Bild 1

Bild 1: Temperaturverlauf in der Chipfläche. (Bild: Hauber & Graf)

Bild 1

Bild 1: Temperaturverlauf in der Chipfläche. Hauber & Graf

Lange Zeit war die Angabe über die maximal zulässige Chiptemperatur Tjmax ausreichend. Heute findet sich stattdessen eine sogenannte virtuelle Chiptemperatur Tvjmax. Überdies ist seit einiger Zeit in Datenblättern noch eine Temperatur dazugekommen: die Tvjop (operation temperature). Doch was bedeuten eigentlich diese Datenblattangaben und welche Konsequenzen können sie auf die Auslegung von Halbleitern haben? Schauen wir uns dazu zunächst einmal die üblicherweise in Datenblättern auftretenden Temperaturen und deren Definitionen an.

Temperaturen im Chip Tj und Tjmax

Tj ist die Temperatur im Chip (beziehungsweise pn-Übergang = Junction). Sie ist wesentlich verantwortlich für die auftretenden Verluste und – speziell bei IGBT und MOSFET – den sicheren Arbeitsbereich (SOA: Safe Operating Area). Tjmax ist dann die unter allen Bedingungen maximal zulässige Temperatur im Chip. Das hört sich zwar einfach an, ist es aber nicht. Im stromdurchflossenen Chip stellt sich leider keine homogene Temperaturverteilung ein. In der Mitte des Chips wird die Temperatur mehr oder weniger deutlich höher sein als an den Rändern. Zudem wird sich auch im Volumen ein gewisser Temperaturverlauf einstellen. Diesen wird man während einer Entwicklung ohne entsprechende Messungen oder Simulationen kaum kennen. Handelt es sich nicht um Einzelchips sondern um parallel geschaltete oder um Module, wird die Situation vollends unübersichtlich. Wir hätten dann die unterschiedlichen Temperaturverläufe in allen Chips zu berücksichtigen. Deshalb wurde zur Vereinfachung der Entwicklertätigkeit die virtuelle Chiptemperatur eingeführt.

ECK-DATEN

Es gibt also mindestens einen Hersteller, der durch konsequente Verbesserungen im Chip- und Moduldesign eine maximal zulässige Chiptemperatur von 175 oC auch im realen Schaltbetrieb spezifiziert – nicht nur virtuell. Auch wenn diese Temperatur – sinnvollerweise – im Hinblick auf Lebensdauer nicht vorgesehen wird: Gegenüber anderen Modulen mit virtuell 175 oC aber real nur 150 oC ergibt sich klar ein Vorteil von 25 oC – und das ist klar ein Qualitätsmerkmal.

Es gibt aber auch Hersteller, die zum Beispiel in Datenblättern für IGBT-Module noch Tjmax angeben. Das wäre dann die maximal im (oder einem von mehreren) Chip auftretende Temperatur. Die zu bestimmen dürfte nicht ganz einfach sein.

Virtuelle Temperaturen im Chip Tvj und Tvjmax

Tvj ist eine über Fläche und Volumen theoretisch gemittelte Temperatur und damit eine reine Rechengröße oder eben eine virtuelle Temperatur. Die tatsächliche Temperatur an beliebigen Stellen im Chip (oder mehreren Chips in einem Modul) kann davon unter Umständen deutlich abweichen. Sie kann überdies auch nicht direkt gemessen werden. Auch die thermischen Widerstände Rth(j-c) und Zth(j-c) basieren nach IEC 60747-9, 6.3.13 auf der virtuellen Chiptemperatur. Das heißt also, wenn die im Chip auftretende Verlustleistung mit dem Rth oder Zth (bei zeitlich kurzen beziehungsweise transienten Vorgängen) multipliziert wird, ergibt sich die Tvj. Tvjmax wäre dann einfach der maximal zulässige Wert.

Leider ist das eben nicht so einfach wie die Definition dazu zeigt. Mit der Tvjmax wird die maximal überhaupt zulässige Verlustleistung für ein Bauteil im „on-state“ (ABB) beziehungsweise „continuously turned on“ beziehungsweise „static operation“ (Infineon) definiert. Selbst bei dynamischen Überlastfällen darf diese Temperatur nicht überschritten werden. Für den normalen Betrieb gilt das allerdings nicht! Das kann dann ganz erhebliche Konsequenzen haben. Wird die maximal zulässige Sperrschichttemperatur überschritten, können sich Halbleitereigenschaften irreversibel verändern; im schlimmsten Fall kann das Bauteil auch zerstört werden. Auf jeden Fall wird die Zuverlässigkeit leiden.

Temperatur im Schaltbetrieb Tvjopmx

Damit kommen wir nun endlich zu einer praxisorientierten Spezifikation – nämlich der Temperatur im Schaltbetrieb (was ja bei IGBTs durchaus nicht unüblich ist). Tvjop ist die der realen Anwendung der Bauteile zugrunde zu legende Temperatur. Diese darf unter Berücksichtigung aller auftretenden Verluste (Leitend- und Schaltverluste), Überlastbedingungen sowie der thermischen Widerstände nicht überschritten werden. Transiente Übertemperaturen während eines Schaltvorganges können vernachlässigt werden – vorausgesetzt, das Bauteil wird innerhalb des sicheren Arbeitsbereiches betrieben und Tvjmax wird nicht überschritten. Achtung: Üblicherweise ist das RBSOA nur bei einer Temperatur von 25 °C unterhalb Tvjmax spezifiziert.

Bild 2

Bild 2: n+ Anreicherungsschicht unter der p-Wanne sowie Dotierungsprofil bildet eine Barriere für die Löcher, führt zu einer höheren Plasmakonzentration und die Basisweite ist um 10 Prozent reduziert. Hauber & Graf

Gehäuse- und Lagertemperaturen TC und Tstg

Nicht immer finden sich die Gehäuse- (Case) und Lagertemperatur (Storage) zusammen in einem Datenblatt. Immer öfter taucht nur noch Tstg auf. Beide müssen sich innerhalb der spezifizierten Werte bewegen und dürfen die maximal zulässigen Werte nicht über- beziehungsweise unterschreiten. In Datenblättern finden sich leider hinsichtlich dieser verschiedenen Temperaturen alle möglichen Kombinationen. Oft fehlen zum Beispiel die zulässige Betriebs- und/oder Gehäusetemperatur komplett. Sind das nun eher akademische Spezifikationen oder gibt es handfeste praktische Hintergründe? Schauen wir uns dazu zunächst TC und Tstg an.

TC ist die höchste Temperatur an der Kontaktfläche eines diskreten Bauteils beziehungsweise der Bodenplatte eines Moduls. Mittlerweile ist sie nicht mehr in allen Datenblättern angegeben. Das ist allerdings als nicht so kritisch anzusehen, da sie rechnerisch leicht aus der Tvjopmax, der maximal zulässigen Verlustleistung und dem thermischen Übergangswiderstand Rthj-c bestimmt werden kann. Zudem lässt sie sich auch messtechnisch erfassen. Da TC immer deutlich unter Tvjopmax liegen wird (beziehungsweise liegen sollte), sind deren Einflüsse auf die organischen Materialien des Gehäuses als eher gering anzusehen.

Etwas anders sieht es allerdings mit der Lagertemperatur aus. Viele Alterungseffekte hängen stark von der Temperatur ab – aber eben nicht nur davon. Verständlicherweise sollte der Lagertemperaturbereich nicht größer sein, als der für die Betriebstemperatur. Weitere Einzelheiten finden sich in entsprechenden Applikationsschriften. Gelegentlich auch Aussagen wie diese: „Die Lagerung der Module an den im Datenblatt spezifizierten Temperaturgrenzen ist möglich, wird jedoch nicht empfohlen“. Ein Blick in solche Applikationsschriften könnte sich lohnen; hier finden sich auch Informationen zu den zulässigen Lagerzeiten unter solchen Bedingungen.

Tvjmax und Tvjop

Bild 3

Bild 3: Optimierter Randabschluss. Tiefe p-Wannen werden durch Metall-Stopfen kontaktiert, Metallringe durch eine halbisolierende Schicht verbunden, zusammen ergibt es eine optimale Integration in den Herstellungsprozess. Hauber & Graf

Was ist davon zu halten, wenn werbewirksam von 175 °C Chiptemperatur gesprochen wird, die zulässige Temperatur im realen Betrieb aber auf 150 °Creduziert wird? Nehmen wir als Beispiel einen IGBT: Dieser darf zwar mit einem Kollektor-Gleichstrom in einer Höhe betrieben werden, die zum Erreichen der Tvjmax von 175 °C führt. Definiert und unter spezifizierten Bedingungen. Ausschalten können wir ihn dann allerdings nicht mehr! Das ginge nur dann, wenn das entsprechende RBSOA (Reverse Bias Save Operating Area) mit dem abschaltbaren Strom auch bei dieser Temperatur angegeben ist. Das wird aber in den seltensten Fällen gegeben sein.

Woher kommen eigentlich diese Grenzen? Da wäre zunächst der Weichverguss auf dem Chip; das ist üblicherweise ein Silikongel. Wenn dieses auf Dauer keine 175 °C verträgt, ergibt sich daraus folglich eine Temperaturgrenze. Es gibt zwar Materialien, die auch 175 °C aushalten – leider kosten die dann auch etwas mehr.

Die zweite Grenze ergibt sich aus dem Chip-Design. Der wesentliche Parameter hier ist der Sperr- oder Leckstrom! Der Sperrstrom zusammen mit der Sperrspannung führt zu Sperrverlusten und damit zu einem Anstieg der Chiptemperatur. Im Betrieb entstehen Schalt- und Leitendverluste, die ebenfalls zu einer Temperaturerhöhung führen. Beide zusammen ergeben die zulässige Differenz zwischen Gehäuse- und Chiptemperatur. Die Sperrverluste reduzieren also, ausgehend von Tvjopmax, das noch zur Verfügung stehende ΔT für die im Betrieb entstehenden Verluste.

Es wäre sicher nicht richtig, hier von mangelnder Qualität zu sprechen. Im Laufe der Zeit wurden die möglichen Temperaturgrenzen für Chips kontinuierlich nach oben verschoben. Es ist also zu erwarten, dass sich durch weitere Verbesserungen im Chipdesign hier noch etwas tun wird.

Es gibt mindestens einen Hersteller von IGBT-Modulen, der das bereits heute erreicht hat – wie der Auszug aus einem Datenblatt in der Tabelle 1 zeigt.

Bild 4

Bild 4: Struktur einer FSA-Diode mit Pufferschicht an der Anode. Hauber & Graf

Alle Temperaturen sind angegeben und sowohl Tvjmax als auch Tvjopmax liegen bei 175 °C! Dieser IGBT kann also nicht nur mit Gleichstrom sondern auch real und getaktet bis zu 175 °C betrieben werden. Auch das RBSOA ist bei 175 °C angegeben, das Bauteil kann also auch spezifiziert wieder ausgeschaltet werden. Ob man das in der Praxis wirklich machen will, sei einmal dahingestellt. Was hat dieser Hersteller anders gemacht? Zum einen: dessen Weichverguss verträgt die 175 °C, zum anderen: es gibt entsprechende Verbesserungen im Chip-Design (Bild 2).

Diese Maßnahmen führen zu einer deutlichen Reduktion der Leitendverluste. Ganz wesentlich für das IGBT-SPT++-Design ist der optimierte Randabschluss. Durch dessen Floating Guard-Ring-Concept wird der Sperrstrom deutlich weiter verringert (Bild 3).

Bild 5

Bild 5: Reduzierte Leckströme in IGBT und Diode. Hauber & Graf

Auch die Freilaufdiode wurde weiter verbessert. Die bisher eingesetzten SPT-Dioden zeichnen sich bereits durch niedrige Verluste, hervorragende Stoßstrombelastbarkeit und ein Soft-Recovery-Verhalten aus. Noch nicht ausreichend niedrig sind dabei jedoch die Leckströme. Diese Situation wird nun durch das FSA-Konzept (Field Shielded Anode) gelöst (Bild 4).

Die zusätzliche, hochdotierte Pufferschicht an der Anode blockiert das elektrische Feld. Durch die geringe Konzentration der tiefen Störstellen in der Bandlücke der Basiszone werden der Generationsstrom und damit der Sperrstrom reduziert. Die höhere Konzentration der tiefen Störstellen nahe dem Anodenkontakt ist vom Feld getrennt. Das erfreuliche Ergebnis dieser Maßnahmen (SPT++ und FSA) zeigt sich in Bild 5. Der Leckstrom als Schlüsselparameter für hohe Chiptemperaturen konnte sowohl im IGBT als auch der Diode um etwa den Faktor 3 reduziert werden.

Tabelle1

Tabelle 1: Temperaturgrenzen für Chips werden kontinuierlich nach oben verschoben. Hauber & Graf

Dr. Reinert Pierzina

Geschäftsführer der Hauber & Graf electronics GmbH.

(jj)

Sie möchten gerne weiterlesen?