Auf die Schnelle
Das Wesentliche in 20 Sek.
- Verschleißmessung an Energieketten, Lagern und Leitungen verlängert die Restlaufzeiten deutlich – ohne Risiken
- Verschiedene Sensoren für Applikations-kritische Parameter verfügbar
- Signal- und Busleitungen in Diagnosekonzept integriert
- On/Offline-Optimierung
- Permanente Optimierung des Algorithmus und ERP-Anbindung möglich
Digitalisierung, Internet der Dinge, smarte Produktion – diese Schlagworte sind längst nicht mehr Gegenstand rein akademischer Diskussionen. Nach und nach halten sie Einzug in den Alltag der Unternehmen. Begonnen hat die Digitalisierung mit einer Idee, die als Internet der Dinge (IoT) bekannt wurde und die physische und virtuelle Gegenstände in einer globalen Infrastruktur miteinander vernetzt. Einfaches Beispiel: Der Vorrat einer Druckerpatrone neigt sich dem Ende zu, und mit zwei Mausklicks stellt man sicher, dass Ersatz geliefert wird.
Ziel ist, die Vernetzung von Produktionssystemen, Produkten und Menschen, Produktion oder Distribution effizienter zu gestalten. Demnach kommunizieren Maschinen miteinander und tauschen Informationen über Status, Werkstücke und mögliche Fehlermeldungen aus.
Als Hersteller und Lieferant von Komponenten aus Hochleistungskunststoffen, wie Energieketten, Leitungen und Gleitlagerprodukten, durchläuft auch Igus einen digitalen Entwicklungsprozess und richtet seine Produkte mehr und mehr auf den Einsatz in smarten Fabriken aus. Mit dem Ziel, die Wartung und Instandhaltung seiner ‚plastics‘ effizienter und wirtschaftlicher zu gestalten. Für die isense-Produktfamilie wurden deshalb unterschiedliche Sensoren und Überwachungssysteme entwickelt, die aus Kunststofflösungen intelligente Produkte machen, zu so genannten smart plastics. Das Ergebnis: Diese Komponenten wechseln nicht mehr ‚plötzlich und unerwartet‘ ihren Status von ‚funktioniert‘ auf ‚defekt‘; sie kündigen vielmehr an, dass sie ein Wartungsbedürfnis haben. Mit dieser Neuentwicklung etabliert Igus die sogenannte prädiktive, die vorausschauende Wartung – intelligente Produktion trifft auf ebenso intelligente Instandhaltung.
Frühwarnsystem durch intelligente Prognosen
„Verschleiß
messungen können die
Laufzeit
deutlich verlängern.“
Im Interview erläutert Richard Habering, Leiter des Geschäftsbereichs smart plastics bei Igus, die Strategie hinter dem Thema Condition Monitoring von
Energieketten.
Das Prinzip der smart plastics ist schnell erklärt: Abhängig von der Aufgabenstellung erfassen unterschiedlichste Sensoren den Zustand der jeweiligen Komponenten, Energieketten, Leitungen oder auch Linear- und Rundtischlager und melden diesen an einen Datenkonzentrator (icom-Modul). Dieser überträgt optional die Daten an ein intelligentes System übermittelt.
So können etwa e-ketten im laufenden Betrieb auf ihre Zug- und Schubkraft hin überwacht und noch vor Eintritt eines Störfalls gewartet werden. Andere Sensoren kontrollieren die Abnutzung der Gleitfläche oder das Lagerspiel an den Kettengliedern So lässt sich das Worst-Case-Szenario – Anlagenstillstand und Produktionsstopp – vermeiden. Mehr noch: Wartungen und Serviceeinsätze werden planbarer und damit effizienter. Gewerke, bei denen eine Vielzahl von Ketten im Einsatz ist, profitieren nicht nur von diesem Sensor, sondern beispielsweise auch vom EC.B, einer Messtechnik, die Kettenbrüche detektiert. Dieses Überwachungssystem meldet sich unmittelbar nach dem Bruch und schaltet optional die Anlage ab. Eine längere Überlastung der gegenüberliegenden Kettenseite wird dadurch vermieden, was auch den Serviceeinsatz zeitlich überschaubar macht und Folgeschäden an weiteren Kettengliedern vermeidet.
Neben e-ketten, gibt es auch für Leitungen Möglichkeiten zur präventiven Überwachung, darunter den Sensor CF.Q, der die elektrischen Leitungseigenschaften misst. Darüber hinaus steht mit dem Sensor CF.D ein Konzept zur Überwachung auch von Busleitungen in Energieketten zur Verfügung. Durch die Detektion kleinster Veränderungen der Übertragungseigenschaften erkennt das System drohende Anlagenstillstände rechtzeitig.
Online: Vorausschauende Wartung durch Anbindung an den Igus-Server
Messwerte allein machen noch keine Diagnose und vorausschauende Wartung. Die Interpretation der Sensormesswerte erfolgt mittels Data Analytics in der Cloud und die daraus resultierenden Handlungs- oder Warnhinweise werden via Webdashboard, E-mail oder SMS dem Kunden mitgeteilt.
Bei einer bestehenden Online-Verbindung des icom-Moduls mit der Igus Cloud findet ein kontinuierlicher Abgleich der Lebensdaueraussage statt. Dies sorgt für maximale Anlagenlaufzeiten bei minimalem Ausfallrisiko.
Effizient getaktet nach Priorität
Dadurch ist es bereits heute möglich, dass Wartungsteams die Serviceeinsätze optimal planen und nur noch die Wege zurücklegen, die wirklich nötig sind. Und dank der optionalen Einbindung ins ERP-System hat der Monteur auch gleich die passenden Ersatzteil dabei. Denn die Sensorwarnung löst, wenn so konfiguriert, automatisch im Lager oder direkt bei Igus die Bereitstellung beziehungsweise eine Bestellung aus. Das spart auf lange Sicht nicht nur immense Kosten, es unterstützt Schichtleiter, Wartungscrews und auch das Team in der Lagerhaltung bei der täglichen Arbeit. Denn durch diese Online-Verbindung und eine Anbindung an das Igus CRM können Wartungseinsätze erstmals wirklich vorhergesehen werden. Monteure werden somit nicht erst gerufen, wenn die Alarm-LED am icom-Modul eine Abschaltung meldet, sie bekommen vielmehr im Vorfeld eine Mail, dass Antriebe demnächst ihre Verschleißgrenze erreichen, e-ketten vom Totalausfall bedroht sind oder aus Altersgründen getauscht werden müssen. Elektriker profitieren von dauerhaften Messungen, die drohende Kabelbrüche oder Wackelkontakte an den Steckern per LED signalisieren oder per SMS melden (in Planung).
So wird Wartung gestaltbar und kann zum ersten Mal priorisiert sein. Serviceteams lassen sich intelligent zusammenstellen, Personalengpässe und damit Totalausfälle zuverlässig vermeiden. Um intelligente Lagerhaltung und stets die richtige Ersatzteilmenge vorrätig zu haben, wird parallel zur anstehenden Wartungsmeldung – nach Zustimmung des Kunden – im CRM-System von Igus ein Angebot automatisch generiert und der vorher definierten Kontaktperson oder Abteilung, zum Beispiel dem Einkauf, zur schnellen Bestellung übermittelt.
In der Praxis bedeutet das noch effizienteres Produzieren und Warten, denn fehlende oder veraltete Ersatzteile im Kundenbestand gehören dank der Interaktion mit dem Igus-CRM der Vergangenheit an.
Data Lake nutzt allen
Mit der Online-Anbindung ist noch viel mehr möglich: Die Daten aus hunderten von Versuchsläufen im Igus-Testlabor werden auf einem Server mit den anonymisierten Kundendaten und den offenen Daten anderer Kundenanwendungen zu einem Datenmodell kombiniert. All das geschieht unter Verwendung moderner Machine-Learning-Strategien, die sich komplexe Algorithmen zunutze machen und ‚schwache‘ künstliche Intelligenzen entstehen lassen. Das Ergebnis: eine Art datenbasiertes ‚elektronisches Konstruktionshandbuch‘, welches die Lebensdauerberechnung aus dem geschützten Kundenbereich abfragt. Alle Daten, die eingebaute Sensoren an Ketten, Leitungen und Gleitlagern erfassen, fließen auf Wunsch in die (anonymisierte) Testdatenbank ein. Aus diesem über Jahrzehnte gewachsenen Datenpool bestimmt Igus derzeit im Vorfeld die Soll-/Referenzwerte für die Betriebszustände von e-ketten, die beanspruchten chainflex Leitungen und Gleitlager: Tausende bestehende Daten in Kombination mit neuen Daten bilden dabei intelligente Strukturen, sogenannte neuronale Netze, die – ähnlich dem menschlichen Gehirn – in der Lage sind, daraus zu lernen.
Offline: Flexible Datenanbindung durch 3-in-1-Modul
Aufgrund der Restriktionen durch die Security-Vorgaben setzen viele Unternehmen auf geschlossene Systeme. Daher hat Igus den Datenkonzentrator zum icom.plus weiterentwickelt. Mit diesem Modul kann der Kunde die Daten des icom-Moduls auf die Weise einbinden, die ihm am besten für seine Anlage erscheint: über die Maschinensteuerung per OPC-UA-Server, CAN, in die Maschinenvisualisierung oder über OPC UA, MQTT und JSON in übergeordnete Scada/IT-Systeme.
Das icom.plus wird über Igus Online-Konfigurationen mit den jeweiligen Lebensdaueralgorithmen initialisiert. Nach der Online-Installation lässt sich das Kommunikationsmodul auf Kundenwunsch offline betreiben – dann allerdings ohne automatische Updatefunktion der Lebensdaueralgorithmen. In diesem ‚semi-offline‘-Fall benötigt das Gerät während einer anfänglichen ‚Lernphase‘ entweder einen temporären, kurzzeitigen gesicherten IoT-Zugang zum Igus-Server, um die Berechnungsalgorithmen an das tatsächliche Bewegungs- und Umweltprofil der Kundenanwendung anzupassen. In sehr restriktiven Bereichen kann das Update auch über ein Speichermedium von Anfang an komplett ‚offline‘ ausgeführt werden. So kann der Nutzer flexibel die Anbindung des Moduls und somit seiner Daten gestalten und eine Balance zwischen Laufzeitmaximierung und IT-Sicherheit herstellen.
Das für die Berechnung der Wartungsempfehlung notwendige Bewegungsprofil wird über das Bussystem der Maschine direkt aus der Steuerung ausgelesen. Über den gleichen Weg wird die Information über die Anzahl der Tage bis zur nächsten empfohlenen Wartung sowie frei definierbare Warnmeldungen über ungewöhnliche Veränderungen der Sensordaten an die SPS übergeben. Die Anwenderinformation erfolgt direkt über das Bedienpanel der Maschine oder Scada-Systeme.
Neues Zeitalter in Sachen Wartung und Instandsetzung bricht an
Unabhängig davon, ob sich der Kunde für die Online- oder Offline-Variante entscheidet: für die Wartung und Instandsetzung bietet die Digitalisierung mechanischer Produkte ein nie da gewesenes Potenzial. Auch, weil sie sich auf die gesamte Wertschöpfungskette eines Produktes auswirken wird. Die verstärkte Nutzung intelligenter Technologien wird den Arbeitsalltag in Zukunft effizienter und leichter gestalten. Die vorausschauende Wartung wird sich parallel zur Digitalisierung entwickeln und in absehbarer Zeit fester Bestandteil von Industrie 4.0 sein.
Die effiziente und damit erfolgreiche Instandsetzung – sei es in der Automobilindustrie, im Maschinenbau, in der chemischen oder pharmazeutischen Industrie – wird in Zukunft von zwei Faktoren geprägt: zum einen vom Zusammenspiel des historisch gewachsenen Praxiswissens mit dem neu erworbenen Digital-Know-hows und zum anderen von der Kunst, sich beides zunutze zu machen.
Richard Habering
(sk)