Single Pair Ethernet gilt als Schlüsseltechnologie für Industrie 4.0 und zählt derzeit zu einem der am meisten diskutierten Themen. Mit dieser Technologie lassen sich Ethernet-Daten und Energie in einer Zweidrahtleitung übertragen und sollen für eine durchgängige Vernetzung der Produktionsnetzwerke von morgen sorgen. Vor zwei Jahren haben sich verschiedene Unternehmen in der SPE System Alliance zusammengeschlossen, um die Technologie weiter voranzubringen. Darunter auch Weidmüller. Die Redaktion nahm dies zum Anlass, um mit Simon Seereiner, Gruppenleiter Produktmanagement Sensor-Aktor-Interface und Industrial Ethernet bei Weidmüller Interface ein Resümee zuziehen.
Herr Seereiner, Weidmüller ist Mitglied in der SPE System Alliance, welche die Entwicklung der SPE-Technologie seit zwei Jahren vorantreibt. Wie ist das Resümee von Weidmüller bisher?
Simon Seereiner: Äußerst positiv. Wir konnten mit der System Alliance mittlerweile ein Netzwerk von 35 Firmen zusammenbringen, wo wir gemeinsam mit Partnern an dem Ecosystem für Single Pair Ethernet arbeiten. Dies beweisen wir unter anderem durch Videos zum Thema Use Cases auf unserem neuen, sehr gelungenen Webauftritt sowie mit Videos, mit denen wir die Arbeit der System Alliance vorstellen. Hinzu kommen zahlreiche Veranstaltungen, beispielsweise der Anwenderkongress, die ITG-Fachtagung und die LANline. Und das zeigt im Endeffekt, dass es einen großen Pool von Technologie-Enthusiasten gibt, die wir unter der System Alliance zusammenbringen konnten. In Kürze werden wir weitere große Firmen in der Alliance aufnehmen.
Die SPE System Alliance ist ein Zusammenschluss führender Technologie-Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Anwendungsbereichen. Wie stehen Sie zum SPE Industrial Partner Network, einem anderen Zusammenschluss führender Technologieunternehmen?
Simon Seereiner: Wir glauben, dass wir durch unsere breite Fokussierung auf das gesamte Ökosystem von Single Pair Ethernet gegenüber der strikten Ausrichtung auf ein Steckgesicht, wie es bei Industrial Partner Network der Fall ist, deutlich breiter und damit attraktiver aufgestellt sind.
Ist die SPE-Technologie über die Fabrikautomation, die Prozessautomation und die Gebäudeautomation hinaus einsetzbar und geben Sie uns einen Einblick, wo es noch hingehen kann?
Simon Seereiner: An dieser Stelle möchte ich folgenden Begriff prägen: SPE ist unaufhaltsam. Die durchgängige Digitalisierung wird in allen Lebensbereichen Einzug halten und Single Pair Ethernet ist ja nur ein weiterer Physical Layer von Ethernet. In den Smart Kitchens, in den Smart Cities und den Smart Buildings ist Ethernet schon heute das Standardprotokoll, das die Kommunikation überträgt. Wir glauben, das Single Pair Ethernet für die kabelgebundene Übertragung, die in vielen Bereichen immer noch dominant ist, ein wesentliches Schlüsselelement für die komplette Digitalisierung der Industrie und zahlreicher anderer Branchen darstellt.
Ihren Ursprung hat die Entwicklung des Single Pair Ethernets in der Automobilbranche. Auch das SPE-Gesamtsystem hat sich weiterentwickelt. Das Ziel als SPE System Alliance ist es aber, nicht nur einzelne Produkte, sondern das komplette System voranzubringen. Wie ist hier der Stand?
Simon Seereiner: Wir glauben, dass wir mit der System Alliance eine Plattform geschaffen haben, auf der sich Unternehmen sehr gut austauschen können, um das Gesamtsystem weiter voranzubringen. In Zukunft werden wir das, wenn es wieder Messen gibt, durch eine Demonstrationsplattform auch live zeigen können. Es gibt erste Überlegungen, dass wir dort einen gemeinsamen Demonstrator aufbauen. So eine Demonstrator-Plattform kann aufzeigen, wie und vor allem, dass das Gesamtsystem funktioniert. Im Moment geht es gar nicht so sehr um den Stecker. Der Stecker ist nur ein Hilfselement. Es geht um die Vorteile der gesamten Technologie und darum, dies zu verdeutlichen. Das haben Nutzergruppen, wie die ODVA oder die PNO, mittlerweile erkannt und sind dementsprechend dabei, sich darauf vorzubereiten.
Neben Daten kann auch Energie über die zweiadrigen Leitungen übertragen werden. Um nun den Automatisierungs- und Vernetzungsgrad zu steigern und immer höher automatisierte Prozesse zu realisieren, muss aber die bestehende Kabel-Infrastruktur ersetzt werden. Wie soll der Anwender hier am besten vorgehen?
Simon Seereiner: Single Pair Ethernet ist ein weiterer Physical Layer, der die bestehende Infrastruktur erweitert. Somit ist SPE eine Erweiterung zu bestehenden Infrastrukturen. SPE benötigt zwar neue Phys und neue Kabel aber wir können auch bestehende Infrastrukturen nutzen. Unsere Working Group Cable hat zum Beispiel mithilfe von detaillierten Untersuchungen bewiesen, dass über ein Single Pair Ethernet-Kabel auch eine RS-485 oder BACNET Schnittstelle uneingeschränkt funktioniert. Mit gewissen Einschränkungen in der Performance gibt es auch die Möglichkeit Foundation Fieldbus, CAN und selbst Profibus PA über ein SPE Kabel anzusteuern. Es ist also nicht zwingend notwendig, dass die komplette Infrastruktur ausgetauscht werden muss. Somit kann man Single Pair Ethernet auch in Brownfield-Applikationen einsetzen, als Ergänzung zur bestehenden Infrastruktur. Ebenso wird derzeit in der Normierung diskutiert, inwieweit SPE auch über ein vierpaariges Standard Ethernet Kabel übertragen werden kann. Das Stichwort ist hier Split-Cable.
Aber das primäre Ziel ist natürlich, dass man Ethernet in die letzte Meile bringt, bis an den Sensor. Was dazu führen wird, dass auch neue Infrastrukturen aufzubauen sind. Möchte man smarte, intelligente Geräte für automatisierte Prozesse miteinander vernetzen, braucht es eine entsprechende potente Infrastruktur und die bietet Single Pair Ethernet. Dennoch ist es möglich, Altgeräte in ein Single Pair Ethernet-Netzwerk zu integrieren.
Dank der transparenten SPE-Architektur können Maschinen viel effizienter gesteuert und betrieben werden. Sie haben eine Simulation durchgeführt und konnten mit dem Einsatz von SPE die Betriebskosten um 18 Prozent senken. Wie kann ich mir diese Simulation vorstellen? Und konkretisieren Sie die Kostensenkung?
Simon Seereiner Wir haben eine bestehende Fertigungsanlage der Firma Weidmüller genommen, die zahlreiche Buskomponenten miteinander verbindet. Da sehen wir AS-i-Bus, Profibus, CAN, PROFINET und viele andere Busarchitekturen, die in einer komplexen Maschine miteinander kommunizieren. Wir haben uns mit den Experten, die diese Maschine gebaut haben, die Frage gestellt: Wie viel Zeit verbringt man damit, diese einzelnen Bussysteme miteinander zu Vernetzung? Wo sehen wir noch Kosteneinsparungspotenziale beim Aufbau der Maschine, wenn sie noch modularer werden soll? Wir haben angenommen, dass Single Pair Ethernet von der Infrastruktur der Komponenten vergleichbar mit den Kosten von heutigem Standard-Bus und Ethernet-Komponenten ist, allerdings durch die Zweiadrigkeit Vorteile bei der Installation bietet und damit Kosten einspart. Wir sind weiterhin davon ausgegangen, dass wir mit dem PoDL, also Power over Data Line, komplette Schnittstellen einsparen, indem wir intelligente Sensorik gleichzeitig mit Strom und Daten versorgen. Und wir sind davon ausgegangen, dass die Inbetriebnahmekosten, die Wartungskosten und die Umrüstkosten, im Vergleich zu einem System, das aufgrund einer Umrüstung der Maschine kontinuierlich neu programmiert werden muss, bei Single Pair Ethernet deutlich schneller von statten gehen. Das alles hat uns an einem einzigen Beispiel eine Kostenersparnis in der Größenordnung von 18 Prozent aufgezeigt. Es gibt weitere Untersuchungen von System Alliance Mitgliedsfirmen, die an ähnlichen Maschinen ein ähnliches Ergebnis gezeigt haben. Man kann jetzt aber nicht behaupten, dass Single Pair Ethernet immer 18 Prozent spart. Dies ist für jede Maschine und jede Anwendung explizit zu berechnen und wir geben damit nur einen Einblick in eine mögliche Konfiguration.
Datensicherheit als übergreifende Aufgabe sehen
Dr. Björn Griese, Leiter Innovation- und R&D-Center bei Weidmüller, nahm das Gespräch mit der IEE zum Anlass und thematisierte das Problem „Datensicherheit“. Für ihn ist die Datensicherheit eine übergreifende Aufgabe. Vom Komponentenanbieter über den Anlagenbauer bis hin zum Betreiber müssen alle ihren Pflichten nachkommen. Dabei muss die Datensicherheit durch technische und organisatorische Maßnahmen aller Beteiligten gesichert werden. „Für uns bedeutet das primär, dass wir auf Security ausgerichtete Prozesse (Security-by-Design) sowie die Nutzung von State-of-the-Art Technologien setzen“, erklärte er. Auf die Frage, inwieweit Weidmüller zu wirksamen Security-Konzepten aufklärt, damit die IoT der Wirtschaft eher Vorteile bietet und nicht zum Stolperstein der Digitalisierung wird, kommentierte er: “Security kann wie gesagt nicht durch einzelne Maßnahmen gewährleistet werden. Von daher greifen eine Vielzahl von Maßnahmen, die wir transparent mit unseren Kunden diskutieren. Dazu gehören technische Lösungen auf höchstem Security-Niveau, die Beteiligung in relevanten Branchenverbänden wie ZVEI und VDMA, aber auch die starke Vernetzung mit der IT-Sicherheitsplattform CERT@VDE, um frühzeitig auf neu entdeckte Schwachstellen reagieren zu können. Kontinuierliche Tests der eigenen Produkte auf Sicherheitslücken gehören auch dazu, wie fortlaufende Information über mögliche sicherheitsrelevante Schwachstellen unserer Produkte durch unser Product Security Incident Response Team (PSIRT). Natürlich ist auch die Implementierung und perspektivisch Zertifizierung von auf Security ausgerichteten Entwicklungsprozessen nach IEC 62443-4-1 bei Weidmüller im Prozess.“ (hw)
KURZ ERKLÄRT …
Zwei Jahre SPE System Alliance
Für die Kommunikation in Automatisierungsanwendungen haben sich seit Ende der 1990erJahre Feldbusse bewährt. Sie sind bis heute in der Fertigungs- und Prozessindustrie das am meisten genutzte Bussystem auf Sensor-/Aktor-Ebene: einfach zu installieren, zu warten und dabei kostengünstig. Doch in der Smart Factory haben sie nun ihre Grenzen erreicht: für die Anforderungen des Industrial Internet of Things (IIoT), also eine schnelle, durchgängige Kommunikation ohne Schnittstellen vom Sensor bis in die Cloud, sind sie nicht geeignet.
Deshalb wird sich in der Sensor-/Aktor-Ebene nach Ansicht der Experten Single Pair Ethernet (SPE) als Zubringer zu den IP-Hochgeschwindigkeitsnetzen etablieren. Der Anstoß für die Entwicklung kam aus der Automobilindustrie, wo erste SPE-Lösungen 2008 vorgestellt wurden. Die Technologie bietet jedoch ebenfalls große Vorteile in der Fertigungsautomatisierung, der Prozessindustrie oder der Gebäudeautomation. SPE benötigt im Gegensatz zum klassischen Ethernet, das durch die höheren Datenübertragungsraten bis zu acht Adern erfordert, nur ein Adernpaar. Statt wachsender Übertragungsraten sind aber in der Feldebene der Industrie lange Kabelwege und Miniaturisierung gefordert. Und mit 10 Mbit/s bei einer Übertragungslänge von bis zu 1.000 m und bis zu 1 Gbit/s bei einer Übertragungslänge von 40 m ist SPE selbst für anspruchsvolle Sensorik völlig ausreichend.
Um SPE in den Märkten zu etablieren, wurde zur Hannover Messe 2019 eine Interessen-Allianz gegründet, aus der im April 2020 die Single Pair System Alliance hervorging. In dem Verein sind derzeit 35 Unternehmen zusammengeschlossen. Die Organisation beschäftigt sich mit dem gesamten SPE-Ecosystem und den offenen Fragen, die in diesem Zusammenhang bestehen. Dies umfasst nicht nur physische Komponenten wie Kabel, PHYs, Stecker, Sensoren oder Switches, sondern auch Topologien, Standardisierungsvorhaben, Tests und Anwendungsfälle.