Was 1995 als Feldbus-Kongress startete, damit sich Anwender der Interbus-Technologie austauschen konnten, hat sich als Forum für Kommunikationslösungen etabliert. Geschäftsführer Frank Stührenberg eröffnete die Veranstaltung vor über 200 Besuchern und legte gleich zu Beginn Geschäftszahlen vor: So konnte das Unternehmen den Umsatz auf 2,2 Milliarden Euro steigern, was einem Wachstum von 11,5 % entspricht. Damit erreichte Phoenix Contact das auf der SPS IPC Drives 2017 ausgegebene Jahresziel. Dabei bleibt der Heimatmarkt mit 30 % Umsatzanteil der bedeutendste Markt für das Unternehmen. Hier beträgt das Wachstum 10,1 %, worüber sich Stührenberg besonders freute. Auch die Zahl der Mitarbeiter wuchs weiter auf über 16500.
Aufgrund dieser Zahlen sieht sich der Vorsitzende der Geschäftsführung für die Veränderungen der Zukunft gut gewappnet, denn „um alle Entwicklungen mitzugestalten, braucht es eine gewisse Unternehmensgröße.“ So bietet beispielsweise – neben dem Kerngeschäft am Energiemarkt – die E-Mobilität ein zukunftsträchtiges Geschäftsfeld, was sich in der Tatsache widerspiegelt, dass Phoenix Contact Tier 1 / 2 Zulieferer für BWM und VW ist. Eine Investition in die Zukunft ist die Beteiligungen am Start-Up Blue Inductive, das berührungslose Ladesysteme für das Aufladen von Akkus in mobilen Transportsystemen entwickelt.
Industrie 4.0 in der Praxis
Thematisch und räumlich waren die über 20 Technologievorträge aufgeteilt in Industrieautomation sowie Gebäude- und Energietechnik. Begleitet wurde die Veranstaltung durch eine Ausstellung, auf der die Teilnehmer die Produkte der Vorträge live erleben konnten. Zudem bestand die Möglichkeit, ein Elektrofahrzeug probeweise zu fahren.
Kurt Schreier, Bosch Connected Industry, stellte in seinem Vortrag gleich mehrere Projekte mit Bezug zur Industrie 4.0 in der Fabrikautomatisierung vor. So sparte das Unternehmen beispielsweise an einem Standort durch eine Energy-Plattform Energiekosten in Höhe von 1,65 Mio. Euro, indem es planbar Stromspitzen auf Zeiten mit günstigen Tarifen legte. In einem weiteren Vortrag zeigte Tanja Krüger vom Softwareentwickler Resolto Informatik, wie sich Künstliche Intelligenz nutzen lässt, um einen Ausfall einer Maschine zu prognostizieren.
Ernst Esslinger, vom Maschinenbauer Homag, stellte eine vernetzte Produktion in der Möbelindustrie auf Basis einer offenen Steuerungsarchitektur vor. Für ihn steht Industrie 4.0 weniger für technische Innovationen, sondern eher für neue Geschäftsmodelle. Etwa das Szenario, dass wenn bei einer Firma die Maschine ausfällt, dass sie einfach im Internet nach einer vergleichbaren Maschine in der Nähe sucht. Ist diese gefunden, übermittelt das Unternehmen die Produktionsdaten und ein fahrerloses Transportsystem holt das Produkt ab. Dadurch reduziert sich der Schaden durch den Ausfall der Maschine und die Auslastung der aushelfenden Anlage steigt. „Dadurch haben alle gewonnen“, so Esslinger.
Beim Thema Gebäudeautomation legte Prof. Uwe Rotermund den Finger in eine offene Wunde bei der Planung von Gebäuden: So werde die Kalkulation von Baukosten bis ins kleinste Detail betrieben – dabei vergessen viele allerdings, dass diese, abhängig von der Lebensdauer einer Immobilie, nur zwischen 5 und 20 % der Gesamtkosten betragen. Der Rest entfällt auf Instandhaltungs- und Betriebskosten.
Nichts überstürzen
Auch wenn die Idee der Industrie 4.0 bereits ein paar Jahre auf dem Buckel hat, ist sie immer noch eines der Themen unserer Zeit. Zusammen mit der omnipräsenten Digitalisierung soll sie die Produktion optimieren und den Menschen entlasten.
Ein Tenor des 23. ICC war jedoch, dass dabei keine unüberlegten Schritte vom Zaun gebrochen werden sollten. Bevor Unternehmen technische Neuerungen im Sinne der Digitalisierung anschaffen, sollten sie ihre Prozesse zuerst nach den Prinzipien des Lean Management verschlanken. Dr. Frank Possel-Dölken, Phoenix Contact, bezeichnete dies in seiner Keynote als „Leandustrie 4.0“. Zudem dürfe die Belegschaft nicht vergessen werden. So bringt die innovativste Technologie keinen Nutzen, wenn die Bereitschaft diese zu benutzen oder schlicht das Wissen dazu fehlt. Diesbezüglich erklärte Johann Soder von SEW Eurodrive: „Wir müssen die Mitarbeiter zu Beteiligten machen“. Er sieht einen Schlüssel zur Industrie 4.0 im dezentralen Management, wodurch kleine, modulare Fabriken in der Fabrik entstehen.
Der nächste ICC findet vom 13. bis 14. März 2019 erneut in Bad Pyrmont statt. Dazu stellte Frank Stührenberg in seiner Eröffnungsrede die These auf, dass diese Veranstaltung gar nicht mehr im Unternehmen stattfinden könnte – sondern stattdessen würde sich jeder Teilnehmer bequem seine Augmented- oder Virtual-Reality-Brille daheim aufsetzen und die Vorträge in gewohnter Atmosphäre genießen. Doch dieses Szenario erscheint noch zu weit weg, denn den persönlichen Austausch vor Ort kann bisher keine Brille ersetzen.
Dr. Martin Large
(ml)