Modularisierung gilt als Schlüssel zur Vereinfachung des Engineerings von Maschinen und zur Optimierung von Entwicklungszeiten. Falsch konzipiert wird daraus jedoch rasch ein Bumerang. „Mit unserem ganzheitlichen Engineering-Konzept für modulare Maschinen geht nichts mehr schief“, sind Dr. Thomas Cord, Geschäftsführer der Lenze Automation, und Kay Willerich, Bereichsleiter Controls, überzeugt.
Wie ist aus Ihrer Sicht das Thema Modularisierung im Maschinenbau angekommen?
Dr. Cord: Modularisierung ist ein Riesentrend, genau genommen schon seit vielen Jahren. Lau
t dem Marktforschungsunternehmen Quest setzt heute bereits gut die Hälfte der Maschinenbauer auf modulare Konzepte. Und modulare Maschinen werden in den nächsten Jahren doppelt so stark wachsen wie monolithische. Trotzdem, es gibt Unterschiede im Grad der Modularisierung. Ihre Mechanik können die meisten Maschinenbauer heute sehr einfach modularisieren. Das ist der klassische Ansatz mit standardisierten Funktionseinheiten. Die Elektrotechnik im Schaltschrank, die ebenso standardisiert wieder verwendet werden könnte, wird aber häufig immer noch für jede Maschine als Unikat aufgebaut.
Die Software haben Sie gerade außen vor gelassen.
Dr. Cord: Ganz im Gegenteil! Für die Modularisierung der Software im Maschinenbau haben wir bereits vor mehr als drei Jahren mit unserer Application Software Toolbox FAST eine Lösung vorgestellt, die damals einen echten Meilenstein in unserer Branche dargestellt hat. Die Basis bilden Technologiemodule, die die Software bestimmter, immer wiederkehrender Funktionseinheiten im Maschinenbau abbilden und als Standardprodukt zur Verfügung stellen.
Willerich: Wenn wir von Modularisierung sprechen, meinen wir die konsequente Umsetzung in allen mechatronischen Disziplinen – Mechanik, Elektrotechnik und Software. Demnach sind nun Konzepte gefragt, um den Schaltschrank aufzuteilen und damit auch die Steuerungs- und Antriebstechnik. Dabei muss die Automatisierungstechnik so zusammenspielen, als wäre alles aus einem Guss. Dafür haben wir Lösungen entwickelt.
Heißt das zuerst den Schaltschrank aufzulösen, erst danach dann auch die Software?
Willerich: Die Software zu modularisieren, macht auch bei einem zentralen Ansatz der Elektrotechnik Sinn. Zur Pflicht werden Softwaremodule spätestens dann, wenn ein Maschinenbauer den zentralen Schaltschrank auflösen will. Unsere Software-Toolbox passt daher ganz gut in die logische Kette, zuerst die Mechanik zu modularisieren, dann die Software und zuletzt die Elektrotechnik.
Dr. Cord: Die Quest-Studie belegt, dass diejenigen Maschinenbauer am erfolgreichsten sind, die ganz konsequent modularisieren. Letztendlich können die Vorteile im Bereich der Flexibilisierung nur dann erreicht und die Kostenpotentiale vollständig gehoben werden, wenn die Modularisierung ganzheitlich im mechatronischen Kontext erfolgt.
Dezentrale Einheiten heißt in letzter Konsequenz, gar keinen Schaltschrank mehr zu nutzen, sondern alles in IP65/67 aufzubauen.
Dr. Cord: Das sind eigentlich zwei verschiedene Themen. Es gibt durchaus Maschinen und Prozesse, wo es aus Platzgründen sinnvoll ist, den Schaltschrank zu eliminieren und die Automatisierungstechnik spritzwassergeschützt direkt in den Verarbeitungsprozess zu integrieren. Es gibt jedoch auch Anwendungen, bei denen dies kontraproduktiv wäre. Beispielsweise in einer Molkerei oder in einer Zigarettenproduktion, wo temperaturempfindliche Naturprodukte verarbeitet werden, kann die Abwärme eines Servo-Antriebs kritisch sein. Heute nutzen die meisten Maschinenbauer nach wie vor kleine, dezentrale Schaltschränke, die gezielt in das Maschinengestell integriert werden.
Willerich: Ein weiteres Argument gegen die IP67-Technik ist die Steck- und die Verbindungstechnik. Sie kostet nicht nur viel Geld, die Stecker sind auch im Handling schwierig und wesentlich aufwendiger. Ein Schaltschrank bietet hier ganz andere Möglichkeiten. Um es klar zu sagen: Ich bin nicht gegen Antriebe in IP67, aber ihr Einsatz sollte mit Bedacht gewählt sein. Oft ist nach wie vor der klassische Antrieb, in einem Schaltschrank montiert, die bessere Alternative.
Müssen die Maschinenbauer bei einer Modularisierung ihre bestehende Software komplett entsorgen?
Dr. Cord: Ein FAST-Modul besteht im Prinzip aus zwei Teilen. Der eine befasst sich mit dem eigentlichen Prozess in der Maschine. Da stecken unser Know-how sowie das unserer Kunden drin. Der zweite Teil betrifft die Software zur Steuerung des Gesamtsystems, beispielsweise die Erfassung von Betriebsdaten, das Fehlermanagement bis hin zur Wartung oder die Verwaltung der verschiedenen Betriebsarten. Natürlich sind dann darin auch die Safety- oder HMI-Funktionen eines Moduls enthalten. Es bringt nichts, nur die Steuerungs- und Antriebstechnik zu modularisieren. Wir müssen durchgängig den gesamten Prozess der Maschine betrachten. So sorgen wir bei der Modularisierung für die Abstrahierung der Module und eine saubere Softwarestruktur, die einfach zur erweitern und zu pflegen ist.
Willerich: Der Maschinenbauer will in dieser Struktur dann sein spezifisches Prozesswissen einfach implementieren können. Unsere Softwaremodule sind dafür gemacht und erleichtern es den Kunden, ihre Software klar zu strukturieren und so auch ihr eigenes Know-how zu kapseln, das möglicherweise ja auch Alleinstellungsmerkmale beinhaltet.
Dr. Cord: Um auf ihre Frage zurückzukommen: Wir empfehlen unseren Kunden, komplett auf unsere modulare Softwarestruktur zu setzen und dort ihr prozessspezifisches Know-how zu integrieren. Wir haben in einer Vielzahl von Projekten die Erfahrung gemacht, dass so die Algorithmen und Prozesse, in denen unendlich viel Erfahrung und Zeit steckt, einfach wiederverwendet werden können und dass die komplette Maschinensoftware schon nach wenigen Wochen vollständig migriert ist.
Für jedes Modul eine Steuerung. Wird das nicht zu teuer?
Willerich: Das braucht es bei unserem Ansatz zur Modularisierung gerade nicht. Die entscheidende Frage ist, wie man die Module zuschneidet, um eine einfache Wiederverwendung der mechatronischen Funktionseinheiten zu erreichen. Es mag Maschinenteile geben, für die keine Steuerung vorgesehen ist. Deren Software läuft dann in einem benachbarten oder übergeordneten Modul. Wichtig ist, die Möglichkeit zu haben, so zu modularisieren, dass die Steuerungssoftware weitgehend beliebig in den Einheiten platziert werden kann.
Dr. Cord: Die Topologie des mechanischen Konzepts der Maschine gibt meistens die Modulgrenzen vor. Deswegen haben bei den meisten unserer Kunden die Mechaniker auch das Sagen, wenn es um die Modularisierung geht. Die Kunst besteht darin, in allen drei mechatronischen Disziplinen die gleiche Modularisierungs-Sicht zu etablieren. Wir unterstützen unsere Kunden bei der Entwicklung von modularen Maschinenkonzepten. Derzeit arbeiten wir an einem Tool, das genau diese Modularisierung einer Maschine in den drei Disziplinen abbildet.
Willerich: Wir haben Kunden, die kapseln ihren Kernprozess, zum Beispiel das Verpacken von Bonbons in Tüten, in einem Modul. Daneben gibt es Zu- und Abführprozesse, die auch mal flexibel verändert werden müssen – bei Industrie-4.0 künftig eventuell sogar dynamisch. Spätestens hier zerfällt das mechanische Maschinenkonzept in Module. Und wir liefern für diese funktionale Aufteilung die richtige Steuerungstechnik – vom zentralen Ansatz mit einer großen Steuerung bis zur Dezentralisierung mit kleinen Steuerungen. Dabei bleibt das Softwarekonzept stets identisch, so dass der Kunde nach Bedarf und Gusto von einer Steuerungshardware auf eine andere wechseln kann.
Und was ist mit den Mehrkosten durch die Modularisierung?
Dr. Cord: Natürlich ist eine Aufteilung der Funktionalität auf mehrere Steuerungen zunächst einmal teurer – allerdings nur auf den ersten Blick. Objektiv betrachtet, verursacht die Hardware gar nicht die Hauptkosten. Der Kostentreiber ist eindeutig das Engineering. Wir haben unseren Kunden immer wieder aufzeigen können, dass die Aufteilung der Steuerungstechnik gesamtheitlich betrachtet viel effektiver ist. Der Grund ist das Re-Use, die Wiederverwendung der standardisierten Maschinenmodule, an denen gar nichts mehr verändert werden muss. Das spart so viel Kosten, dass die Maschinenbauer das Geld für eine kleine Steuerung locker raus holen können.
Wie bekommt ein Maschinenbauer seine Kernkompetenz in sein individuelles Software-Modul gegossen? Kann es das selbst oder braucht er Ihre Expertise dazu?
Dr. Cord: Wir haben von Beginn an den größten Wert darauf gelegt, dass die Software-Struktur von FAST offen ist. Das heißt, unsere Kunden können eigene Technologiemodule entwickeln und ihr Know-how einfach in unsere Software-Strukturen einbauen. Unsere Ambition ist, 80 % der Standardfunktionen einer Maschine vorgefertigt bereitzustellen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass diese Standardfunktionen in 20 % der bisherigen Engineeringzeit erledigt werden können. Im Gegenzug bedeutet dies, dass dem Maschinenbauer 80 % seiner Zeit für die Entwicklung von speziellen Funktionen und für die Realisierung seiner Alleinstellungsmerkmale zur Verfügung stehen. Wir verstehen uns aber auch als Lösungsanbieter und unterstützen Kunden gerne in ihren Projekten.
Willerich: Der Maschinenbauer muss das Rad nicht ständig neu erfinden, er soll Standardfunktionen aus unserem Baukasten verwenden und seine Energie in die spezifischen Besonderheiten seiner Branche stecken können.
Wie sehen die nächsten Ausbaustufen und Funktionsmodule aus?
Dr. Cord: Wir bauen in der Zwischenzeit teils sehr spezifische Technologiemodule für unsere Zielmärkte wie die Automobilindustrie, Intralogistik, Verpackungstechnik, aber auch mehr und mehr für die Bereiche Robotik, Printing, Converting und Textile.
Muss sich die Modularisierung nicht auch auf ihre eigene Hardware auswirken?
Willerich: Natürlich brauchen wir ein skalierbares Portfolio dazu. Im letzten Jahr haben wir bereits eine kleine Steuerung auf den Markt gebracht, die bis zu vier Servoachsen managen kann. Darüber haben wir mittlere und eine große Steuerung. Und durch neuere Prozessoren erhöht sich deren Leistungsfähigkeit sukzessive. Da in der kleinen Steuerung die gleichen Prozessoren zum Einsatz kommen wie in unseren Servoantrieben, lässt sich die Software nach Belieben in separate Steuerungen oder auch in die Servoumrichter packen.
Mithilfe verschiedener Verfahren lassen sich die Prozesse der einzelnen Steuerungen so synchronisieren, wie wenn Sie in einer Steuerung implementiert wären. Wir setzen hier auf die standardisierten Verfahren von Ethercat. Auch aus dieser Sicht gibt es also keine Nachteile einer modularen Maschinentopologie.
Wie unterstützt Lenze den OEM oder auch den Endanwender dabei, seine Maschinen einfach flexibel zusammenzustellen.
Willerich: Die typischen Feldbus-Strukturen sind eigentlich so ausgelegt, dass die Maschinentopologie fix vorgegeben sein muss. Die Modularisierung verlangt aber Flexibilität: Abhängig von der Konfiguration müssen Teilnehmer wahlweise in eine Feldbus-Architektur zu integrieren sein. Wir realisieren das über so genannte optionale Teilnehmer am Ethercat. Der Maschinenbauer legt die Maschine für den Maximalausbau aus und kann dann wahlweise Achsen oder andere Teilnehmer an diesem Feldbus bei der Konfiguration zu- oder abschalten. Auch bei der Inbetriebnahme zahlt sich diese Option aus: Selbst wenn nur ein Maschinenmodul existiert, kann mit dessen Test begonnen und die nur virtuell komplett vorhandene Maschine getestet werden.
Für die Konstruktion wäre es eigentlich ideal, wenn mit der Bestellung einer Maschine die entsprechenden Aufträge für Mechanik, Elektrik und Software angelegt und deren Strukturen automatisch zusammengestellt würden.
Dr. Cord: In der Lenze-Gruppe gibt es mit der Firma Encoway eine Tochter, die solche Konfigurationssysteme baut. Wir nutzen diese Technologie selbst zur Konfiguration unserer Produkte. Encoway geht heute mehr und mehr auch in den Maschinenbau. Etliche Maschinenbauer haben bereits elektronische Kataloge aufgebaut, aus denen komplexere Maschinen und Anlagen zusammenstellen lassen. Das Konfigurationssystem erzeugt dann automatisch den Bauplan und die Stücklisten bis hin zu den benötigten Softwaremodulen. Das ist Industrie 4.0 im Engineering.
Wird mit der Modularisierung der klassische Serienmaschinenbauer nicht zum Sondermaschinenbauer mit einem ganz anderen Anforderungsprofil an seine Engineering-Tools und -Prozesse?
Dr. Cord: Dies ist ein interessanter Aspekt. Ich habe diese Entwicklung noch nicht aus diesem Blickwinkel betrachtet. Vor zehn Jahren wollten sich unsere Kunden vom Sondermaschinenbau zum Anbieter von Serienmaschinen entwickeln. Dies ist den meisten auch gelungen. Mehr und mehr werden sie jedoch heute damit konfrontiert, spezifische Wünsche ihrer Kunden schnell und kostengünstig umzusetzen. Die Entwicklung unserer Produkte, der dazugehörenden Engineering-Tools und auch unserer Dienstleistungen zielen darauf ab, diese Flexibilität sicherzustellen. Wenn Sie heute den Eindruck haben, dass wir die Flexibilität des Sondermaschinenbaus zu den Bedingungen einer Serienproduktion umsetzen können, dann ist dies das größte Kompliment das Sie uns machen können. Genau darauf zielen wir als Lösungsanbieter ab!
Also ein übergeordnetes Engineering- oder Konfigurationstool.
Dr. Cord: In der Art. Aktuell gehen wir mit diesem neuen Tool in die Erprobungsphase mit Anwendern. Lassen Sie sich überraschen …
Gehen Endanwender die Modularisierung nicht ganz anders an? Wollen sie nicht Module verschiedener Hersteller zu Anlagen zusammenstellen?
Dr. Cord: Industrie 4.0 wird uns genau dahin bringen. Allerdings braucht es dazu Standards. Es gibt natürlich erste Ansätze für die Standardisierung mechatronischer Funktionseinheiten, die aber noch weiterentwickelt werden müssen. Aber wir werden dahin kommen, dass auch Endanwender die Maschinen unterschiedlicher Maschinenbauer mit jeweils anderen Steuerungen per Plug & Play zu kombinieren. Lenze beteiligt sich aktiv an der Entwicklung solcher Standards.
Gibt es eigentlich auch Schnittstellen die von der Mechanik vorgegeben Modularisierung aus dem MCAD-System zu übernehmen, ohne alles im Engineeringtool nachbauen zu müssen?
Dr. Cord: Diese Standards gibt es, sie stecken aber auch noch in den Kinderschuhen. Für unsere Tools werden wir Schnittstellen zu verschiedenen CAD- und Simulationssystemen bereitstellen.
Das Interview führte Chefredakteur Stefan Kuppinger
(sk)