Ausgestattet mit Head-Up-Display, Kamera, Mikrofon und (Knochenschall-)Lautsprecher sowie Bewegungssensor und seitlichem Touchpad am Brillenbügel eignet sich Google Glass sehr gut zur Visualisierung, Diagnose und Service, zum Eingriff in Abläufe sowie für die Mensch-Mensch-Kommunikation. Der Unterschied zu herkömmlichen Bedienkonzepten besteht darin, dass die Brille in die Kategorie ‚Wearable Computing‘ fällt. Genau betrachtet bringen auch Smartphones die genannten Eigenschaften mit. Allerdings fehlen ihnen die bequeme Handhabung, die generelle Ergonomie eines halbdurchlässigen Visors (Displays) sowie die Tatsache, dass der Brillenträger beide Hände frei hat.
Die Vorteile einer Datenbrille – auch für die industrielle Automation – bestehen somit darin, dass die vorhandene Mobile-Computing-Technologie nun ohne Einschränkung der Bewegungsfreiheit und ohne Kabel nutzbar ist.
In die Steuerungstechnik lässt sich Google Glass über die Automatisierungs-Software Twincat einbinden. In der Studie von Beckhoff kommuniziert die Brille mit einem Webserver, der die Maschinenstati bereitstellt. Die Google-Brille empfängt und stellt diese Maschinenstati in Form von Signalwerten oder Fehlermeldungen dar und weist gegebenenfalls auf den genauen Fehlerort hin. Auch das Quittieren und Zurücksetzen der Maschinenzustände ist über die Brille möglich.
Konkreter Nutzen für Maschinenbediener
Die potenziellen Anwendungen lassen sich in direkte und indirekte Funktionen unterteilen: Im Rahmen der direkten Möglichkeiten kann der Bediener seine Maschine oder Anlage unmittelbar überwachen oder – falls notwendig – in Maschinenfunktionen aktiv eingreifen, ohne ortsgebunden zu sein. Auf diese Weise kann ein Maschinenführer größere Anlagen oder einen Maschinen-Pool begehen, an kritischen Stellen Prozesswerte kontrollieren, ohne den Überblick über das Anlagenverhalten oder den Maschinenpark zu verlieren. Und falls nötig, hat er beide Hände frei, um Material nachzulegen, Werkstücke zu wechseln und Störungen zu beseitigen.
Unter die indirekten Möglichkeiten fallen Aktivitäten, die nicht unmittelbar in Verbindung mit dem Prozess stehen. Typische Aufgaben sind das Nachschlagen in der Anlagendokumentation, die Informationsbeschaffung im Internet sowie die Abwicklung des Tagesgeschäfts wie Mails und Chats mit Videounterstützung.
Auch eine Kombination ist möglich: So kann sich der Maschinenbediener bei laufender Anlage bei einem Problem einen Experten – den Servicetechniker des Maschinenlieferanten – hinzuziehen, über seine Datenbrille die Situation vor Ort per Videoübertragung an den Experten übertragen und über das Mikrofon kommentieren. Parallel dazu erhält der Bediener per Video oder Sprache dessen Anweisungen.
Für die Umsetzung solcher Szenarien gibt es konkrete Ansätze. Beispielsweise könnte ein Servicetechniker mit der Kamera von Google Glass über den QR-Code am Motor oder Endschalter dessen Eigenschaften, Historie oder aktuellen Status einlesen. Mehr noch: Wurden die CAD-Daten mit dem Betriebsmittel verknüpft, könnte er auch den Stromlaufplan oder das SPS-Programm einsehen.
Eine weitere Option stellt der Zugriff auf die Webseiten der Maschinenvisualisierung dar, die idealerweise für die spezielle Auflösung 640 mal 360 Pixel) und Bedienung der Datenbrille ausgelegt ist, das heißt: möglichst ohne Mausbedienung. Eine interessante Variante stellt die Programmierung spezieller Anwendungen dar, die lokal auf der Google-Brille laufen und mit Protokollen wie OPC UA oder Beckhoff ADS über Wlan eine Verbindung zum Steuerungsrechner der Maschine herstellen. Beckhoff hat im Rahmen der Technologiestudie beispielsweise eine Anwendung zur Echtzeit-Darstellung von Variablen als lokales Programm hinterlegt. In all diesen Szenarien zeigt Google Glass sämtliche Zustandswerte (Variablen, Fehler/Statustexte) an. Umgekehrt kann der Bediener Einstellungen ändern oder Aktionen auslösen, etwa die Maschine nach der Störungsbeseitigung vor Ort gleich wieder starten.
Auf dem Boden bleiben: kein Ersatz klassischer Bedieneinheiten
Google Glass eignet sich als zusätzliches Bedienkonzept, nicht aber als Ersatz oder einziges Bediengerät an Maschinen oder Anlagen. Das klassische Bedienterminal ist allein deswegen schon nicht zu ersetzen, weil es eine höhere Auflösung, bessere Ablesbarkeit und die elektromechanische Integration notwendiger Bedienelemente ermöglicht, wie Not-Halt, Schalter, Handräder oder Kartenlesegeräte.
Das gleiche gilt für komplett berührungslos konzipierte No-Touch-Bedienphilosophien. In der Praxis wird auch hier eher ein Mix aus klassischer Touch- und No-Touch-Bedienung zum Einsatz kommen. Denn Tippen oder Wischen auf der Seitenfläche der Datenbrille ist allemal schneller als die Spracheingabe. Nichtsdestotrotz, Google Glass lässt sich durchaus komplett ohne Hände bedienen: Das Einschalten erfolgt durch Nicken mit dem Kopf nach oben. Einzelne Menüpunkte können durch leichtes Heben und Senken des Kopfes angesehen und durch Spracheingabe aufgerufen werden. Auch das Aktivieren einzelner Funktionen auf den einzelnen Slides (Karten) wäre per Sprache möglich. Allerdings muss eine solche Bedienung speziell dafür programmiert und die Ergonomie der Software für eine Sprachsteuerung ausgelegt sein.
Security und Safety: Kein erhöhtes Risiko
Es gilt ein vorherrschendes Missverständnis auszuräumen: Google beziehungsweise die Google Cloud ist nicht immer und zwangsläufig an der Kommunikation mit der Datenbrille beteiligt. Diese Annahme stimmt nicht. Die Studie belegt, dass die Brille problemlos gekapselt in das Wlan (Intranet) eines Unternehmens eingebunden werden kann, geschützt durch die jeweiligen Standard-IT-Prozeduren. Auch bei der Bedienung unterscheidet sich Google Glass prinzipiell nicht von einer direkten Betätigung am Steuerpult der Maschine. Schließlich müssen alle gefahrbringenden Aktionen ohnehin mithilfe geeigneter und zugelassener Sicherheitstechnik (Not-Halt-Konzepte) verhindert werden.
Datenschutztechnisch ist Google Glass ebenso sicher wie ein Mobiltelefon. Beide können Anlagenteile und Personen aufnehmen. Dieser Aspekt ist seit der massenhaften Verbreitung von Smartphones bekannt. Aber die Datenbrille fällt zu sehr auf, um sie heimlich einsetzen zu können. Somit braucht man Google Glass einfach nur den gleichen Verhaltensregeln zu unterwerfen wie ein Smartphone: In sensiblen Unternehmensbereichen werden beide schlichtweg nicht zugelassen.
Trendsetter Datenbrille
Im kommerziellen Bereich zeichnet sich ab, dass Datenbrillen einen Trend auslösen. Einerseits haben Firmen wie Meta Pro, Samsung oder Epson ähnliche Hardware angekündigt. Andererseits unterliegen die Datenbrillen einer kontinuierlichen Weiterentwicklung, die zu weiterer Sensorik und höherer Prozessorleistung führt. Dementsprechend wird Beckhoff zunächst die Akzeptanz im industriellen Umfeld anhand konkreter und nützlicher Software prüfen und diese mit Anwendern einem Feldtest unterziehen. Grundsätzlich verfügen Maschinen und Anlagen mit Beckhoff-Steuerungen durch die Software Twincat bereits über alle notwendigen Schnittstellen, um sie mit Datenbrillen wie Google Glass zu verbinden.
Datenbrillen können künftig einen Beitrag zur Effizienzsteigerung bei Visualisierung, Diagnose und Service leisten. Eine besondere Bedeutung kommt ihnen in Verbindung mit Industrie-4.0-Konzepten zu. Denn eine Smart Factory beschreibt eine vernetzte und datentechnisch transparente Fertigung. Google Glass und Co. können die Produktionsmitarbeiter in solche Smart Factorys einbinden – von der Zutrittskontrolle über die automatische Heizung/Klima/Lüftung-Anpassung bis hin zur Anzeige der Zustände und Leistungsdaten sämtlicher Maschinen, einzelner Sensoren sowie der intelligenten
Paletten und Werkstücke.
(sk)