Eine Grafik sagt mehr als 1000 Daten: Das Problem mit dem Fachkräftemangel schnell erklärt in sieben Grafiken.

Eine Grafik sagt mehr als 1000 Daten: Das Problem mit dem Fachkräftemangel schnell erklärt in sieben Grafiken. (Bild: stock.adobe.com / Bussarin)

Wieso droht in Deutschland ein Fachkräftemangel?

Der Kern des Problems ist die sogenannte demografische Entwicklung: Die Überalterung der Gesellschaft. Diese hat mehrere Ursachen: Etwa eine wachsende Lebenserwartung in Folge verbesserter Ernährung und medizinischer Versorgung oder eine im Verlauf der Jahrzehnte stark zurückgegangene Geburtenrate. Die folgende Grafik des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zeigt sehr anschaulich, wie sich dadurch das Verhältnis von jungen und alten Menschen in Deutschland seit 1871 schon verschoben hat und weiter verschieben wird.

Prozentualer Anteil der Menschen unter 20, ab 65 und über 80 Jahren an der Gesamtbevölkerung zwischen 1871 und 2060 (geschätzt)
Prozentualer Anteil der Menschen unter 20, ab 65 und über 80 Jahren an der Gesamtbevölkerung zwischen 1871 und 2060 (geschätzt) (Bild: BiB)

In der historischen Betrachtung wird die erhebliche Veränderung der Alterszusammensetzung der Bevölkerung in Deutschland sichtbar. Bis zum Beginn des neuen Jahrtausends sank der Anteil der unter 20-Jährigen auf unter 20 Prozent ab und bleibt seitdem etwa konstant. Der Anteil älterer Altersgruppen steigt weiter an, in den nächsten Jahren insbesondere durch das Vorrücken der kopfstarken Babyboom-Jahrgänge in das Rentenalter.

Warum das Baby-Boomer-Problem doppelt zuschlägt

Ein besonderes Problem für den Arbeitsmarkt stellt die Generation der sogenannten Baby Boomer dar. Darunter werden die besonders geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1969 verstanden. Problematisch ist, dass jetzt nicht nur der reguläre Übergang dieser Erwerbstätigen in den Ruhestand in vollem Gange ist, sondern noch ein zweiter Effekt dazu kommt: Viele Baby Boomer gehen schon mit 63 in Rente, wie Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigen: Während zwischen 2000 und 2015 die Erwerbstätigenquote im Alter über 60 noch stark zugenommen hat, stagniert sie seitdem.

Entwicklung der Erwerbstätigenquote von 1996 bis 2021 nach Alter.
Entwicklung der Erwerbstätigenquote von 1996 bis 2021 nach Alter. (Bild: BiB)

Die Stagnation des Anstiegs ist angesichts der Größe der Babyboomer-Jahrgänge von hoher Bedeutung. Der vorzeitige Austritt aus dem Erwerbsleben wirkt bei dieser Generation besonders stark auf das volkswirtschaftliche Arbeitsangebot und verstärkt den Mangel an erfahrenen, qualifizierten Arbeitskräften. „Die stagnierenden Zahlen zeigen, dass die Ausweitung der Erwerbstätigkeit in höhere Alter kein Selbstläufer ist“, resümiert Dr. Elke Loichinger, Forschungsgruppenleiterin am BiB. Um Arbeitskräfte länger im Erwerbsleben zu halten, müssen Anreize deutlich vor dem Eintritt in den Ruhestand erfolgen. “Wenn der Ruhestand erst einmal erfolgt ist, kommen nur wenige ins Erwerbsleben zurück.“

Ist Automatisierung wirksam gegen den Fachkräftemangel?

Definitiv. Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien vom Herbst 2022 sieht einen klaren Zusammenhang zwischen dem demografischen Wandel und der Automatisierung: Länder mit besonders niedrigem Bevölkerungswachstum haben nämlich gleichzeitig die höchste Dichte an Industrierobotern pro Arbeitskraft, wie sich herausgestellt hat.

An der Spitze steht Südkorea mit einer Roboterdichte von 1000 Robotersystemen pro 10.000 Mitarbeitern - und einer besonders niedrigen Geburtenrate von 0,8 Kindern pro Frau. Auf den Plätzen 2 und 3 liegen Singapur und Japan mit 1,1 und 1,3 Geburten. Mit Hong Kong auf Platz sieben gibt es in den Top Twelve ein zweites Land, das mit einer Geburtenrate von 0,9 sogar unter der Marke von 1 bleibt. Weltweit betrachtet, lag die Geburtenrate 2021 bei 2,3.

Klaus Prettner und Ana Lucia Abeliansky vom WU Department of Economics kommen in ihrer Studie jedenfalls zu der Erkenntnis, dass jeder Rückgang des Bevölkerungswachstums um ein Prozent das Wachstum der Roboterdichte um zwei Prozent erhöht. "Die Automatisierung trägt also zumindest in dieser Dimension zur Lösung eines Problems bei und sollte daher nicht per se selbst als Problem gesehen werden", so das Fazit der Forschenden.

Kann uns Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland helfen?

Im Prinzip schon. Allerdings ist Deutschland für Fachkräfte aus anderen Ländern nur bedingt interessant, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung im Auftrag der OECD Anfang März 2023 gezeigt hat: Bei hochqualifizierten Fachkräften aus dem Ausland ist Deutschland in den vergangenen drei Jahren in der Beliebtheit vom 12. Platz 2019 auf den 15. Platz zurückgefallen.

Bei der Attraktivität für hochqualifizierte ausländische Fachkräfte ist Deutschland unter den OECD-Staaten auf Platz 15 abgerutscht.
Bei der Attraktivität für hochqualifizierte ausländische Fachkräfte ist Deutschland unter den OECD-Staaten auf Platz 15 abgerutscht. (Bild: OECD / Bertelsmann Stiftung)

"Deutschland braucht Fachkräfte auch aus dem Ausland, um seinen Wohlstand zu sichern. Der internationale Vergleich macht deutlich, was Deutschland tun muss, um die für unser Land so wichtige Fachkräftezuwanderung noch besser zu gestalten“, sagt Ralph Heck, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Verbessern sollten sich in der Bundesrepublik die Chancen ausländischer Akademiker:innen, hochqualifizierte Jobs entsprechend ihrer Kompetenzprofile zu besetzen, die zögerliche Einbürgerungspraxis und die schleppende Digitalisierung.

Welche anderen Maßnahmen sind im Gespräch?

Neben einem erleichterten Zuzug von ausländischen Arbeitnehmern sind vor allem zwei Maßnahmen immer wieder im Gespräch: Bessere Bezahlung und eine Verlängerung der Lebensarbeitzeit. Eine Umfrage dazu von Infratest dimap Anfang 2023 kam zu folgendem Ergebnis: Während höhere Löhne in Branchen mit Fachkräftemangel von 91 % der Befragten positiv gesehen werden, lehnt eine fast ebenso große Mehrheit (90 %) eine Anhebung des Rentenalters über 67 Jahre hinaus klar ab.

Grafik Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels
(Bild: Statista)

Wie geht es weiter mit der Erwerbstätigkeit in Deutschland?

Die Prognosen dazu sehe eher düster aus: Laut einer Anfang Mai 2023 veröffentlichten Projektion des Instituts für Arbeitsmark- und Berufsforschung wird das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland bis zum Jahr 2060 um 11,7 Prozent von 45,7 Millionen auf 40,4 Millionen schrumpfen:

Geschätzte Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland bis 2060.
Geschätzte Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland bis 2060. (Bild: IAB)

„Der Rückgang der inländischen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bedingt die Schrumpfung. Weder die steigenden Erwerbsquoten noch die Zuwanderung können sie in unserer Projektion ausgleichen“, berichtet Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Entwicklung“.

IAB-Ökonom Weber: „Die Ergebnisse zeigen, dass den Betrieben in den nächsten Jahrzehnten deutlich weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen werden. Wenn wir die Schrumpfung vermeiden wollen, müssen wir bei den Gegenmaßnahmen also noch mindestens zwei Schippen drauflegen.“ Ansatzpunkte bilden die Erwerbsbeteiligung, insbesondere ausländischer Frauen und Älterer, der Abbau der Arbeitslosigkeit als auch die Migration. Zur langfristigen Stabilisierung des Erwerbspersonenpotenzials über 2035 hinaus werde es aber auch auf eine höhere Geburtenrate ankommen. Faktoren wie umfassende Kinderbetreuungsangebote, partnerschaftliche Aufgabenteilung, flexible individuelle Arbeitsmodelle und familienpolitische Unterstützung würden dabei helfen.

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