Antriebe entwickeln sich zu einer Antriebs-Automatisierungsplattform. Haupttreiber des Trends sind die steigenden Prozessorleistungen und die günstigere Kommunikationstechnik.

Antriebe entwickeln sich zu einer Antriebs-Automatisierungsplattform. Haupttreiber des Trends sind die steigenden Prozessorleistungen und die günstigere Kommunikationstechnik.Siemens

Das Antriebsgerät mit seiner Schnittstelle zur Automation hat historisch betrachtet schon eine bewegte Entwicklung hinter sich. Den Anfang machten Antriebe mit analoger 10-V-Schnittstelle. Mit dem Übergang zum digitalen Antrieb kam auch die digitale Antriebsschnittstelle in Form spezieller Antriebsbusse. Diese sind heute als Antriebsprofil in den allgemeinen Feldbus integriert. Um von hier aus eine Prognose über die Zukunft zu wagen, muss man sich zunächst mit der Theorie zu Techniktrends auseinandersetzen.

Techniktrends wurden vor allem von den Wissenschaftlern Genrich Altshuller und Rafael Shapiro in ihrer Theorie zur Lösung erfinderischer Probleme eingehend untersucht; der TRIZ-Methodik. Eine der drei zentralen Gesetzmäßigkeiten von TRIZ ist: Die Evolution technischer Systeme folgt bestimmten Mustern und Gesetzen. Auf diesen aufgebaut ist die Methodik des ‚S-Kurven-Modells‘. Hierbei wird die Effizienz eines Systems über die Zeit beziehungsweise das investierte Geld aufgetragen, was typischerweise einen S-förmigen Verlauf ergibt. Als zentrale Triebfeder hinter der Evolution entlang der S-Kurve gilt das Prinzip der zunehmenden Idealität. Dies bedeutet, dass ein technisches System anstrebt seinen Wert zu steigern. Der Wert des Systems ergibt sich hierbei aus dem Quotienten, der sich aus dem Verhältnis der Summe aller Funktionen zu der Summe aller Kosten des Systems ergibt. Das bedeutet, entlang der S-Kurve wird das System immer idealer, indem es mehr Funktionen auf sich vereint und gleichzeitig Systemkomponenten wegrationalisiert. Ein wichtiger Punkt hierbei ist, dass diese Evolution weniger aus dem System heraus entsteht, sondern vor allem aus dem Einfluss der Umgebung auf das System resultiert. Die Umgebung wird hierbei als Supersystem bezeichnet.

Laut dem Prinzip der S-Kurven-Evolution entwickelt sich ein System zu seinem Idealzustand hin und gewinnt dabei an Wert. Das macht es, indem es mehr Funktionen in sich vereint und die Anzahl der Systemkomponenten verringert.

Laut dem Prinzip der S-Kurven-Evolution entwickelt sich ein System zu seinem Idealzustand hin und gewinnt dabei an Wert. Das macht es, indem es mehr Funktionen in sich vereint und die Anzahl der Systemkomponenten verringert. Gablers Wirtschaftslexikon

Antriebssystem steigert seinen Wert

Nehmen wir als Beispiel ein Servo-Antriebssystem. Das Supersystem hierzu ist eine Werkzeugmaschine, in der der Antrieb die Rolle eines Spindel- oder Vorschubantriebs spielt, während die Werkzeugmaschine wiederum ein Teil des Supersystems Produktionsanlage ist. Hierbei können ‚Wertsteigerungs-Evolutionen‘ im Supersystem nachhaltige Konsequenzen für die Subsysteme haben. Werden zum Beispiel in der Produktionsanlage Mess- und Inspektionsmaschinen wegrationalisiert, so muss als Ersatz der Prozessablauf in der Werkzeugmaschine zuverlässig überwacht werden. Das führt neben zusätzlichen Komponenten im System Werkzeugmaschine auch zu neuen Funktionen für das Subsub-System Antrieb. Betrachtet man also einen funktionalen Vollausbau einer Achsfunktion im Supersystem Werkzeugmaschine, so findet man neben dem Antriebsgerät dort noch eine Reihe weiterer Geräte für die sicherheitsgerichtete Überwachung, das Condition Monitoring der Antriebskomponenten, das Energiemanagement des Antriebs sowie achsbasierte Prozessüberwachung und Prozessmessfunktionen. Da in diesem System ‚Achse‘ die Komponenten Motor und Umrichter Hauptfunktionsträger sind, ist der absehbare Trend, dass die Nebenfunktionen wie Safety, Energiemangement sowie Messen und Überwachen in den Hauptfunktionsträger integriert werden und deren ursprüngliche Funktionsträger wegrationalisiert werden. Das steigert den Wert des Antriebs. Die Infrastruktur für diese Funktionen wie Rechenleistung, Speicher und Kommunikation kann das Antriebsgerät kostengünstiger bereitstellen als ein Einzelgerät. Das Antriebsgerät wird dadurch zu einer Automatisierungsplattform für antriebsbezogene Funktionen.

Da immer mehr Geräte im Umfeld der Antriebstechnik wegrationalisiert werden, entwickelt sich das Antriebsgerät mit immer mehr Funktionen zu einer  Automatisierungsplattform und zum Supersystem ‚Antrieb‘.

Da immer mehr Geräte im Umfeld der Antriebstechnik wegrationalisiert werden, entwickelt sich das Antriebsgerät mit immer mehr Funktionen zu einer Automatisierungsplattform und zum Supersystem ‚Antrieb‘.Siemens

Die Funktionskonzentration auf dem Antriebsgerät leitet sich nach der TRIZ-Methodik aus den Prinzipien des Übergangs zum Supersystem – Funktionen werden in ein System integriert –, des zunehmenden Trimm-Grades – Systemkomponenten werden entfernt – und der zunehmenden Koordination ab. Das Prinzip der zunehmenden Koordination schafft hierbei eine Wertsteigerung, indem die Funktionen des Antriebsystems wie beispielsweise Drive Based Safety und Condition Monitoring mit der Antriebsregelung in einem Gerät zusammengefasst sind, wodurch diese sich besser untereinander koordinieren und damit für den Anwender wertiger sind.

Neue Anforderungen an das Kommunikationssystem

Aus diesem Trend ergeben sich vor allem Konsequenzen in Form von neuen Anforderungen für das Kommunikationssystem. Bisher war es der Hauptzweck des Antriebsbusses in Form einer Punkt-zu-Punkt-Verbindung möglichst schnell Soll- und Istwerte zwischen der Motion-Steuerung und der Regelung des Antriebs auszutauschen. Zukünftig wird die Busanschaltung am Antrieb zur Kommunikationsdrehscheibe für eine Vielzahl unabhängiger Kommunikationskanäle zwischen den verschiedenen Funktionsbausteinen der Antriebsplattform und ihren jeweiligen Partnern in den Steuerungsgeräten. Hierzu muss sich das Spektrum an Kommunikationsservices stark erweitern. Es wird also ein flexibles Kommunikationssystem benötigt, das die Kombination von mehreren unabhängigen Kommunikationsbeziehungen mit unterschiedlichen Services von Taktsynchronisation, kurze Zykluszeiten, Safety-Übertragung bis hin zur Standard-TCP/IP-Kommunikation beherrscht.

Der Technologietrend bei den Kommunikationsprotokollen ist: weg von der starren zentral gesteuerten Kommunikation und hin zu flexiblen Strukturen und dezentralisierten Services.

Der Technologietrend bei den Kommunikationsprotokollen ist: weg von der starren zentral gesteuerten Kommunikation und hin zu flexiblen Strukturen und dezentralisierten Services.Siemens

Auch beim Trend der Kommunikationsprofile in der Automation kann man die TRIZ-Prinzipien des Übergangs zum Supersystem, des zunehmenden Trimm-Grades und der zunehmenden Dynamisierung erkennen. So hat das uniforme Ethernet-basierte Kommunikationssystem mit aufgesetzten Applikationsprofilen spezielle Antriebs-, I/O- und Datenbusse bereits in vielen Anwendungen verdrängt. Der nächste Schritt folgt dem Prinzip der zunehmenden Dynamisierung. Das heißt, flexible Kommunikationsservices nutzen die gesetzte Ethernet-Hardware immer besser aus und generieren dadurch einen zunehmenden Wert des Systems.

Die Verkehrstechnik macht‘s vor

Einen entsprechendes Beispiel findet man in der Verkehrstechnik. Vor 100 Jahren beherrschte das System Eisenbahn den Transport von Gütern und Personen. Der Transport mit der Eisenbahn war einfach und effizient, aber für die Anwender auch starr und unflexibel, da sich alles nach einem festen Fahrplan und den von der Bahn angebotenen Transportservices richten musste. Diese Situation entspricht dem Datentransport der Feldbusse mit einer Master-geführten Arbitrierung und einem Summenrahmentelegramm für alle Teilnehmer. Heute dominiert das Verkehrssystem Straße/Automobil, weil es, dem Trend der zunehmenden Dynamisierung folgend, die Straße als vorhandene Verkehrsinfrastruktur besser ausnutzt und dadurch für den Anwender mehr Flexibilität bietet. Mit maßgeschneiderten Fahrzeugen, vom Fahrrad bis zum Sonderfahrzeug, kann jetzt jeder gewünschte Transportservice geboten werden und das zwischen beliebigen Orten und zu beliebigen Zeiten. In der Automation ist das Profinet-Kommunikationssystem der Protagonist dieser Vision. Als Real Switched Ethernet können Standard-Ethernet- und Profinet-Services die Kommunikationsinfrastruktur gemeinsam nutzen. Mit den Profinet-Funktionen Shared Device, C2C (Controller to Controller Communication) und Querverkehr sind beliebige unabhängige Kommunikationskanäle zwischen Profinet-Controllern und -Geräten möglich.

Mit Profinet kann sich der Antrieb ungehindert durch das Kommunikationssystem weiterentwickeln und so seinem technologischen Trend folgen.

Mit Profinet kann sich der Antrieb ungehindert durch das Kommunikationssystem weiterentwickeln und so seinem technologischen Trend folgen.Siemens

Die Kosten der Kommunikation sind wichtig

Wichtig sind auch die Kosten der Kommunikationsknoten des Systems. So wird es sich nur dann dauerhaft durchsetzen, wenn auch für einfache Anwendungen, in denen nur ein Teil der Funktionen genutzt wird, kein Kostennachteil gegenüber einem einfacheren Kommunikationssystem entsteht. Auch hier hilft die TRIZ-Methodik den Hardware-Trend der Busanschaltungen zu erkennen. Da die klassischen Feldbusse alle eine unterschiedliche physikalische Schicht (Physical Layer) haben, war bisher beim Antrieb die Busanschaltung über ein steckbares Kommunikationsmodul gängige Praxis. Mit dem Siegeszug der Ethernet-basierten Bussysteme und dem Einsatz von Multiprotokoll-ASICs wird im ersten Schritt die Hardware der Busanschaltung für alle Bussysteme fest in das Antriebsgerät integriert werden. Das Anpassen an das jeweilige Bussystem erfolgt dann nur noch durch entsprechende Software.

Im zweiten Schritt erfolgt eine Integration der kompletten Multiprotokoll-Busschnittstelle in den System-on-a-Chip-Baustein des Geräteprozessors. Die Busanschaltung als eigenständige Hardware fällt weg. Bereits mit Schritt 1 bestimmt nur noch die Ethernet-Physik die Kosten der Kommunikation und nicht mehr das verwendete Profil.

Der Trend zu mehr Flexibilität und geringeren Kosten ist auch bei der Hardware der Feldbusschnittstelle zu sehen.

Der Trend zu mehr Flexibilität und geringeren Kosten ist auch bei der Hardware der Feldbusschnittstelle zu sehen.Siemens

Trend zu flexiblen Lösungen geht weiter

Man sieht, dass die Integration von Safety- und Energiemanagement-Funktionen in den Antrieb erst der Anfang eines laufenden Trends ist, in dem sich das klassische Antriebsgerät zu einer Antriebs-Automatisierungsplattform weiterentwickelt. Die wesentlichen Voraussetzungen hierfür sind heute in Form von kostengünstigen Multi-Core-Prozessoren, Ethernet als Physical Communication Layer und dem multifunktionalen Profinet-Kommunikationssystem vorhanden und werden diesen Trend weiter beflügeln.

SPS IPC Drives 2015
Halle 11, Stand 100

Dr. Andreas Uhl

ist in der Zentralen Systemtechnik bei der Siemens AG tätig und Leiter des Arbeitskreises C3/PG3-Profidrive bei Profibus & Profinet International (PI).

(mf)

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