
Wer eine SPS programmiert, kann auch die Corvina Cloud anbinden. Jan Ewe (links) und Tim Volberg (Bild: Redaktion IEE)
Herr Ewe, passt denn für Exor noch die Kategorisierung Panel PC-Anbieter?
Jan Ewe: Also wir sind definitiv noch eine HMI-Company. Auch wenn wir unser Know-how massiv um IIoT und Industrie 4.0-Themen erweitert haben, bleiben HMI-Lösungen unsere Kernkompetenz. Aber wir sehen uns definitiv auch als Wegbereiter für Industrie 4.0 und IIoT. Entsprechend sind unsere Entwicklungsmannschaft und Ressourcen darauf fokussiert
Tim Volberg: Wir tragen der Entwicklung des Marktes Rechnung. Parallel mit unseren Kunden, die sich verändern müssen, agieren auch wir – und das recht erfolgreich. Für viele unserer Marktbegleiter dürfte 2019 eher ein zähes Jahr gewesen sein. Davon kann bei uns keine Rede sein, wir konnten im Oktober den stärksten Monatsumsatz seit Unternehmensgründung vor 25 Jahren verzeichnen. Die Basis dafür haben wir über letzten zwei, drei Jahre mit neuen Produkten geschaffen.
Ist der Erfolg nicht auch dem geänderten Fokus auf Endanwender geschuldet?
Tim Volberg: Natürlich ist es für uns leichter, ein Geschäftsmodell, bei dem es zum Beispiel um das Thema Digital Services geht, direkt mit einem Maschinenbauer als OEM aufzubauen. Denn der hat natürlich auch Druck von seinen Endkunden, die ihre Fertigung optimieren wollen. Dazu brauchen die Endanwender die passenden Anwendungen und Daten. Beides können Maschinenbauer über unsere Corvina Cloud bereitstellen.
Jan Ewe: Wir laufen in vielen Branchen gerade auf einen schlechteren Markt hin. Die Cleveren investieren jetzt und stellen alles auf den Prüfstand, um produktiver zu werden.
Wie schafft es denn ihre Entwicklungsmannschaft, diese Themenfelder zu stemmen, Cloud/HMI-Software, Connectivity, Panel/IPC-Technologien und all die Dinge?
Jan Ewe: Das geht natürlich nicht, wenn man die ganzen Themen in die bestehende Mannschaft und Strukturen reinkippt. Daher haben wir die Themen in Kompetenzcenter geclustert und zusätzliche Ressourcen aufgebaut. In Kroatien haben wir beispielsweise eine Truppe aufgestellt, die sich mit dem Thema Embedded befasst. In Verona und in Mailand läuft die Softwareentwicklung für die Cloud-Anbindung und Corvina.
Wie viele Mannjahre sind denn bislang in die Corvina Cloud geflossen?
Jan Ewe: Allein in den letzten zwei Jahren waren das bestimmt schon über 10 Mannjahre. Corvina unterteilt sich ja in zwei Varianten. Version 1, die wir schon seit vielen Jahren als VPN-Lösung im Markt haben, das ist für viele Anwender praktisch der Einstieg, die bereits HMIs von uns oder eines unserer Gateways im Einsatz haben. Damit lassen sich die einfachen Business Cases realisieren, typischerweise der Fernzugriff auf Maschinen und Anlagen für die Fehlersuche und -beseitigung. Wer jetzt die nächsten Schritte in Richtung IIoT-Geschäftsmodelle gehen will, kann das mit der Corvina Cloud 2.
Sind denn die Ressentiments gegen Cloud-Anwendungen und Zugriffe auf Maschinendaten gesunken?
Tim Volberg: Die gibt es durchaus noch. Deswegen lässt sich unsere Cloud auch Onpremise installieren, also auf einem Server direkt beim Endanwender. Realistisch betrachtet wird diese Option aber wirtschaftlich für Maschinenbauer erst interessant, wenn es in die hohen Stückzahlen geht und wenn diese auch ihren Endkunden Services verkaufen.
Als IIoT-Lieferant für den Maschinenbauer ist die Corvina Cloud quasi die Schnittstelle zwischen seinen Maschinen im Feld und seinen Geschäftsmodellen. Damit wird unsere Cloud-Software zu einem der wichtigsten Tools im Unternehmen, direkt nach dem ERP-System. Schließlich fußt die Zukunft auf unserem IIoT-System. Und das verändert das Thema Risikomanagement völlig.
Die Onpremise-Installation ist dann eine Variante, die wir unterstützen. Ebenso kann der Maschinenbauer oder Endkunde seine Corvina Cloud auf unseren Servern betreiben oder bei einem der globalen Anbieter.
Tim Volberg: Und nicht nur dort. Auch Exor bietet Software as a Service an. Wir haben sowohl für die Corvina 1 verschiedene Server in mehreren Ländern, als auch für die Corvina Cloud 2. Ende 2019 geht auch in Deutschland ein eigener Server in Betrieb. Damit erfüllen wir eine Anforderung hinsichtlich Datenrecht, die der ein oder andere auf seiner Checkliste stehen hat.
Die Variante wird nachgefragt?
Jan Ewe: Anwender wollen zumindest diese Option haben. Wir wollen möglichst viele Punkte der Checklisten klären, die Kunden davon abhalten könnten, mit uns zu starten. Technologisch macht ein Server in Deutschland wenig Sinn, aber aus Datenschutzgründen. Kunden fragen danach, also machen wir das.
Fragen die Anwender auch nach ihrer Cloud?
Tim Volberg: Wir sind der Überzeugung, dass die Kundenklientel, die Exor einsetzt, eben nicht die IT-ler sind, sondern Automatisierer. Bei Projekten zeigt sich immer wieder, dass sich die IT um das ganze Thema Datenbankmanagement wunderbar kümmert und tolle Frontends baut. Aber beim Thema OT, also wie die Daten von der Maschine in die Datenbank kommen, herrscht oft Ratlosigkeit. Genau hier punkten wir.
Jan Ewe: Womit die IT immer wieder Probleme hat, sind Echtzeitvisualisierungen. Wir können mit der Corvina Cloud auf die Echtzeitdaten unserer Visualisierungssoftware UX zugreifen und in der Cloud live anzeigen.
Corvina 1 und Corvina 2 laufen auf unterschiedlichen Servern. Da stellt sich die Frage nach der Migrationsfähigkeit.
Tim Volberg: Technologisch sind das zwei getrennte Systeme. Im Gegensatz zu anderen Herstellern haben wir nicht einfach unsere VPN-Lösung zur IIoT-Plattform aufgebohrt. Corvina 1 nutzt OpenVPN, Corvina 2 setzt auf MQTT auf. In der Praxis sind das dann zwei separate Clients, die in Zukunft unter einer Oberfläche zusammengefasst werden.
Wie stehen Sie Partnerschaften gegenüber, also jemand sein Know-how auf der Corvina Cloud aufsetzen möchte und Exor das dann mit vermarktet?
Jan Ewe: Das ist definitiv ein Weg, den wir gehen wollen. Bei so einem Marketplace gibt es aber zwei Dinge zu beachten. Auf der einen Seite gibt es Kunden, die unser SDK für eigene Logiken nutzen, beispielsweise Machine Learning. Das ist und bleibt dann deren IP.
Auf der anderen Seite sind wir schon erste Partnerschaften mit klassischen IT-Systemhäusern eingegangen, die sich um Rest kümmern. Denn bei den typischen Use-Cases sind Livedaten, die wir aus dem Feld beisteuern, zwar essenziell, aber sie machen maximal 10 Prozent aus. Die Masse an Daten für typische Dienstleistungen die Service kommt aus vorhandenen Datenbanken: Welcher Kunde ist das, wer ist der Ansprechpartner, wann wurde die Maschine gekauft, hat er seine Rechnungen immer bezahlt?
Allein für diesen Use Case braucht es Daten aus dem CRM-System und dem ERP. Sie müssen aus diesen ganzen vorhandenen Quellen die Daten zusammenführen. Und das ist nicht die Aufgabe von uns oder der Corvina; das machen Systemhäuser wie unser Partner Blu Beyond in München.

Wir wollen die Hemmschwelle möglichst niedrig setzen, mit der Corvina Cloud zu starten. Jan Ewe Redaktion IEE
Das ist die Anbindung nach oben. Wie binden Sie denn das Brownfield ein?
Tim Volberg: Die Frage kriegen wir häufig gestellt. Auch dafür braucht es Partner, die diesen Service mit anbieten. Auch in diese Richtung werden wir unser Netzwerk weiter ausbauen. Wir wollen nicht nur Komponenten und ein Stück Software anbieten, sondern für Endanwender eine fertige Lösung bis hin zur Installation und Inbetriebnahme.
Wieso greift man aus der Cloud für Auswertungen nicht auf die Maschinenvisualisierung zurück? Dort sind doch Downtime, Stati und OEE einer Maschine bereits häufig verfügbar.
Jan Ewe: Das ist korrekt. In einem Cloudsystem liegt der Fokus aber etwas anders. Über die Cloud greifen Anwender, der Schichtleiter, der Instandhalter, die Produktionsleitung oder der Maschinenlieferant Rollen-basiert auf die Informationen zu. Jeder braucht oder wünscht sich eine andere Sicht auf die Anlagen. Mit der Version 4.0 unseres Engineeringtools JMobile, das wir zur SPS ebenfalls releasen, werden diese unterschiedlichen Grafiken und Dashboards zusammengefasst. Das Look & Feel der Gallery in der Corvina und in JMobile sind dann künftig identisch; auch das Handling ist exakt gleich.
Tim Volberg: Wenn der Kunde mit einem der Tools vertraut ist, kommt er auch mit der anderen Software klar. Wir haben wirklich darauf geachtet, dass das Look & Feel von der Bedienung wie auch die Darstellung identisch sind. Mit Corvina 1 ist der Zugriff auf die Maschinenvisualisierung zwar auch machbar, in der Cloud wollen sie in der Regel aber dann doch noch ein paar andere Daten sehen. Wir bieten dem Kunden die Möglichkeit, seine Daten einfach noch mal auf dem Dashboard der Corvina Cloud 2 explizit zusammenzufassen und in anderer Form zu visualisieren, beispielsweise für einen bestimmten Use-Case wie das Performance Monitoring einer Linie oder die Produktivität der Verpackungsanlagen an fünf Standorten auf einem Dashboard.
An welchen Stellen hat der Kunde denn die größten Schmerzen?
Jan Ewe: Das sind die Produktivität, Qualität und immer weniger qualifiziertes Personal, die den Job machen sollen. Heute ist es bei vielen Anlagen immer noch so, dass die Produktivität der Anlage vom Operator abhängt. Teilweise holt ein erfahrener Anlagenfahrer 20 Prozent und mehr aus einer Anlage raus als ein Newcomer. Eine Möglichkeit den Know-how-Transfers vom ‚alten Hasen‘ zum ‚Lehrling‘ ist, die Parameter und Anlagenzustände zu tracken, um Transparenz in die Fahrweisen zu bekommen.
Und dann vielleicht sogar automatisch reagieren?
Jan Ewe: Eines unserer Ziele mit Corvina ist auch das Thema Control as a Service. Wir wollen Control-Elemente anbieten, mit denen sich bestimmte Aufgaben aus der Maschine rausnehmen und übergeordnet erledigen lassen. Dazu ist eine Onpremise-Lösung unerlässlich.
Vorhin sagten Sie: „Wir brauchen immer ein Stück Exor irgendwo an der Maschine.“ Ohne Panel oder Gateway gibt es also keine Corvina Cloud?
Jan Ewe: Entweder ein Gateway, einen IPC mit unserer Runtime oder eines der günstigen eSmart Geräte als HMI. Meistens braucht der Maschinenbauer sowieso eine Mobilfunkverbindung, weil er nicht in das Netz des Endanwenders reindarf. Dann braucht es ein Modem, das wir ins Gateway integrieren. Über das Gateway hat der Endanwender wiederum die Zugangs-Kontrolle, da er das Modem dezidiert ein- oder ausschalten kann – und damit den Cloudzugriff erlauben oder unterbinden kann. Auch diese Forderung kommt immer wieder vom Markt.
Tim Volberg: Wobei diese Forderung in Kombination mit der Corvina Cloud 2 und IIoT-Diensten keinen Sinn macht. Hier braucht es einfach eine permanente Kommunikationsmöglichkeit der Daten. Schließlich braucht der Kunde die Live-Daten für seine Optimierungen und erwartet einen gewissen Servicegrad von seinem Maschinenbauer. Dazu sind Maschinendaten unerlässlich.
Welche Funktionen oder Use Cases unterstützt die Corvina Cloud zum Start?
Tim Volberg: Zur SPS gibt es einen Soft Launch der Corvina Cloud 2. In dieser Phase suchen wir Interessenten mit bestimmten Anforderungsprofilen. In Deutschland wird es eine dezidierte Anzahl von Kunden geben, mit denen wir unsere Prozesse dann testen.
Zur SPS in Parma, im Mai 2020, folgt dann der Hard Launch. Dann können Sie ein HMI kaufen, sich online registrieren und einfach den entsprechenden IIoT-Dienst dazu buchen.
Und was ist zum Soft Launch an Funktionen verfügbar?
Jan Ewe: Es gibt eine Billing Ansicht, eine Übersicht welche Gateways online sind, wie viele Daten gekommen sind und welche Kosten aufgelaufen sind. Von den Funktionalitäten her gibt es natürlich ein dezidiertes User-Management, Device-Management sowie weitere Prozesse. Wir zeigen auch, wie man über ein SDK seine eigenen Widgets anlegen kann. Das ist wichtig, weil wir der Fantasie des Maschinenbauers keine Grenzen setzen wollen.
Wie stellen Sie die Funktionen dar?
Tim Volberg: Wir zeigen anhand eines großen Cockpits eine Applikation aus den unterschiedlichen Perspektiven, konkret aus OEM-Sicht, aus Endkunden-Sicht, aus der After Sales-Sicht. Damit wollen wir mit den Messebesuchern ins Gespräch kommen und mit ihnen diskutieren.
Jan Ewe: Unsere Ansprechpartner sollen in der Lage sein, die Corvina Cloud bei ihrem C-Level zu pitchen und vorzustellen ‒ nicht nur mit einer PowerPoint-Präsentation, sondern vor der Geschäftsführung mit einer Live-Schalte auf eine ihrer Anlagen die konkreten Möglichkeiten und Vorteile aufzeigen. Dazu haben wir auch die Komplexität bei der Connectivity und Projektierung rausgenommen. Wer eine SPS programmieren kann oder ein CAN-Device anbinden kann, der kann auch unsere Corvina Cloud mit seinen Maschinen verbinden.
Das machen ihre Wettbewerber doch auch.
Tim Volberg: Bei denen kostet aber allein so ein Proof of Concept 50 000 Euro und mehr. Die Aufwände sind bei uns deutlich geringer.
Der Big Bang kommt dann zur SPS in Parma?
Tim Volberg: Und bis dahin sollen dann alle Prozesse stehen. Deshalb der Soft Launch, mit dem wir alles auch en Detail testen. Und ich glaube, nur so ist eine Cloud auch seriös in den Markt zu bringen.
Das Interview führte IEE-Chefredakteur Stefan Kuppinger
Exor auf der SPS 2019: Halle 9, Stand 170
(sk)