Safe-Robotics vereinfacht den Aufbau und die Überwachung ­kooperativer Maschinenkonzepte mit einer sicheren Mensch-­Maschine-Interaktion.

Safe-Robotics vereinfacht den Aufbau und die Überwachung ­kooperativer Maschinenkonzepte mit einer sicheren Mensch-­Maschine-Interaktion.Helmut Roth, Debatin

Ziel des Entwicklungsprojekts ­Safety am Tool Center Point (TCS) war, Industrieroboter so sicher zu machen, dass sie ohne trennende Schutzeinrichtungen mit Menschen zusammenarbeiten, interagieren können. Knickarmroboter, die in der Industrie am Weitesten verbreitet sind, stellen mit ihren sechs elektromechanisch angetriebenen Bewegungsachsen den Benchmark für Safety-Lösungen dar. Wer die Bewegungen aller sechs Achsen und des Werkzeug-Arbeitspunkts (TCS) im Raum sicher erfassen und kontrollieren kann, beherrscht auch alle anderen seriellen Robotik-Derivate. Parallele kinematische Strukturen wie Tripode oder Hexapode können mit dieser Methode nicht überwacht werden.

Die sicherheitstechnischen Anforderungen an Industrieroboter und Robotersysteme in Kollaboration mit menschlicher Arbeitskraft definiert die Norm EN ISO 10218, Teil 1 und 2. Sie legt unter anderem fest, bis zu welchem Maß der menschliche Körper belastet werden darf. Diese Grenzwerte gewährleisten, dass Menschen, die mit Robotern zusammenarbeiten, bei Kollisionen keinen ernsthaften Gefährdungen ausgesetzt sind. Als Richtwerte für den kollaborierenden ­Betrieb gelten:

  • sichere Kraftbegrenzung auf maximal 150 N,
  • sicher reduzierte Geschwindigkeit auf maximal 250 mm/s sowie
  • selbsttätiges Anhalten der Bewegung und Halten der Position
  • SPS-Bausteine sind TÜV-zertifiziert

Hinter den Fahrwegen und Bewegungsabläufen von Werkzeugen oder Greifern, mit denen Industrieroboter ihre Arbeit verrichten, stehen komplexe Achs-Bewegungsmuster der vielgelenkigen Maschinen. Wichtig ist, dass sich die sichere Überwachung der Geschwindigkeit nicht nur auf einzelne Achsen bezieht, sondern auf den gesamten Roboter und damit auch auf den Werkzeug-Arbeitspunkt.

Den ersten Baustein einer erweiterten ­Roboter-Sicherheit entwickelte B&R bereits 2011: die Funktion SLS (Safely Limited Speed) am TCP, die als Safe-Robotics-­Bibliothek mit TÜV-zertifizierten Parameter- und Funktionsbausteinen für die sichere Programmierumgebung Safe-­Designer zur Verfügung steht.

Ein TÜV-zertifizierter Funktionsbaustein ermöglicht die Überwachung des Werkzeug-Arbeitspunkts (Tool Center Point). Die Parameter dazu sind normiert und werden aus einer hinterlegten Tabelle mit den tatsächlichen Werten nachgeladen.

Ein TÜV-zertifizierter Funktionsbaustein ermöglicht die Überwachung des Werkzeug-Arbeitspunkts (Tool Center Point). Die Parameter dazu sind normiert und werden aus einer hinterlegten Tabelle mit den tatsächlichen Werten nachgeladen.B&R

Mit diesen Funktionsbausteinen werden sicherheitsgerichtete Steuerungsprogramme für die Sicherheitssteuerung Safe-­Logic entwickelt. Die Steuerungsprogramme ermitteln durch Transformation der sicheren Informationen (Status, Position und Geschwindigkeit der einzelnen Achsen) die tatsächliche Geschwindigkeit am Werkzeug-Arbeitspunkt.

Dabei vergleicht ein sicherer Funktionsbaustein die Geschwindigkeiten aller Gelenke und freigegebenen Werkzeuge mit den festgesetzten Grenzgeschwindigkeiten. Eine sichere Umschaltung ermöglicht die Auswahl von bis zu vier verschiedenen Limits. Ebenso können unterschiedliche Werkzeugabmessungen definiert und mehrere Werkzeugpunkte gleichzeitig verfolgt werden, etwa um eine sichere Überwachung großflächiger, vom Roboter bewegter Werkstücke zu realisieren. Die Reaktion auf die von diesem Modul ausgegebenen Sicherheitsverletzungen wird in der Sicherheitsapplikation festgelegt. Somit ist die Verarbeitung vom eingesetzten Robotertyp unabhängig.

In einem für jede serielle Kinematik geeigneten Parameterbaustein sind die geometrischen Abmessungen des Roboters, das verwendete Einheitensystem und die Zuordnung zwischen Gelenkachsen und dem Roboter-Basisgelenk zu beschreiben. Ein weiteres Parametermodul dient zur Festlegung der Werkzeugabmessungen in Bezug auf das Koordinatensystem des Werkzeugaufnahmeflansches. Diese werden für die Ermittlung der Geschwindigkeit an den freigegebenen Werkzeug­arbeitspunkten benötigt.

Mit der verallgemeinerten Kinematikbeschreibung kann über nachladbare Tabellen jede beliebige serielle Kinematik mit bis zu elf Dreh- und Schubachsen beschrieben werden. Dies deckt zum Beispiel auch auf Linearachsen montierte Roboter ab.

Mit der verallgemeinerten Kinematikbeschreibung kann über nachladbare Tabellen jede beliebige serielle Kinematik mit bis zu elf Dreh- und Schubachsen beschrieben werden. Dies deckt zum Beispiel auch auf Linearachsen montierte Roboter ab.B&R

Direkt in den Antrieben, die mit der sicher­en Bewegungssteuerung Safe-MC ausgestattet sind, erfolgt sowohl die Aufnahme der sicheren Daten als auch die Ausführung der Sicherheitsfunktionen. Für die Übertragung der sicherheits­gerichteten Informationen zwischen Safety-­Steuerung und sicherem Antrieb kommt das feldbusunabhängige, sicherheitsgerichtete Übertragungsprotokoll Open-Safety zum Einsatz.

Safe-MC ist integraler Bestandteil der Servoantriebe Acopos-Multi von B&R. Die Antriebe weisen eine typische Fehleraufdeckungs- und Reaktionszeit von 7 ms auf. Das entspricht etwa einem Zehntel dessen, was Relais-Sicherheitsschaltungen erreichen können und verkürzt den Anhalteweg um den Faktor 100. Dieser Faktor resultiert aus dem quadratischen Einfluss der Zeit, wenn die Kinematik beziehungsweise einzelne Achsen im Fehlerfall mit maximaler Beschleunigung losfahren würden (s=½at²).

Zudem bietet Safe-MC mit Smart Safe ­Reactions wie STO (Safe Torque Off), SBC (Safe Brake Control), SS1 (Safe Stop 1), SOS (Safe Operating Stop), SS2 (Safe Stop 2), SLS (Safely Limited Speed), SMS (Safe Maximum Speed), SDI (Safe Direction) und SLI (Safely Limited Increment) zahlreiche Alternativen zu einer rigorosen Stillsetzung per Not-Halt.

Der Funktionsbaustein überwacht anhand der Robotergeometrien und Achsbewegungen innerhalb der Entwicklungsumgebung Safe-Designer die tatsächlichen Geschwindigkeiten des Tool Center Points auf die Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeiten.

Der Funktionsbaustein überwacht anhand der Robotergeometrien und Achsbewegungen innerhalb der Entwicklungsumgebung Safe-Designer die tatsächlichen Geschwindigkeiten des Tool Center Points auf die Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeiten.B&R

Einzelabnahme entfällt

In der ersten Version der Safe-Robotics-Funktionen nutzte das Überwachungs-Software-Modul einen Beschreibungsbaustein für die Kinematik, mit dem alle gängigen Robotertypen frei konfigurierbar waren. Dieser Ablauf hatte allerdings einen Nachteil: Die resultierende Sicherheitsapplikation musste für jeden Robotertyp separat zertifiziert werden.

Um den Maschinen- und Anlagenbauern diesen Aufwand abzunehmen, wurde eine effizientere Lösung entwickelt. Künftig lässt sich die Kinematik eines Roboters mit einer Bibliothek homogener Parameter beschreiben, beispielsweise Längen, Verdrehungen und Offsets von einzelnen Gelenkabschnitten. Der Vorteil: Dieser Ansatz ist unabhängig von den tatsächlich hinterlegten Werten und für jede erdenkliche serielle Kinematik mit bis zu elf Dreh- oder Schubachsen gültig.

Programmierfreiheit und Komfort erhöht

Dass die Programmierung der Sicherheitssteuerung – zumindest des Robotikteils – nicht bei jeder Applikation erneut zertifiziert werden muss, ist nur ein Vorteil der Lösung. Zudem lassen sich mit den Transformations-Parametern auch gemischte Konfigurationen beschreiben, beispielsweise ein Roboter, der zusätzlich auf einer linearen Portalachse oder auf einem Rundtisch montiert ist. Die Parameter machen auch Mechaniken beherrschbar, bei denen unterschiedliche Achsen miteinander gekoppelt sind. Ein Beispiel: Dreht sich Achse 4, ändert Achse 5 gleichzeitig ihren Winkel.

Neben der Robotergeometrie ist es notwendig, die Werkzeugabmessungen in einem zweiten, ebenfalls TÜV-zertifizierten Parametermodul zu erfassen.

Neben der Robotergeometrie ist es notwendig, die Werkzeugabmessungen in einem zweiten, ebenfalls TÜV-zertifizierten Parametermodul zu erfassen.B&R

Weiterer Bestandteil der erweiterten Möglichkeiten von Safe-Robotics ist ein zusätzlicher Funktionsblock, mit dem sich die zusätzlichen Freiheitsgrade leichter handhaben lassen. Der Funktionsbaustein prüft die hinterlegten Parameter auf Plausibilität. Dadurch wird die Safely ­Limited Speed am Tool Center Point zum einfach anwendbaren Sicherheits-Parameter – speziell, wenn Anwender auf vorbereitete Parametersätze handelsüblicher Robotertypen zurückgreifen, die viele Hersteller bereitstellen.

Bei der Ansteuerung der Roboter hat der Anwender freie Wahl, unabhängig davon, ob er die Robotersteuerung des Kinematik-Lieferanten verwendet oder eine Einbindung in andere Steuerungssysteme ­favorisiert. Grundlage dieser Flexibilität ist das feldbusunabhängige Sicherheitsprotokoll Open-Safety. Einzige Voraussetzung für die Nutzung von Safe-Robotics und der Sicherheitssteuerung ist die Bereitstellung sicherheitsgerichteter Positionsdaten durch die Safety-Antriebe, die sichere Reaktionen verarbeiten können.

Projekteure müssen bei der Programmierung mit Safe-Robotics keine Bahnkurven oder -geschwindigkeiten berechnen. Diese Aufgabe übernehmen die Transformationsmechanismen des Tools. Anwender können sich daher auf ihre Kernaufgaben konzentrieren – die Programmierung des Bewegungsablaufs.

Dr. Gernot Bachler

ist Technical Manager Motion bei der Bernecker+Rainer Industrie Elektronik Ges.m.b.H. in Eggelsberg, Österreich.

(sk)

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