Lösungen für eine dezentrale Automatisierung bringen neue Freiheitsgrade zum Beispiel für Inbetriebnehmer und das Wartungspersonal.

Lösungen für eine dezentrale Automatisierung bringen neue Freiheitsgrade zum Beispiel für Inbetriebnehmer und das Wartungspersonal. (Bild: Adobe Stock / Yingyaipumi)

Neu hingegen ist tatsächlich, dass sich in puncto Vernetzung im vergangenen Jahrzehnt entwickelte Standards durchgesetzt haben. Sie ersetzen damit bislang noch häufig proprietäre durch standardisierte Feldbuslösungen. Dies öffnet den Markt, macht AnwenderInnen unabhängig von einem einzelnen Anbieter – und sichert so die Investition.

Der Trend hin zu dezentralen Automatisierungs-Topologien hält an. Der Grund ist klar: Sie können helfen, Ressourcen zu sparen und die Effizienz zu steigern. Die zunehmende Komplexität und die geforderte Variabilität von Produkten und Produktionsprozessen sowie ein immer größerer Zeit- und Kostendruck verlangen nach entsprechenden Lösungen.

In Kürze

● Standards treiben die Entwicklung zu dezentralen Lösungen in der Automatisierung.
● Konzepte für einen cybersicheren Aufbau sind besonders wichtig.
● Aber nicht alles, was mit IIoT möglich ist, ist in jeder Anwendung sinnvoll.

Reduzierte Aufwände dank weniger Verkabelung

Dezentrale I/O-Systeme, die meist über Ethernet-basierende Feldbusse angebunden sind, reduzieren zunächst einmal erheblich den Verdrahtungsaufwand - insbesondere von Maschinen und Anlagen, die über eine größere Strecke verteilt sind. Das hilft, sämtliche Schaltschränke zu verkleinern, da die entsprechenden Komponenten an oder nahe der Maschinenteile montiert sind. Im Idealfall können Schaltschränke sogar ganz entfallen. Dank der reduzierten Aufwände für die Verkabelung sinken die Personalkosten in der Produktion und vor allem bei der Montage vor Ort. Ein geringerer Materialeinsatz leistet sein Übriges.

Effizienter durch Modularisierung

Die Verteilung der Intelligenz innerhalb einer Steuerungstopologie ("Dezentrale Intelligenz") erleichtert den modularen Maschinenbau erheblich. Module funktionieren autark und kommunizieren über klar definierte Schnittstellen. Dies macht es möglich, komplexe Installationen "Schritt-für-Schritt" zu testen und ermöglicht die stufenweise Abnahme einer Maschine oder von Anlagenteilen bereits im Werk des Herstellers.

Modularisierung beschleunigt auch den Entwicklungsprozess: Ressourcen lassen sich gezielt einsetzen. An komplexen Aufgabenstellungen kann parallel gearbeitet werden, der Aufbau und die Verwaltung von Maschinenvarianten wird einfacher. Gleichzeitig fällt es leichter, einzelne Module anstelle einer kompletten Anlage nach geltenden Standards zu zertifizieren.

Dipl.-Ing. Daniel Pfeifer
Dipl.-Ing. Daniel Pfeifer (Bild: Bachmann electronic)

Dipl.-Ing. Daniel Pfeifer

hat 2003 seinen Abschluss in Electrical Engineering and Information Technology an der TU München gemacht und ist Director Technology bei Bachmann Electronic in Feldkirch, Österreich. Das international ausgerichtete Unternehmen liefert Systeme für die zuverlässige Automatisierung, Netzmessung und -Schutz, Visualisierung und Zustandsüberwachung von Maschinen und Anlagen.

Raschere Inbetriebnahme, höhere Verfügbarkeit

Der Druck auf Inbetriebnehmer und in Folge auf das Wartungspersonal steigt: Eine Anlage muss möglichst rasch in den produktiven Betrieb überführt werden. Stillstandzeiten gilt es zu minimieren. Auch hier spielen dezentrale Konzepte ihre Stärken aus: Nach der Prüfung einzelner Systemteile können diese gleich in Betrieb genommen werden, noch bevor die ganze Anlage aufgebaut ist. Spätere Umbauten im Betrieb benötigen deutlich weniger Zeit, potenzielle Fehler lassen sich leichter eingrenzen und Störungen rascher wieder beheben, die Verfügbarkeit der Anlage steigt.

Herausforderung: Der richtige Kommunikationsstandard

Mit der Verfügbarkeit nicht-proprietärer, standardisierter Protokolle gehört die oft ungeliebte Herstellerbindung in dezentralen Topologien ebenso der Vergangenheit an. Dennoch stellt sich die Frage, welcher Kommunikationsstandard denn nun für die jeweilige Anwendung der richtige ist? Und welche der laufend auf den Markt drängenden, neuen Protokolle und Technologien in Zukunft Bestand haben werden?

Hinzu kommt immer stärker die Anforderung von Security für die Kommunikationsprotokolle. Zertifizierungen nach IEC 62443 haben enorm zugenommen, was den Trend unterstreicht. Und auch Safety-Anwendungen nehmen stetig zu. Die neue EU-Maschinenverordnung stellt ebenso wie das vermehrte kollaborative Arbeiten mit Robotern richtigerweise hohe Anforderungen an eine Steuerung in Bezug auf die Personensicherheit, und damit auch auf die sichere Vernetzung. Das heißt, zukunftsfähige Protokolle müssen genauso Safety können.

Condition Monitoring als Auslöser

Forderungen nach der lückenlosen Nachverfolgbarkeit im Produktionsprozess sind der Grund für eine zusehends wachsende Datenflut. Überdies sind immer häufiger Lösungen zur effektiven Zustandsüberwachung von Anlagenteilen gefordert. Meist werden dazu an kritischen Positionen Körperschallsensoren und 3D-Beschleunigungssensoren platziert, die aufgrund hoher Abtastraten beachtliche Mengen an Messdaten erzeugen. Wollte man diese in einem zentralen Steuerungssystem verarbeiten, so erforderte dies immense Bandbreiten zur Datenübertragung oder man müsste – wie früher üblich – auf Abtastrate verzichten. Durch gezieltes „Edge Computing“, praktisch eine dezentrale Vorverarbeitung, werden solche Anwendungen erst ermöglicht.

Sorgfältiges Abwägen

Was Kosten auf der einen Seite spart, fügt diese oftmals an anderer Stelle wieder hinzu. Intelligente Sensor-Nodes, welche nicht nur Signale erfassen, sondern Daten generieren, vorverarbeiten, in Kommunikationsprotokolle verpacken und dann über diverse (wireless) Schnittstellen verteilen, sind im Vergleich zu einer klassischen Sensorik teuer. Hinzu kommt, dass ein intelligenter Sensor-Node einen höheren Leistungsbedarf als ein "einfacher" Sensor hat. Aufgrund der zahlreichen Schnittstellen und Querkommunikation, sind Konzepte für einen cybersicheren Aufbau besonders wichtig. Ein sorgfältiges Abwägen ist notwendig und nicht jede IIoT-Anwendung ist per se sinnvoll. Es wird auch in Zukunft einen relevanten Markt für den klassischen Sensor-/Aktor-Anschluss an dezentrale SPS-Einheiten geben, wodurch auf der letzten Meile die Basisautomatisierung realisiert wird.

Treiber Robustheit

Häufig gibt es Anlagenteile, welche zeitweise gar nicht oder nur mit immensem Aufwand erreicht werden können. Oder solche, welche in extrem rauen Umgebungsbedingungen betrieben werden. Sie zuverlässig einzubinden, erfordert den Einsatz besonders robuster Komponenten. Gerade hier drängen sich Absetzungen mit gehärteten I/O-Systemen auf. Empfindlichere Steuerungskomponenten hingegen können dabei in geschützten, gut zugänglichen Anlagensegmenten verbleiben.

Quo vadis Automatisierung?

Die vielerorts propagierten »Visionen« der vollständig von der Automatisierungspyramide entkoppelten und dezentral automatisierten Prozesskette – von der Feld-/Steuerungsebene über die Prozessleitebene (SCADA) hin zur Betriebsleitebene (MES) und Unternehmensebene (ERP) – sehe ich persönlich in den kommenden mindestens 10 Jahren noch nicht. Die Komplexität im Engineering, der Inbetriebnahme und in der Wartung sind in meinen Augen für die allermeisten Aufgabenstellungen zu hoch. Dem gezielten Einsatz zuverlässiger Absetzungen unter den oben aufgeführten Gesichtspunkten gehört allerdings definitiv und mehr denn je die Zukunft.

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