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Rechtlich bedeutsame Vorkommnisse im Zusammenhang mit Industrie 4.0: Das Modell zeigt rechtliche Risikobereiche, Schädigungen und Gefährdungen und ordnet diese in die vernetzte Wertschöpfungskette ein. (Bild: Autonomik/Małgorzata Pakuła)

Die intelligente Vernetzung von Maschinen und Menschen verändert die bisherigen Produktionsverfahren und Geschäftsmodelle in disruptiver Art und Weise. Gleiches gilt für die darauf basierenden Wertschöpfungsnetzwerke, die über die Branchengrenzen hinausreichen. Das Idealbild der digitalen Produktion ist durch einen hohen Automatisierungsgrad, schnelle Reaktionszeiten und optimale Prozessabläufe geprägt. Diese „schöne neue Welt der Wertschöpfung“ bietet bisher nicht vorhandene Chancen für mehr Produktivität und neuartige Geschäftsmodelle – eine Herausforderung für Wirtschaft und Unternehmen, aber auch für die Rechtsprechung.

Die Rechtsprechung kommt der Geschwindigkeit technischer Entwicklungen und deren Auswirkungen nur mit Mühe hinterher, aber die geltenden Rechtsnormen reichen zumeist aus, um juristische Risiken sinnvoll zu begrenzen. Für Juristen und Techniker gilt gleichermaßen die Prämisse der Annäherung an die jeweils andere, fremde Disziplin: Nur durch ein inhaltliches Grundverständnis der technisch gesteuerten, autonom realisierten Abläufe können Rechtsexperten mögliche Anwendungsoptionen für Rechtsnormen erkennen. Nur durch ein Mindestmaß an Sensibilität für juristische Fallstricke können die Hersteller und/oder die Anwender diese technischen Systeme in erfolgreiche Geschäftsmodelle überführen.

Was ist Autonomik für Industrie 4.0?

‚Autonomik für Industrie 4.0‘ ist ein Technologieprogramm aus 15 Projekten mit rund 100 Partnern aus Industrie und Wissenschaft. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt diese technischen Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit einem Fördervolumen von rund 40 Millionen Euro. Die begleitende Forschung zu diesen Projekten will rechtlich relevante Risiken und Gefahren identifizieren und die Zusammenhänge zu IT-Sicherheit, Recht, Normen & Standards sowie Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0 aufzeigen. Ein Beispiel für ein Projekt ist ‚Smart Face‘, das die Entwicklung einer dezentralen Produktionsplanung und -steuerung für die Kleinserienfertigung zum Ziel hat.

In der Regel zeigt sich: Sobald die Vertreter beider Welten miteinander kommunizieren, werden grobe Gefahren erkannt und Lösungswege entwickelt. Die vage Befürchtung möglicher Risiken darf dagegen nicht zur Innovationsbremse werden. Es wäre fatal, wenn hierzulande mögliche Fortschritte und Verbesserungen der Produktion und Wertschöpfung unterbleiben, nur weil die rechtlichen Auswirkungen nicht geklärt sind.

Auf die Schnelle

Das Wesentliche in 20 Sekunden

  • Durch die digitale Transformation der Produktion und der Wertschöpfung werden neue Formen des Zusammenwirkens von intelligenten Maschinen, Systemen und Arbeitskräften geschaffen.
  • Aus dieser Entwicklung ergeben sich neue Rechtsfragen in Bezug auf das zivile Haftungsrecht, den Datenschutz, das Strafrecht, das Arbeitsrecht sowie das Recht auf geistiges Eigentum.
  • Der bisherige Rechtsrahmen lässt sich auf diese Entwicklung und die daraus entstehenden, neuen Rechtsproblematiken nur schwer anwenden, aber er ist prinzipiell ausreichend.
  • Es fehlt vielfach noch an konkreten Grundsatzurteilen, die eine eindeutige rechtliche Orientierung bieten.

Rechtssicherheit für Mensch-Technik-Kooperationen

Die rechtliche Bewertung möglicher Risiken bedarf eindeutiger Beschreibungen von Prozess-Szenarien und der Rolle einzelner Akteure. Für die Industrie-4.0-Anwendungen müssen vielfach die Bezugsgrößen erst noch definiert werden. Wer haftet zum Beispiel, wenn programmierte Roboter Schäden an Material oder Personen verursachen? Wer bestimmt die Priorisierung der Verkehrswege autonomer Materialtransporter innerhalb der Produktion? Für das immer intensiver gestaltete Zusammenwirken intelligenter Maschinen, Systemkomponenten und Arbeitskräften gelten nach wie vor die Regelungen aus dem traditionellen Arbeitsrecht. Aber die Anwendung des Rechts auf die industrielle Produktion wird durch den technischen Fortschritt zunehmend schwieriger. Maschinen sind durch entsprechende Programmierung nicht mehr nur Helfer, sondern sie können eigene Entscheidungen treffen und aus möglichen Handlungsalternativen die geeignete Option auswählen. Diese intelligenten Produktionsverfahren, gesteuert durch Sensor- und Aktorsysteme, sind heute einsatzbereit. Sie lassen sich jedoch nur unzureichend dem geltendem Technikrecht unterordnen. Grundsatzfragen der Haftung für entstandene Fehler, Sach- und Personenschäden müssen durch Präzedenzfälle aus der realen Praxis entschieden werden. Erst wenn daraus anwendbare rechtliche Vorgaben entstehen, sind Mensch-Technik-Kooperationen juristisch sicher gestaltbar. Industrie 4.0 wirft deshalb vielfältige Rechtsfragen auf. Sie betreffen das zivile Haftungsrecht (gesetzliche und vertragliche Haftung), den Datenschutz (Verwertung personenbezogener Daten), das Strafrecht (alle strafrechtlich relevanten Schäden wie zum Beispiel Körperverletzung), das Arbeitsschutzrecht (Arbeitssicherheit) sowie das Recht auf geistiges Eigentum.

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In Anlehnung an das Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 (RAMI 4.0) haben Juristen das juristische RAMI 4.0 (Ju-RAMI) entwickelt. Es verknüpft die juristischen Risikobereiche in Form einzelner Schichten mit den relevanten Rechtsgebieten und auf einer weiteren Achse mit der Wertschöpfungkette, speziell der soziotechnischen Verortung der Akteure. Autonomik für Industrie 4.0

Compliance-Werkzeuge sind notwendig

Verantwortlich handelnde Personen in Industrieunternehmen sowie die Unternehmen selbst müssen stets danach streben, ihr wirtschaftliches Handeln an geltenden gesetzlichen Bestimmungen und juristischen Einschätzungen auszurichten (Regelkonformität oder Compliance). Durch Compliance-Leitplanken können Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko von Strafe und Haftung für alle verantwortlich handelnden Akteure auch in der Industrie 4.0 soweit wie möglich zu begrenzen, beispielsweise bei einem Verlust der Kontrolle über die Maschinen. Dabei ist zunächst die Einhaltung von Gesetzen und vereinbarten Regeln von zentraler Bedeutung, um strafrechtliche und zivilrechtliche Haftungsrisiken für das Unternehmen und seine Organe zu vermeiden. Die digitale Transformation der Produktion und der Wertschöpfung stellt nun völlig neue Anforderungen an das Zusammenwirken von intelligenten Maschinen, Systemen und Arbeitskräften. Diese Anforderungen sind durch den bestehenden Rechtsrahmen nur unzureichend abgedeckt. Deshalb ist höchstmögliche Sensibilität bei der Einschätzung der eigenen Risiken erforderlich. Datenschutz und IT-Sicherheit spielen dabei eine ebenso große Rolle wie Haftungsfragen.

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In dem Projekt SmartSite entwickeln die Partnerunternehmen intelligente Steuerungssysteme für autonom agierende Baumaschinen (Straßenwalze) und Anlagen. Wie sieht etwa die Gefährdungslage für Personen durch fahrerlose Straßenwalzen aus? Fragen wie diese prüft die juristische Begleitforschung. Drees & Sommer/pave-news

Um mögliche Risiken richtig zu bewerten und zu minimieren müssen sich vor allem juristische Laien wie Entwicklungsingenieure mit den bestehenden juristischen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit und die spätere Umsetzung der Ergebnisse auseinandersetzen. Industrie 4.0 ist deshalb auf angemessene Compliance-Werkzeuge angewiesen.

Technologie-Projekte mit dem Fokus auf Forschung und Entwicklung stoßen in der Regel in Bereiche vor, für die es noch keine Lösungen oder Leitlinien gibt, um mögliche Risiken zu vermeiden. Sowohl mit innovativen Entwicklungsprozessen, als auch mit den späteren Anwendungsszenarien wird Neuland betreten – so auch im Technologieprogramm ‚Autonomik für Industrie 4.0‘ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Diese 15 Projekte sollen zu neuen technischen Lösungen führen. Die begleitende Forschung zu diesen Projekten soll die rechtlichen Herausforderungen aufzeigen. Im Folgenden sind diese Projekte in vier thematische Schwerpunkte zusammengefasst und geben so einen Überblick über die rechtlichen Herausforderungen der Projekte:

 

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Im Forschungsprojekt Speedfactory wird eine automatisierte Einzelstückfertigung entwickelt, in der Menschen und Roboter in gemeinsamer Arbeitsumgebung beispielweise Sportschuhe produzieren. Hier werden die Implikationen mit dem Zivilrecht (Haftung), Strafrecht und Datenschutzrecht geprüft. Adidas

  • Engineering vernetzter Produktionssysteme: Die digitale Vernetzung von Produktionsanlagen ist ein Wesensmerkmal von Industrie 4.0. Planung, Konstruktion und Betrieb solcher Anlagen stellen die Automatisierungstechniker und Fertigungsingenieure vor neue Herausforderungen. Datenströme – die umfängliche Verfügbarkeit sämtlicher entwicklungsrelevanter Informationen und Erfahrungen entlang des Lebenszyklus von Produkten – bestimmen über den Erfolg der Wertschöpfung und benötigen neue Methoden der Verbreitung und der Absicherung. Alle Daten, die zur Optimierung vernetzter Produktionssysteme dienen, müssen rechtssicher übermittelt und verarbeitet werden. Deshalb ist es notwendig, sich mit datenschutzrechtlichen Herausforderungen ebenso zu beschäftigen wie mit Haftungsfragen für eventuelle Schäden bei der Nutzung von Produkten, die aus digitalisierten Produktionsprozessen entstehen.

Beispiele für rechtliche Problematiken

Zivilrechtliche und strafrechtliche Haftung: Durch eine fehlerhafte Instruktion eines Assistenzsystems wird während der Montage ein Mensch verletzt. Oder: Durch eine fehlerhafte Programmierung der teilautonomen Steuerung eines fahrerlosen Transportsystems (FTS), insbesondere der Sicherheitsfunktionen, wird ein Mensch während des Betriebes verletzt.

Arbeitsrecht: Ein Arbeiter arbeitet ohne Schutzzaun mit einem Serviceroboter zusammen. Der Serviceroboter gibt eine Taktung für die Prozesse vor, die von den Arbeitnehmern nicht oder nur unter großen Mühen eingehalten werden können.

Datenschutz: Ein Assistenzsystem überwacht jeden Montageschritt, um kontextbezogene Instruktionen bereitzustellen. Dabei werden sensible personenbezogene Daten erfasst und aus Versehen an Dritte weitergeleitet.

  • Autonome Systeme in der Intralogistik: Die Autonomik-Projekte in der Intralogistik zielen darauf ab, den Grad an Autonomie von Baumaschinen auf der Baustelle, Gabelstaplern in der Fabrikhalle und von Werkstücken und Maschinen in Produktionssystemen deutlich anzuheben. Bei der automatisierten Intralogistik werden Objekte möglichst exakt geortet, identifiziert und zur Weiterverarbeitung vorbereitet. Diese Detektion erzeugt Datenströme und hat damit auch rechtliche Implikationen.
  • Industrielle Servicerobotik: Im privaten Umfeld sind frei bewegliche Service-Roboter bereits eine feste Größe. Im Rahmen der ‚Industriellen Servicerobotik‘ wird heute unter einem Serviceroboter ein meist mobiler Roboter verstanden, der Dienstleistungen entweder in direkter Kollaboration mit dem Nutzer oder völlig autonom erbringt. Diese Maschinen übernehmen in der digitalen Fabrik zunehmend Aufgaben, die der Steuerung der Produktionsabläufe dienen. Über ihre immer weiter ausgebaute ‚Intelligenz‘ (durch Sensorik, Aktorik und smarte Systemkomponenten) nehmen sie Produktionsablaufveränderungen und Anpassungsbedarf wahr, können Ereignisse interpretieren und Handlungsoptionen auslösen. Sie kommunizieren mit ihrem Umfeld und interagieren mit dem Menschen in Produktion und Logistik. Die Optimierung von Maschinen durch neue Steuerungsalgorithmen undSensor-Aktor-Systeme soll mittelfristig zu ‚sichereren‘ Abläufen und damit zu weniger juristisch relevanten Schadensfällen führen.
  • Der Mensch in der Produktion: Trotz aller Automatisierung wird es auch in Industrie 4.0 keine menschenleere Fabrik geben. Das hohe Automatisierungsniveau in der Industrie 4.0 und das sich weiter verbreitende Zusammenspiel von Mensch und Technik führen zu neuen Rollen und Verantwortlichkeiten bei Arbeitnehmern. Mensch und Technik agieren stark miteinander und wenig nebeneinander. Gleichzeitig sind Menschen als Teil eines ständig überwachten Systems auch mit neuen Anforderungen zur Absicherung ihrer Arbeitnehmerrechte konfrontiert. Die Frage, ob die Menschen als Nutzer von IKT-gesteuerter Produktionstechnik Bediener oder maßgebliche Beeinflusser sind, ist für die juristische Bewertung möglicher Risiken oder Schadensfällen von entscheidender Bedeutung.

Damit aus Innovationen tatsächlich rechtlich tragfähige Geschäftsmodelle werden können, ist vor allem die frühzeitige Auseinandersetzung mit dem juristischen Umfeld bei der Einführung neuer Produkte oder Dienste notwendig. Dabei wird immer wieder deutlich: Es braucht kein grundsätzlich neues ‚Recht 4.0‘. Die Berücksichtigung geltender Rechtsrahmen und Gesetze in allen Prozessebenen reicht aus, um wesentliche Rechtsklippen zu umschiffen. Zwar fehlt es vielfach noch an konkreten Grundsatzurteilen, die eine eindeutige Orientierung bieten. Die Interpretation des geltenden Rechtsrahmens und die Anwendung auf die eigene, spezifische Herausforderung sind jedoch wesentliche Optionen zur Risikominimierung.

Uwe Seidel

ist Seniorprojektmananger am Institut für Innovation und Technik (iit) der VDI/VDE Innovation + Technik in Berlin

(dw)

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