Im Arbeitskreis ‚Smartphone,Tablet, Apps und Co.‘ diskutieren Unternehmen den Einsatz von Smart Devices in der Produktion. Derzeit typische Szenarien sind Apps oder Client-Anwendungen von MES/ERP-Systemen.

Im Arbeitskreis ‚Smartphone,Tablet, Apps und Co.‘ diskutieren Unternehmen den Einsatz von Smart Devices in der Produktion. Derzeit typische Szenarien sind Apps oder Client-Anwendungen von MES/ERP-Systemen. Redaktion IEE

Technik muss nicht kompliziert und unattraktiv sein. Das zeigen viele Maschinen- und Anlagenbauer, die sich neben der Funktions- und Leistungssteigerung von neuen Produkten auch intensiv Gedanken über deren Usability und Design machen. Die Hersteller überlegen ganz konkret, wie sie einfache Bedienkonzepte aus dem Verbraucherumfeld auch auf und in ihre Produkte übertragen können. Aus gutem Grund: Während bei traditionellen Handwerkzeugen eine unmittelbare und damit auch verständliche Verbindung zwischen der menschlichen Aktion und deren Wirkung gegeben ist, lässt sich die Wechselwirkung einer Bedienhandlung (Aktion) bei Maschinen und deren Effekt (Reaktion) nicht immer erkennen. Insbesondere gilt es bei der Bedienung von Arbeitsmaschinen die Kenntnis beziehungsweise ein Gefühl ­ihrer Dynamik mit einzubeziehen. Die ­Bedienoberfläche muss dazu so gestaltet sein, dass eine quasi automatisierte ­Beherrschung hoher Komplexität mit ­einer für Anwender einfachen und verständlichen Bedienung gegeben ist.

Maschinenbedienung mit Spaßfaktor

Maschinen- und Anlagenbauer erkennen, dass Funktionalität nicht alles ist, sondern beim Benutzer auch ‚ankommen’ muss: Usability ist gefragt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich das Ziel, die Bedienung interaktiver Produkte intuitiv, leicht erlernbar und damit effizient zu gestalten.

Derzeit typische Szenarien sind Apps oder Client-Anwendungen von MES/ERP-Systemen.

Derzeit typische Szenarien sind Apps oder Client-Anwendungen von MES/ERP-Systemen. Gfos

Einigen Herstellern ist das noch nicht genug: Die Bedienung über das Human ­Machine Interface (HMI) soll auch noch Spaß machen, den Benutzer motivieren und ein positives Gefühl vermitteln. Auch dafür gibt es einen Fachausdruck: User Experience. Er beschreibt ein positives Nutzungserlebnis, das Anwender bei der Bedienung eines Produkts erfahren.

Starke Impulse erfährt die Diskussion um Usability und User Experience durch Tablet und Smartphone, die sich explosionsartig verbreiten – und damit auch deren Bedienphilosophien. Diese Smart Devices bieten Rechenleistung, die bis vor kurzem nur Industrie-PCs erreichten. Hinzu kommen Funktionen wie Kamera, Mobilfunkanbindung, GPS-Gyro und Lage-Sensorik. Damit steht dem Maschinen- und Anlagenbauer eine neue und vielseitige Infrastruktur für die mobile und ortsungebundene Nutzung zur Verfügung. Deren Möglichkeiten gilt es zu entdecken und auszuloten. Schließlich erwarten die Bediener künftig die gleiche oder wenigstens eine ähnliche User Experience an den Maschinen, die sie von ­ihrem Smartphone her kennen.
Eine kleine Revolution bahnt sich also an, die den traditionellen Maschinenbau unter Zugzwang setzt: Entwicklungen auf dem Mobile-Sektor zeigen nämlich, dass andere Bedienphilosophien durchaus möglich sind. Und die Kunden des Maschinenbaus werden zunehmend moderne Bedienkonzepte mit mehr Usability einfordern.

Spannend sind Use-Cases für die Bedienung von Maschinen, wie sie Bosch Rexroth derzeit noch als Prototyp und als Anregung für Maschinenbauer zeigt.

Spannend sind Use-Cases für die Bedienung von Maschinen, wie sie Bosch Rexroth derzeit noch als Prototyp und als Anregung für Maschinenbauer zeigt. Redaktion IEE

Diese Entwicklung greift das Forum IT@Automation des VDMA auf und bündelt diese Themen im Arbeitskreis ‚Mobiles, Apps und Co.‘. Hier treffen sich Produktmanager und Entwicklungsleiter aus Maschinenbaufirmen aber auch Dienstleister aus dem Embedded-Umfeld bis hin zu MES/ERP-Anbietern sowie Anbieter von Automatisierungstechnik und Softwarelösungen. Diese Unternehmen stehen alle vor zum Teil gemeinsamen Herausforderungen, die neuen Plattformen zu integrieren. Dabei stehen verschiedene Use-Cases im Mittelpunkt der Betrachtung, unter anderem:

  • Serviceanwendungen mit Nutzung der diversen Sensoren der Mobile Devices,
  • Überwachungs- und Motionsoftware für Maschinen und Anlagen aber auch
  • die Integration von MES- und ERP-Modulen zur Analyse und Meldungsverarbeitung.

Einen weiteren Schwerpunkt bilden die möglichen Geschäftsmodelle. Untersucht werden etwa die Voraussetzungen für eine erfolgreiche als App-Anwendung umgesetzte Funktionalität. Dabei werden auch die internen Randbedingungen wie Entwicklerpotential, Geschäftspolitik sowie Kapazitäten und ROI betrachtet. Sehr intensiv diskutieren die Mitglieder des Arbeitskreises die möglichen Plattformen wie iOS, Android oder auch MS Phone. Hier stehen derzeit vor allem Themen wie Development, Deployment sowie Security im Mittelpunkt, da sich die Betriebssysteme in diesen Punkten grundlegend unterscheiden. Weitere Aspekte sind Argumentationshilfen, Software-Engineering, Qualitätssicherung, Usability sowie Schnittstellen und Trends.

User experience will erarbeitet sein

Viele Hersteller gehen inzwischen sehr strukturiert bei der Gestaltung der Bedienoberflächen vor. Sie analysieren Nutzer und Nutzungsszenarien, entwerfen Informationsarchitekturen und Interaktionskonzepte, erstellen Interface-Prototypen für Akzeptanztests mit Endbenutzern und dokumentieren erarbeitete Standards in einem Firmen-Styleguide. Eine solche Standardisierung bietet zudem Sparpotenzial für Maschinen- und Anlagenbauern, die normalerweise in jedem Projekt große Teile der Bedienung neu und individuell implementieren. Denn Firmenstandards sind ein wesentlicher Schritt hin zu Standard-Software, bei der nur noch ­Bestandteile kundenspezifisch zu projektieren sind. Das verringert Entwicklungskosten und -zeiten und kommt damit letztlich auch den Käufern zugute.

Diese Aktivitäten sollten in einer frühen Phase der Entwicklung beginnen, am besten vor der Implementierung der Bedienoberfläche. Da sich aber viele Entwicklungsprojekte für Maschinen über einen langen Zeitraum hinziehen, können während der Implementierungsphase immer wieder neue Anforderungen oder Funktionen auftauchen. Oft erkennt man erst bei der Implementierung, dass sich bestimmte Gestaltungsideen aufgrund technischer Randbedingungen oder aufgrund enger Zeitpläne und Ressourcenengpässe nicht wie geplant umsetzen lassen. In diesen Fällen ist es wichtig, dass Entwickler immer noch auf die Expertise eines Software-Ergonomen zurückgreifen können.

Fliegender Wechsel: Mit einer Docking-Station an der Maschine wird aus dem Tablet ein stationäres Panel.

Fliegender Wechsel: Mit einer Docking-Station an der Maschine wird aus dem Tablet ein stationäres Panel.Bosch Rexroth

Dennoch, die Entwicklungsleiter kommen nicht daran vorbei, ihre eingefahrenen Prozesse in der Industrie auf den Prüfstein zu stellen und entsprechend anzupassen: Themen wie Usability und ­Security gehören in die frühen Phasen des Software-Engineeringprozesses. Informatik, Maschinenbau, Elektrotechnik und Ergonomie müssen enger zusammen rücken und von Anfang an gemeinsam die Aufgabenstellungen bearbeiten, bevor sie zu Problemen werden. Die Grenzen verschwimmen und man muss sicher das ein oder andere liebgewonnene Vorgehen über Bord werfen, um offen für neue Ansätze und Prozesse zu sein. Es geht darum, der nächsten Bediener-Generation geeignete Systeme und Arbeitsweisen zur Verfügung zu stellen, mit denen sie arbeiten wollen und können. Denn nur auf diese Weise bleiben Automatisierungs- und Produktionstechnik attraktive Arbeitsplätze.

Prof. Claus Oetter

ist stellvetretender Geschäftsführer des Fachverbands Software beim VDMA in Frankfurt sowie Leiter des Forums IT@Automation.

(sk)

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