Das lineare Transportsystem ermöglicht einen unterbrechungsfreien Produktstrom.

Das lineare Transportsystem ermöglicht einen unterbrechungsfreien Produktstrom.Beckhoff

Die Entwicklung der vergangenen Jahre innerhalb des Maschinenbaus ist leicht zusammenzu­fassen: Die eingesetzten Komponenten ermöglichen höhere Taktraten, mehr Effizienz, einen gesteigerten Automatisierungsgrad – und erhöhen dadurch gleichzeitig die Komplexität der Systeme. Was bisher laut Uwe Prüßmeier, Produktmanager für Feldbus- und Antriebstechnik bei Beckhoff, fehlte, war eine System­umsetzung, die wirtschaftlich arbeitet und dabei bedienbar für das Personal an den Maschinen bleibt. Mit dem XTS hat das Unternehmen ein mechatronisches Transportsystem entwickelt, das alle für den Betrieb notwendigen Funktionen enthält: einen modularen, integrierten Linearmotor mit Leistungselektronik und Weg­erfassung, einen sogenannten Mover als bewegtes Teil sowie eine mechanische Führungsschiene.

Die einzelnen Mover erhalten ihre Steuer­befehle über Ethercat.

Die einzelnen Mover erhalten ihre Steuer­befehle über Ethercat.Beckhoff

Bekannte Technik neu gedacht

Das Prinzip eines Linearmotors ist keine Neuheit, aber noch immer die effizienteste Möglichkeit, elektrische in mechanische Energie umzuwandeln. Der Verzicht auf Getriebe, Kette und Riemen vereinfacht Installation sowie Wartung und steigert durch die direkte Kraftübertragung die Effizienz des Gesamtsystems. Doch die Antriebsart hat auch Nachteile: Der Schlitten, der sich hin- und herbewegt, war bisher mit einem Kabel verbunden, das sich in der Praxis als anfällig für Verschleiß erwies. Daher wollten die Entwickler des in Verl ansässigen Automatisierers die magnetische Kraft reduzieren, die die Bewegungsschlitten (Mover) auf die Führungsschiene presst. Deshalb wählten sie einen Aufbau mit zwei gegenüberliegenden Magneten, deren Anzugskräfte sich gegenseitig aufheben und somit die Lager entlasten. Reduzierter Verschleiß ist die Folge. Das Team um Prüßmeier geht davon aus, dass jeder der auf sechs Rollen gelagerten Mover des Systems mindestens 50.000 km fahren kann, bevor ein Wechsel der Lager nötig ist. Da der Antrieb direkt und nicht über einen Riemen oder eine Kette erfolgt, die sich mit der Zeit längen und ein Nachspannen nötig machen würden, arbeitet die Anlage, neben dem erwähnten Lagerwechsel, praktisch wartungsfrei. Die Oberfläche der Führungsschienen besteht aus einem auf das Material der Laufrollen abgestimmten Hart-Eloxal, das einen ölfreien Betrieb des Systems ermöglicht. Das hat gerade in staubhaltigen Umgebungen Vorteile, da sich Partikel weniger leicht auf der Oberfläche absetzen können und sich mit geringem Aufwand entfernen lassen. Daneben arbeitet das Unternehmen an einer Edelstahl-Variante, die damit Reinraum-tauglich und auch für den Food-Bereich geeignet wäre.

Denkbar sind Anwendungen wie das Anheben oder Verschließen von Kartonverpackungen.

Denkbar sind Anwendungen wie das Anheben oder Verschließen von Kartonverpackungen.Beckhoff

Unterbrechungsfreier Produktionsfluss

Kernpunkt des Systems ist die Möglichkeit, Produktströme konstant in Bewegung zu halten. Die bekannten rotatorischen Transportarten stellten die Anwender bisher vor die Wahl: Für das Bearbeiten von einzelnen Objekten im Transportsystem mussten sie entweder den gesamten Produktstrom unterbrechen und im Anschluss wieder anfahren lassen –was in einer schlechten Energieeffizienz resultierte und gleichzeitig die mechanische Belastung des Systems erhöhte – oder aber sie fuhren mit dem Produktstrom mit und führten dabei die nötigen Arbeiten aus. Da die Mover des XTS unabhängig voneinander arbeiten, ist es nun möglich, einzelne Objekte anzuhalten und zu bearbeiten, ohne dass der Gesamtprozess unterbrochen werden müsste. Mit diesem Prinzip zielt das Unternehmen laut Prüßmeier vor allem in Richtung Verpackungsindustrie. Die in dieser Branche anfallenden Prozesse sind es, bei denen Anwender von der Antriebslösung profitieren, beispielsweise beim Verschieben von Produkten in einen Karton oder auch beim Befüllen von Flaschen. In Zusammenarbeit mit Vertretern des Verpackungsbereichs, der bereits in einer frühen Phase in die Entwicklung mit einbezogen wurde, konstruierten die Ingenieure eine Produktionsstraße, die Schachteln öffnet, auffaltet und im Anschluss befüllt. Aber auch die Druckindustrie, bei der es viele Überschneidungen mit der Verpackungsindustrie gibt, hat laut Prüßmeier Interesse angemeldet. Unabhängig vom Industriezweig ermöglicht das Kreislaufprinzip dem Anwender, Bearbeitungsschritte auf dem Hin- sowie Rückweg durchzuführen, was den benötigten Anlagenraum in einer Produktionshalle theoretisch auf die Hälfte schrumpfen lässt. Hierdurch verringern sich Materialflüsse quer durch die Halle, was den intralogistischen Aufwand für den Betreiber verringert.

Der modulare Aufbau ermöglicht einen schnellen Umbau der Produktionsstraße.

Der modulare Aufbau ermöglicht einen schnellen Umbau der Produktionsstraße.Beckhoff

Anpassungsfähige Hard- und Software

Unternehmen aller Branchen können seit der vergangenen Hannover Messe sogenannte Starterkits bestellen, bestehend aus einem funktionstüchtigen XTS-­Antriebssystem mit einer begrenzten Anzahl von Geradenmodulen, mit deren Auslieferung – inklusive Einweisung – der Automatisierer Mitte September begonnen hat. Diese Starterkits kann der Anwender beliebig erweitern und somit ­eigenständig komplette Produktionsstraßen konstruieren. Durch das Baukastenprinzip des Systems geschieht dies ohne großen Zeit- oder Personalaufwand: Mit jeweils drei Schrauben ist jedes Modul auf dem Maschinenbett befestigt, das Kontaktieren der elektrischen Verbindungen erfolgt automatisch. Ein Aspekt, der das System zukünftig auch im Sondermaschinenbau interessant machen könnte. Will der Anwender, beispielsweise aufgrund einer Umstellung innerhalb der Produktion, Parameter des Systems editieren, kann er dies vor Ort oder per Fernzugriff über die Software Twincat erledigen. So können Endkunden ihre Anlagen auf die eigenen spezifischen Anforderungen hin anpassen oder Maschinenhersteller relevante Updates via Remote-Control beim Anwender aufspielen, ohne dass ein Monteur anwesend sein muss.

Die einzelnen Module kann der Anwender mit wenigen Handgriffen montieren. Der Verzicht auf eine aufwendige Mechanik erübrigt anschließende Justierarbeiten.

Die einzelnen Module kann der Anwender mit wenigen Handgriffen montieren. Der Verzicht auf eine aufwendige Mechanik erübrigt anschließende Justierarbeiten.Beckhoff

Sicherheit für Personal und Transportgut

Der Verzicht auf mechanische Komponenten wie eine Antriebskette wirkt sich nicht nur positiv auf die Energieeffizienz und Instandhaltung, sondern auch auf den Mitarbeiterschutz aus, erklärt Prüßmeier: „Der Antrieb einer Förderkette muss so stark sein, dass er für den Transport aller Produkte auf der gesamten Länge der Anlage ausreicht. Das heißt, er ist beispielsweise 50 Mal so hoch wie die Kraft, die man für ein einzelnes Produkt braucht. Da kommt man sehr schnell in eine Größenordnung, die für Menschen gefährlich ist.“ Im Falle des XTS wirkt auf jeden Mover nur genau so viel Kraft, wie es für den Transport des Gutes nötig ist. Damit kommen viele Anwendungen ohne spezielle Schutzgitter oder Ähnliches aus, stellt der Produktmanager in Aussicht. Um die Transportsicherheit von Objekten zu ermöglichen, arbeitet das System mit einer Positioniergenauigkeit von 250 µm. Dieser Wert gilt auch unter voller Last, oder wenn das System mit seiner Höchstgeschwindigkeit von 4 m/s ­arbeitet.

Philip Bittermann

ist Volontär der Neuen Verpackung.

(dl)

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Unternehmen

Beckhoff Automation GmbH & Co. KG

Hülshorstweg 20
33415 Verl
Germany