Bordnetz

(Bild: Leoni)

Ein stetig wachsender Funktionsumfang und die größer werdende Komplexität im Fahrzeug führen zu einer andauernden Evolution des Bordnetz-Systems. In den 1970er Jahren stieg die Bordnetzspannung von 6 auf 12 V an. Dann schon in den späten 90er Jahren führten neue technologische Möglichkeiten und die kontinuierliche Zunahme der Verbraucher zur Realisierung unterschiedlicher Komfortfunktionen – wie Fensterheber und Klimaanlage, aber auch erste Informations-,  Assistenz- und Entertainmentanwendungen – zur Diskussion über eine höhere Bordnetzspannung. Diese wird jetzt im Zuge von und 48 V erneut geführt.

War das Mercedes-Modell 170V aus dem Jahr 1949 mit einem Kabelsatz von etwa 40 Leitungen und zirka 60 Kontakten voll ausgestattet, so bestehen heutige Bordnetz-Systeme im Wesentlichen durch die Weiterentwicklung elektrischer Funktionen wie Sitzklimatisierung, Fahrerassistenzsysteme, adaptives Fahrwerk oder Rückfahrkamera aus 1000 bis 4000 Leitungen mit einer Länge von bis zu 6000 Meter und  einem Gesamtgewicht von bis zu 60 kg. Das Thema Leichtbau begleitet die Branche deshalb seit Jahren. Insbesondere der Ersatz von Kupfer durch Aluminium oder Legierungen sowie die Optimierung von Kabelquerschnitten stehen im Fokus.

Doch das Bordnetz kann weit mehr, als in passiver Weise Verbraucher miteinander zu verbinden. Als zentrales Nervensystem für das Management von Energie und Signalen kommt ihm eine zunehmend tragende Rolle bei der Weiterentwicklung der Fahrzeuge zu.

Mehr Leistung durch 48 V

Bereits mit dem heutigen Funktionsumfang gerät das 12-V-Bordnetz unter bestimmten Bedingungen an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Durch zukünftig weiter zu erwartende Innovationen, vor allem in den Bereichen elektrische Nebenaggregate und Fahrerassistenzsysteme, wird der Leistungsbedarf aber kontinuierlich ansteigen. Die Lösung für diese Problemstellung liegt im 48-V-Netz als sogenannte „Enabler-Technologie“. Hierbei gilt es zu beachten, dass sich bei einer Spannung von 48 V – beispielsweise bei Trennung unter Last – ein stehender, nicht selbstverlöschender Lichtbogen ausbilden kann. Dieser muss durch geeignete (aktive und/oder passive) Schutzmaßnahmen beherrscht werden. Premiumfahrzeuge werden bereits mit 48-V-Technologie ausgestattet, und eine weitere Durchdringung wird folgen. Aber nicht nur die Integration von zusätzlichen, in einem 12-V-Bordnetz nicht realisierbaren Funktionen, gelingt mit 48 V. Vielmehr  werden auch Möglichkeiten zur Zwischenspeicherung der beim Bremsen frei werdenden kinetischen Energie in elektrische Energie geschaffen, die dann – beispielsweise in späteren Beschleunigungsphasen – wieder abgerufen werden kann. Damit leistet das 48-V-Bordnetz einen positiven Beitrag zur Fahrdynamik und zur Verbesserung des CO2-Verhaltens.

Dezentrale Energiezufuhr

Auch das Management der vorhandenen und abgerufenen Energie spielt eine zunehmend bedeutendere Rolle. Zukünftig sind mehrere dezentrale Energiespeicher im Fahrzeug verteilt denkbar, die den jeweiligen Verbrauchern bedarfsgerecht Energie zuführen. In Zuständen von höchster Beanspruchung könnte dann kombiniert Energie aus dem dezentralen und dem zentralen Energiespeicher bereitgestellt werden, sodass die zentrale Energieversorgung nicht spitzen-lastfähig sein muss.

Im Rahmen zunehmender Elektromobilität kommt dem Energiemanagement aber noch eine weitere Rolle zu: Jedes eingesparte Watt lässt sich in Reichweite umsetzen – in der gegenwärtigen Diskussion für die OEMs ein wichtiger Faktor. Das Energiebordnetz kann hier die Basis für eine Optimierung darstellen und über ein ausgeklügeltes Energiemanagement einen wichtigen Beitrag leisten.

Höhere Sicherheitsanforderungen

Auch wenn die automatisierte Kabel- und Steckerkonfektionierung nach heutigem Stand wirtschaftlich noch nicht vollständig darstellbar ist, so werden doch unter anderem eine fortschreitende Miniaturisierung und ein anhaltend hoher Kostendruck in Zukunft die Automatisierung der Kabelsatzproduktion weiter vorantreiben. Daneben treiben ebenfalls die fortschreitende Vernetzung zwischen einzelnen Fahrzeugen sowie die Verbindung zwischen Autos und deren Umgebung durch sich ändernde Anforderungen an das Produkt Bordnetz die automatisierte Fertigung voran.

Schon heute finden sich Parkassistenzsysteme oder Abstandswarner in vielen Mittelklasse-Modellen. Autonom fahrende Autos werden die Durchdringung von Sicherheits- und Assistenz-Systemen weiter beschleunigen. Die daraus resultierende, steigende Datenrate bei der Datenübertragung in künftigen Fahrzeugen stellt jedoch auch höhere Anforderungen an die Konfektionierung der Leitungen: Datenprotokolle und Sonderleitungen lassen sich nur sehr aufwendig manuell produzieren. Leoni fertigt und konfektioniert solche Leitungen daher teilweise bereits vollautomatisch.

Auch die Sicherheitsanforderungen an einzelne Produkte steigen: Neben niedrigen Ausfallraten fordern Automobilhersteller vermehrt eine Prozessüberwachung, die neben heute standardmäßig überwachten Größen auch weitere Prozessparameter beinhaltet. Zuverlässig möglich ist das nach heutigem Stand der Technik nur durch eine automatisierte Fertigung. Für die Elektromobilität gewinnt das Thema ebenfalls an Bedeutung: Es ist ein Umdenken der Komponentenhersteller zu beobachten, und Leoni entwickelt bereits Lösungen, die sowohl für die Bauteile als auch die Fertigung optimiert sind.

Notfunktionalitäten gewährleisten

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Bild 1: Eine hochverfügbare Energieversorgung für das Electrical Power Steering (EPS) lässt sich grundsätzlich mit redundanter Batterie und Wandler (links) realisieren oder mit dem Leoni-Konzept mit einem intelligentem Schalter zur Fehlerisolation (rechts). Leoni

Ein potenzieller Sprung von einem teilautomatisierten Fahrzeug zu einem hochautomatisierten Fahrzeug macht in Bezug auf die Signal- und Leistungsübertragung einen Paradigmenwechsel hinsichtlich des Verhaltens im Fehlerfall notwendig: Ist eine Funktion im Fahrzeug überlastet, wird bislang die Sicherung ausgelöst und die elektrische Verbindung getrennt, um einen sicheren Zustand wiederherzustellen. Handelt es sich jedoch um ein hochautomatisiertes oder gar autonomes Fahrzeug, das etwa mit einer automatischen Lenkung ausgestattet ist, verlässt sich der Fahrer auf die Leistungsfähigkeit des Systems. Im Falle einer Störung wird es künftig notwendig sein, im Rahmen des automatisierten Fahrens mindestens eine Notfunktion anzubieten, sodass der Fahrer innerhalb einer gewissen Zeitspanne die Situation realisieren, die Kontrolle  übernehmen und einen sicheren Zustand herbeiführen kann. Oder das Fahrzeug wird in die Lage versetzt, selbst einen sicheren Zustand herzustellen, zum Beispiel durch kontrolliertes Anhalten.

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Bild 2: Anders als bei herkömmlichen Architekturen (links) sitzen bei Leonis Ringkonzept (rechts) an mehreren Stellen intelligente Leistungsverteiler, die den Strom im Fehlerfall über einen anderen Pfad leiten können und so die Versorgung kritischer Funktionen gewährleisten. Leoni

Solche Notfunktionen lassen sich grundsätzlich über Redundanzen im Kabelsatz realisieren. Aus mehreren Gründen ist diese Option allerdings nicht praktikabel, und so müssen andere Mechanismen zum Einsatz kommen. Bild 1 zeigt beispielhaft eine solche Lösung, in der mithilfe eines intelligenten Schalters der Fehler isoliert wird und so sicherheitsrelevante Funktionen weiter betrieben werden können. Ein von Leoni favorisierter Ansatz ist das sogenannte Ring-Konzept, in dem die traditionelle Architektur aufgelöst und ein Versorgungsring durch das Fahrzeug gelegt wird. An mehreren Stellen – idealisiert an vier „Ecken“ – sitzen intelligente Leistungsverteiler, die den Strom im Fehlerfall über einen anderen Pfad leiten können und so die Versorgung sicherheitskritischer Funktionen gewährleisten (Bild 2).

Automotive Ethernet kommt

Solche teil- beziehungsweise voll automatisierten Fahrzeuge stellen darüber hinaus ganz neue Anforderungen hinsichtlich der Datenübertragung, sodass verstärkt schnelle, aber kostengünstige Datenübertragungssysteme wie Ethernet zum Einsatz kommen werden. Bei Ethernet-Leitungen besteht – neben der Verwendung von komplexen Kabeln – das Potenzial, auf weitere Ummantelungen oder zusätzliche Schirmung zu verzichten und im Idealfall die Übertragung über ein „Unshielded Twisted Pair“ zu realisieren, also über zwei dünne isolierte Einzelleitungen, die auf eine genau vorgegebene Art miteinander verdrillt sind. Solange diese Verdrillung gleichmäßig über die gesamte Kabellänge besteht, ist das Kabel relativ robust gegenüber Störstrahlungen.

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Bild 3: Entwicklung der Datenübertragung im Bordnetz. Leoni

Derzeit setzen mehr und mehr OEMs Ethernet auch im Fahrzeug ein. Hier ist der Ethernet-Standard 100Base-T1 als Datenübertragungssystem bereits in ersten Fahrzeugen in Serie und bietet damit die Möglichkeit, andere Topologien – wie die sogenannte Backbone-Struktur – zu verwirklichen. Diese Entwicklung hin zu immer leistungsfähigeren Datenübertragungssystemen hält bereits seit einigen Jahren an und wurde in der Vergangenheit durch die Verbreitung von immer komplexeren und anspruchsvolleren Komfort- und Entertainment-Systemen getrieben (Bild 3). Gegenwärtig stellen autonomes Fahren, Car-to-X Communication und der Ersatz von analogen durch digitale Systeme die Haupttreiber dar, die in Zukunft ein noch performanteres Datenübertragungssystem fordern und Datentransferraten bis zu 10 Gbit/s und darüber hinaus notwendig machen. Die Herausforderungen liegen dabei in der kostengünstigen Realisierung sowie der zuverlässigen Herstellung solcher Systeme für den Automobil-Bereich.

Verstärkter Elektronikeinsatz

Nicht zuletzt durch die günstige Preisentwicklung bei Halbleiterbausteinen und Elektronikkomponenten getrieben, gewinnt auch die Integration von Elektronik in das Bordnetz mehr und mehr an Bedeutung. Damit gehen einige Vorteile einher, wie zum Beispiel der Komfortgewinn durch Geräuschreduktion, beispielweise bei geräuschlos schaltenden elektronischen Relais, verlustfreies Schalten und die Positionierung von elektronischen Komponenten in bisher ungenutzten Bauräumen. Elektronische Sicherungsboxen brauchen zum Beispiel nicht mehr für den Fahrer zugänglich zu sein, da keine einzelnen Sicherungen mehr durchbrennen können beziehungsweise ersetzt werden müssen.

Die Bauraumthematik ist dabei aber nicht die größte Herausforderung, sondern vielmehr die Kühlung der entsprechenden Komponenten. Daneben ermöglichen elektronische Komponenten weitere Vorteile wie eine aktive Lichtbogendetektion, die ohne Elektronik nicht möglich wäre oder die elektronische Absicherung, die wiederum eine Auslegung nahe der Kennlinie und eine entsprechende „Programmierbarkeit“ der Sicherungen ermöglicht, was grundsätzlich Kosteneinsparpotenziale bergen kann.

Bordnetz

Bild 4: Mögliches Einführungsszenario für elektronische Absicherungen. Leoni

Als Einführungsszenario sind folgende drei Stufen (Bild 4) denkbar: Zunächst werden mechanische Relais durch elektronische Relais ersetzt, indem die entsprechenden Bauteile zugesteckt werden und wodurch sich die Schalthäufigkeit erhöht. Im zweiten Schritt können „alte“ und „neue“ Technologie in einem Mischverbau kombiniert werden, indem konventionelle Schmelzsicherungen für Verbraucher verwendet werden, bei denen die elektronische Absicherung keine Vorteile bringt. Im dritten Schritt ist dann eine vollintegrierte Version denkbar, die alle Funktionen elektronisch abbildet. Ob eine solche Variante neben ihrer technischen Realisierbarkeit auch wirtschaftlich sinnvoll ist, darf bezweifelt werden, sodass marktfähige Lösungen wohl „das Beste aus beiden Welten“ kombinieren werden.

Starke Dynamik im Bordnetz

Im Zuge einer fortschreitenden Digitalisierung bieten also nicht zuletzt die Datenkommunikation und der Einsatz von Elektronik große Gestaltungsräume. Es ist zu erwarten, dass zukünftige Innovationen in Automobilen vermehrt auf der Basis von Software realisiert werden. Beispielsweise könnten in Zukunft Fahrzeugfunktionen in großem Stil softwarebasiert und auf Abruf freigeschaltet werden, was eine Fahrzeugnutzung weitgehend unabhängig von der ursprünglich bestellten Fahrzeugausstattung machen würde. Auch hier sind in der Branche bereits erste Anwendungen zur Bereitstellung von Softwareupdates „over the air“ sichtbar, die in diesem Fall sogar die nachträgliche Freischaltung komplett neuer Funktionen bieten.

Solche und weitere, neue Anwendungen im Zuge der Elektromobilität und des autonomen Fahrens werden auch weiterhin die Ansprüche an das Bordnetz und seine Herstellung kontinuierlich steigern. Man darf also auf die nächsten Evolutionsstufen im „Technologieträger Fahrzeugbordnetz“ gespannt sein.

Eck-DATEN

Eine Vielzahl von technischen Neuheiten verändern das Bordnetz. Dazu gehören etwa die Einführung eines 48-V-Teilnetzes, ein intelligentes Energiemanagement, die fortschreitende Automatisierung der Kabelsatzproduktion, Änderungen beim Verhalten im Fehlerfall, eine schnellere Datenübertragung sowie eine verstärkte Integration von Elektronikelementen ins Bordnetz.

Udo Hornfeck

(Bild: Leoni)
Vice President Global R&D bei Leoni

Dr. Markus Ernst

(Bild: Leoni)
Leiter Innovation- und Patent-Management bei Leoni

Markus Heuermann

(Bild: Leoni)
Leiter Engineering bei Leoni

(ku)

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