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(Bild: RoodMicrotec)

Vor mehr als 20 Jahren wurden aufgrund von Zuverlässigkeitsanforderungen der Kommunikationsanbieter bereits erste systematische Untersuchungen hinsichtlich ionischer Verunreinigungen an Leiterplatten und Baugruppen durchgeführt. Bei der geforderten Verfügbarkeit von Kommunikationsanlagen innerhalb eines festgelegten Klimatogramms wurden erste Vorgaben für zulässige Verunreinigungen an Baugruppen festgelegt. Hier lehnte man sich an bestehende MIL- und Telecordia-Standards an. Für die Amtsbaufirmen war das Thema so brisant, dass umfangreiche Untersuchungen durchgeführt wurden. Baugruppen wurden gereinigt und anschließend mit ionogenen Lösungen besprüht, um unterschiedliche Kontaminationen auf die Baugruppen aufzutragen und deren Auswirkung zu ergründen. Damals ging man davon aus, dass nach 10 Jahren Feldeinsatz unter den vorliegenden Einsatzbedingungen (klimatisierte Räume, Mitteleuropa) eine ionogene Kontamination von 10 bis 15 µg/cm2 NaCl-Äquivalent sich auf den Baugruppen niederschlägt.

Ionograph

Der Ionograph rechnet die elektrischen Leitfähigkeitswerte der Alkohol-Wasser-Lösung in NaCl-Äquivalenzwerte in der Einheit µg/cm² um. RoodMicrotec

Prüfen und Testen

Als unabhängiger Value-Added-Dienstleister für die Mikro- und
Optoelektronik. bietet Rood
Microtec ein „Alles aus einer Hand“-

Angebot. Die Dienstleistungen umfassen (eXtended) Supply Chain Management, Fehler-& Technologieanalysen, Qualifikationen und Messen,  Burn-In, Test- & Produkt-Engineering, Produktionstest, ESD/ESDFOS Evaluation & Training, Qualitäts- und Zuverlässigkeits-Beratung sowie den kompletten Herstellprozess.

Electronica_Ionische Verunreinigungen_2016

Messkurven unterschiedlich stark verunreinigter Leiterplatten. RoodMicrotec

Um abzuklären, wie sich ionogene Verunreinigungen auf den Baugruppen auswirken, wurden diese gereinigt und anschließend gezielt mit verschiedenen ionogenen Lösungen in unterschiedlichen Stufen kontaminiert und dann auf ihre Funktion hin überprüft. Parallel hierzu wurden IPC-B-25 Testkämme, ebenfalls in unterschiedlichen Stufen, gezielt kontaminiert, um den Einfluss auf die Oberflächenwiderstandswerte bei unterschiedlichen Klimata zu ermitteln. Als Sollwert wurde der in der Telcordia GR 78 geforderte Sollwert von >2x 10 10 Ohm für die IPC-B-25 Testkämme mit 0,0125 inch Leiterbahnabstand angestrebt. In vielen Bereichen der Elektronikindustrie wurden über Jahre hinweg keine systematischen Untersuchungen in Bezug auf ionogene Verunreinigungen durchgeführt. Erst in den vergangenen zwei bis drei Jahren wurden aufgrund von Feldausfällen im Automotivbereich umfangreiche Aktivitäten gestartet.

Forderungen der Automobilindustrie

In Lieferspezifikationen der Automobil-Zulieferindustrie werden ionische Verunreinigungen von < 0,4 µg/cm² NaCl äquivalent gefordert. Die bisher im Allgemeinen geforderten und akzeptierten ionischen Verunreinigungen von <1,0 µg/cm² NaCl äquivalent für Roh-Leiterplatten werden im Automotivbereich nicht mehr toleriert. Wie eine mittlerweile große Anzahl von Messungen bestätigt, werden diese Anforderungen von der Leiterplattenindustrie meist eingehalten. Für Baugruppen im Automobilbereich wird zurzeit immer häufiger die Anforderung aus der IPC/EIA J-STD-001C von 1,56 µg/cm² NaCl äquivalent gefordert. Auch unter Mitberücksichtigung der vorliegenden Bauteiloberflächen ist diese Vorgabe nicht immer einzuhalten. Besonders dann, wenn Handlötungen mit einem stark aktivierten Flussmittel angewendet werden.

In der Luft- und Raumfahrt werden in verschiedenen Lieferspezifikationen für gereinigte Baugruppen ionische Verunreinigungen von < 0,4 µg/cm² NaCl gleichwertig gefordert. Auch hier müssen die Anforderungen regelmäßig überprüft und entsprechend den Anwendungen ggf. korrigiert werden. Neben der Messung der ionischen Verunreinigungen als Summe in µg/cm² NaCl äquivalent, gibt es auch die Möglichkeit und teilweise auch die Anforderung die vorliegenden Anionen und Kathionen qualitativ mittels Ionenchromatografie zu bestimmen. Diese Methode wird bisher nur gelegentlich angewendet. Das Reinigen von Baugruppen ist sicherlich eine Möglichkeit, unerwünschte Prozess-Verunreinigungen zu beseitigen. Hier ist jedoch zu bedenken, dass dies ein zusätzlicher Prozess ist, der regelmäßig überwacht und überprüft werden muss. Je nach Anwendungsfall muss dieser zusätzliche und kostenintensive Prozess durchgeführt werden, wie beispielsweise bei der Schutzlackierung von Baugruppen.

Dendrit_Einzelbild

Dendritenwachstum aufgrund starker ionischer Verunreinigung. RoodMicrotec

Was sind ionische Verunreinigungen

Ionogene Rückstände auf Leiterplatten (LP) und Baugruppen können folgende Ursachen haben. Sie entstehen beispielsweise bei der Leiterplattenherstellung durch eine unzureichende Spülung nach Galvanikprozessen und nach Aufbringen des Leiterplatten-Finishes, oder durch eine unzureichende Härtung des Löt-Stopplackes oder dem Handling bei der Verpackung und dem Transport. Bei der Baugruppenfertigung kann es zu Verunreinigungen durch Flussmittelrückstände nach den Lötprozessen, der Verwendung von kontaminierten Bauteilen, unsauberen Verpackungen und Schutzlackierung sowie dem Transport kommen. Aber auch durch Umwelteintragung wie Industriegasatmosphären und Stäube aus der Umwelt entsehen Verunreinigungen. Diese werden dann üblicherweise entsprechend IPC-TM-650 ermittelt. In diesem Standard sind verschiedene Messmethoden dargestellt, von denen die Methode 2.3.26 am häufigsten angewendet wird. Dabei wird in einem Testmodul fortwährend eine Mischung aus deionisiertem Wasser und Isopropylalkohol um die Testmuster gepumpt. Die Lösung löst die extrahierbaren ionischen Verunreinigungen von der Oberfläche des Testmusters ab und transportiert sie zur Leitfähigkeitsmesszelle, welche alle 2 sec die Messergebnisse speichert. Die Lösung wird dann über Mischbett-Ionentauschersäulen deionisiert. Die regenerierte Lösung wird dann wieder zu dem Testbehälter zurückgeführt, um weitere Ionen für die Messung zu extrahieren. Der Prozess kann fortgesetzt werden, bis alle extrahierbaren Ionen von dem Testmuster entfernt worden sind. Vor dem Einlegen des Musters wird eine Leitfähigkeitsgrundlinie ermittelt, indem man die Lösung ohne Probe im Testbehälter zirkulieren lässt. Der Ionograph rechnet die elektrischen Leitfähigkeitswerte der Alkohol-Wasser-Lösung in NaCl-Äquivalenzwerte in der Einheit µg/cm² um. Um korrekte Messbedingungen zu schaffen, sollte die Prüflösung aus 75% Isopropanol und 25 % demineralisiertem Wasser bestehen. Die Prüfzeit richtet sich nach den Angaben des Kunden, im Minimum aber 60 Minuten. Als Kalibrierungslösung ist eine NaCl-Kalibrierlösung anzusetzen.

Das Schaubild zeigt Messkurven von Roh-Leiterplatten mit unterschiedlich hoher ionischer Verunreinigung. Die untere Messkurve zeigt einen üblichen Verlauf einer sauberen Leiterplatte im Anlieferungszustand. Nach 20 bis 30 Minuten Messzeit werden keine Ionen mehr extrahiert. Die obere Messkurve zeigt eine starke ionische Verunreinigung, deren Ursache unterschiedliche Gründe haben kann. Die vorstehenden Messkurven zeigen die gemessenen ionischen Verunreinigungen einer Roh-Leiterplatte im Anlieferungszustand und einer Roh-Leiterplatte, welche noch über 4 Stunden bei einer Temperatur von 120 °C gelagert wurde. Nach Reklamation durch den Kunden wurden die Aushärtebedingungen für den Löt-Stopplack geändert.

Auswirkungen von ionischen Verunreinigungen

Bei vorliegender Baugruppe mit chem. Sn-Finish kam es in Folge von Dendritenbildung zu einem massiven Kurzschluss. 7 von 10 Lagen des verwendeten Multilayers sind durchgeschmolzen. Nach 2 Reflowprozessen musste noch über ein drittes Lötverfahren ein Tochterboard angelötet werden. Aufgrund von Benetzungsproblemen wurde dann ein stark aktiviertes Flussmittel für den Selektivlötprozess verwendet, um den Lotdurchstieg entsprechend den Anforderungen zu realisieren. Eine Reinigung der Baugruppe nach dem Lötprozess fand nicht statt. Verbliebene Flussmittelrückstände führten dann unter Feuchteeinwirkung zu dem Kurzschluss.

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Ein weiteres Beispiel für Leiterzüge mit unterschiedlichem Potenzial. RoodMicrotec

Flussmittelreste eines Handlötprozesses führten (Bild 5) zu Funktionsstörungen einer Fahrzeugelektronik. Nachdem das Fehlerbild nicht permanent vorhanden war, war es schwierig den Ausfallmechanismus zu beschreiben. Erst nach einer Testlagerung in einem Feuchteklima konnte der Fehler nachgewiesen werden. Bei den Ausfallbaugruppen wurden hohe ionische Verunreinigungen nachgewiesen. Um den Ausfallmechnismus darzustellen, wurde an die zwei Lötpunkte eine Spannung von 5 V angelegt und der Zwischenraum mit einem Tropfen Reinstwasser beaufschlagt. Innerhalb von 5 min wurde dann die Dendritenbildung erzeugt.

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Migration zwischen Leiterzügen mit unterschiedlichem Potenzial. RoodMicrotec

Zudem gab es Migration zwischen Leiterzügen mit unterschiedlichem Potenzial. Hier konnte nicht eindeutig die Ursache geklärt werden. Möglicherweise führen hier ionische Verunreinigungen und Wechselwirkungen zwischen Löt-Stopplack und Flussmittel zu dem vorliegenden Baugruppenausfall. Die Migrationsprodukte befinden sich unter dem Löt-Stopplack.

 

Gerhard Bayer

ist Sachbearbeiter Fehleranalyse bei RoodMicrotec.

(hw)

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