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Global verteilte Projekte gehören heute zum Alltag in der Automobilbranche. Firmen verlagern Entwicklungs- und Fertigungs-Aktivitäten in Niedriglohnländer, um eine bessere Kostenposition zu erreichen, den Zugang zu lokalen Märkten zu schaffen und auf den vorherrschenden Fachkräftemangel zu reagieren. Dabei arbeiten Teammitglieder in virtuellen Teams über Ländergrenzen hinweg am selben Projekt. So werden beispielsweise immer mehr Funktionalitäten im Auto in Software realisiert, die weltweit entwickelt wird. Auch in der Fertigung und im Zuliefererbereich spielt internationale Zusammenarbeit eine große Rolle.

Bild 1: Einflussfaktoren der internationalen Zusammenarbeit.

Bild 1: Einflussfaktoren der internationalen Zusammenarbeit. Siemens

Nicht selten werden verteilte Projekte mit großem Optimismus gestartet. Doch schon bald tritt die Ernüchterung ein, wenn das Projekt nicht ausreichend auf die globale Herausforderung vorbereitet ist: Arbeitsergebnisse kommen zu spät, die Qualität ist schlechter als erwartet, die Integration von Komponenten bereitet Probleme. Es kommt zu Spannungen und Konflikten zwischen den Standorten. Mit hohem Aufwand wird versucht, die Probleme doch noch in den Griff zu bekommen. Das Resultat sind oft deutliche Mehrkosten und Terminverzug.

Global erfolgreich agieren

Internationale Zusammenarbeit bringt neue Herausforderungen in unserem globalen Zeitalter, aber auch vielen Chancen mit sich. Wer den Herausforderungen durch die Erfolgsfaktoren Kommunikation, Organisation, Anforderungen, Architektur, Zeitmanagement, Kultur & Sprache und Mitarbeiter effektiv begegnet, erlebt nicht nur ein funktionierendes Team, sondern auch eine Bereicherung der Kulturen und der eigenen Sichtweise, was wiederum zu gesteigerter Teamfähigkeit führt. So ist es nicht verwunderlich, dass in einem eingespielten globalen Team die Zusammenarbeit mit den entfernten Kollegen oft weitaus besser funktioniert als mit manchem weniger erfahrenen Kollegen im Büro nebenan.

Global verteilte Projekte erfordern eine hohe Kompetenz im Management und in der Organisation virtueller Teams. Die Probleme liegen oft in der Kommunikation und Zusammenarbeit, die aufgrund der Verteilung erschwert wird. Im Wesentlichen beeinflussen vier Faktoren, wie schwierig sich ein global verteiltes Projekt gestaltet (Bild 1), nämlich Standorte, Produkt, Organisation und Mitarbeiter.

  • Standorte: Die Verteilung der Teammitglieder auf mehrere Standorte erschwert die Zusam-menarbeit, da persönliche Treffen nur eingeschränkt und mit hohem Reiseaufwand möglich sind. Unterschiedliche Zeitzonen beeinträchtigen die Erreichbarkeit. Kulturelle Unterschiede stellen eine zusätzliche Herausforderung dar.
  • Produkt: Die Struktur des Produkts (bei Softwareentwicklung beispielsweise die Software-Architektur) bestimmt maßgeblich die Abhängigkeiten zwischen Systemteilen und somit den Kommunikationsbedarf. Insbesondere nichtfunktionale Anforderungen wie Performance oder Security haben oft Auswirkungen auf weite Teile des Produkts und damit auf mehrere Standorte.
  • Organisation: Klare Verantwortlichkeiten und Prozesse bilden die Grundlage für die Arbeit globaler Teams. Es hängt von den Zielen der Organisationseinheiten und Standorte sowie der Incentivierung ab, ob alle Mitglieder auf das selbe Ziel hinarbeiten.
  • Mitarbeiter: Die Qualifikation der Mitarbeiter wirkt sich maßgeblich auf die internationale Zusammenarbeit aus. Wesentlich sind dabei die Erfahrung mit verteilten Projekten, Sprach-kenntnisse und Kommunikationsfähigkeit. Ebenfalls wichtig sind Technologie- und Domänen-wissen, denn sie erleichtern die Kommunikation und das Verständnis von Anforderungen.

In einer Studie bei Siemens (Finance & Reporting Organisation) mit Fokus auf Zusammenarbeit zwischen Indien und Deutschland sowie basierend auf unserer Erfahrung aus zahlreichen global verteilten Projekten haben wir Erfolgsfaktoren ermittelt, die für die internationale Zusammenarbeit entscheidend sind. Im Folgenden erläutern wir die sieben zentralen Erfolgsfaktoren Kommunikation, Organisation, Anforderungen, Architektur, Zeitmanagement, Kultur & Sprache und Mitarbeiter (Bild 2).

Bild 2: Sieben Erfolgsfaktoren bestimmen die internationale Zusammenarbeit besonders wesentlich.

Bild 2: Sieben Erfolgsfaktoren bestimmen die internationale Zusammenarbeit besonders wesentlich.Siemens

Kommunikation

Eine gut funktionierende, offene Kommunikation zwischen allen Projektbeteiligten ist die Grundlage für eine erfolgreiche internationale Zusammenarbeit. Entscheidend dabei ist das Vertrauen zwischen den Mitarbeitern. Zu allererst ist es deshalb sehr wichtig, Kommunikation auf einer persönlichen Ebene, durch persönlichen Kontakt aufzubauen. Die Mitarbeiter sollten sich gegenseitig Respekt entgegenbringen, genauso wie das beispielsweise innerhalb eines lokalen Teams erwartet wird. Falls möglich, ist es ideal, wenigstens zu Beginn eines neuen Projektes ein persönliches Treffen zu vereinbaren, denn bei einer persönlichen Begegnung können ganz andere Beziehungen aufgebaut werden, als das über Telefon oder E-Mail möglich ist.

Des Weiteren ist eine regelmäßige und kontinuierliche Kommunikation für eine gelingende Zusammenarbeit entscheidend. Da der normale Flurfunk (zum Beispiel zu einem Kollegen in das Zimmer nebenan gehen) bei internationalen/virtuellen Teams nicht möglich ist, sollten die Verantwortlichen darauf achten, dass es festgelegte Serientermine gibt, beispielsweise einen monatlichen Termin für alle an dem Projekt Beteiligten, um Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch zu haben. Zusätzlich zu diesen regelmäßigen Terminen sollten die Kollegen immer wieder über aktuelle Neuerungen informiert werden, um Missverständnisse im Vorhinein zu vermeiden.

Zuletzt tragen die Kommunikationsmedien beziehungsweise der richtige Umgang mit ihnen zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit bei: E-Mails lassen sich für umfassendere Informationen nutzen, ein firmeninternes Chatsystem für kurzfristigere Informationen beziehungsweise spontane Nachfragen. Telefonanrufe oder anderen Sprachanrufe sind oft hilfreich, wenn Angelegenheiten spontan geklärt werden müssen, eine E-Mail zu schreiben aber zu aufwändig wäre. Wenn es um ganz spezielle Dinge geht, wie beispielsweise das gemeinsame Erarbeiten eines Dokuments, dann gibt es die Möglichkeit des Application-Sharing (zum Beispiel Microsoft Live Meeting), bei dem auch eine Bildschirmfreigabe möglich ist. Und zuletzt sei noch die Videokonferenz erwähnt – quasi ein virtuelles Treffen an einem gemeinsamen Tisch.

Organisation

Um eine internationale Zusammenarbeit möglich zu machen, ist es zum einen wichtig, die Vorstellung von einem globalen Team mit gleichgestellten Mitgliedern zu haben. Es sollte kein Hierarchiedenken entstehen, sondern auch die Kollegen anderer Nationalitäten sollen als Teil des Teams gesehen werden, damit ein Arbeiten auf Augenhöhe entstehen kann. Hierfür ist auch die Unterstützung seitens des Managements essenziell. Ziele und Incentivierungsstrukturen sollten auf das globale Projekt ausgerichtet sein, um eine lokale Optimierung zu vermeiden.

Zum anderen sollten Prozesse und Verantwortungsbereiche klar geregelt sein und allen Projektbe-teiligten frühzeitig bekannt gemacht werden. Es kann auch hilfreich sein, gemeinsam Regeln zu entwickeln, wie die Zusammenarbeit ablaufen soll, um so kontinuierliche Verbesserungen zu erzielen.

Checkliste zur erfolgreichen internationalen Zusammenarbeit

Kommunikation

  • Offene, regelmäßige Kommunikation
  • Vertrauen aufbauen durch persönlichen Kontakt
  • Kommunikationsmedien gezielt einsetzen

 Organisation

  • Zusammenarbeit als ein globales Team
  • Klare Prozesse und Verantwortungsbereiche
  • Ziele und Incentivierung global ausrichten

 Anforderungen

  • Klare und präzise Anforderungen
  • Gemeinsames Verständnis entwickeln
  • Missverständnisse frühzeitig aufklären

 Architektur

  • Architektur bewusst planen
  • Abhängigkeiten reduzieren
  • Kompetenzcenter schaffen

 Zeitmanagement

  • Zeitunterschiede proaktiv managen
  • Flexibilität bezüglich Arbeitszeiten
  • Zeitliche Verfügbarkeit zum Vorteil nutzen

Kultur & Sprache

  • Offenheit für kulturelle Unterschiede
  • Kultur und Werte der Anderen respektieren
  • Sprachliche Unterschiede berücksichtigen

 Mitarbeiter

  • Qualifizierte Mitarbeiter gezielt auswählen
  • Mitarbeiter auf ihre Aufgabe vorbereiten
  • Mentoren einsetzen

 

Anforderungen

Die Anforderungen sind die Basis dafür, was in einem Projekt realisiert wird. Daher ist es von großer Bedeutung, diese Anforderungen klar und präzise zu formulieren. Um sicherzugehen, dass man richtig verstanden wird, kann es vor allem in der internationalen Zusammenarbeit nützlich sein, Beispiele und Bilder in den eigenen Ausführungen zu verwenden und sowohl seine eigenen Erwartungen aufzuzeigen als auch zu versuchen, die Erwartungen des Anderen nachzuvollziehen. Die Erfahrungen belegen außerdem, dass es ratsam ist, nach jedem Treffen ein Protokoll zu verfassen, das von allen Beteiligten gelesen wird, um sicher zu gehen, dass es keine Missverständnisse gab und alle auf dem gleichen Stand sind.

Weiter sollte versucht werden, von Vornherein Missverständnisse frühzeitig aufzuklären. Das geschieht vor allem durch eine gemeinsame Bestandsaufnahme zu Beginn der Zusammenarbeit mit gemeinsamer Diskussion über das anstehende Projekt. Außerdem gilt es, auftretende Probleme zeitnah zu klären, Fragen zu stellen und nicht erst Wochen oder sogar Monate vergehen zu lassen, ohne zu intervenieren.

Architektur

Die Architektur des Produkts (beispielsweise die Software-Architektur) bestimmt maßgeblich die Abhängigkeiten zwischen Systemteilen und somit den Kommunikationsbedarf. Man sollte deshalb die Architektur bewusst planen, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Unklarheiten und nachträgliche Veränderungen der Architektur oder der damit verbundenen Aufgabenteilung verursachen einen hohen Kommunikationsbedarf. Während ein Extended-Workbench-Ansatz (verlängerte Werkbank) in der Praxis oft als Einstieg in die globale Zusammenarbeit dient, ist diese Aufteilung nach Prozessschritten oft eher ungünstig. Wenn zum Beispiel in einem Softwareprojekt Analyse und Design in Deutschland stattfinden, die Codierung in Indien erfolgt und anschließend in Deutschland getestet und integriert wird, so hat dies einen hohen Kommunikationsbedarf zwischen den Standorten zur Folge. Es ist oft sinnvoller, Kompetenzcenter zu schaffen, die für ganze Subsysteme verantwortlich sind.

Zeitmanagement

Unterschiedliche Zeitzonen und Arbeitszeiten beeinträchtigen die Erreichbarkeit der entfernten Kollegen. Im Falle einer Zeitverschiebung ist es wichtig, sich dieser bewusst zu sein und Zeitunterschiede proaktiv zu managen. Durch die unterschiedlichen Bürozeiten ist eine sehr gut koordinierte Zeitplanung von Nöten, und in einzelnen Fällen kann es zu längeren Wartezeiten kommen. Jedem einzelnen Mitarbeiter sollte verständlich sein, dass eine gewisse Flexibilität bezüglich der eigenen Büro- beziehungsweise Arbeitszeiten nötig ist.

Andererseits sollte man Zeitunterschiede zum Vorteil nutzen. Die Verteilung ermöglicht es, Dinge quasi über Nacht zu erledigen, wenn beispielsweise Mitarbeiter aus asiatischen Ländern am Morgen mit ihrer Arbeit beginnen, während in Europa noch Nacht ist, und abends zum Büroschluss der asiatischen Mitarbeiter haben die Europäer immer noch Zeit, an dem gemeinsamen Projekt weiterzuarbeiten.

Kultur & Sprache

Ein sehr offensichtlicher Bereich bei internationalen Angelegenheiten besteht darin, die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Kulturen zu vereinbaren. Hierfür ist es wichtig, eine gewisse Sensitivität für die jeweils andere Kultur zu entwickeln und offen für kulturelle Unterschiede zu sein, zum Beispiel für andere Denkweisen und Einstellungen. Dabei kann es hilfreich sein, über Unterschiede (zum Beispiel beim Thema Humor) zu sprechen, aber genauso auch Gemeinsamkeiten zu finden. Auch wenn in den meisten Fällen die Kommunikation in englischer Sprache erfolgt, wird es als Geste der Höflichkeit und Offenheit gesehen, Grundlagen der Sprache des Gegenübers zu erlernen.

Denn auch beim Bereich Sprache können immer wieder Schwierigkeiten auftreten – vor allem dann, wenn beide Parteien nicht in ihrer Muttersprache kommunizieren. Daher ist es wichtig und von Vorteil, sich auf sprachliche Unterschiede einzustellen, sich an die verschiedenen (englischen) Akzente zu gewöhnen, selbst deutlich zu sprechen und öfter nach Feedback zu fragen, um sicher zu gehen, dass keine Missverständnisse aufgrund der Sprache aufgetreten sind. Außerdem sollte es bei einem internationalen Treffen vermieden werden, sich in anderen Sprachen als Englisch zu unterhalten, denn das könnte unhöflich auf die internationalen Kollegen wirken.

Mitarbeiter

Internationale Zusammenarbeit erfordert besondere Flexibilität und ausgeprägte Softskills. Deshalb ist es entscheidend, dafür qualifizierte Mitarbeiter gezielt auszuwählen. Der Erfolgsfaktor besteht somit darin, hierbei weder Zeit noch Aufwand zu scheuen, sondern vielmehr von Anfang an gut zu prüfen, ob der jeweilige Mitarbeiter beziehungsweise die jeweilige Mitarbeiterin geeignet ist. Denn schlussendlich sind es die Mitarbeiter, von denen es abhängt, wie gut die internationale Zusammenarbeit funktioniert.

Darüber hinaus ist es auch hilfreich, die Mitarbeiter auf ihre Aufgaben vorzubereiten, beispielsweise durch ein interkulturelles Training oder Kommunikationstraining. Es ist ebenfalls sehr hilfreich, einen Mentor einzusetzen, der seine Erfahrungen mit global verteilten Projekten an neue Teams weitergeben kann.

Zusätzliche Möglichkeiten

Die hier dargestellten Erfolgsfaktoren sind natürlich nur einige bewährte Möglichkeiten, der globalen Herausforderung zu begegnen. Darüber hinaus gibt es aktuelle Forschungsthemen, die ebenfalls sehr vielversprechend sind. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz neuer Projektmanagement-Metriken, die aus der Psychologie stammen und auf der Messung von Kommunikation und Zusammenarbeit beruhen. In unserer Forschungsarbeit haben wir festgestellt, dass solche Metriken Projektmanagern ein effektives Frühwarnsystem für global verteilte Projekte an die Hand geben können.

Dr. Christian Lescher

ist Manager Produktivität bei der Siemens AG und Lehrbeauftragter für Global Software Engineering an der Technischen Universität München.

Rebekka Lochner

studiert Lehramt an der Ludwig-Maximilians-Universität München und beschäftigte sich im Rahmen einer Projektarbeit bei der Siemens AG mit internationaler Zusammenarbeit.

(av)

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