Aufmacher

Die Stahlgitterstruktur des Kranauslegers gab die Rahmenbedingungen für den Einbau der Windenantriebe in dem Kran vor. (Bild: Palfinger Marine/Bonfiglioli)

Die im Vergleich höhere Präzision und der Gewinn an Dynamik sowie Effizienz der elektrischen Antriebe überzeugen Betreiber mehr und mehr auch auf offener See – vor allem vor dem Hintergrund steigender Sicherheitsanforderungen und strikteren Umweltauflagen. In Zusammenarbeit mit dem deutschen Getriebehersteller O&K Antriebstechnik, Teil der Bonfiglioli-Gruppe, laufen seit kurzem Offshore-Gittermast­krane der Palfinger Marine mit einem neuartigen elektrischen Antriebskonzept.

Zu Beginn weckten die mit dem Projekt verknüpften mechanischen Anforderungen den Ehrgeiz der Konstrukteure: Sie sollten bei Stahlgitter-Verstellausleger-Kränen für die Hauptwinde und die Ausleger-Winde möglichst kompakte elektrische Antriebe entwickeln – bei einer Reichweite bis 40 Meter und einer Tragfähigkeit (safe working load) von 60 Tonnen. Allerdings waren die jeweiligen Bauräume durch die Stahlgitterstruktur des Kranauslegers strikt vorgegeben, da aus Sicherheitsgründen nichts über die Gitterstruktur hinausragen darf. Gleichzeitig gab die Krangröße auch die Seilstärken und -längen und somit auch die Trommeldimensionen vor. In Verbindung mit den notwendigen Drehmomenten beziehungsweise den Motorleistungen war schnell klar, dass ein einfacher elektrischer Antrieb die Leistungsanforderungen innerhalb des zur Verfügung stehenden Bauraumes nicht erfüllt. Die konstruktive Aufgabe bestand nun darin, die Leistung auf mehrere Motoren aufzuteilen, das Drehmoment aber komplett auf die Windentrommel zu bringen.

Komplizierte Enge

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Die vier Antriebe der Seilwinde innerhalb des Gittermastes sind im Stahlgittermastkran gegenüberliegend angeordnet. Palfinger Marine/Bonfiglioli

Laut Berechnungen reichen für den Antrieb der Seilwinde für den Hakenbetrieb die Aufteilung auf vier Elektromotoren der Baugröße IEC 280 mit jeweils 1,2 Tonnen. Bei der Auslegerwinde genügen zwei Motoren der Baugröße IEC 315 mit jeweils 1,7 Tonnen. Die Eingangsseite war damit bestimmt, doch die konstruktive Aufgabe blieb: Die sinnvolle Anordnung und Verbindung der Motoren mit dem Windengetriebe. Dabei mussten die Konstrukteure nicht nur die Kraftübertragung der Antriebsleistung beachten, sondern auch die Größen und Gewichte der Motoren selbst – schließlich wiegen die speziellen Asynchronmotoren etwa eine Tonne und sind rund zwei Meter lang. Zusätzlich zur antriebstechnischen Lastverteilung über die elektronische Regelung musste also auch die rein mechanische konstruktiv erfolgen.

Die mechanische Lösung von O&K Antriebstechnik besteht auf beiden Seiten der Trommel aus jeweils zwei Komponenten: Einer Motorglocke und einem Winkelgetriebe im Vorlauf zum eigentlichen Windengetriebe. Bei der Auslegerwinde ist das Winkelgetriebe so konstruiert, dass gegenüber der Motoreintriebsseite eine Sicherheitsbremse (fail-safe brake) für Notsituationen montiert ist. Dies gewährleistet einen wesentlichen Sicherheitsaspekt: der Kranausleger bleibt auch bei Leistungsunterbrechung in seiner Position und kann nicht absacken. Ein Kegelradsatz überträgt das Motoreingangsmoment auf das Winden-Planetengetriebe in der Windentrommel. Die Winde selbst befindet sich am Kranturm und erfährt nur rotatorische Bewegungen des Turms; Besonderheiten bei der Schmierung der Winkelgetriebe sind nicht zu beachten. Eine übergeordnete Steuerung sorgt für den synchronen Lauf der an der Winde beidseitig platzierten Antriebe.

Offshore-Gittermastkran von Palfinger Marine mit einem Elektroantrieb statt der üblichen Pneumatik Palfinger Marine/Bonfiglioli

Offshore-Gittermastkran von Palfinger Marine mit einem Elektroantrieb statt der üblichen Hydraulik Palfinger Marine/Bonfiglioli

In der Nähe des Turms im Ausleger des Krans ist die rund zwei Meter breite Seilwindentrommel montiert. Dazu sind die vier Antriebe der Seilwinde an der Windentrommel beidseitig angeordnet, wobei sich jeweils zwei Antriebe direkt gegenüber liegen. Auch diese Motoren sind mit einer Motorglocke an ein Winkelgetriebe montiert, das die Kraft der beiden Motoren vereint im rechten Winkel auf das in der Windentrommel integrierte Planetengetriebe überträgt. Besonders wichtig ist hierbei das Schmierungssystem des Kegelradsatzes, das ermöglicht, dass der Kegelradsatz unabhängig von der Stellung des Auslegers mit Schmiermittel versorgt wird. Die vier ebenfalls umrichtergespeisten Motoren arbeiten synchron. Eine Besonderheit: Aufgrund der maritimen Anwendung entspricht die Lackierung der Antriebskomponenten mit drei Schichten den Normen C5M nach ISO 12944 oder vierschichtig der Norsok M-501.

Elektrifizierung hat deutliche Vorteile

Zusammen mit den Drehantrieben ist der Auslegerkran somit komplett elektrisch angetrieben. Das Steuerungssystem ist auf der Höhe der Zeit, arbeitet reaktionsschnell und sorgt für Sicherheit bis zu einer signifikanten Wellenhöhe von bis zu sechs Metern, die erst bei stürmischem Wind auftritt. Zudem haben die elektrischen Antriebe den Vorteil, dass optimierte Belastungsdiagramme für Flexibilität im Betrieb sorgen und sogar ein Fernzugriff auf den Kran ermöglicht wird, etwa zur Fehlererkennung und schnellen Unterstützung. Darüber hinaus finden weitgehend Standardkomponenten Anwendung, die eine einfache Wartung und schnelle Ersatzteilversorgung ermöglichen.

Insgesamt bringen die elektrischen Antriebe eine höhere Energieeffizienz und sorgen so für einen geringeren Energieverbrauch und das Risiko einer Ölverschmutzung aufgrund einer Havarie des Hydrauliksystems ist grundsätzlich ausgeschlossen.

Gute Gründe für den Umstieg

Die elektrischen Antriebe haben sich in anderen Industrien mit rauen Umgebungsbedingungen seit Jahrzehnten bewährt. In Baumaschinen leisten sie genauso klaglos ihren Dienst als Fahr- oder Schwenkantriebe wie in Windenergieanlagen rund um den ganzen Globus und unter extremen Witterungsbedingungen. Entwickelt nach den strengen Normen EN13852-1 und Norsok R002 erfüllen sie auch in Offshore-Anwendungen zuverlässig alle Anforderungen. Die mit elektrischer Antriebstechnik ausgerüsteten Kräne haben weniger verschleißanfällige Komponenten und erzeugen deshalb auch weniger Wartungskosten. Vor allem aber arbeiten sie wesentlich leiser und erzeugen spürbar weniger Vibrationen. Viele Gründe sprechen also für den Umstieg.

Chris Liebermann

arbeitet in einem PR-Büro in Ubstadt-Weiher

(ml)

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