Neue Lösungen und Technologien entstehen immer dann, wenn Querdenken erlaubt ist: Die rund 140 Teilnehmer konnten sich auf eine abwechslungsreiche Tagung einstellen, die vom 12. auf den 16 März 2014 auf Mallorca stattfand. In praxisnahen Vorträgen, wie etwa zu Embedded-Component-Technologien und zu fertigungsgerechten Designs, wurden innovative Fertigungsstrategien vorgestellt. Darüber hinaus wurden auch Fragen zu modernen Wissensmanagements diskutiert. Denn eines ist klar: Um das Schritttempo der rasanten Entwicklung elektronischer Produkte zukünftig aufrechtzuerhalten, ist die Sicherung und Weiterentwicklung der Wissensbasis lebensnotwendig.

Vor allem in Anbetracht dessen, dass zwar die Globalisierung voranschreitet, scheint parallel dazu, der Abstieg Europas im globalen Umfeld besiegelt: Seit dem Jahr 2000 ist Europas Anteil an der weltweiten Wertschöpfung von rund 25 Prozent auf rund 21 Prozent gesunken. Darüber hinaus steuert das produzierende Gewerbe nur noch 15,3 Prozent zur europäischen Wertschöpfung bei. Zum Vergleich: Im Jahr 1970 waren es noch mehr als 30 Prozent, weshalb Dr. Hans Bell, Entwicklungsleiter von Rehm Thermal Systems, in seiner Eröffnungsansprache festhält: „Rund 90 Prozent des weltweiten Wirtschaftswachstums werden 2015 außerhalb der EU generiert.“ Soll die Elektronikfertigungsbranche nicht im Tal der Tränen versinken, sei ein hoher Automatisierungsgrad der Fertigungsprozesse unabdingbar. Nur so ließen sich Innovationen vorantreiben. Ausschlaggebend sind kleine Taktzeiten und robuste Prozesse, aber auch die Prozesskosten selbst: „Im globalen Wettbewerb werden die Produktionskosten entscheidend sein“, ist sich Bell sicher.

Indes sieht die Bundesregierung durchaus Betätigungsfelder, in denen Deutschland seine Vorreiterrolle ausspielen kann. Die Schlüsseltechnologien Mobilität, Gesundheit/Ernährung, Kommunikation, Klima/Energie/Ressourcenschutz und Sicherheit sollen laut dem BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) Deutschland künftig zu weltweiten Spitzenpositionen verhelfen. Das geht einher mit den wachsenden gesellschaftlichen Herausforderungen. Immerhin leben derzeit (2014) rund 80,5 Mio. Menschen in Deutschland, wovon sehr viele ein hohes Alter erreichen werden. Jedes zweite Kind das heute geboren wird, so schätzt James W. Vaupel, Direktor des Max-Plank-Instituts für demographische Forschung, wird seinen 103. Geburtstag erleben. Diese Menschen werden vermehrt medizinische Hilfsmittel nicht nur in Form von Herzschrittmachern, sondern auch von Pflegerobotern benötigen werden.

Auf dem Weg zur Umsetzung der Hightech-Strategie 2020 der Bundesregierung wird die produzierende Industrie an einem nicht vorbeikommen, ist Bell überzeugt: Industrie 4.0, das heiß diskutierte Thema unserer Zeit. Die Plattform ist ein Gemeinschaftsprojekt der Wirtschaftsverbände Bitkom, VDMA und ZVEI, mit dem Ziel, eine intelligente Fabrik (Smart Factory) zu generieren, die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie auszeichnet und die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse miteinbezieht. Technologische Grundlage sind die cyber-physischen Systeme und das Internet der Dinge. „Im Zeitalter der Industrie 4.0 geben die Produkte selbst die Antwort und informieren die Maschinen, was mit ihnen passieren soll“, erläutert er weiter. Rund 50 Mrd. Geräte sollen bis zum Jahr 2020 miteinander vernetzt sein – das ist viermal mehr als noch im Jahr 2010. Für Dr. Hans Bell von Rehm bleibt außer Frage, dass die künftige Herausforderung die sein wird, die sozialen Aspekte und die technischen Entwicklungen entsprechend zu koordinieren.

Eintauchen in die Tiefe

Der erste Tag stand ganz im Zeichen der Fertigungstechnologien. Insbesondere die Embedded-Technik und interessante Entwicklungen in der Löttechnik kennzeichneten die Vortragsreihen. So stellte Michael Matthes von Wittenstein die in einem Implantat eingesetzte Embedded-Technologie vor. Für ihn ist klar, dass sich „Teile der Bestückung zum Leiterplattenhersteller verschiebt, wie etwa die Bauteilebevorratung“. Denn die Technik, die nicht nur passive, sondern immer mehr auch aktive Bauelemente (als bare Die) in der Leiterplatte verschwinden lässt, wird deutlich höhere Anforderungen an den Platinenhersteller stellen. Aktuell noch problematisch ist die Testbarkeit, erläutert Matthes: „Da direkt nach dem Setzen des Dies in der Kavität noch nicht alle Vias hergestellt sind, ist es nicht möglich, alle Substratdioden zu kontaktieren und zu testen.“ Die nächsten Schritte werden sein, die Entwicklung eines Testkonzepts respektive Teststruktur, um den Die direkt nach dem Setzen und vor dem Verpressen der Leiterplatten zu prüfen. Auch wird über die Erweiterung der Bareboard-Tester beim Leiterplattenhersteller zu ECT-Testern nachgedacht.

Aus der Praxis berichteten Thomas Skoczowski von Nokia Siemens Network und Stefan Lau von Wilo SE. Dass sich in der Verarbeitung etablierter Prozesse noch Verbesserungen erzielen lassen, ließen die beiden Experten außer Zweifel. Skoczowski thematisierte dabei die Pin-in-Paste-Technik (PiP) die seiner Ansicht nach, eine „schöne Methode ist, um THT auf Reflowprozesse zu bringen“. Anhand eines Testboard mit 15.000 Lötstellen wurde gezeigt, worauf zu achten ist. Stefan Lau von Wilo SE lenkte die Aufmerksamkeit auf die akkurate Verarbeitung von QFNs: Mit ihnen lassen sich höhere Packungsdichten im Bereich der Leistungselektronik erzielen, bei gleichzeitig steigender Funktionalität der Elektronikmodule. „QFNs sind Bausteine, die es eigentlich nicht geben dürfte, weil sie kaum zu handhaben sind“, erläutert Lau und verweist dabei auf die umfangreichen Umwelttests, die das Unternehmen mit Testboards durchführte. erste Ergebnisse aus den Umwelttests zeigten jedoch einen hundertprozentigen Ausfall der QFNs nach zweiwöchigem intensiven Umwelttests. Dabei wurde eine hohe Zinn-Migration an Punkten mit großen Potentialunterschieden als Ausfallursache festgestellt. Hingegen konzentrierte sich Prof. Ivan Szendiuch von der Universität Brno sich auf den Einfluss des Stickstoffs auf das Reflowlöten. Durch Stickstoff lässt sich zwar die Oxidation verhindern, doch inwieweit gibt es einen klaren und einstimmigen Einfluss auf die Zuverlässigkeit der Lötverbindung? Die „unbekannte Grenze“ für den Bedarf an Stickstoffkonzentration zeigte er anhand eines Versuchsaufbaus.

Finger weg von Fake – aber wie?

Es beginnt in der Waferfertigung und findet schleichend, ja unmerklich den Weg in die Fertigung: Gefälschte Bauelemente sind mittlerweile mit bloßem Augenschein kaum mehr von originalen Komponenten zu unterscheiden, erst umfangreiche Tests fördern den Fake zutage. Ein Experte auf diesem Gebiet ist Günter Grossmann vom EMPA. Er spricht dabei von counterfeit-Komponenten: Ein Produkt, das eine unbefugte Kopie oder ein unbefugter Ersatz ist. Das durch eine unberechtigte Quelle identifiziert, markiert oder verändert wurde und den Anschein erweckt, ein autorisiertes Produkt zu sein. Häufig würden defekte Dies zu gefälschten Komponenten verarbeitet und unter intakte Originale gemischt. Selbst die NASA ist davor nicht gefeit: Bestes Beispiel ist die Boeing P-8A Poseidon (eines der zehn teuersten Waffensysteme weltweit), in denen gefälschte Bauteile im Eisdetektor zum Einsatz kamen. In einer Untersuchung des amerikanischen Militärs wurde ein Anstieg gefälschter Komponenten von 3868 im Jahr 2005 auf 9356 im Jahr 2008 festgestellt.

Welchen Weg die Komponenten nehmen, um in hochwertige Elektronik zu kommen, erläuterte Grossmann anschaulich und detailliert: „Oft werden gefälschte respektive wiederverwendete Komponenten nicht entdeckt, da sie ihre Funktion problemlos erfüllen“, erläutert er. Ihren Ursprung haben sie beispielsweise in der Waferfertigung. Jeder Wafer hat einige defekte Chips, die aussortiert an eine Recyclingfirma übergeben werden. Neben den tatsächlich defekten Chips werden auch jene aus der so genannten Todeszone aussortiert, also ein oder zwei aus der unmittelbaren Umgebung des defekten Chips, da man annimmt, dass diese auch defekt sein könnten. „Es könnte sein, dass sie funktionieren, aber es ist nicht sichergestellt, dass sie langzeitstabil sind. Sehr oft geschieht es, dass die Recyclingfirma diese Chips weiterverarbeitet und auf den Schwarzmarkt verkauft“, berichtet Grossmann. Eine weitere Quelle sind Überproduktionen, die ebenfalls im Schwarzmarkt verhökert werden. Eine der Hauptquellen ist indes der Elektronikschrott. Der Elektronikschrott aus Europa und Nordamerika geht hauptsächlich nach Ghana, Elfenbeinküste, China und Indien.

Die Anzahl gemeldeter Fälle der counterfeit-Komponenten lag im Jahr 2011 bei knapp 1400. Dabei handelte es sich überwiegend um konventionelle Komponenten wie Transistoren, Mikroprozessoren oder analoge ICs. Die Schätzungen, welches Ausmaß das hat, gehen auseinander. So meldete die US-Chamber im Jahr 2007 dass die gefälschte Ware 8 Prozent des globalen Umsatzes oder 600 Milliarden Dollar ausmachen, während der Senate Armed Services Committee Report on Counterfeit Electronic Parts 2012 davon ausgeht, dass die Plagiate in den USA einen von 7,5 Mrd. Dollar erreichen würden. Den daraus resultierenden Schaden allein in den USA bezifferte das US Patent Office mit 250 Mrd. Dollar. Sich erfolgreich vor Fälschungen zu schützen ist mühsam, denn die gefälschten Komponenten sind überall: So stellte die US Chamber of Commerce im Jahr 2009 in einer Studie fest, dass zwar erwartungsgemäß die Broker 30 Prozent der gefälschten Bauteile vertreiben und damit zur Hauptquelle im Vertrieb avancieren, jedoch – und das ist in der Tat erschreckend – 6 Prozent der gefälschten Ware durch autorisierte Distributoren vertrieben werden.

Prozessoptimierung ganz groß

Der zweite Tag fokussierte auf die Prozessabläufe vor und während der Produktion. Neben den Aspekten des fertigungsgerechten Designs sorgten die Vorträge rund um Lean Production und Produktionslogistik für große Aufmerksamkeit. So erläuterte Oswald Maurer von Weptech Elektronik den teilweise steinigen IPC-Weg, der vom Design der elektronischen Baugruppe bis hin zum fertigen Produkt zurückzulegen ist. Rund 50 IPC-Normen sind da zu berücksichtigen. „Zuverlässigkeit ist das wichtigste überhaupt in einer Baugruppenfertigung“, betont Dr. Heinz Wohlrabe von der TU Dresden und berichtet dabei vom jüngsten Projekt des Fachverbands BFE Blei-Freie Elektronik. Analysiert wurde der Einfluss von Design und Legierung auf die Zuverlässigkeit von Chiplötstellen.

Podiumsdiskussion statt Workshops

Eine Neuerung gab es dieses Jahr: Statt der traditionellen Workshops fand erstmals eine Podiumsdiskussion statt. Die Teilnehmer waren Stefan Lau (Wilo), Bernard Kirchgäßner (SEW), Oswald Maurer (Weptech) und Johann Weber (Zollner). Durch die Moderation führte Julia Eckschlager von ASM Assembly Systems. „Wie werden grüne Ziele im Fertigungsalltag umgesetzt?“ war die themengebende Frage, die auch das Publikum miteinschloss. Analysiert wurde etwa, welche Kennzahlen nötig sind, um eine grüne Fertigung nachzuweisen. Auch die typischen Verbraucher in einem Produktionsstandort wurden detektiert. Schließlich wurde auch diskutiert, wie sich Mitarbeiter „energiebewußter“ machen lassen.

Bernhard Kirchgäßner führte virtuell durch die Fertigung von SEW Europe: 32000 Flachbaugruppen für die hauseigenen Frequenzurichter stellt das Unternehmen in Bruchsal her, zudem werden etwa 90 Prozent aller Antriebe dort verbaut. „Das setzt eine wandlungsfähige Wertschöpfungsorganisation mit möglichst wenig Schnittstellen voraus“, erläutert er. In der Praxis heißt dies „ziehendes Fertigungsprinzip“, das eine Reichweite von einem Arbeitstag erlaubt. Über 620 Baugruppen-Varianten an fünf SMT- und zwei THT-Linien kann das Unternehmen produzieren. Um den Kunden fristgerecht beliefern zu können, hat SEW ein so genanntes „Supermarkt-Prinzip“ etabliert: Die Baugruppen, die vorne aus den Regalen entnommen werden, werden umgehend nachproduziert. Das erfordere eine gewisse Kanban-Fähigkeit, die das Unternehmen für die meisten seiner verbauten Bauelemente und Komponenten mit fünf Kanban-Lieferanten umsetzen konnte.

„Wissen ist Macht“, sagt Johann Weber von Zollner Elektronik und führt weiter aus: „Mit effektiv eingesetzten Wissensmanagement-Instrumenten können Unternehmen ihre Zukunftsfähigkeit sicherstellen.“ Keine Frage, bei Zollner Elektronik ist viel Wissen angehäuft: Rund 4000 NPI pro Jahr verarbeitet der Elektronikfertigungs-Dienstleister. „Wir bieten unseren Kunden eine maßgeschneiderte Leistung, ganz gleich, ob es sich um Einzelteile, Module, Geräte oder komplexe Systeme handelt. Seine Anforderungen entscheiden, wie weit unsere Prozesstiefe reicht“, betont Johann Weber von Zollner Elektronik. Den Schwerpunkt legt Zollner auf komplexe mechatronische Systeme – von der Entwicklung bis hin zum After Sales Service. So besteht die nach dem Kundentakt orientierte Montageinsel aus etlichen Teilmontagen, die sich in Vor- und Endmontageplätzen mit integrierten Testarbeitsplätzen aufteilt. Auf diese Weise entsteht Stufe um Stufe ein hoch komplexes mechatronisches System. Weber sieht in der zügigen Umsetzung von Industrie 4.0 einen großen Wettbewerbsvorteil: Vor allem die steigenden Traceability-Anforderungen würden den Weg dorthin ebnen.

Fertigungsprozesse im Visier

Den Referenten und Geschäftspartnern/Veranstaltern des Kollegs, den Firmen ASM Assembly Systems, Asys Group, Balver Zinn, Christian Koenen, Kolb Cleaning Technology, Rehm Thermal Systems und Zevac, geht es darum, den Teilnehmern so viel Praxiswissen entlang der elektronischen Baugruppenfertigung wie möglich zu bieten. Dabei geht es auch um Networking – Networking untereinander und mit den Referenten. Sich auszutauschen, Fertigungsprobleme, die alle plagen, zu diskutieren und diffizile Fragen rund um die elektronische Baugruppenfertigung überhaupt beantwortet zu wissen, das sind die Topics dieser Veranstaltung, die sich an Experten richtet.

Marisa Robles Consée

ist freie Redakteurin Productronic

(mrc)

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