Was Mitte des 20. Jahrhunderts durch die Erkenntnisse von Alan M. Turing und John McCarthy seinen Anfang nahm, hat mittlerweile einen festen Stellenwert in Alltag und Wirtschaft gefunden. Denn durch „lernfähige“ Maschinen und die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (kurz: KI) sind den produzierenden Unternehmen und auch den Endverbrauchern heute ganz neue Möglichkeiten gegeben. Die Kooperation von Anwendern und KI-basierten Assistenzsystemen ist so weit fortgeschritten, dass sie in Automobil-, Smartphone- oder medizintechnischen Anwendungen bereits zum Standard gehört. Hierzu zählen beispielsweise die Sprach-, Fahr-, Kamera- oder Diagnostikassistenz.
Die rasante Entwicklung von Industrie 4.0 und Digitalisierung in der Produktion führte dazu, dass die KI mittlerweile auch im Bereich der Mess- und Prüftechnik genutzt wird. Intelligente Software-Algorithmen explorieren die erhobenen Daten, um komplexe Zusammenhänge herzustellen, Regelmäßigkeiten zu erkennen und daraus Zukunftsprognosen abzuleiten. Dadurch werden, z.B. in der automatisierten Produktion, Fehlerpotentiale und Kostentreiber erkannt, die Prozess-Effizienz erhöht und Voraussagen in Bezug auf Produkt- und Prüfqualität entwickelt.
Künstliche Intelligenz im Prüffeld
Um diese Schlüsseltechnologie auch für die Ergebnisse seiner Prüfsysteme nutzen zu können, startete MCD Elektronik ein Entwicklungsprojekt, welches nun in der Reifephase steckt. Die Echtzeit-Verarbeitung von großen Datenmengen im Prüffeld geschieht dabei durch die KI-Funktionen schneller und genauer, als dies durch einen menschlichen Anwender jemals möglich wäre. Zusätzlich werden eine permanente Zustandsüberwachung (engl. Condition Monitoring) der Messdaten von standardisierten Prüfanlagen und dadurch Erkenntnisse für eine vorausschauende Instandhaltung (engl. Predictive Maintenance) geboten. Im Detail umfasst die MCD Entwicklung die Kernpunkte Trenderkennung durch Clustering, Prüfschritt-Abweichungen, Testablauf- und Parameteroptimierung, sowie Messsystemanalyse und Statistikerstellung.
KI als Herzstück einer „Virtual Machine“
Die KI wurde innerhalb einer „Virtual Machine“, kurz VM, entwickelt, wodurch sowohl der lokale Zugriff auf die MCD-Server als auch die Nutzung einer vorhandenen Kunden-Cloud möglich ist. Der Upload der Daten über ein HTTPS-gesichertes Webinterface kann von jedem beliebigen Gerät vorgenommen werden. Eine automatisierte Dateneinspeisung direkt vom Testsystem ist durch einen gesicherten VPN-Kommunikationstunnel möglich.
Die hinterlegten Datensets werden innerhalb der VM auf einer KI-Plattform algorithmisch analysiert. Mit der „Constant AI Analysis“ werden Datensätze permanent aktualisiert und miteinander verglichen, um Muster in den Prüfergebnissen und somit zukünftige Problemstellungen zu erkennen. „On Demand Calculations“ geben beispielsweise Aufschluss über Anzahl und Größe von Messwerten, über arithmetische und geometrische Kennzahlen, empirische Varianzen, Mediane oder MSA-Daten.
Je umfangreicher dabei die „eingelernten“ Daten sind, umso genauer können Zeitpunkte von Grenzwert-Überschreitungen oder eine notwendig gewordene Prüfmittel-Kalibrierung vorausgesagt werden. Die Testablaufanalyse zeigt, welche Prüfschritte ungewöhnlich lange dauern, zu keinem Ergebnis führen oder ob der Ablauf zeittechnisch optimiert werden kann, um Stillstände zu reduzieren. Durch effiziente Nutzung von sogenannten Clusteranalysen (engl. Clustering) lassen sich Abweichungen innerhalb von Testvorgängen mit Veränderungen der Testobjekte verbinden. So können beispielsweise abweichende Messwerte in unterschiedlichen Chargen erkannt werden. Auch der Einfluss von variierenden Umgebungstemperaturen auf denselben Prüfling kann Schwankungen und in der Folge Qualitätsmängel erzeugen, obwohl die Prüfergebnisse insgesamt positiv sind.
Menschlicher Anwender nicht zu ersetzen
Diese Analysen und Optimierungsvorschläge werden dann im Nachgang gemeinsam mit dem Kunden ausgewertet. „Auch wenn die Möglichkeiten von KI und Maschinellem Lernen für die Messtechnik ganz neue Maßstäbe setzen, wird dies nur einen Teilbereich der MCD Dienstleistung darstellen“, so MCD Entwicklungsleiter Gabor Tinneberg. „Denn wichtiger als das Analyse-Ergebnis ist die Umsetzung der Erkenntnisse im Prüffeld.“ Und diese Anpassungen von Prüfabläufen oder Grenzwerten sind nach wie vor anwendungs- und produktabhängig, weshalb selbst die klügste Intelligenz kaum das Know-How und die Erfahrung der Produktentwickler und Prüfsystem-Hersteller im Feld ersetzen kann.
Auf Entwicklungsprojekt folgt Dienstleistungspaket
Dass die Software sehr flexibel genutzt werden kann, bestätigte die Inhouse-Testphase bei MCD. Die modulare Nutzbarkeit der Algorithmen und die wahre Intelligenz des Systems sollte auf die Probe gestellt werden, deshalb wurde zum Beispiel die Projektplanung von MCD durch einen Prototyp der Künstlichen Intelligenz analysiert. Dabei „fütterten“ die Entwickler die Datenbank mit realen Projektabläufen aus dem eigenen ERP-System, von der Projektanfrage über Angebotserstellung und Konstruktion bis hin zu Inbetriebnahme und Auslieferung.
„Durch die eingelernten Daten konnte der Auslieferungstermin von zwei neuen Projekten bis auf 48 Stunden genau vorhergesagt werden und es wurde aufgezeigt, dass unsere Projektabläufe für die Zukunft noch optimiert werden können. Unser geplantes Dienstleistungspaket wird solche Features allerdings nicht enthalten, da wir uns voll auf die Key Topics der Messdaten-Auswertung bei unseren Kunden fokussieren“, so Tinneberg. Dennoch eine Win-Win-Situation für die MCD Elektronik GmbH, die damit einen weiteren Schritt in die technologische Zukunft macht. Und wie viel Potential diese Zukunft bereithält, erkannte schon Alan M. Turing. Denn dessen bekanntestes Zitat besagt, dass man zwar nur über eine kurze Distanz in die Zukunft blicken kann, aber dabei bereits eine Menge zu erkennen sei.