Im US-Bundesstaat Minnesota ist die Welt ein bisschen besser als anderswo in den Vereinigten Staaten, zumindest was die Arbeitslosigkeit angeht. So lag diese laut der Entwicklungsagentur DEED im Juli dieses Jahres mit 3,9 % einen ganzen Prozentpunkt unter der Arbeitslosenrate der gesamten USA. „Glücklicherweise befinden wir uns in einer Region mit hohen Löhnen und niedriger Arbeitslosigkeit“, bestätigt Joe McGillivray, Geschäftsführer der in Ramsey ansässigen Dynamic Group. Normalerweise wunderbar, doch: „Für einen Geschäftsführer bedeutet das einige Herausforderungen.“ Der Vertragshersteller hatte Schwierigkeiten damit, seine Spritzgussproduktion personell zu besetzen, bis die Entscheidung fiel, repetitive manuelle Tätigkeiten zu automatisieren. Inzwischen haben drei kollaborierende Roboterarme von Universal Robots diese Aufgaben übernommen.
Die neuen metallischen Kollegen finden in drei verschiedenen Applikationen ihre Anwendung: Der erste Roboter bedient einen kompletten Maschinenzyklus. Er nimmt sogenannte Buchrücken mit Teilen auf, die in der Spritzgussmaschine gegossen werden sollen. Diese Einheiten transportiert er weiter zu einer Entgratungsvorrichtung, platziert die Werkstücke vor einem Bediener zur weiteren Bearbeitung und drückt anschließend einen Knopf, um den Vorgang von neuem zu starten. Bei der Anwendung wird ein medizinisches Gerät aus Teilen produziert, die extrem hitzeempfindlich sind. Erforderlich sind somit einheitliche Taktzeiten für jedes einzelne Teil. Zuvor war es für das Unternehmen kompliziert, ein einwandfreies Teil handwerklich herzustellen, unter anderem weil die Schichtarbeiter den Arbeitsschritt unterschiedlich handhabten. Mit dem Roboterarm UR10 erreiche man nun vollkommen konstante Taktzeiten, sagt McGillivray. Wo ehemals drei Maschinenbediener für eine Schicht nötig waren, kann das Unternehmen heute drei Schichten täglich mit nur einem Mitarbeiter besetzen. „Somit konnten wir unsere Produktionskapazität praktisch vervierfachen und unser Ausschuss reduzierte sich von ‚deutlich zu hoch‘ auf beinahe Null“, erläutert McGillivray.
Keine Schäden mehr
Die zweite Spritzgussanwendung verwendet einen traditionellen kartesischen Roboter, der ein gegossenes Werkstück auf eine Rutsche fallen lässt, an deren Ende ein kollaborativer Roboter das Teil aufnimmt. Anschließend platziert dieser das Werkstück in einer Angussentfernungsvorrichtung und palettiert das Stück auf einem Tisch vor einem Werker, der es kontrolliert. In der Vergangenheit fielen die Teile auf ein Förderband, wodurch sie oft Schäden davontrugen; der Werker musste die Teile auffangen, bevor sie abgeladen wurden. Für den Bediener eine Herausforderung, mit der Maschine Schritt zu halten. Heute verwendet die Dynamic Group noch immer einen Bediener, aber im Vergleich zu vorher brauche er nur noch ein Viertel der Zeit für diesen Schritt aufwenden und arbeite unter angenehmeren Bedingungen, wie McGillivray erklärt.
Amortisationszeit: Zwei Monate
Der dritte Roboter arbeitet in einer Anwendung, die Sets zusammenstellt. Mittels Vakuumgreifer nimmt der UR10 eine sogenannte Muschelschale – den unteren Teil einer Plastikbox – auf und platziert darin sterile Tücher und Kochsalzlösungen. Abschließend schiebt er die befüllten Schalen auf ein Förderband. Zuvor benötigte das Unternehmen dafür sechs bis sieben Mitarbeiter gleichzeitig. Heute sind es nur noch zwei. Laut McGillivray zahlte sich die Investition bereits innerhalb von zwei Monaten aus.
Programmieren einfach gemacht
Zu Beginn war McGillivray der Meinung, die Dynamic Group könne sich eine Automatisierungslösung in Form von Robotern nicht leisten. Er rechnete mit einigen hunderttausend Dollar pro Installation sowie zusätzlichem Personal für die Programmierung. Nun hat das Unternehmen gleich drei Roboter und der Programmieraufwand hält sich in Grenzen: „Ich bin kein Ingenieur und doch konnte ich die Roboter innerhalb einer Stunde nach Lieferung aufbauen und die ersten Testaufgaben durchführen“, beschreibt der Geschäftsführer. Nachdem die Roboterzelle aufgebaut war, benötigte Travis Oksendahl, Automationsingenieur bei der Dynamic Group, rund zwei Tage, um die Roboter zu programmieren. Verglichen mit herkömmlichen Robotern sei es deutlich unkomplizierter, den Robotern etwas beizubringen und sie für Drag-and-Drop-Applikationen zu programmieren, erzählt er. Durch die intuitiven Steuerungs- und Programmiermöglichkeiten ist es nicht zwingend notwendig, sich umfassend in die eigens entwickelte Programmiersprache UR Script einzulernen. Denn zusätzlich lässt sich der Roboter mittels Teach-Modus einrichten: In diesem Lernmodus befinden sich die Gelenkmotoren des Roboterarms im Leerlauf. Der Bediener braucht nur den Roboterarm zu nehmen und ihn dorthin zu führen, wo er hin soll. Mittels Knopfdruck bringt er dem Roboter diese Bewegung als Punkt bei. Sind alle Wegpunkte gesetzt, drückt der Bediener auf Start und der Roboter fährt diese wie gewünscht ab.
Innerhalb kurzer Zeit kann das Spritzgussunternehmen seinen Robotern so komplett neue Aufgaben zuweisen. Da alle Roboter auf Sockeln stehen, lassen sie sich anders als festgenietete Industrieroboter auf Rollen von Presse zu Presse fahren und von Applikation zu Applikation schieben. „Wir können so der Herausforderung volatiler Nachfrage in unserer Branche effektiv begegnen“, sagt McGillivray.
Am eigenen Leib getestet
Damit die Zusammenarbeit ohne Schutzzaun zwischen Menschen und Maschine sicher abläuft erfolgt zuerst eine Risikobeurteilung. Ein eingebauter Sicherheitsmechanismus sorgt dann dafür, dass der jeweilige Roboter automatisch stoppt, falls er ein Hindernis feststellt. Alle drei Robotermodelle von Universal Robots (UR3, UR5 und UR10) verwenden eine patentierte Technik. Diese überwacht fortlaufend die Ströme in den durch Gleichstromservomotoren angetriebenen Gelenken. Aus diesen und weiteren anwendungsabhängigen Parametern, errechnet der Roboter die auf ihn wirkenden Kräfte. Diese vergleicht er in Echtzeit mit den aufgrund der Physik erwarteten statischen und dynamischen Kräften. Kommt es zu einer unerwarteten Kollision, stimmen diese beiden Werte durch den erhöhten mechanischen Widerstand nicht mehr miteinander überein und der Roboter stoppt sofort. Die Toleranz für einen solchen Not-Stopp kann je nach Modell auf eine Krafteinwirkung von bis zu 50 N heruntergesetzt werden. „Unsere Mitarbeiter arbeiten Hand in Hand mit den Robotern. Das bedeutet große Einsparungen für uns im Hinblick auf die benötigte Produktionszeit und auf die Kosten, die für die Herstellung solcher Einfassungen aufgewendet werden müssten. Außerdem sparen wir uns Bodenfläche. Wir können deutlich mehr Automation in eine viel kleinere Stellfläche packen“, führt McGillivray aus.
Der Geschäftsführer testete die Sicherheitsfunktion vorab selbst. Mitarbeiter des Universal-Robots-Vertriebspartners Braas ließen den Roboter hierfür eine schwingende Bewegung ausführen. McGillivray lief dazwischen: „Es tat gar nicht weh, der Roboter nahm mich augenblicklich wahr und hielt genau so an, wie ich es von ihm erwartet hatte.“ Nach einem Sicherheitsstopp können die Bediener den Roboter ohne zusätzlichen Support mit zwei Knopfdrücken auf dem Touchscreen neustarten.
Weitere Anwendungen geplant
Entlassen wurde nach Einführung der Roboter-Kollegen niemand bei der Dynamic Group. Die Mitarbeiter üben stattdessen kreativere Aufgaben aus. „Wir reduzierten die benötigte Arbeitskraft pro Teil und gaben den Angestellten bessere Aufgaben“, erklärt ein Mitarbeiter im Spritzguss, der mittlerweile für die Mitarbeiterschulungen im Umgang mit den Robotern verantwortlich ist.
Demnächst sollen weitere Roboter in der Produktion implementiert werden. McGillivray und sein Team wollen im nächsten Schritt ein kleineres Modell, den kollaborierenden Tischroboter UR3, direkt auf den Pressen installieren. Und mehr sollen folgen. McGillivray gibt einen Ausblick: „Wir planen auch, einen Roboterarm mit einem strukturierten Lichtsystem zu integrieren, mit dem wir die Teile einer 360-Grad-Kontrolle auf mikroskopischer Ebene unterziehen können. Wir sind schon sehr gespannt darauf, diese Anwendung zu implementieren.“
Helmut Schmid
(mns)