"Wir haben alle ­Bestandteile einer ­PC-basierten Automatisierungslösung in der eigenen Hand." Markus Lang (links), Alexander Grimm

"Wir haben alle ­Bestandteile einer ­PC-basierten Automatisierungslösung in der eigenen Hand." Markus Lang (links), Alexander Grimm Redaktion IEE/Renate Schildheuer

Herr Grimm, bislang lief die Soft-SPS von Siemens unter Windows. Folgt mit dem Software Controller S7-1500 eine Abkehr von dieser Technologie?

Alexander Grimm: Nein, es ist keine Abkehr von Windows als PC-Betriebssystem. Aber wir trennen Windows und Software Controller direkt über der Hardware voneinander.

Wie ist das realisiert?

Alexander Grimm: Bislang haben wir unsere Soft-SPS WinAC RTX unter einer Echtzeiterweiterung in Windows betrieben. Neben­bei bemerkt: wie auch andere Hersteller PC-basierter Auto­matisierung. Dazu ist in Windows ein Echtzeit-Kernel eingebettet. Dieser Aufbau hat einen entscheidenden Nachteil: Wenn in der Windows-Hülle Probleme auftreten, dann funktioniert auch der Echtzeit-Kernel nicht mehr. Auch beim Hochlaufverhalten muss immer zuerst Windows vor dem Echtzeit-Kernel starten. Die von Siemens neu gewählte System­architektur beseitigt diesen Nachteil und ermöglicht dadurch unter anderem auch deutlich schnellere Hochlaufzeiten.
Markus Lang:
Und muss Windows neu gestartet werden, etwa nach einem Softwareupdate, dann ist in unserer alten Lösung der Echtzeit-Kernel und damit die komplette Steuerung vorübergehend nicht verfügbar – und mit ihr natürlich dann auch die Maschine nicht.

Und wie haben Sie das jetzt geändert?

Alexander Grimm: Dieses grundsätzliche Problem lässt sich nur lösen, indem man einen komplett neuen Systemansatz fährt: mithilfe eines sogenannten Bare Metal Hypervisor. Der heißt so, weil er direkt über der Hardware sitzt und die Hardware-Ressourcen wie Prozessor, Speicher, Schnittstellen und Arbeitsspeicher zwischen dem Software Controller und Windows aufteilt. Konkret sorgt der Hypervisor bei unserem ET 200SP Open Controller dafür, dass dessen Dual-Core-Prozessor sowie die restliche PC-Hardware zwischen Windows und Software-Controller aufgeteilt wird.
Markus Lang: Das hat viele Vorteile, vor allem auch hinsichtlich Security. Weil das Steuerungssystem nicht direkt in Windows inte­griert ist, lässt sich nicht mehr ohne weiteres darauf zugreifen. Desweiteren wurde durch neue Know-How-Schutz-, Zugriffs­schutz- und Manipulationsschutz-Mechanismen die ­Security des Software-Controllers erhöht.

Was war der Auslöser für diese Weiterentwicklung?

Markus Lang: Uns war wichtig, dass wir in Bezug auf die Steuerungs-Runtime nicht mehr unmittelbar von der Verfügbarkeit des Betriebssystems abhängig sind. Wir wollten die reinen Steuerungsaufgaben von Windows entkoppeln. Der Vorteil ist, dass Windows parallel zur Steuerung für Applikationen wie Bildverarbeitung oder HMI auf dem Controller genutzt werden kann.
Alexander Grimm: Der Hypervisor bedeutet keine Abkehr von Windows. Unsere Systeme gibt es nach wie vor ausschließlich mit Windows. Wir wollen nur die Abhängigkeiten und Einschränkungen auf der Steuerungsseite reduzieren.

"Hardware- und Software-Controller ­haben nun eine einheitliche Architektur." Alexander Grimm

"Hardware- und Software-Controller ­haben nun eine einheitliche Architektur." Alexander Grimm Redaktion IEE/Renate Schildheuer

Warum erst jetzt dieser Schritt? Gab es bislang Einschränkungen?

Alexander Grimm: Echtzeit-Kernel gibt es viele auf dem Markt. Wir haben uns in der Vergangenheit bei WinAC RTX auch eines Fremdanbieters bedient, das ist kein Geheimnis. Der neue Hyper­visor ist nun eine hauseigene Entwicklung, in die direkt unser Kern-Know-how eingeflossen ist.
Markus Lang: Als führender Anbieter von Automatisierungstechnik ist dieser Schritt konsequent. Wir wollen auch bei der PC-basierten Automation alle Technologien im Griff haben, ohne Fremdanbieter. Das können wir jetzt, von der Hardware über den Hypervisor bis zum Software Controller. Parallel dazu können wir Windows betreiben, für offene Applikationen nutzen und diese dann aus dem Software Controller heraus ansprechen.

Herr Lang, Sie erwähnten gerade, dass Siemens die Abhängigkeit von Microsoft reduzieren will.

Markus Lang: Uns hat die Überlegung getrieben, wie sich eine Multicore-Architektur am besten nutzen lässt. Nicht jedoch der Wunsch, das Microsoft-Betriebssystem weniger zu verwenden. Der Hypervisor schafft einfach die Basis, die Hardware-Ressourcen einzeln zu nutzen. Beim Open Controller sind wir daher natürlich auch mit einem Dual-Core-Prozessor gestartet. Ein Kern bedient quasi die Windows-Seite, der andere Kern ist dem Software Controller zugeordnet. Der Hypervisor öffnet uns und unseren Anwendern die Türen in die Zukunft.

In Zukunft entscheidet also Siemens wann und welche Windows­versionen für den Hypervisor freigegeben sind?

Alexander Grimm: Zur Lieferfreigabe des ET 200SP Open Controllers steht Windows Embedded Standard 7 in der 32- und in der 64-bit-Variante zur Verfügung. Der Software Controller wird allerdings auch für unsere anderen Industrie-PCs freigegeben; und hier dann natürlich auch mit Windows 7 Ultimate zum Beispiel. Da wir jetzt unabhängig von Windows und dem bisherigen Anbieter der Echtzeiterweiterung sind, können wir auf künftige Betriebssystem-Entwicklungen sehr schnell reagieren.

"Der Software ­Con­troller bietet die gleichen Schutz­mechanismen wie eine S7-1500 in Hardware." Markus Lang

"Der Software ­Con­troller bietet die gleichen Schutz­mechanismen wie eine S7-1500 in Hardware." Markus Lang Redaktion IEE/Renate Schildheuer

Wie schützt Siemens das Eco-System, damit der Hypervisor zusammen mit dem S7-1500 Software Controller nicht auf einer 08/15-Hardware installiert wird?

Markus Lang: Natürlich hat jeder Software Controller eine Lizenz­nummer, die mit dem Open Controller verknüpft ist. Ziel ist es allerdings schon, den Software-Controller auf möglichst vielen PC-Plattformen anbieten zu können. Harte Echtzeit können wir allerdings nur auf Simatic-Produkten garantieren. Viel wichtiger für Maschinenbauer ist, dass sie ihr Know-how schützen und ihre Security-Vorgaben erfüllen können. In dem wir die Windows-Seite vom Software Controller trennen, ­bekommen wir nun technologisch sozusagen die Möglichkeit, ­einen starken Kopier- und Manipulationsschutz ähnlich dem ­einer Standard S7-1500 aufbauen zu können.
Alexander Grimm: Das heißt, Zugriffsschutz über ein mehrstufiges Konzept, das ich fein einstellen kann: Wer darf auf das gesamte System zugreifen? Wer nur auf das HMI? Ist der Zugriff von außen erlaubt? Hierüber lässt sich auch das Know-how des Anwenders schützen, das im Anwenderprogramm steckt. Die Umsetzung erfolgt wiederum wie bei allen Controllern über das TIA-Portal. Mit zwei, drei Mausklicks ist das Anwenderprogramm an die Seriennummer der Hardware gebunden und läuft auch nur genau auf dieser einzigen Hardware. Eine wichtige Funktion für Maschinenbauer, die weltweit verkaufen. Letztlich ist der Controller ja eine S7-1500-Steuerung. Das heißt, alles was bisher auf einer S7-1500 läuft, lässt sich direkt übernehmen und übersetzen.

"Im TIA-Portal gibt es keinen Unterschied zwischen Software Controller und Hardware-SPS." Markus Lang

"Im TIA-Portal gibt es keinen Unterschied zwischen Software Controller und Hardware-SPS." Markus Lang Redaktion IEE/Renate Schildheuer

Wie wird der ET 200SP Open Controller überhaupt ausgeliefert?

Markus Lang: Unser Anspruch ist, das System weitgehend einschaltfertig zu übergeben. Der Anwender muss nur noch den Windows-Welcome kurz einrichten und den License Key, den er für die Software-Controller-Lizenzierung braucht, auf das Gerät aufspielen. Ansonsten ist der Controller komplett vorkonfiguriert und vorinstalliert, optional auch mit einer WinCC Runtime Advanced. Hier haben wir verschiedene Bundles mit 128, 512 und 2 048 Power Tags definiert. Für die Bundles gibt es dann zusammen mit der Hardware unterschiedliche Bestellnummern. Konfiguriert wird der ET 200SP Open Controller ausschließlich über das TIA-Portal.

Bringt der Technologiewechsel auch einen Performancesprung ­gegenüber der bisherigen Lösung?

Markus Lang: Bei PC-basierter Automatisierung definiert letzten Endes der Prozessor die Leistung. In der aktuellen Konstellation bedeutet dies eine Bit-Performance von etwa 10 ns. Für unsere Kunden sind andere Parameter ebenfalls wichtig, etwa ein schneller Hochlauf, wir liegen aktuell bei rund 30 s, und ein taktsynchroner Betrieb von derzeit bis zu 500 µs.
Alexander Grimm: Der Performancesprung ist durch den Hypervisor gegeben, der dem Controller die CPU fest zuordnet. Hier wird dynamisch auch nichts mehr verschoben. Da die Ressourcen des Software Controllers nicht mehr über Windows vergeben werden, tangieren die manchmal nötigen Interrupts des Betriebs­systems den Controller in keiner Weise.

Um Multicore-CPUs effektiv nutzen zu können, muss die Software entsprechend programmiert sein. Stichwort: Multithread-Fähigkeit. Spielt das beim Siemens-Hypervisor eine Rolle?

Markus Lang: Wir haben eine Art Multiprocessing realisiert, weil wir zwei Kerne haben.
Alexander Grimm: Für den Software-Controller reicht die Performance eines CPU-Kerns vollkommen aus. Echtes, symmetrisches Multiprocessing bringt vielleicht etwas mehr Performance bei der Abarbeitung. In Echtzeitanwendungen, und davon reden wir, zählen aber vor allem verlässliche und kalkulierbare Reak­tionszeiten, die wiederum aus den fest zugeteilten Hardware-Ressourcen resultieren.

PC-basierte Steuerungen werden gerne wegen ihrer Flexibilität bei der Programmierung eingesetzt. Geht die künftig verloren?

Markus Lang: Nein, natürlich nicht. Offenheit und C-Programmierung sind nach wie vor große Mehrwerte von PC-basierten Lösungen. Wir haben daher wieder ein ODK, Open Development Kit, entwickelt, mit dem man C-Funktionen in die Steuerung laden kann. Aber wir haben die Implementierung um einiges erleichtert. Zusammen mit dem ODK liefern wir beispielsweise auch Eclipse aus, womit C-Programme zum Ablauf in der Realtime-Umgebung erstellt werden können.

"Software Controller und Hypervisor sind im TIA-Portal inte­griert." Alexander Grimm

"Software Controller und Hypervisor sind im TIA-Portal inte­griert." Alexander Grimm Redaktion IEE/Renate Schildheuer

Die in Eclipse geschriebenen C-Programme werden in eine Datei exportiert und über den Webserver oder das TIA-Portal in den Controller geladen. Im TIA-Portal sind die Programme dann in der Standardprogrammierung wie ein Baustein dargestellt. Das ist einfacher als früher.

Alexander Grimm: Ein SPS-Programmierer, der es gewohnt ist, in KOP, FUP oder AWL zu programmieren, tut sich oftmals mit Hochsprachen schwer. Hochsprachen-Programmierer sind wiederum die klassischen SPS-Programmiersprachen nicht gewohnt. Gerade kleinere Maschinenbauer haben die Hochsprachen-Kompetenz nicht immer im Haus und vergeben den Teil an exter­ne Entwickler. Unser ODK schafft nun eine saubere Schnittstelle für die Aufgabenteilung und liefert einen fertigen Funktionsbaustein, den der SPS-Programmierer wie einen normalen Funktionsbaustein einbinden und verschalten kann.

Funktional gibt es also keine Unterschiede zur Hardware-Variante der S7-1500?

Markus Lang: Wir haben den Kern einer S7-1500 auf den Open Controller gesetzt und bedienen auch dessen Mengengerüst und Funktionsumfang. Beispielsweise ist Motion für bis zu 30 Positionierachsen implementiert.
Alexander Grimm: Es ist ein Derivat innerhalb der S7-1500-Controller-Familie. Neben unserer neuen PC-basierten Plattform in Bauform der ET 200SP, dem ET 200SP Open Controller, werden wir den S7-1500 Software Controller natürlich auch für unsere IPCs anbieten. Der Software-Controller wird dabei auf DVD ausgeliefert und kann auf unseren IPCs installiert werden. In der kompakten Bauform des ET 200SP Open Controllers steht das komplette Modulspektrum des ET200SP-Systems zur Verfügung. Bis zu 64 Module lassen sich anreihen, von den digitalen und analogen Ein- und Ausgangsmodulen bis zu den Spezialmodulen wie Energy Meter, Zählermodul oder das Timer-Modul. Das ergibt eine hohe Kanaldichte und kompakte Abmessungen, die gerade für Serienmaschinenbauer zum Beispiel interessant sind. Entscheidend ist: Alle Derivate innerhalb der S7-1500er Familie haben identische Eigenschaften, werden im TIA-Portal projektiert und bei einem Firmware-Update gleichzeitig gepflegt.
Markus Lang: Durch die strikte Trennung zwischen Windows und dem Software-Controller ist es einfacher, die Funktionalität einer S7-1500 ohne Kompromisse zu implementieren.

Ist das nur noch eine Geschmackssache vom Design, vom Aufbau, welche Bauform ich nehme, eine S7-1500 oder einen Open Controller?

Alexander Grimm: So pauschal kann man das nicht sagen. Eine S7-1500 hat beispielsweise mehr Kommunikationsschnittstellen: Mehrere Profinet-Ports und Profibus sind integriert. Der Open Controller hat auch kein integriertes Display. Hinzu kommt die Langzeitverfügbarkeit. Bei der PC-Technologie können wir wie bei unseren restlichen Industrie-PCs eine aktive Vermarktung von fünf bis sechs Jahren sicherstellen plus weitere fünf Jahre Ersatzteil-Verfügbarkeit. Bei der Hardware-SPS sind das zehn Jahre. Das ist ein deutlicher Unterschied.

Gibt es den Software Controller auch für Panel-PCs?

Alexander Grimm: Demnächst erfolgt die Freigabe für andere IPC-Baureihen. Damit stehen neben Panel-­PCs auch weitere Bauformen wie Rack- und Box-PCs, die beispielsweise einen Core-i7-Prozessor integriert haben, zur Verfügung.

Wie sieht es mit der Integration von Safety aus?

Alexander Grimm: Wir bieten Safety generell für alle unsere Steuerungen an und werden daher auch eine Failsafe-Variante des S7-1500 Software Controllers entwickeln.

Separat, in einem eigenen CPU-Kern?

Alexander Grimm: Nein. Die Safety-Funktionalität ist integriert, das heißt Sicherheits- und Standardapplikationen laufen auf demselben CPU-Kern. So bleiben die anderen Kerne frei für Windows-Anwendungen.

Siemens-Philosophie ist, die komplette Projektierung im TIA-Portal abzubilden. Auch die des Hypervisors?

Markus Lang: Das komplette Gerät wird im TIA-Portal konfiguriert und projektiert. Bei WinAC RTX gab es den sogenannten Komponenten-Konfigurator, kurz: Koko. Mit diesem mussten auf der Windows-Seite ziemlich viele, teils komplexe Einstellungen vorgenommen werden. Das entfällt jetzt komplett. Die Konfiguration ist wesentlich einfacher und komplett im TIA-Portal abgebildet. Um die Einstellungen des Hypervisors muss sich der Anwender nicht kümmern.

Hannover Messe 2015
Halle 9, Stand D35

Stefan Kuppinger

ist Chefredakteur der IEE.

(sk)

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