„Die Entwicklung zur Smart Factory ist unabdingbar. Dennoch zögern viele Unternehmen – insbesondere kleinere – noch bei der Digitalisierung.“ Stefan Körte, Hilscher

„Die Entwicklung zur Smart Factory ist unabdingbar. Dennoch zögern viele Unternehmen – insbesondere kleinere – noch bei der Digitalisierung.“
Stefan Körte, Hilscher (Bild: Hilscher)

Mit der Verknüpfung von IT und Feldgeräten entstehen über die klassische Fertigungstechnik hinaus neue Potenziale im Maschinenbau, in der Prozess- und Verfahrenstechnik, der Energietechnik (Smart Grid) und Verkehrs-Leittechnik. Dabei gilt es zu beachten, dass das Thema Industrie 4.0 eine ganzheitliche Betrachtung verlangt, in dem die Automatisierungsebene als ergänzendes Element der Unternehmensweiten IT betrachtet wird. Die angestrebte Smart Factory funktioniert nur im Zusammenspiel von Produktionsebene und IT. Dabei generiert letztere durch Einbindung und Verknüpfung der Informationen von allen Automatisierungskomponenten mit anderen Unternehmensdaten die eigentliche Wertschöpfung.

IT/Cloud-Anbindung ist existenziell

Industrie 4.0 ist nicht nur für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau ein Thema, alle Hersteller und Anwender weltweit werden sich diesem Thema stellen müssen, um langfristig international wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus die zwingende Notwendigkeit für Maschinenbauer: Sie müssen eine Schnittstelle zur IT beziehungsweise eine Cloud in ihre Maschinen integrieren und dies als Feature zur Zukunftssicherung den Kunden anbieten.

Industrie 4.0 kann nicht als einzelne Technologie umgesetzt und implementiert werden, sondern nur als kontinuierlicher Prozess über alle Bereiche eines Unternehmens hinweg. Denn erst durch die Interaktion von ERP, MES und Automatisierung entsteht der Mehrwert.

Dem ersten ROI folgen tiefgreifende Änderungen

Im ersten Ansatz entstehen beim Informationsaustausch zwischen Fertigungsautomatisierung und Unternehmens-IT wesentlich verfeinerte Lösungen für Predictive Maintenance, Prozessoptimierungen, Traceability und Qualitätsüberwachung. Das Hauptpotenzial für die Zukunft steckt jedoch in der intelligenten Verknüpfung von Informationen. Hier sind ganz neue Geschäftsmodelle, zum Beispiel Pay-per-use-Konzepte für Maschinen und kostenintensive Feldgeräte, realisierbar oder selbstoptimierende Fertigungsprozesse mit integriertem Qualitätsmonitoring denkbar.

Digitalisierung tut nicht weh

Obwohl die Entwicklung zur Smart Factory der wohl wichtigste Schritt in den kommenden Jahren ist, zögern viele Unternehmen – insbesondere kleinere – mit der Digitalisierung. Ein gewichtiger Grund ist neben Security-Aspekten die Angst, die über Jahre entwickelten Werte wie die Fertigungsqualität und das erworbene Prozess-Know-how aufgeben zu müssen. Für KMUs sind daher zwei Dinge bei der Einführung von Industrie 4.0 wichtig:

  • Investitionssicherung durch sukzessive Umsetzung und
  • ein konkreter ROI mittels zusätzlicher Wertschöpfung durch echte Vorteile und zusätzliche Möglichkeiten zur Effizienz-Steigerung.

Eine Schlussfolgerung daraus: Die Realisierung kann nur in einzelnen Schritten erfolgen, die auf den jetzigen Technologien und Verfahren aufsetzen, um die bewährte Technologie und das eigene Know-how zu erhalten.

Als Basis für eine Realisierung der Smart Factory haben sich die Protokolle OPC/UA und MQTT in Europa beziehungsweise USA für den Datenaustausch in Cloud-basierten Systemen etabliert. Diese beiden Kommunikations-Architekturen transportieren die Daten von Feldgeräten, Sensoren und Aktoren, ergänzen die Daten um semantische Informationen und leiten sie parallel über das vorhandene Profinet als IoT-Telegramme an Edge-Gateways weiter. Diese Gateways wandeln die Daten in Informationen und senden diese anschließend über ein Standard-TCP/IP-basiertes IT-Netzwerk in die Cloud. Zusätzlich können auch umfangreiche Herstellerangaben zu den Geräten mit übertragen werden: beispielsweise Informationen darüber, welcher Typ Sensor verbaut wurde, wer der Hersteller ist und wo Ersatz besorgt werden kann. Theoretisch könnten also hinter jedem Wert eines Sensors/Aktors beliebig viele Zusatzinformationen zur Verfügung gestellt werden. So können Anlagenteile sich autark identifizieren und bei der überlagerten IT als Ressource zur Verfügung stellen, ohne dass eine aufwendige Anpassung der Schnittstellen zu anderen Anlagenteilen nötig wäre.

Sind SPS und Feldbus bald obsolet?

Bestehende Maschinenparks brauchen eine flexible Infrastruktur, um sie in die kommenden Industrie-4.0-Landschaften einbinden zu können.

Bestehende Maschinenparks brauchen eine flexible Infrastruktur, um sie in die kommenden Industrie-4.0-Landschaften einbinden zu können. Hilscher

Bei der Diskussion über die Anbindung der Fertigung an die IT tauchen aus heutiger Sicht sehr radikale Gedanken auf: Werden SPSen in ihrer heutigen Ausprägung noch benötigt? Und sind Profibus, CAN und die heutigen Realtime-Ethernet-Systeme in einem Industrie-4.0-Szenario nicht ebenso obsolet?
Im Endausbau einer Smart Factory, also in der ferneren Zukunft, kann dies in einigen Bereichen durchaus der Fall sein. Allerdings müssen hierfür zuerst die Voraussetzungen stimmen, sowohl technologisch als auch strukturell. Im Prinzip ist dann der gesamte Fertigungsablauf in viele kleine Einzelaufgaben unterteilt, die von intelligenten Feldgeräten mit der nötigen Geschwindigkeit, das heißt in Echtzeit abgearbeitet werden. Das Zusammenspiel dieser intelligenten Feldgeräte ließe sich dann über ein schnelles Ethernet von der IT aus, also vom MES- oder ERP-System, koordinieren.

Als einheitliches Netzwerk in einer Smart Factory, erfährt TSN (Time Sensitive Networking) deshalb gerade Auftrieb. Es gilt als Enabler für die IoT-Technologie der Smart Factory. Zugegeben: Es klingt verlockend, ein verteiltes intelligentes System via TSN und Cloud zu koordinieren. Jedoch, Programmierung, Diagnose und Test einer segmentierten Anlagensteuerung sind nicht trivial und benötigen dafür angepasste Software-Systeme. Die sind zurzeit noch nicht etabliert.

Deutlich früher in der Umsetzung ist WiFi im Fertigungsbereich als Ergänzung zur aktuellen Automatisierung; nicht zur Übertragung von Steuerungssignalen, aber als Möglichkeit eine Cloud-basierte, drahtlose Inbetriebnahme, Parametrierung und Diagnose von Feldgeräten per Smartphone oder Tablet zu realisieren. Dies dürfte auch einer der ersten werthaltigen Use Cases bei der Anwendung von Industrie 4.0 werden: Der Techniker ruft Informationen aus der Cloud per Smartphone ab und nutzt diese direkt zur Parametrierung der Feldgeräte.

Die nächsten Jahre werden die aktuellen Steuerungen und Realtime-Ethernet-Systeme somit unverzichtbar bleiben. Der Grund: Die eigentlichen Steuerungszyklen zur Kontrolle der Abläufe innerhalb einer Maschine müssen schnell, berechenbar und in Echtzeit ablaufen. Dies ist aktuell nur mit den speziell hierfür ausgelegten Systemen gewährleistet, die in ihrer Kommunikation erweitert werden, um auch in der Sprache der Cloud sprechen zu können. Auch wurde bei den aktuellen Realtime-Ethernet-Systemen viel Know-how in die Zuverlässigkeit und Diagnose investiert, um die Verfügbarkeit der Systeme zu maximieren. Auch der Aspekt Investitionssicherung ist ein gewichtiges Kriterium für den Erhalt der bewährten Feldgeräte-Kommunikation, zumal diese via OPC und MQTT transparent in die Cloud integriert werden.

Industrie 4.0 beginnt im Management

Eine Umsetzung von IoT/Industrie 4.0 ist grundsätzlich im Bereich der strategischen Geschäftsausrichtung anzusiedeln, kann und darf daher nicht allein als Aufgabenfeld der Automatisierung gesehen werden. Hat sich Industrie 4.0 erst einmal etabliert, werden kreative Köpfe Use Cases und Geschäftsmodelle entwickeln, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Wichtiges Indiz für diese These ist das Internet und Firmen wie Google, Facebook oder Amazon, die auf Basis der Informationen des Internets ihre Geschäftsmodelle und teils neue Märkte entwickelt haben. Das gleiche wird voraussichtlich auch im Industrial Internet passieren. Der Industrie eröffnen sich also neue Betätigungsfelder und damit auch die Aussicht auf langfristig gesicherte Wettbewerbsfähigkeit.

Stefan Körte

ist Division Manager Sales & Marketing bei der Hilscher GmbH.

(sk)

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