Die Software-Konzepte der klassischen Automatisierungspyra­mide werden hinsichtlich Daten- und Kommunikationsstrukturen den Wandel hin zur Industrie 4.0 nicht mitgehen können.

Die Software-Konzepte der klassischen Automatisierungspyra­mide werden hinsichtlich Daten- und Kommunikationsstrukturen den Wandel hin zur Industrie 4.0 nicht mitgehen können.Videc

Implizit steckt im Industrie-4.0-Ansatz die Forderung nach totaler Vernetzung. Schließlich werden Intelligenz und Datenhaltung in immer kleineren Einheiten (Dingen) vorgehalten und unter­einander weitergegeben. Die Folge sind immer mehr Teilnehmer im Netzwerk. Und mit der IP6-Adressierung ‒ wenn sie irgendwann dann auch weitgehend in den Produktionshallen eingeführt sein wird – stehen mit 2128, das sind etwa 340 Sextillionen oder 3,4 mal 1038, genügend Adressen zur Verfügung, um theoretisch jedes Sandkorn auf der Welt zu vernetzen.

Die Vision Industrie 4.0 (i40) führt zu ­einem Gewirr aus logischen Verbindungen (Informationsnetz) und einer Verteilung der Intelligenz mittels vieler Dienste. Bisherige Aufgaben innerhalb eines Software-Systems verschieben sich, werden in kleine Einheiten aufgebrochen und verteilt, um überhaupt erst die Grundlage für die gewünschte Flexibilität zu legen. Die Software in den Unternehmen ist aber seit gut 20 Jahren à la Industrie 3.0 strukturiert: Im Kern ist die Produktion nach wie vor wie folgt aufgeteilt:

  • Prozessebene mit Feld- und Steuerungsebene
  • Darüber angesiedelt die Leitsysteme und prozessnahe Aufgaben wie MES/QS
  • Überlagert von den ERP/CRM-Software

Und diese mächtigen, oft auch monolithischen Werkzeuge sollen künftig mit einer komplett anders aufgebauten Infrastruktur in den Produktionsanlagen klar kommen? Die Smart Factory und deren verschiedene CPPS (cyber physical production systems) als Teil der Industrie-4.0-Szenarien kennzeichnet sich durch:

  • Intensive Interaktion aller beteiligten an der Produktion
  • Vernetzung der Produktionsressourcen
  • Durchgängiges Engineering für Produktion und Produkt
  • Eng verbundene digitale und physikalische Welt
  • Firmenübergreifende Vernetzung, auch quer über die Wertschöpfungskette

Immer granularere Informationen sind nicht nur innerhalb und außerhalb der Produktionsanlage, des Standorts des Unternehmens, bereitzustellen, sondern auch Kunden, Lieferanten und den Logistikdienstleistern.

Immer granularere Informationen sind nicht nur innerhalb und außerhalb der Produktionsanlage, des Standorts des Unternehmens, bereitzustellen, sondern auch Kunden, Lieferanten und den Logistikdienstleistern.Videc

Das erfordert ein Zusammenspiel der Systeme und einen Informationsaustausch über Grenzen hinweg. Die Grundlage bilden smarte Dienste, in den eigenen Werken, beim Lieferanten, dem Logis­tiker und auch beim smarten Kunden. Und alle werden von der Produktion mit aktuellen Informationen versorgt.

Solche virtuellen Strukturen benötigen andere Ansätze in der Software-Architektur, auch wenn viele Anbieter von Software-Produkten das mit ihren typischen Modulkonzepten abtun werden. Deren Motto: Ein Adapter reicht, um nach ­außen einen Dienst übernehmen zu können. Solche Adapter sind unzureichend, um später bestehen zu können ‒ und noch viel wichtiger ‒ Kundennutzen zu generieren, sei es funktional oder monetär.

Auch die Plattform Industrie 4.0 sieht die Notwendigkeit einer verteilten Dienste-orientierten Architektur als Basistechnologie für kooperierende und dezentrale Fertigungseinrichtungen. Die Architektur soll die bestehenden, herkömmlichen Systeme wie CRM, ERP, PPS und MES über definierte Services und eine offene Datenbasis mit den realen Zuständen in der Fertigung und Logistik verknüpfen. Doch auch dieser Ansatz greift zu kurz; die herkömmlichen Systeme müssen in smarte Dienste zerlegt werden.

Scada-System lernt dienen

Den Kern eines Scada-Systems bildet das Online-Objektabbild. Daran angekoppelt sind wiederum eine Datenaufzeichnung (Historian) und die Alarmerkennung und -verarbeitung. Letztere archivieren ebenfalls chronologisch ihre Daten. Hier wird bereits der Ansatz sichtbar, diese Funktionen in Dienste nach außen zu bringen, ­einen Service bereitzustellen, etwa um die Alarmerkennung auch für ein QS- und EDMS-System zu verwenden, das bei ­einer Korridor- oder Grenzwertverletzung informiert wird.

Die Zerlegung der mächtigen Software-Pakete in viele Dienste ist der Weg zur i40. Wenige solcher Dienste reichen aus, um viele klassische Aufgaben zu realisieren; Offenheit und Standardisierung der Schnittstellen vorausgesetzt.

Die Zerlegung der mächtigen Software-Pakete in viele Dienste ist der Weg zur i40. Wenige solcher Dienste reichen aus, um viele klassische Aufgaben zu realisieren; Offenheit und Standardisierung der Schnittstellen vorausgesetzt. Videc

Smarte Dienste eliminieren Doppelfunktionen

Noch deutlicher zeigt sich der Nutzen im Bereich der Datenaufzeichnung. In vielen Unternehmen sind für Auswertungen und Analysen sowie Berichtswesen parallel mehrere Systeme im Einsatz, die Daten archivieren, im schlimmsten Fall sogar gleiche Daten parallel aufzeichnen.

Bisher lieferten Lösungen für bestimmte Anforderungen (Visualisierung/Maschinenbedienung, Qualitätssicherung, oder Instand­haltung) die entsprechenden Funktionalitäten. Aus dem Blickwinkel der Smart Factory mit einer hohen Interaktion aller beteiligten Komponenten entstehen künftig aus den einzelnen Diensten individuelle Plattformen – jeweils zusammengesetzt aus den benötigten Diensten.

Die neue Herausforderung: CPS-Plattformen

Diese CPS-Plattformen heißen zwar wie bisher Scada, MES oder Datenanalyse/QS-System. Der Unterschied: Sie bestehen aus bereits existierenden Diensten; lediglich ergänzt um Module, die ihre originäre Funktion betreffen, etwa Schritt­ketten/Ablauflogik, Batchsteuerung oder Berichts­wesen.

Ebenso wichtig sind die Schnittstellen zum Bediener, das User-Interface, das die verschiedenen Interaktionen ermöglichen muss: Prozessbilder, Alarmlisten, Auswertung von x/t-Diagrammen und Kurvenverläufen darstellen, Produktionsaufträge generieren und Produktionsdaten in Berich­ten zusammenführen.

Die Grundlage bilden erneut verteilte Dienste und deren fast beliebige logische Vernetzung. Sie lassen sich abhängig von der zu erledigenden Aufgabe bedarfs­gerecht abonnieren. Um dieses Dienste-System einfach anwendbar zu machen, sind entsprechende Werkzeuge bereitzustellen, die dem Administrator wie auch dem Anwender alle Freiheiten beim Aufbau von bedarfsgerechten Oberflächen geben, natür­lich abhängig von den definierbaren Benutzerprofilen und -rollen, Know-how, Aufgabenbereich. Das Ganze über Mechanismen, die es ermöglichen, die einzelnen, vom jeweiligen Software-Produkt bereit­gestellten UI-Dienste zu kombinieren.

Dienst am Kunden: Offene Web-Technik gibt den Rahmen für individuelle CPS-Plattformen vor.

Dienst am Kunden: Offene Web-Technik gibt den Rahmen für individuelle CPS-Plattformen vor.Videc

CPS-Plattformen – die Technologie

Und die notwendigen Technologien für die Umsetzung dieser Dienste-Architektur existieren und sind akzeptiert: Internet, Web-Anwendungen und OPC-UA als Betriebs­system-unabhängiger Kommunikationsstandard.

Konzipiert, um Prozessdaten aus der Steuerungsebene in die Scada/MES-Ebene zu übertragen, erfüllt der IEC-Standard auch die Vorgaben der Vision i40: als opti­miertes UA-Binär-Protokoll und als XML-Webservice eignet es sich gleichermaßen für die Kommunikation in der Auto­matisierungsebene und auch zwischen IT-Anwendungen und Diensten.

Anfangs bleiben die Maschinensteuerungen (SPS) und die Aktor/Sensor-Ebene über ausgereifte Feldbussysteme als Einheit stehen. Produktionsteile/Module werden als autarke Einheiten im i40-Verbund agieren und in die flexible Produk­tion eingebunden.

Innerhalb von OPC-UA existiert solch ein Konstrukt als Objekt. Ausgerüstet mit Variablen, die vereinfacht Daten darstellen und mit der Fähigkeit ausgestattet sind, Objekte zu verschachteln, sind sehr komplexe Informationsstrukturen möglich. Jede Änderung einer Variable löst Ereignisse (Events) aus; die Grundlage für eine effektive Zusammenarbeiten mit ­einem Archiv-Dienst als Historian.

Ein weiteres OPC-Element sind die Metho­den (Funktionen), mit denen sich komplexe Abläufe oder die Logik der bereit­gestellten Dienste definieren lässt, etwa die Übergabe von Datenreihen an einen Archiv-Dienst oder das Setzen eines Parameterpakets zu einem Produktionsauftrag.

Nur der Browser setzt den Rahmen

ERP, PPS, MES, PLS, Scada und HMI, sie alle bringen ihre eigenen spezifischen Oberflächen mit. Identische Informationen werden in jedem System in einem anderen Design dem Anwender präsentiert. Sicher, über die Web-Oberflächen der Tools hat der Anwender schon an Flexibilität beim Zugriff auf die Informationen gewonnen. Aber es sind Zusatz-Module des jeweiligen Systems, die sich nur schwer mit anderen kombinieren lassen.

Wenn diese Systeme nun in smarte Dienste inklusive eines entsprechenden User Interface (UI) aufbrechen, ergeben sich für den Anwender beachtliche Freiheitsgrade. Mithilfe von entsprechenden Portalen lassen sich die einzelnen UI-Dienste individuell zusammenstellen. Die Bedingung: Die monolithischen Systeme müssten ­dazu in Teilfunktionen gegliedert sein, inklu­sive gekapselter Oberflächen in Web-Technik.

Bleiben die Automatisierungs- und Software-Produkte so wie sie sind, wird es schwer den Unternehmen sowie den Maschinen- und Anlagenbauern ­einen entsprechenden Nutzen der Inhalte von i40 zu vermitteln. Aktuell vorhandene und akzeptierte Technologien sind die Schlüssel zur Industrie 4.0, zum Internet der Dinge und Internet der Dienste.

Stefan Arendt

ist Geschäftsführer bei der Videc GmbH in Bremen.

(sk)

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VIDEC Data Engineering GmbH

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