leichter und länger. Damit lassen sich im Alltag zusätzlich zu Start/Stopp rund zehn Prozent Kraftstoff sparen – bei hubraumstarken Motoren oder durch die Verknüpfung mit Assistenzsystemen sogar noch mehr.

Neue Anforderungen an das Fahrzeugsystem

Das Start/Stopp-Segeln lässt sich mit relativ geringem Aufwand mit jedem Verbren­nungsmotorsystem kombinieren. Eine Herausforderung besteht darin, dass Neben­aggregate bei stehendem Motor nicht mehr angetrieben werden. Im Einzelnen bedeutet dies folgendes:

Im Rahmen der Evolution der Elektrifizierung ist das Segeln zwischen Start/Stopp-Systemen und Mild-Hybriden angesiedelt.

Im Rahmen der Evolution der Elektrifizierung ist das Segeln zwischen Start/Stopp-Systemen und Mild-Hybriden angesiedelt.Bosch

  • Die Ingenieure müssen das Bordnetz hinsichtlich Spannungsstabilität, Sicherheit und Anzahl der Lade- beziehungsweise Entladezyklen betrachten. So ist eine Redundanz der Span­nungsquellen (Generator und Batterie) während den Segelphasen bei abgeschal­tetem Motor nicht mehr gegeben. Daher muss das Bordnetz um einen zusätzlichen, kompakten und zyklisierbaren Energiespeicher und eine geeignete Leistungs­elektronik erweitert werden.
  • Eine elektrisch unterstützte Lenkhilfe ist bereits in den meisten Fahrzeugen vor­handen. Dieser Trend wird durch Start/Stopp-Segeln fortgeschrieben. Das Brems­system wiederum lässt sich entweder elektrisch mithilfe einer elektrischen Unterdruckpumpe oder eines elektromechanischen Bremskraftverstärkers unterstützen oder der Druck im Vakuum-Reservoir wird überwacht, um im Bedarfsfall einen Motorstart zu initiieren. Dies entspricht der Anwendung in heutigen Start/Stopp-Systemen.
  • Mit Zusatzmaßnahmen wie Speicherverdampfer und Zusatzwasserpumpe besteht die Möglichkeit, den Klimatisierungskomfort und die Segel-Verfügbarkeit (zum Beispiel Heiß- beziehungsweise Kaltland­applikationen) weiter zu erhöhen.
  • Für eine breite Marktdurchdringung spielen Getriebe eine zentrale Rolle. So eignen sich automatisierte Schaltgetriebe und Doppelkupplungsgetriebe sehr gut, wenn sie elektromechanisch oder elektrohydraulisch aktuiert sind. Bei hydraulisch aktuierten Getrieben garantiert eine zusätzliche elektrische Getriebepumpe den sicheren Betrieb. Die in Europa sehr beliebten manuellen Schaltgetriebe benöti­gen eine automatisierte Kupplung. Damit erschließen sich aber gerade für diesen Getriebetyp weitere hochattraktive CO2– und Komfortfeatures.

Durch die zahlreichen zusätzlichen Motorstarts sind zudem Anpassungen beim Startersys­tem notwendig. So muss entweder der Ritzelstarter ertüchtigt oder ein alternatives Start­verfahren eingesetzt werden. Beim sogenannten Schleppstart werden Getriebe- und Motorsteuerungsfunktionen intelligent miteinander kombiniert und koordiniert: Ein gezieltes Schließen des Triebstrangs nutzt die Bewegungsenergie des Fahrzeugs, um den Motor sehr komfortabel wieder auf Drehzahl zu bringen.

Segeln ist bald so normal wie eine Klimaanlage

Zusammenfassend stellt Start/Stopp-Segeln eine sehr attraktive, kunden- und umweltfreundliche Technologie im Umfeld des klassischen Antriebsstrangs dar. Das Sys­tem lässt sich als zentraler Baustein skalierbarer Antriebstrangtechnologien sehr gut mit milder Hybridisierung sowie mit Assistenzsystemen kombinieren und kann durch den überschaubaren Aufwand in so gut wie jedes Fahrzeug der Welt integriert werden. Dabei ist es egal, ob es sich um einen Diesel in Europa, einen Benziner in Nordamerika oder ein Erdgas-Fahrzeug in Asien handelt. Somit erfüllt die Start/Stopp-Segel-Funktion aus Sicht von Bosch alle Voraussetzungen, um zum Standard zu werden.

Dr. Norbert Müller und Steffen Strauß

arbeiten bei Bosch.

(av)

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